Markus Freuler, CIO der Stadt Winterthur, im Interview

"Wir lassen aus Sicherheitsgründen keine privaten PCs und Laptops im Firmennetz zu"

Uhr | Aktualisiert
von René Mosbacher

Markus Freuler, CIO der Stadt Winterthur, erklärt im Gespräch mit der Netzwoche, warum die Stadt ein neues Rechenzentrum bauen will. Er erzählt vom geplanten Umzug der Verwaltung und denkt über den doch nicht so einfachen Umgang mit Open Source nach.

Markus Freuler, CIO der Stadt Winterthur.
Markus Freuler, CIO der Stadt Winterthur.

Herr Freuler, Sie sind seit zehn Monaten CIO der Stadt Winterthur. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Sehr gut. Ich habe am Anfang eine Analyse über den Zustand der Informatikdienste Winterthur gemacht. Dabei stellte ich fest, dass wir über eine sehr gute Basis an Mitarbeitenden verfügen, die die Operations im Griff haben. Für jemanden, der neu anfängt, ist das ein Riesenvorteil, weil er sich auf wichtige Projekte und Veränderungen konzentrieren kann. Ich stellte auch fest, dass die Bewilligungsverfahren für Investitionen und Projekte aufwendiger sind als in der Finanzbranche, in der ich früher gearbeitet habe. Je nach Grösse müssen die Geschäfte vor den Stadtrat, vor die Aufsichtskommission des Gemeinderats und anschliessend vor den gesamten Gemeinderat. Ab 5 Millionen braucht es in der Stadt Winterthur eine Volksabstimmung. Das kann die Entscheidungsqualität erhöhen, muss aber in der Projektierung berücksichtigt werden.

Winterthur hat 2008 die Grenze von 100 000 Einwohnern überschritten und ist eine der am schnellsten wachsenden Schweizer Städte. Wirkt sich das auf die Informatik aus?

Selbstverständlich – die Anforderungen wachsen. Die Blaulichtorganisationen, die Stadtwerke und die Verkehrsbetriebe stellen heute massiv höhere Ansprüche an die IT als noch vor zehn Jahren. Höhere Verfügbarkeit und Sicherheit werden gefordert, und das in einer enorm heterogenen Umgebung.

Äussert sich das auch im Budget?

Das Budget wächst natürlich nicht parallel zur Bevölkerungszahl, aber es wächst wegen der steigenden Anforderungen. Die entstehen einerseits aufgrund der wachsenden städtischen Infrastruktur, aber andererseits auch wegen der höheren Anforderungen. Denken Sie an die Energieversorgung – die erfordert heute viel intensivere und schnellere Berechnungsmodelle, um rechtzeitig die notwendige Energie zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen versuchen wir, die IT-Kosten pro Einwohner ständig zu senken, damit wir die frei werdenden Mittel für Innovationen einsetzen können.

Wie viel trägt die Stadt selbst zu den höheren Anforderungen bei und wie viel der Kanton und der Bund?

Als externe Faktoren sind vor allem Datensicherheit und Datenschutz relevant. Hier müssen wir die strengen Vorgaben von Bund und Kanton umsetzen. Man ist sich vielleicht zu wenig bewusst, dass die Datensicherheit in der öffentlichen Verwaltung oft noch deutlich strikter geregelt ist als im Finanzsektor. Hinzu kommen auch die neuerlichen Initiativen im E-Government, die dazu dienen sollen, den Status der Schweiz im europäischen Umfeld zu verbessern.

Die Winterthurer Stadtverwaltung soll 2015 in ein neues Verwaltungszentrum ziehen – was bedeutet das für die IT?

Das Projekt nennt sich Fokus und hat zum Ziel, die übers Stadtgebiet verteilte Kernverwaltung an einem Standort zusammenzufassen. Betroffen sind rund 820 Arbeitsplätze. Die Informatik ist in erster Linie dafür zuständig, dass die Arbeitsplätze am neuen Ort so rasch wie möglich wieder funktionieren. Die ganze Netzwerkstruktur muss stimmen, die Gebäudelogistik und so weiter. Das alles ist aber durchaus zu handhaben und es beunruhigt mich von den Dimensionen her nicht sehr. Zum Vergleich: Wir sind insgesamt für die IT von rund 5500 Mitarbeitenden – inklusive Lehrpersonal – zuständig, die über deutlich mehr als 100 Standorte verteilt sind.

Sind Sie auch in die Planung des neuen Verwaltungszentrums involviert?

Ja, wir planen beispielsweise Netzwerk und Telefonie. Zudem bereiten wir das Gebäude auf den Umzug unserer ganzen Produktion und der Verpackung vor.

Machen Sie alles mit Bordmitteln?

Einen grossen Teil der Planung machen wir selbst. Aber bei der Telekommunikation und den Netzwerkinstallationen beispielsweise arbeiten wir mit Partnern zusammen. Auch beim Umzug selbst werden wir auf die Dienste von verschiedenen Partnern zurückgreifen.

Winterthur plant den Bau eines zweiten Rechenzentrums – das ist heutzutage schon e­twas verblüffend.

Als ich meine Stelle im Januar antrat, war die Diskussion im Stadtrat um das zweite Rechenzentrum schon weit fortgeschritten. Zur Eile treibt uns insbesondere, dass das alte Rechenzentrum bald an Grenzen stösst. Die Energieversorgung und auch die Kühlung werden in den nächsten 5 Jahren zum Problem werden. Weil das RZ im Dachgeschoss eines Altstadtgebäudes steht, wären die nötigen Erweiterungen auch nicht mehr bewilligungsfähig. Ein weiterer Punkt ist, dass ein einzelnes Rechenzentrum für eine Stadt dieser Grösse einfach nicht mehr genügt, besonders hinsichtlich der Verfügbarkeit und Sicherheit. Natürlich sind alle Daten gespiegelt, die Rechner doppelt ausgelegt, aber eben im selben Gebäude. Klar sichern wir extern, aber wenn das Gebäude niederbrennt, dann stünde die Stadt drei bis vier Wochen ohne Informatik da. Vor zehn Jahren wäre das noch akzeptabel gewesen, aber heute ist es undenkbar. Die Stadt braucht also ein zweites Rechenzentrum. Jetzt kann man die Frage stellen, warum wir nicht auslagern. Bloss das zweite Rechenzentrum auszulagern ergibt aber keinen Sinn. Wenn schon, dann hätten wir den gesamten RZ-Betrieb auslagern müssen. Das wurde aber 2009/10 untersucht und abgelehnt. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen gibt es Bedenken wegen der langfristigen Abhängigkeit von einem Outsourcer, sowohl funktional, qualitativ als auch kostenmässig. Zum anderen sind die Informatikdienste der Stadt Winterthur selbst Outsourcing-Partner. 18 Gemeinden lassen bei uns rechnen und insgesamt 31 drucken und verpacken bei uns. Eine nochmalige Auslagerung des RZ-Betriebs durch uns als Outsourcingpartner ist nicht das bevorzugte Businessmodell.

Aber ein Homing wäre doch möglich gewesen?

Ja, wir haben auch Offerten für Colocation eingeholt. Es hat sich aber gezeigt, dass der Eigenbau auf zehn Jahre hinaus deutlich günstiger ist. Das hat mich anfangs auch überrascht. Der Grund dafür ist, dass wir für unser neues RZ eine brachliegende, 30-jährige Zivilschutzanlage nutzen können. Sie ist in sehr gutem Zustand und eignet sich hervorragend für die Umnutzung als Rechenzentrum. Weil die Stadt diese Anlage weder verkaufen noch vermieten kann, fallen keine Opportunitätskosten an.

Was soll das Rechenzentrum denn kosten?

Der Investitionskredit beläuft sich auf 5,75 Millionen. Deshalb braucht es noch eine Volksabstimmung.

Und Sie glauben, diese Vorlage sei dem Stimmvolk gut zu kommunizieren?

Natürlich ist es einfacher, einen Kredit für eine schöne Sportanlage zu vertreten. Ein RZ bietet dem Einzelnen keinen direkten Mehrwert. Deshalb werden wir über den Zugewinn an Sicherheit und Effizienz beim Betrieb argumentieren müssen.

Sie könnten auch offensiv argumentieren, Winterthur sei eine innovative Stadt und ­plane für die Zukunft und so weiter.

Sicher, das soll auch erwähnt werden. Vor allem auch, dass wir Informatikdienstleister für verschiedene Gemeinden sind. Das ist ja nicht nur kostendeckend, sondern wirft auch einen kleinen Gewinn ab, der wiederum der Stadtkasse zugutekommt.

Apropos Dienste – nutzen Sie zurzeit irgendwelche Cloud-Dienste?

Wir nutzen einige wenige. Das betrifft aber keine kritischen Prozesse, sondern periphere wie etwa das Projektmanagement. Man kann sagen, wir befinden uns im frühen Test­stadium.

Und wie sieht es beim Outsourcing aus?

Wir haben verschiedene Prozesse ausgelagert. Beispielsweise wurden 2010 sämtliche Druck- und Kopierleistungen an einen externen Partner ausgelagert. Dabei wurden alle Drucker und Druckerstandorte konsolidiert sowie Betrieb und Unterhalt an den Partner übertragen. Auch die Leistungen für Netzwerke und Telefonie beziehen wir grösstenteils von einem Partner. Wie viel wir hier ausgelagert haben, sehen Sie daran, dass unser Team für Netzwerk und Telefonie derzeit aus bloss 5 Personen besteht. Natürlich prüfen wir ständig, was sinnvoll ausgelagert werden könnte. Dabei sind die Fragen rund um den Datenschutz, die Wirtschaftlichkeit und die Zusammenarbeit mit unseren Gemeinden entscheidend.

Was haben Sie für Erfahrungen mit dem Outputmanagement gemacht?

Operativ lief bis jetzt alles sehr gut. Hingegen haben sich einig Nutzer über den Verlust ihres Arbeitsplatzdruckers beklagt. Andere stört, dass sie neuerdings vertrauliche Dokumente nur noch gegen die Eingabe eines Pins auf dem Stockwerkdrucker drucken können. Das ist aber normal bei Konsolidierungen und wird sich geben. Hier und da werden auch einige Korrekturen notwendig sein. Was die Kosten angeht: Wir werden nächstes Jahr prüfen, ob der Business-Case erfüllt wurde.

Was sagen Sie Mitarbeitern, die ihre privaten Endgeräte für die Arbeit verwenden wollen?

Sie sprechen den Bring-your-own-Device-Ansatz an. In dieser Hinsicht sind wir sehr restriktiv. Wir lassen aus Sicherheitsgründen keine privaten PCs und Laptops im Firmennetz zu. Was die mobilen Endgeräte angeht: Wir testen gerade den Einsatz von iPads in verschiedenen Bereichen. Hier gibt es durchaus einen Bedarf. Wir haben auch schon einige hundert Smartphones in Betrieb. Die werden aber von uns beschafft, aufgesetzt und auch wieder zurückgenommen, wenn der Mitarbeiter geht. Künftig wollen wir ein sauberes Device-Management für alle mobilen Endgeräte haben.

Und Ihnen laufen die Digital Natives nicht in Scharen davon?

Nein, bis heute nicht. Aber sicher, wir denken darüber nach, wie wir mit der Consumerization umgehen wollen. Ganz entscheidend werden aber auch wieder die Kosten und Sicherheitsanforderungen sein.

Winterthur gilt bei der Nutzung von sozialen Medien als recht fortschrittlich – was ist hier der Stand der Dinge?

Verschiedene Verwaltungsstellen engagieren sich aus eigenem Antrieb recht stark in diesem Bereich. Wir wollen demnächst eine übergeordnete Strategie und eine allgemeine Policy erarbeiten.

Wer ist denn federführend für diesen Bereich?

Grundsätzlich ist es der Informationsdienst. Die Informatik begleitet die Aktivitäten von der technischen Seite her.

Auch für das Engagement im E-Government wurde Ihre Stadt öfter gelobt. Wie geht es hier weiter?

Wir wollen noch dieses Jahr dem Stadtrat die neue E-Government-Strategie vorlegen. Sie soll uns erlauben, in den nächsten Jahren einige grosse Schritte vorwärtszugehen. Selbstverständlich realisieren wir auch laufend kleinere Projekte. So waren wir die erste Deutschschweizer Stadt, die eine App für den Verkehr mit der Verwaltung lanciert hat. Dann konnten wir den barrierefreien Zutritt zu unserer Website umsetzen. Solche Dinge sind auch fürs Image wichtig.

Was steht in der IT als nächstes grosses Projekt an?

Eine grosse Sache ist die Migration auf Windows 7 und Server 2008 R2, die wir nächstes Jahr durchziehen wollen. Im Zuge dessen werden wir auch die Office-Anwendungen von der Version 2003 auf 2010 migrieren.

Haben Sie sich das gut überlegt?

Ja, wir haben uns das gut überlegt, und wir sind uns bewusst, dass wir diese Umstellung durch entsprechende Schulungen abfedern müssen. Wir rechnen durchschnittlich etwa mit einem halben Tag pro Anwender.

Wie steht Winterthur eigentlich zu Open­Source?

In unserer IT-Strategie von 2006 steht der Leitsatz: «Windows wo nötig, Open Source wo möglich». In der neuen IT-Strategie 2012 wird das Thema Open Source entsprechend grössere Beachtung finden. In diesem Zusammenhang habe ich mit einem externen Partner zusammen eine für Winterthur spezifische Studie erstellt. Aber wir geben uns auch keinen Illusionen hin: Die Microsoft-Lizenzen machen nur etwa 3 Prozent unserer gesamten Lizenzkosten aus. Den grössten Anteil haben die rund 700 Fachanwendungen. Die sind meistens für Windows geschrieben – würden also unter Linux gar nicht laufen. Andere wiederum geben Dokumente via Microsoft-Office-Anwendungen aus. Es ist auch schwerlich möglich, beispielsweise eine Anwendung für die Polizei oder den Sozialdienst als Open Source zu finden. Sie sehen: So einfach ist die Einführung von Open Source eben nicht. Das heisst aber nicht, dass wir gar nichts Derartiges verwenden. Wir betreiben beispielsweise Server mit Linux und Apache. Im Intranet verwenden wir Typo3. Wo wir einen wirtschaftlichen Vorteil sehen, setzen wir Open Source ein.