Interview mit Beat Witschi vom SRF

"Wir sind froh, dass wir uns für Scrum entschieden haben"

Uhr | Aktualisiert
von René Mosbacher

Das Schweizer Radio und Fernsehen SRF hat mit seiner Website den Master of Swiss Web 2013 gewonnen. Beat Witschi, Projektverantwortlicher und Programmleiter Multimedia erzählt, was er von Scrum hält, und denkt darüber nach, wie er die Youtube-Generation künftig abholen könnte.

Beat Witschi, Programmleiter Multimedia beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF, freut sich über den Master of Swiss Web, den SRF.ch gewonnen hat – vor allem auch, weil es starke Konkurrenten gab. (Quelle: Schweizer Radio und Fernsehen SRF)
Beat Witschi, Programmleiter Multimedia beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF, freut sich über den Master of Swiss Web, den SRF.ch gewonnen hat – vor allem auch, weil es starke Konkurrenten gab. (Quelle: Schweizer Radio und Fernsehen SRF)

ZUR PERSON: Beat Witschi

Beat Witschi arbeitet seit Januar 2011 bei SRF als Programmleiter Multimedia. Er begann seine berufliche Laufbahn als Journalist bei Schweizer Radio International (SRI). Später war er in verschiedenen Funktionen für SRI/Swissinfo tätig, bevor er das Unternehmen von 2005 bis 2008 als Direktor leitete. Während seiner Laufbahn war Witschi mehrere Jahre bei CNN in Atlanta und London in verschiedenen Funktionen für TV- und Multimediaangebote verantwortlich. Er arbeitete auch als selbstständiger Medienberater in den Bereichen Crossmediastrategie und -produktion, integrierte Nachrichtenproduktion, Medienkonvergenz und Social Media (unter anderem für Al Jazeera English).

Herr Witschi – was bedeutet es für Sie, dass SRF.ch Master of Swiss Web wurde?

Wir freuen uns sehr darüber – erwartet haben wir das nicht. Es gab ja ein paar sehr kreative und innovative Konkurrenten. Der Gewinn des Titels ist für das ganze Team, das über Monate an diesem Projekt gearbeitet hat, eine schöne Bestätigung.

Welche anderen Projekte sind Ihnen denn besonders aufgefallen?

Eines war sicher Esisplus. Das ist zwar eine etwas trockene Materie, aber wenn man sieht, was dieses Projekt zu leisten vermag, imponiert mir das schon. Sehr beeindruckt hat mich auch Graubünden Webwandern. Das Konzept ist nicht ganz neu. Aber die Art und Weise, wie diese Wanderungen präsentiert werden, ist sehr nutzerfreundlich und sehr einladend.

Wie ich gehört habe, haben Sie bei SRF.ch erstmals in grossem Rahmen mit Scrum gearbeitet – warum?

Wir standen damals vor der grossen Aufgabe, die beiden unabhängigen Plattformen für Radio und Fernsehen zusammenzuführen. Das war technisch sehr anspruchsvoll und eine Herausforderung, denn es gab nirgends entsprechende Vergleichswerte oder ähnliche Projekte. Also haben wir uns gefragt, welche Art von Methodik wir hier sinnvollerweise anwenden müssen. Weil einige bereits mit Scrum gearbeitet und dabei sehr positive Erfahrungen gemacht hatten, dachten wir, das wäre für uns eine naheliegende und vielversprechende Methode. Scrum hat nicht nur den Vorteil, dass die Rollen und Aufgaben klar geregelt sind, sondern auch die Entscheidungsprozesse, das Stakeholder-Management oder die Qualitätssicherung agil gehandhabt werden. Es ist eine sehr flexible Methode der Softwareentwicklung und der Projektführung.

Aber war das nicht auch ein Risiko?

Ja, ein gewisses Risiko war schon damit verbunden. Aber es schien uns vertretbar. Im Nachhinein sind wir alle froh, dass wir uns für Scrum entschieden haben.

Wie lange haben Sie an dem Projekt gearbeitet?

Die Bauzeit hat rund ein Jahr gedauert.

Und Sie haben es nie bereut, mit Scrum angefangen zu haben?

Nein, tatsächlich nicht. Der teambasierte Zugang, die flachen Hierarchien und die gegenseitige Unterstützung, die diesem Ansatz eigen sind, haben sich sehr bewährt. Die Leute fühlten sich deutlich stärker einbezogen, als ich das bei anderen klassischen Projekten erlebt habe. Das muss zwar nicht unbedingt mit der Methode zusammenhängen, aber das Mass an Austausch, das wir hier brauchten, wurde durch Scrum stark gestützt.

Konnten Sie Ihre Projektgruppe frei zusammenstellen oder mussten Sie auf interne Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen?

Wir konnten die Mitglieder den Prioritäten entsprechend aus den verschiedenen Bereichen zusammenstellen. Eigentlich hat sich das wie von selbst ergeben. Es hat uns niemand dreingeredet, und wir haben sehr von der Unterstützung und dem Vertrauen des Managements profitiert.

Wie viel der Ziele waren erreicht, als die Site letzten Dezember aufgeschaltet wurde?

Schwierig zu sagen – wir haben intern immer mit der 80-zu-20-Regel gearbeitet. Die Idee war, alles fertigzustellen, was zum Kernangebot der neuen Website gehört. Ich glaube, das haben wir auch geschafft. Das gilt auch für die Tools, die die Journalisten und Journalistinnen bei uns zum Arbeiten benötigen. Aber weil wir ja nicht nur aus zwei einzelnen Sites einen neuen Webauftritt machen, sondern das Angebot auch weiterentwickeln wollten, sind solche Zahlenspiele nicht sehr aussagekräftig. Eigentlich ist die neue Site auch ein ganz neues Produkt. Dessen Weiterentwicklung hängt nun stark davon ab, wie das jetzige Angebot bei den Nutzern ankommt. Wir messen dies derzeit ziemlich detailliert.

Wie kommt sie denn an, die neue Site?

Wir stellen erfreut fest, dass es bei den Nutzern keinen Einbruch gab. Das ist nicht selbstverständlich, weil es ja Nutzer gibt, die früher sowohl die Radio- als auch die Fernseh-Site besucht haben. Wenn Sie die Sites zusammenlegen, dann könnte man erwarten, dass zumindest ein Teil dieses Verkehrs wegfällt. Das ist aber nicht passiert. Wir konnten den potenziellen Einbruch kompensieren und die Besucherzahl und Webaktivitäten sogar noch leicht steigern. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass die ehemaligen Besucher der Fernseh-Site, die ja in der Überzahl waren, auf der neuen Site nun auch die Radioinhalte entdeckt haben. Aber klar, wir möchten künftig weiter zulegen.

Aber SRF.ch gehört vermutlich jetzt schon zu den drei meistbesuchten Medien-Sites der Schweiz, und das Potenzial ist hier nicht mehr sehr gross.

Ich denke, das hängt auch mit dem Nutzerverhalten zusammen. Es scheint Leute zu geben, die klicken nicht auf SRF.ch herum, sondern sehen sich zum Beispiel nur die Homepage oder eine bestimmte Rubrikenseite an. Fraglich ist, warum sie das tun. Vielleicht könnte man die Inhalte so aufbereiten, dass die User sich aktiver auf der Site bewegen. Hier gibt es sicher noch Potenzial für die Angebotspräsentation. Auch bei der mobilen Nutzung liesse sich noch mehr Verkehr generieren. Aber Sie haben im Prinzip Recht – in einem kleinen Land wie der Schweiz gibt es irgendwo eine Glasdecke. Wo die genau liegt, lässt sich aber noch nicht genau sagen.

Wenn ich die Site anschaue, dann bekomme ich den Eindruck, sie sei eher auf ein Publikum im mittleren Alter ausgerichtet als auf die Youtube-Generation.

Die neue Webseite ist in der Tat für ein breites Publikum bestimmt. Was wir jetzt gebaut haben, ist das Nachfolgeprodukt der beiden früheren Websites. Das neue Angebot soll vor allem das Zusammengehen von Radio und Fernsehen visualisieren und einen thematischen Zugang zu den Inhalten ermöglichen. Audio und Video stehen im Zentrum, und damit haben wir Erfolg und finden unser Publikum. Wir fragen uns aber schon, ob wir bestimmte Altersgruppen mit einer Website überhaupt noch erreichen. Die Antwort ist vermutlich: jein. Wir werden sicher noch mehr in Richtung Mobile tun müssen, damit wir künftig überhaupt noch an bestimmte Demografien herankommen. Plattformen wie Youtube und Social Media allein nützen uns zum Beispiel noch nichts, um an ein jüngeres Publikum heranzukommen. Es braucht auch die passenden Inhalte. Hier stehen wir zwar ganz gut da, doch wir denken regelmässig darüber nach, ob wir nicht noch besser werden könnten. Wir können unsere Inhalte nicht einfach von heute auf morgen auf jugendlich trimmen. Aber wir wollen dem Publikum noch mehr Möglichkeiten bieten, um Inhalte zu teilen, zu kommentieren und zu verbreiten.

Wie gehen Sie mit Youtube um? Dort liegt ja eigentlich die grosse Konkurrenz, wenn es um die Jungen geht.

Wir haben eine Youtube-Strategie und wir wissen recht gut, was dort beim Publikum ankommt. Den Youtube-Kanal haben wir beispielsweise in Zusammenhang mit "The Voice of Switzerland" stark genutzt, und ich kann Ihnen sagen, dort ist die Post abgegangen. Natürlich eignet sich das Format von "The Voice" sehr gut für Youtube, etwa weil es viele Videoclips mit den Songs und den "Battles" gibt. Das spricht die diese Altersgruppe an. Trotzdem – Youtube ist kein unproblematischer Kanal, es handelt sich da ja um ein kommerzielles Unternehmen. Dessen sind wir uns bewusst, und deshalb posten wir dort auch keine exklusiven Kerninhalte.

Sie machen neben der Haupt-Site auch immer wieder spezielle Themen-Sites, etwa zu Rousseau oder zur Seidenstrasse. Steht da ein Konzept dahinter?

Ja, es gibt ein Konzept. Solche Projekte laufen bei uns unter dem Thema Web-Special. Wir machen solche Dinge vor allem dann, wenn wir einen inhaltlichen Fokus setzen wollen. In den erwähnten Fällen arbeiteten wir mit externen Agenturen zusammen, weil die eigenen Ressourcen – vor allem während der Relaunch-Arbeiten – nicht ausreichten. Das war also eher aus der Not geboren, hatte aber den Vorteil, dass wir mit sehr kreativen Dienstleistern zusammenarbeiten konnten. Aber im Prinzip wollen wir solche Projekte tendenziell lieber auf unserer eigenen Site realisieren. Das hängt auch damit zusammen, dass wir uns bei extern vergebenen Projekten immer mit zusätzlichen Schnittstellen und zusätzlichen Koordinationsaufgaben befassen müssen.

Sie haben bei Best of Swiss Web ein Goldsiegel in Usability gewonnen – Zufall, oder hatte dieser Aspekt eine hohe Priorität?

Es war tatsächlich ein sehr wichtiger Punkt. Wir fragten uns unter anderem, was passiert, wenn man dem Publikum zwei Websites wegnimmt, an die es sich jahrelang gewöhnt hat. Das neue Angebot muss dann schon sehr gut zugänglich sein, damit die Nutzer nicht abspringen. Wir hatten in dieser Hinsicht schon einiges an Erfahrung gesammelt, und das hat uns sicher geholfen. Wir messen weiterhin sehr genau, wie sich die Nutzer auf der Site zurechtfinden.

Haben Sie die Usability komplett mit Bordmitteln bearbeitet oder haben Sie externe Fachleute hinzugezogen?

Das war eine Mischung: Wir haben die Sache intern bearbeitet und geprüft. Kurz vor dem Relaunch haben wir mit einer Firma quasi als Realitäts-Check auch noch einen Usability-Test gemacht. Dies einfach zur Absicherung. Das hat uns schon geholfen.

SRF liegt ja genau wegen der Master-Website im Clinch mit den Schweizer Verlegern. Wie weit beeinflusst das Ihre Arbeit?

Es gab im Vorfeld Gespräche zwischen der SRG und den Verlegern auf höchster Ebene. Insofern haben wir die neue Site nicht im luftleeren Raum gebaut. Es gab aber keine Eingriffe von übergeordneten Stellen. Für uns war klar: Man sollte der Site ansehen, dass wir ein Rundfunkunternehmen sind. Wir wollten bewusst keine News-Startseite machen, denn wir sind ja auch mehr als "bloss" Newslieferanten. Tatsächlich sind die News auch nicht die am stärksten genutzten Inhalte. Audio und Video haben einen sehr hohen Anteil auf der Site. Aber: Das Web ist nun mal zu einem grossen Teil textbasiert. Deshalb wäre es etwas eigenartig, wenn wir nicht auch Text anböten. Natürlich ist es fraglich, wie viel es sein soll und in welcher Breite. Wir haben uns bemüht, einen Kompromiss zu finden, der für beide Seiten aufgeht. Jetzt kommt dann die neue Konzession und wir werden sehen, was sie vorschreibt.

Könnten Sie mit starken Einschränkungen bezüglich der Textlängen überhaupt noch mit der Site arbeiten, so wie sie jetzt aufgesetzt ist?

Irgendwie könnten wir das wahrscheinlich schon. Ob das allerdings dann den Erwartungen des Konzessionszahlers entspricht, wäre noch zu beantworten.

Gibt es denn heute schon eine interne Richtlinie bezüglich des Textanteils?

Wir überlegen uns immer, ob es sinnvoll ist, einen Riesentext zu schreiben. Unsere Prioritäten liegen ja darin, Audio und Video möglichst rasch online zu stellen. Aber wir pflegen keine innere Zensur. Wir fragen uns heute eher, welche Art von Storytelling in einigen Jahren noch angebracht sein wird. Die Inhalte werden ja immer mehr, aber die Zeit der Nutzer bleibt gleich.

Sie haben früher für CNN gearbeitet. Was ist der Unterschied zu einem Staatsfernsehen?

Zunächst eine Vorabbemerkung: SRF ist kein Staatsfernsehen – unser Modell hier in der Schweiz ist ja dem BBC-Modell im Vereinigten Königreich sehr ähnlich. Somit kann wohl kaum von Staatsmedien die Rede sein. Aber zu Ihrer Frage: Da liegen Welten dazwischen! Man kann das eigentlich gar nicht vergleichen. CNN ist ein US-basierter, international operierender und gewinnorientierter Betrieb. SRF ist in einem Kleinstmarkt aktiv und dem Service public verpflichtet. Beide verfolgen aber sehr ähnlich Ziele: Sie versuchen nämlich, möglichst viele Menschen an das eigene Angebot zu binden. Und weil der Markt immer schwieriger wird und sich – gerade im Web – lokal und global immer stärker vermischt, ist für beide der Brand enorm wichtig. Dort treffen wir uns wieder.

ZUR FIRMA: SRF Bereich Multimediazentrum

Das Multimediazentrum (MMZ) bei SRF gehört zur Abteilung Programme und befasst sich generell mit der Entwicklung des Onlineauftritts. Der Hauptfokus seiner Arbeiten lag in den vergangenen Monaten auf den Relaunch-Arbeiten für die neue SRF.ch-Website.

Technisch gesehen kümmert sich das MMZ um die Entwicklung der Multimediaauftritte sowie der dazu notwendigen Applikationenund Betriebssysteme. Im Contentbereichbeschäftigt sich das MMZ in enger Zusammenarbeit mit den Journalisten und Journalistinnen mit der produktorientierten Entwicklung. Dazu gehören die Weiterentwicklung der Website sowie mobile Plattformen oder Second-Screen-Angebote.