Gastbeitrag von Bramwell Kaltenrieder

Strategische Grundlagen für die digitale Transformation

Uhr | Aktualisiert
von Bramwell Kaltenrieder

Unternehmen, die Initiativen übergreifend koordinieren, sind überdurchschnittlich erfolgreich. Mit der Verzahnung von Unternehmens- und Digitalstrategie gelingt die digitale Transformation.

Während zweier Jahre hat das MIT Center for Digital Business zusammen mit Capgemini knapp 400 grosse Unternehmen aus verschiedenen Branchen und Kontinenten hin­sichtlich ihres Fortschritts in der digitalen Transformation untersucht. Bei der Analyse der Firmen wurden vier Kategorien des "digitalen Reifegrads" identifiziert, die sich aus der Ausprägung ihrer Digital-Kompetenz und ihrer Intensität im Transformationsmanagement ergeben.

Digitale Reife zahlt sich aus

"Digital Beginners" haben noch wenig Erfahrung in der Erschliessung digitaler Kanäle, obwohl sie beispielsweise in traditionellen IT-Anwendungsbereichen wie ERP durchaus einen hohen Reifegrad erreicht haben können. Firmen der Kategorie "Digital Fashionistas" haben schon mit attraktiven digitalen Business- und Kommunikationslösungen experimentiert, die unterschiedlichen kommerziellen Mehrwert geschaffen haben. Losgelöst scheinen die Anwendungen attraktiv, sie wurden aber nicht mit einer gemeinsamen Vision entwickelt und weisen daher kaum Synergien auf.

Die "Digital Conservatives" gehen neue Technologien und Trends sehr zurückhaltend an, nicht zuletzt, weil sie den Wert einer firmenübergreifenden Vision und Governance schätzen und Investitionen nachhaltig absichern wollen. Diese zurückhaltende Art führt dazu, dass sie Chancen im Digital-Bereich verpassen. Die "Digital Masters" verstehen es optimal, auf der Basis einer übergreifenden Vision koordinierte digitale Initiativen zu lancieren, die einen deutlichen Mehrwert generieren. Sie erarbeiten und erhalten sich dadurch Wettbewerbsvorteile und erschliessen gleichzeitig Synergien.

Die Unternehmen schlagen bei ihrer digitalen Entwicklung unterschiedliche Wege ein: wie viele Firmen hat sich auch Nike seine Digital-Kompetenz zuerst in Silos erarbeitet (Digital Fashionista), diese dann sukzessiv mit einem Transformationsmanagement verbunden und schliesslich bis zum Digital Master ausgebaut. Der wirtschaftliche Erfolg von digital "reifen" Unternehmen gegenüber ihrer "unreifen" Branchenkollegen unterscheidet sich klar: Digital Fashionistas und Digital Master schlagen ihre unreifen Branchenkollegen im Umsatz je Mitarbeiter und im Kapitalumschlag um 6 bis 9 Prozent. Die digitale Kompetenz hilft Firmen, mit identischen Ressourcen mehr Volumen zu generieren: Digital ­Fashionistas etwa erzielen 16 Prozent mehr Pro-Kopf-Umsatz als Digital Conservatives. Unternehmen mit stark ausgeprägtem Transformationsmanagement weisen eine höhere Profitabilität aus. Digital Conservatives und Digital Masters sind 9 bis 26 Prozent profitabler als ihre Branchenkollegen, gemessen an Kennzahlen wie Ebit-Marge und Gewinn­marge.

Management hat Potenzial erkannt, handelt aber nur zögerlich

Im Jahr 2013 hat die MIT Sloan Management Review gemeinsam mit Capgemini eine weiterführende Studie initiiert, bei der über 1500 Führungskräfte verschiedener Branchen mit folgenden Ergebnissen kontaktiert wurden: 78 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die digitale Transformation ihres Unternehmens innerhalb der zwei kommenden Jahre kritisch für den weiteren Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit ist. Die aktuelle Geschwindigkeit im Veränderungsprozess erachten jedoch 63 Prozent der Befragten als zu langsam, und nur bei 38 Prozent ist das Thema auf der Agenda des CEOs verankert.

In Unternehmen, in denen der CEO eine Vision zur digitalen Transformation vorstellt, findet diese bei 93 Prozent der Mitarbeiter Zustimmung. Aber nur 36 Prozent der CEOs oder Senior Manager haben eine solche Vision ihren Mitarbeitern kommuniziert.

Zwei Drittel der Top-Kader können somit keine Digital-Vision formulieren. Nicht einmal 25 Prozent der Unternehmen haben überhaupt einen Plan für die Transforma­tion – Digital-Master-Firmen sind die rühm­liche Ausnahme. So ist es kaum verwunderlich, dass nur 26 Prozent der Firmen Digital-Leistungskennzahlen (KPIs) definiert und in Incentive-Strukturen abgebildet haben.

Strategisches Framework für erfolgreiche Transformation

Aus den von ihm geleiteten Studien und Interviews schliesst George Westerman, Research Scientist am MIT Center for Digital Business, dass eine erfolgreiche digitale Transformation einen Top-down-Approach bedingt und das Management die notwendigen strategischen Rahmenbedingungen schaffen muss. Dies beginnt mit der konsequenten Verzahnung der Unternehmens- und Digitalstrategie, zum Beispiel auf der Basis des vom Autor dieses Artikels entwickelten Frameworks.

Die Erarbeitung oder Weiterentwicklung einer Digitalstrategie startet im Rahmen der strategischen Unternehmensplanung mit der Analyse der Markt- und Technologieentwicklung, der dadurch entstehenden Chancen und Gefahren sowie der eigenen Stärken und Schwächen – jeweils auf der Ebene des Unternehmens, seiner Geschäftsbereiche und seiner digitalen Aktivitäten.

Neben den bekannten digitalen Handlungsfeldern in der externen Kommunikation sind in der Digitalanalyse ebenfalls die Bereiche der Angebotsgestaltung, der internen Prozessoptimierung, Kollaboration und datengetriebenen Entscheidungsfindung zu beleuchten sowie Potenziale auszuloten, die sich auf der Basis von Social Media, Mobile, Analytics/Big Data sowie Embedded Devices ergeben. In der Folge kann der aktuelle digitale Reifegrad abgeschätzt werden.

Mit der Strategie definiert ein Unternehmen, in welchem Business es aktiv sein will, welche Kunden es mit welchen Angeboten bedient und wie es sich im Wettbewerb differenzieren will. Damit lassen sich die Vision/Mission definieren sowie Ziele ableiten (Finanzen, Kunden, Mitarbeiter etc.). Entsprechend lässt sich auch die Digitalstrategie bestimmen: Vision/Mission, Value Proposition, Differenzierungsschwerpunkte (z.B. Customer Experience, digitale Angebote, technische Plattform) sowie Digital-Ziele inklusive KPIs bilden die Eckwerte der Digital-Strategie.

Das Geschäftsmodell eines Unternehmens definiert seine Logik und ist abgestimmt mit Strategie und Zielen: Angebots- und Kundenstruktur, Vertriebsstruktur, interne Organisation (Aufbau und zentrale Prozesse), Kernkompetenzen/Partner, Schlüsselinfrastruktur/Ressourcen sowie Kosten-  und Ertragsströme sind die Hauptkomponenten. Das "Digitale Geschäftsmodell" klärt entsprechend, welchen Mehrwert den verschiedenen Stakeholdern gestiftet, welche digitalen Kompetenzen inhouse entwickelt und ausgebaut, welche zentralen Infrastrukturen (z.B. CMS, Hosting) benötigt und wie mit digitalen Lösungen im Unternehmen Geld verdient respektive Kosten eingespart werden.

Digitale Roadmap

Im Hinblick auf die konsequente Transformation sind ebenfalls Entscheide zu treffen, wo im Unternehmen digitale Kompetenzen organisatorisch angesiedelt werden und wie eine Digital-Governance ("Unité de doctrine") sichergestellt wird. Zahlreiche grössere, digital erfolgreiche Unternehmen wie Starbucks setzen dies heute zum Beispiel mit einer auf Gruppenstufe angesiedelten zentralen Digitalabteilung unter der Leitung eines Chief ­Digital Officers um, die die verschiedenen Digital-Initiativen im Unternehmen koordiniert, eine zentrale und integrierte Infrastruktur bereitstellt, damit Synergien erschliesst und mit bisher nicht vorhandenem Know-how die Transformation beschleunigt. Als Alternative bietet sich ein firmenübergreifendes Steering Committee an, unterstützt durch externe Consultants.

Mit der strategischen Roadmap definiert das Unternehmen das Portfolio seiner strategischen Initiativen im Planungshorizont auf den verschiedensten Ebenen (z.B. Angebotsentwicklung, strategische Kommunikations- und HR-Massnahmen, Organisationsentwicklung). Die digitale Roadmap hält strategische Digital-Initiativen fest wie Entwicklung von Kompetenz in bestimmten Digitalbereichen, Gewinnung von Netzwerkpartnern, Basisintegration der digitalen Plattform mit dem existierenden ERP, Umsetzung der KPIs mittels zentraler Analytics-Infrastruktur.

Schliesslich gilt es, die strategischen Pläne und Roadmaps in der Taktik umzusetzen ("Walk the Talk"). Da erst hier die wirkliche Wertschöpfung für das Unternehmen entsteht, ist dem Controlling in der Umsetzungsphase grosse Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu gehören regelmässige quantitative und qualitative Reviews des Umsetzungsfortschritts, eine kontinuierliche interne Kommunikation sowie die Durchsetzung erwarteter angepasster Verhaltensweisen auf der Ebene der Firmenkultur.

Bramwell Kaltenrieder verfügt über 20 Jahre Erfahrung im Digital-Business und war Ende 2013 im Sabbatical am MIT in Boston/Cambridge. Heute ist er Managing Partner bei www.crosswalk.ch und berät Kunden rund um Geschäftsstrategien und Transformation im digitalen Zeitalter.

 

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