Hintergrund

China - Aufstieg einer ICT-Nation

Uhr | Aktualisiert
von Christoph Grau

Die ICT-Industrie in China steht im Westen noch immer für billige Massenproduktion und Plagiate. Beim Blick auf die ICT-Landschaft ergibt sich aber ein anderes Bild. Chinesische Unternehmen sind global erfolgreich – und dies nicht nur mit Kopien.

Im vergangenen Jahr hat das German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in einer repräsentativen Studie das China-­Bild der Deutschen untersucht. Dabei gaben 71 Prozent der Befragten an, dass chinesische Produzenten vorrangig westliche Produkte kopieren würden und nur knapp 20 Prozent gestanden den Unternehmen zumindest teilweise Eigenentwicklungen zu. Auch fanden 90 Prozent, dass "China in erster Linie für Massenproduktion stehe". Das Bild der Schweizer wurde zwar nicht untersucht, das Ergebnis wäre hierzulande wohl ähnlich ausgefallen.

Diese Wahrnehmung mag noch vor 15 bis 20 Jahren gerechtfertigt gewesen sein, aber in den letzten Jahren wandelte sich das Bild grundlegend, besonders wenn der Blick auf die ICT-Wirtschaft gelegt wird. "Wir sollten unser Bild von der chinesischen ICT-Landschaft schon lange angepasst haben", sagt daher Hauke Gierow, Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Mercator Institute for China Studies und Spezialist für die ICT-Wirtschaft in China.

Entwicklung der chinesischen ICT-Industrie

Erst in den 80er-Jahren entstand in China eine eigene ICT-Industrie. In den ersten Jahren konzentrierten sich die Unternehmen fast ausschliesslich auf die Produktion für den einheimischen Markt. Dabei importierte China den grössten Teil der ICT-Spitzentechnologien aus Europa und den USA. Erst langsam drangen die chinesischen Unternehmen in das High-tech-Segment vor und wurden global wettbewerbsfähig. Vor ziemlich genau zehn Jahren änderte sich das. Der erste grosse Paukenschlag war der Kauf der IBM-PC-Sparte durch Lenovo, der das ICT-Land China als neuen globalen Player auf die Landkarte brachte.

Weitere ICT-Unternehmen folgten dem Weg in den globalen Markt, auch finanziell gefördert durch die "Hinausgehen-Strategie" der chinesischen Regierung. Inzwischen sind auch chinesische Brands wie Huawei, ZTE oder auch Alibaba in der Schweiz bekannt.

Die Geschichte dieser Unternehmen untermauere den Erfolg der chinesischen ICT-Landschaft, sagt Daniel Bont, Senior Consultant China, HK, Taiwan, ANZ bei Switzerland Global Enterprise. Bereits vor einem Jahrzehnt habe die chinesische Regierung die Schlüsselfunktion der ICT-­Wirtschaft erkannt. Damit habe sie den Wandel der chinesischen Wirtschaft von der "Werkbank" zur informationsbasierten Wirtschaft eingeleitet, sagt Bont weiter.

Innovationsland China

Laut Bont hat China mehr zu bieten als nur billige Massenproduktion. Die ICT-Landschaft in China sei vielseitig und international erfolgreich. Auch bilde "China hochspezialisierte Fachkräfte aus", welche die einheimische Industrie bereichern würden.

Zudem stecken chinesische ICT-Unternehmen sehr viel Geld in Forschung und Entwicklung. Beispielsweise hat Huawei im vergangenen Jahr über 14 Prozent seines Umsatzes in diesen Bereich investiert. In diesem Jahr werden 50 Prozent der globalen IT-Investitionen in China getätigt werden, wie Gierow sagt. Diese unterstreiche die grosse Dynamik der ICT-Industrie im Reich der Mitte. Daher sei es auch nicht verwunderlich, dass chinesische ICT-Technik auch schon das Niveau der westlichen Mitbewerber erreicht und sogar teilweise überholt hätte. Firmen wie ZTE und Huawei sind beispielsweise in der LTE-Technologie Weltspitze und nehmen laut Gierow bei der Entwicklung der 5G-Technologie eine führende Rolle ein.

Zudem ist nicht mehr nur noch der günstige Preis das einzige Verkaufsargument der chinesischen Anbieter. Bei der Vorstellung eines neuen NAS-Systems für Medienunternehmen an der Cebit sagte ein Huawei-Vertreter: "Wir haben nicht das günstigste Produkt auf dem Markt, dafür aber das technisch beste". Dies unterstreicht, dass chinesische Anbieter immer häufiger mit Innovationen punkten wollen.  Auch Gierow überrascht diese Entwicklung nicht. In diesem Zusammenhang nannte er das Beispiel des Smartphone-Herstellers Xiaomi. Was die Ausstattung betreffe, seien die Geräte nicht bahnbrechend, der Trumpf des Unternehmens liege vielmehr im Betriebssystem, das sehr häufig mit Updates versorgt werde. Hier sei das Unternehmen seinen Konkurrenten um einiges voraus.

Chancen für Schweizer ICT-Unternehmen überwiegen

Laut Bont sollten chinesische ICT-Firmen als normale Player im globalen Wettbewerb angesehen werden, die neue Kollaborationspartner respektive Abnehmer für Schweizer Zulieferer sein können. Beim Eintritt in den chinesischen Markt überwögen für Schweizer ICT-Unternehmen und vor allem auch für Zulieferfirmen (z. B. aus dem MEM-Bereich) die Vorteile, ist Bont überzeugt. Schweizer Unternehmen hätten langjährige, erfolgreiche Partnerschaften in China. "Auch in Bereichen wie E-Commerce könnten Schweizer Anbieter mit den richtigen chinesischen Partnern einen höchst spannenden Markt erarbeiten."

Dabei sieht Bont die Schweizer ICT-Unternehmen in der Rolle als Zulieferer für die globalen ICT-Giganten, ob nun aus China oder anderen Ländern. Zudem würden die Schweizer Unternehmen nicht als direkte Mitbewerber agieren, wodurch sich "für Schweizer Unternehmen interessante Möglichkeiten für Absatzvolumen bieten". Dabei ist laut Bont das "hochkarätige Technik-Know-how" und die Innovationskraft der Schweizer ICT-Landschaft und vor allem auch der Zulieferer bei chinesischen Grossunternehmen sehr gefragt.

Chancen und Risiken gehen Hand in Hand

Gierow warnt aber vor zu viel Optimismus: "Denn die west­lichen Partner gehen davon aus, dass beide Seiten nach den gleichen Regeln der Marktwirtschaft spielen, was in China aber nicht immer der Fall ist." Besonders Partnerschaften mit Wissenstransfer betrachtet Gierow sehr skeptisch.

Zwar locke der chinesische Markt mit einer Grösse von 1,4 Milliarden Einwohnern, aber die Gefahren sollten von Unternehmen nicht unterschätzt werden, betont Gierow weiter. Gerade durch die wachsende Internetzensur, der sogenannten "Great Firewall", werden die Geschäfte von vielen ausländischen Unternehmen in China erschwert. Dies untermauert eine Studie der European Chamber of Commerce in China. In dieser gaben 86 Prozent der befragten Unternehmen an, durch die Zensur Einbussen erlitten zu haben. 13 Prozent der Unternehmen verschoben darum sogar Investitionen. Durch die "Great Fire­wall" wird die Internetverbindung ins Ausland sehr langsam, und viele Inhalte sind nicht verfügbar.

Gemäss Gierow verschärfte die chinesische Regierung in den letzten Monaten ihre Gangart gegenüber ausländischen Firmen sogar noch. Diese würden bewusst aus dem Markt gedrängt, da sie als Sicherheitsrisiko gesehen würden. "Zudem werden in China zunehmend Parallelstandards entwickelt, die es ausländischen Partnern erschweren, in den Markt vorzudringen", sagt Gierow abschliessend.

Ritterschlag an der Cebit

Dass China dieses Jahr Gastland an der Cebit war, kann als Anerkennung für die entstehende ICT-Nation China gedeutet werden. Dabei steht die Biografie des Alibaba-Gründers Jack Ma (Ma Yun) Pate für den Aufstieg der ICT-Industrie in China. Vor 14 Jahren, als sein Unternehmen gerade zwei Jahre existierte, war er als Aussteller zum ersten Mal an der ­Cebit. Damals wurde er noch als Exot belächelt und fand kaum Beachtung. Interessanterweise erwähnte er diese Anek­dote an der Eröffnungsfeier der diesjährigen Cebit, wo er als Stargast gleich nach Bundeskanzlerin Angela Merkel auftrat, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt.

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