Aus der aktuellen Ausgabe

"Wir bieten einen Golf, Kabelanbieter und Telkos hingegen kommen mit dem Rolls-Royce"

Uhr | Aktualisiert
von Janine Aegerter und René Mosbacher

Beat Knecht, CEO von Zattoo, erzählt im Gespräch, mit welchen Anfangsschwierigkeiten der Web-TV-Anbieter Zattoo zu kämpfen hatte und wie das junge Unternehmen diese gelöst hat. Zudem erklärt er, wie sich die Firma künftig am Markt positionieren will und inwiefern sie sich von Telkos wie Swisscom und Cablecom unterscheidet.

Beat Knecht, CEO von Zattoo, hat für die Zukunft noch viele Pläne mit Zattoo. (Quelle: Netzmedien AG, Zürich)
Beat Knecht, CEO von Zattoo, hat für die Zukunft noch viele Pläne mit Zattoo. (Quelle: Netzmedien AG, Zürich)

Herr Knecht, wie läuft zurzeit das Geschäft bei Zattoo?

Wir sind zufrieden. Die Firma schreibt Profit, und es geht ihr gut. Wichtig ist es ja, zu wissen, ob wir beim Kunden ankommen. Diesbezüglich müssen wir uns keine Sorgen machen. Hingegen stand eine Zeitlang die Frage im Raum, ob wir genügend Werber für uns gewinnen würden. Aber auch das haben wir geschafft.

Dann hat Ihnen die Werbung nie grosse Sorgen bereitet?

Doch. Wir hatten 2007, ganz zu Beginn, einen Partner engagiert, der uns bei der Akquisition von Werbekunden helfen sollte. Wir hatten einen Exklusivvertrag über 12 Monate abgeschlossen. Leider erfüllte dieser Partner in keinem dieser zwölf Monate die Sollvorgaben. Da haben wir uns von ihm getrennt.

Welche Lehre ziehen Sie daraus?

Inzwischen haben wir gelernt, unsere Marke selbst zum Markt zu tragen. Zudem haben wir mit Tamedia einen guten Partner gefunden: Er unterstützt uns finanziell, erhält einen Anteil am Geschäft, doch die Werbung verkaufen wir selbst. Dies war für uns ein wichtiger Wendepunkt.
Werbung kann man ja vor allem dank guter Nutzerzahlen verkaufen.

Wie viele Nutzer haben Sie insgesamt in der Schweiz?

Wir haben 2,7 Millionen registrierte Nutzer in der Schweiz.

Und im Ausland?

Wir sind derzeit in Deutschland aktiv, wo wir knapp 4 Millionen registrierte Nutzer haben. Ausserdem sind wir in Spanien, Frankreich, Grossbritannien sowie in Dänemark aktiv.

Wie etabliert man sich im Ausland?

Man benötigt einen Partner, um erfolgreich sein zu können. In Deutschland beispielsweise können wir nicht einfach Werbung verkaufen, ohne vor Ort aktiv zu sein. Daher muss man erst herausfinden, welche Städte wichtig sind. In Deutschland sind dies Hamburg, Berlin, München, Düsseldorf oder Frankfurt. In Spanien sind es Madrid und Barcelona, in Frankreich gilt Paris als das Mass der Dinge.

Was zeichnet die Zusammenarbeit mit einem solchen Partner aus?

Wir müssen uns bewusst sein, dass wir von ihm abhängig sind. Wenn er seine Arbeit nicht macht, kann uns das Kopf und Kragen kosten, sein Risiko hingegen ist viel kleiner. Ausserdem dauert es seine Zeit, bis die Zusammenarbeit mit einem Partner gut funktioniert. Unser Produkt muss richtig positioniert werden. Hinzu kommen die kulturellen Unterschiede. Spanien ist kulturell gesehen sehr weit weg von Zürich. Das ist praktisch eine andere Welt.

Gedenken Sie, im Ausland weiter zu expandieren?

Wir können versuchen, in Spanien, Frankreich oder Grossbritannien zu wachsen, um von der Grössenordnung her einen Markt wie in Deutschland aufzubauen. Um aber stark wachsen zu können, müssten wir das Angebot kostenlos zur Verfügung stellen. Das wiederum bedeutet, dass wir zwei, drei Jahre mit einem negativen Cashflow in diesem Geschäftsbereich, also im Ausland, leben müssten. Das muss gut überlegt sein. Ausserdem brauchen wir dann noch einen guten Partner, was uns in diesen drei Ländern bisher noch fehlt.

Um auf die Nutzer zurückzukommen: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe?

Früher war der typische Nutzer männlich. In der Zwischenzeit hat sich das verändert. Momentan haben wir einen Frauenanteil von 35 bis 40 Prozent. Was die Altersgruppe betrifft, sehen wir einen Peak beim Alter von 34 Jahren. Wir zählen aber auch Kinder und ältere Menschen zu unseren Kunden. Der typische User nutzt Zattoo zusätzlich zu anderen Angeboten wie etwa Cablecom oder Swisscom. Dieser Anteil macht etwa 80 Prozent unserer Nutzerschaft aus. Dann haben wir noch einen Anteil von etwa 20 Prozent von Nutzern, die zuhause kein TV-Gerät haben.

Wie kommt es, dass Ihre Nutzer früher primär männlich waren?

Ich denke, das liegt daran, dass Frauen sich nicht um die Einrichtung von Onlinekonten und ähnliche Dinge kümmern wollen. Also kaufen die Männer die Geräte, richten die Konten bei iTunes und iPads ein und laden die Apps herunter. Dies ist sicher auch mit ein Grund dafür, dass wir heute immer noch einen höheren Männer- als Frauenanteil haben. Oft richtet ein Mann ein Konto ein, das dann von einer Frau benutzt wird.

Dann wird Zattoo also vor allem zuhause genutzt?

80 Prozent der Nutzung von Zattoo findet zuhause statt, wenn man die Datenmengen betrachtet, zumindest war das bei einer früheren Messung aus dem Jahr 2008 so. Aber 80 Prozent der User nutzen Zattoo zusätzlich ab und zu ausserhalb ihrer eigenen vier Wände.

Wie sieht es prozentmässig mit der mobilen Nutzung von Zattoo aus?

Auf dem Handy verzeichnen wir 45 Prozent Nutzeranteil und 55 Prozent schauen Zattoo per PC.

Gehen wir etwas näher auf Ihre Infrastruktur ein. Wie managen Sie den enormen Datenfluss?

Zattoo streamt einerseits selbst Signale, andererseits nutzen wir auch Dienste von sogenannten Content Distribution Networks wie Akamai, Limelight und Level 3. In einem Gebäude in Zürich-West werden die Internet-Provider der halben Schweiz miteinander verbunden. Es stehen dort verschiedene Racks, von Swisscom, von Cablecom und natürlich auch von Zattoo. Die werden miteinander per Glasfaser verbunden, und somit sind auch die Datenwolken verbunden. Über solche Verbindungen speist Zattoo seine Signale in die Netze der Internet-Provider ein. Diese leiten die Signale dann an die Zuschauer weiter. Zattoo streamt auch über die Content Distribution Networks. Unser Stream landet also beispielsweise bei Akamai. Akamai wiederum stellt seine Server ins Swisscom-Rechenzentrum und zahlt dafür Hosting-Gebühren bei Swisscom. Diese Server agieren dann sozusagen als Replikatoren, damit aus einem Referenz-Strom beispielsweise von SF1 die vielen Nutzer-Ströme erzeugt werden. Somit werden die Ströme nahe beim Zuschauer generiert und der Rest des Internets wird geschont.

Wie viel Bandbreite bieten Sie an?

Wir liefern 600 KB/s bis hin zu 1,1 MB/s, für HD-Fernsehen machen wir Tests mit 2-3 MB/s.

Und auf dem Handy?

Auf dem Handy, sprich dem iPhone, Android sowie Windows Mobile 7, bieten wir neben den bereits erwähnten 1,1 MB/s auch 600 KB/s für WiFi-Zonen an und 300 KB/s sowie 150 KB/s, was über das 3G-Netz super aussieht. Weil es Apple so fordert, bieten wir auch eine nur 60 KB/s kleine Datenübertragungsrate an. Die ist dann vor allem fürs Ohr und nicht fürs Auge gedacht.

Laufen wir nicht Gefahr, dass unser 3G-Datennetz zusammenbricht, wenn jeder Videos auf seinem Handy abruft?

Die Probleme, die AT&T in der Stadt New York bei der Einführung des iPhones hatte, werden wir nicht haben, das hat uns Swisscom bestätigt. Zudem hat Swisscom ja Zattoo imitiert und bietet selbst einen Zattoo ähnlichen Dienst auf Mobiltelefonen, was sie wohl kaum tun würden, wenn das Netz deswegen zusammenbräche.

Wie sieht es mit Streaming auf Android-Handys aus?

Wirklich gutes Streaming auf Android ist knifflig. Wir kennen keine guten Beispiele. Wir arbeiten schon lange daran und glauben nun, das Problem endlich geknackt zu haben.

Welche Bandbreiten bieten Cablecom und Swisscom an?

HD-Fernsehen vom Satellit kommt mit etwa 15 MB/s an und wird dann bei Cablecom wie auch bei Swisscom auf etwa die Hälfte komprimiert. HD wird bei uns bei etwa 2,5 MB/s liegen, weil wir es stärker komprimieren. Es wird aber immer noch sehr gut aussehen. Es kommt dabei auch darauf an, wie es encodiert wird. Wir haben von Anfang an auf den Standard H.264 gesetzt, Swisscom nutzt meines Wissens für Swisscom TV noch die Codecs von Microsoft, die weniger effizient komprimieren als H.264.

Wie ist Zattoo im Vergleich zu den Konkurrenzprodukten wie Swisscom TV und Digital TV von Cablecom aufgestellt?

Cablecom und Swisscom buttern seit fünf Jahren viel Geld in teure Werbekampagnen für digitales Fernsehen. Was wir anbieten, ist komplementär zu dem, was Cablecom und Swisscom im Angebot haben. Unsere Digital Box ist das bestehende Handy oder der PC des Zuschauers. Zudem kann man Zattoo auf Smartscreens, also mit dem Internet verbundene TVs, anschauen. Diese Nische, also TV auf dem Laptop, haben Cablecom und Swisscom gar nie ins Auge gefasst. TV auf dem Laptop, wer will denn das? So etwas Blödes, dachten sie wohl.

Wie sieht die Kostenrechnung von Zattoo aus – im Vergleich zu Cablecom und Swisscom?

Der typische Schweizer Abopreis für das TV-Basis-Angebot von 35 Kanälen unterteilt sich in Netzkosten, Content-Kosten und Marketing, wobei Letzteres sehr teuer ist. Cablecom und Swisscom können das Marketing nicht einfach abstellen, sonst müssten sie der Schweizer Nationalmannschaft das Leibchen wegnehmen. Ihnen entstehen schon einmal Kosten von 200 bis 300 Franken, bis sie überhaupt einen Abonnenten gewonnen haben. Bei Zattoo hingegen sind die Marketingkosten gering, denn wir verbreiten uns primär über Mundpropaganda. Wir halten auch Contentkosten und Streaming-Kosten sowie auch die Team-Kosten in einem derart engen Korsett, dass wir überhaupt in der Lage sind, diese Kosten mit Werbeeinnahmen wieder wettzumachen. Eine solche Kostenstruktur würden Cablecom oder Swisscom nicht schaffen. Wir leben in einer anderen Welt. Wir konkurrieren mit Kabelanbietern und Telkos auch nicht frontal, wir bieten quasi einen Golf, sie hingegen kommen mit dem Rolls-Royce.

A propos Konkurrenz: Wie zufrieden sind sie mit den Zahlen, die der Internet-Nutzungsforscher Netmetrix bei Ihnen misst?

Wir sind grundsätzlich sehr zufrieden damit. Aber man muss unterscheiden zwischen dem Netmetrix-Audit, der monatlichen Messung, und dem Netmetrix-Profile. Die Zahlen des Audits sind in Ordnung und stimmen auch mit unseren eigenen Messzahlen überein. Anders sieht es mit dem Profile aus.

Gibt es dort ein Problem?

Netmetrix misst dort mit Hilfe eines Pop-Ups, das beim Nutzer auf der Website erscheint. Dieses Pop-Up enthält Fragen zum Nutzungsverhalten des Users. Falls beispielsweise Zattoo im Hintergrund läuft, muss sich der Nutzer auch daran erinnern, wenn er antwortet, sonst werden wir gar nicht mitgezählt. Hinzu kommt, dass Netmetrix die Nutzung auf mobilen Geräten gar nicht erfassen kann, da Pop-Ups auf iPhones und iPads nicht unterstützt werden.

Können Sie an dieser Situation etwas ändern?

Netmetrix will nun eine Methode finden, wie man die mobile Nutzung von Zattoo auf Handys messen kann.

Wie sieht es mit den Zukunftsplänen von Zattoo aus?

Ich denke, wir sollten den Umsatz in den nächsten vier Jahren in etwa vervierfachen können. Wir werden in mehr Ländern aktiv sein, und wir werden alle Features auf allen Plattformen anbieten. Ist man einmal Zattoo-Nutzer, kann man sich automatisch auf jedem Gerät mit dem gleichen User anmelden. Alle Features auf allen Geräten wollen wir noch Anfang 2012 anbieten können, das Recording für Windows Mobile 7 hingegen wird etwas länger dauern. Ich persönlich freue ich mich auf das Zattoo-Recording auf dem iPad.

Wie wollen Sie den Umsatz steigern?

Bis jetzt erreichen wir ein Viertel des Umsatzes durch Einnahmen aus Paid-Services. Wir sind in diesem Bereich zwar immer schön gewachsen, haben unsere eigenen Erwartungen aber noch nicht erfüllt. Daher möchten in diesem Bereich noch mehr anbieten können.

Was denn beispielsweise?

Wir wollen noch bessere Auflösungen wie HD anbieten, weil die Kunden das schätzen. Wir könnten auch Untertitel automatisch generieren und übersetzen lassen, sprich, man könnte ein chinesisches Programm zeigen und deutsche Untertitel dazu liefern. Diese Dinge werden von der Sendeanstalt nicht mitgeliefert, das ist ein Zusatzwert, den wir generieren können. Auch Thumbnails sind sehr nützlich, weil man damit auf einen Blick sieht, wo was läuft. Fussball beispielsweise erkennt man am charakteristischen grünen Rasenfeld.
Wie sieht die Umsatzverteilung von Paid-Services und Werbeeinnahmen genau aus?
Derzeit generieren 95 Prozent der Zattoo-Nutzer 75 Prozent des Einkommens durch Werbung. Gerade einmal 5 Prozent der Nutzer generieren 25 Prozent des Einkommens durch Paid-Services.

Wie sieht es mit Social Media und TV aus? Gibt es konkrete Projekte?

Wir könnten Programmempfehlungen von Freunden oder Experten an Zattoo-Nutzer weitergeben. Auch eine virtuelle Anwesenheit beim Fussballspiel mit Freunden sollte in Zukunft möglich sein, beispielsweise, wenn man geschäftlich unterwegs ist und die eigenen Freunde nicht treffen kann. Die Umsetzung solcher Ideen interessiert uns sehr.

An Ideen scheint es Ihnen nicht zu mangeln.

Wir denken über TV ganz anders nach als ein Kabelnetzbetreiber oder ein Telko. Für uns ist das TV-Signal wie eine Knetmasse, wir fragen uns, was man damit alles machen kann. Als man zum Beispiel Geodaten softwaremässig erfassen konnte, gab es auf einmal eine Explosion von Ideen, was man damit machen könnte. So ergeht es uns mit dem TV.

Noch eine letzte Frage: Was bedeutet eigentlich Zattoo, und wie sind Sie auf diesen Namen gekommen?

Zattoo ist japanisch und bedeutet Menschenmenge. Ich wollte damals einen Namen haben, der ein bisschen hip und ein bisschen frech ist und der ähnlich klingt wie Tattoo. Also habe ich ein bisschen herumgespielt und kam so innerhalb von etwa 20 Minuten auf Zattoo. Als ich es dann googelte, fand ich dessen japanische Bedeutung heraus. Diese passt auch zu Zattoo, schliesslich wollen wir eine Menge Menschen vor dem TV versammeln.