Best of Swiss Web 2013

"Du musst einfach da klicken!": Usability im Web – einst und jetzt

Uhr | Aktualisiert
von Daniel Felix

Usability ist heute ein wichtiges Kriterium für die Qualität einer Website – aber keine Selbstverständlichkeit. Schaut man zurück auf die Entwicklung des Web, stellt man fest, dass sich das Verständnis für die Bedürfnisse der Benutzer in den letzten 20 Jahren wesentlich verbessert hat.

Über den Autor: Daniel Felix ist Inhaber und Geschäftsführer der Ergonomie & Technologie (e&t) GmbH und Präsident der Usability-Jury im Wettbewerb Best of Swiss Web.

Usability ist zu einem Schlagwort geworden, das im Bereich Webentwicklung mittlerweile häufig verwendet wird. Viele Entwickler sind jedoch nicht ganz sattelfest, wenn es darum geht, den Begriff auch richtig zu erklären. Die ISO 9241-11 hält die offizielle, aber nicht sehr benutzerfreundliche Definition bereit: "Die Usability eines Produkts ist das Ausmass, in dem es von einem bestimmten Benutzer verwendet werden kann, um bestimmte Ziele in einem bestimmten Kontext effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen." Einfacher gesagt: Nutzer einer Website sollen ihre Ziele mit möglichst geringem Aufwand und hoher Zufriedenheit erreichen können.

Viele sprechen heute nicht von Usability, sondern von User Experience. Sie umfasst zusätzlich die emotionale Wahrnehmung eines Produkts durch die Nutzer und betrachtet möglichst die gesamte Erlebniskette eines Benutzers mit dem Produkt – oder mit dem Dienstleister. Bei E-Shops würde also zum Beispiel auch das Fulfilment betrachtet: Erhalte ich, was ich bestellt habe? Wie lange geht es, bis es geliefert wird? Was passiert bei Reklamationen? Etc. Hier kann jeder eine Geschichte erzählen, wie es ihm schon einmal ergangen ist – und die schlechten Geschichten erzählt man meistens weiter.

Usability einst …

Als vor rund 20 Jahren das Internet seinen Siegeszug antrat, war die Euphorie gross. Alles musste ins Internet, wie war meist egal. Einen Auftritt in diesem neuen, aufregenden Medium war ein Muss. Wie so ein Auftritt aussehen sollte, oder was man den Nutzern anbieten wollte, war weniger wichtig. Die Inhalte waren ja vorhanden, man hatte seine Firmenauftritte für den Printbereich bereits seriös erarbeitet – nun musste das alles ins Netz. Die wichtigste Frage war: Wer kann das umsetzen? Es entstanden Firmen, die sich dieses Themas annahmen. Die technische Umsetzung war zu dieser Zeit die Herausforderung, die Inhalte ergaben sich aus dem Angebot, das man bisher hatte. Die Gestaltung der Interaktion wurde entweder eher dem Zufall überlassen, oder leitete sich weitgehend von den Vorlagen aus dem Printbereich ab. Als Inhaltsstruktur wurde die interne Organisation einer Firma zur Grundlage genommen, was für den Nutzer wenig Sinn ergab. Je mehr sich das Internet zu verbreiten begann, sich also aus der technischen Innovationsecke zur Massenanwendung entwickelte, desto grösser war die Enttäuschung: Der Funke wollte nicht so recht überspringen, die Anwender nahmen die Angebote zwar an – aber alles, was Umsatz bringen sollte (wie zum Beispiel Webshops), hob nicht so richtig ab.

Was war das Problem? Technisch weniger Versierte oder Interessierte wollten zwar mitmachen, aber sie fanden den Zugang nicht. Lösungen, die von technischen Experten für technische Experten gebaut worden waren, hatte in der breiten Anwendung wenig Akzeptanz. Die Internet-Community war der festen Überzeugung: Das kommt schon noch, die werden das schon lernen. Auch die Investoren waren der festen Meinung, das Medium Internet würde sich ohne Abstriche, ohne Wenn und Aber durchsetzen, und die Zukunft liege grundsätzlich im Internet. Diese Blindheit, das Nicht-Erkennen der fehlenden Orientierung, von Bedürfnissen, Aktivitäten und Fragen der Anwender ist sicher ein Grund für das Platzen der Internetblase. Alles war toll – und plötzlich ging fast nichts mehr. Die Analyse einiger gescheiterter Projekte zeigt auf, dass viele davon ohne eine fundierte Prüfung der Nutzerbedürfnisse ans Werk gegangen waren. Dies war sicher nicht der einzige Grund für das Scheitern dieser Projekte, aber ein wichtiger.

Die Usability fristete bis dahin eine eher bescheidene Existenz in der Schweiz: Usability war ein Luxusthema – nice to have, aber nicht zwingend nötig. Einige wenige hatten sich darauf spezialisiert. Während der Zeit der Internetblase war jedoch immer deutlicher zu erkennen, dass die Nutzer eine entscheidende Rolle bei der Frage spielten, ob eine Internetanwendung erfolgreich sein würde oder nicht. Nach dem Platzen der Internet-Blase waren diese Dienstleistungen plötzlich verstärkt gefragt: Man begann, nicht einfach einen Webauftritt zu bauen, sondern war offen für Inputs, was einen erfolgreichen Auftritt ausmacht. Anpassungen von bestehenden Sites, die Begleitung von kompletten Überarbeitungen oder die Erstellung neuer Auftritte: Es wurde immer klarer, dass dies ohne den Einbezug des Nutzers nicht zielführend sein konnte.

Der Usability-Test war zu dieser Zeit sicher die gefragteste Dienstleistung: Prototypen wurden von Benutzern getestet, um zu sehen ob die Ziele der Nutzer (oder die des Auftraggebers) erreicht werden. Das Testen in einer meist späten Phase führte jedoch teilweise zu grosser Frustration: Das Projekt war fast fertig, und nun wurde mit einem Benutzertest festgestellt, dass es so nicht geht. Es stellte sich daher immer mehr die Frage: Wie schafft man es, eine aus Benutzersicht gute Website zu erstellen? Der Fokus von Usability verschob sich also von der Frage: "Wie kann man Usability prüfen?", zu: "Wie kann man Usability erzielen?"

Auch international war das klar geworden: Wichtiger als Prüfregeln war ein Entwicklungsprozess, der gute Benutzbarkeit erzeugt. Damit rückte die Norm ISO 13 407, die später in die Ergonomie-Normenreihe ISO 9241 als Teil 210 integriert wurde, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. "User Centred Design (UCD)" (benutzerzentrierte Entwicklung) wurde zum zentralen Anliegen.

… und jetzt

Heute haben sich viele Firmen Usability auf die Fahnen geschrieben, jeder macht und kann das. Das stimmt nicht in jedem Fall, doch die Situation hat sich in den letzten 20 Jahren massgeblich verbessert. Viele Webfirmen haben spezialisierte Mitarbeiter, die sich um dieses Thema kümmern. Es ist auch nicht mehr die Domäne der Autodidakten: Heute wird dieses Thema in vielen Hochschulen und Fachhochschulen in der Informatik-Ausbildung angesprochen. Auf Initiative von Christian Hauri (Hauri Ergonomie & Coaching) hat die Fachgruppe Software Ergonomics der Schweizer Informatik Gesellschaft (SI) zudem die Durchführung eines Nachdiplom-Lehrgangs in Human Computer Interaction Design (MAS HCID) an der Fachhochschule Rapperswil und der Universität Basel angestossen. Dieser Lehrgang erfreut sich auch in seiner aktuell achten Durchführung grösster Beliebtheit. Dies zeigt, das Thema ist aktuell und wird ernst genommen.

Die Erkenntnis aus den vergangenen Jahren hat gezeigt, dass Usability, ganz im Sinne des UCD, bereits bei der Planung eines Projekts miteinbezogen werden muss: Was sind die Ziele sowohl der Benutzer wie auch des Betreibers einer Website? Was soll darauf basierend das Angebot sein? Wie muss eine Site aufgebaut sein, damit Nutzer sich zurechtfinden, und wie kann ein positives Benutzungserlebnis (gute User Experience) erzeugt werden? Deshalb wird in einem guten Projekt zuerst erhoben, was die Anforderungen aller Stakeholder sind (Requirements Engineering). Daraufhin wird eine Informations- und Interaktionsarchitektur erstellt, die festlegt, wie die Inhalte organisiert sind und wie die Benutzer sie erreichen können. Erste grobe Entwürfe des Layouts (Wireframes) zeigen, wie die Seite strukturiert werden könnte. Durch eine iterative Weiterentwicklung, mit stetem Einbezug der Benutzer durch Evaluationen mit Walkthroughs und Usability-Tests, wird sukzessive die fertige Site entwickelt. Eine Iteration muss nicht lange sein – damit ist auch schon aufgezeigt, dass das Vorgehen nach UCD auch mit den agilen Softwareentwicklungsmethoden kompatibel ist.

Wie geht es weiter?

Die Herausforderung ist es heute, Usability in den Firmen, die Websites entwickeln, in die Betriebskultur und die täglichen Projektabläufe zu integrieren. Das Thema muss gelebt werden, Entscheidungen müssen grundsätzlich aus Benutzersicht gefällt werden. Dies erfordert vielerorts noch einen Prozess des Umdenkens. Customer Experience, kundenorientiert: Schlagworte, die nicht einfach als Marketinghülle verwendet werden dürfen, sondern in eine gelebte Kultur umgesetzt werden müssen. Es ist nicht einfach ein weiteres wichtiges Thema, sondern es muss der Treiber für alle Entwicklungen sein. Um dies zu fördern, muss die benutzerzentrierte Entwicklung noch stärker in den Köpfen aller Beteiligten verankert werden. In jedem Lehrgang, in dem es um Entwicklung von Produkten geht, sollte dies ein Thema sein. Zudem sollte die einfache, sichere Benutzbarkeit auch vermehrt durch die Anwender eingefordert werden. Bei der Entwicklung von Medizintechnik-Produkten ist das Einhalten einer UCD-Vorgehensweise seit einigen Jahren durch Normen vorgeschrieben.

Neue Ansprüche entstehen auch aus der immer wichtiger werdenden Mobilität. Smartphones und Tablet-Computer stellen neue Herausforderungen dar, die auch durch eine geeignete Vorgehensweise angepackt werden müssen. Wo machen Benutzer mit welchem Endgerät welche Interaktionen, und lösen sie ihre Aufgaben? Auch dabei gilt, das richtige Vorgehen führt zu den guten Lösungen. Und nicht zuletzt, das bereits seit längerer Zeit bekannte Thema Accessibility (Zugang zu Informationen und Dienstleistungen für alle Benutzer) muss bei allen Anwendungen und bereits bei der Entwicklung mitberücksichtigt werden: Von Projektbeginn an mit einbezogen ist dies kein grosser Zusatzaufwand, die Vorteile sind für alle Benutzergruppen aber beträchtlich. Es geht darum, dass Angebote generell für ihre Nutzer entwickelt werden, unabhängig davon, welche Voraussetzungen sie mit sich bringen. Dann können wir uns auf eine spannende Zukunft freuen!