Besuch bei Start-ups im Silicon Valley

Wo Geist zu Geld wird

Uhr | Aktualisiert

Was braucht ein IT-Start-up, um gross und erfolgreich zu werden? Schlaue Köpfe, eine gute Technologie, ein Netzwerk – und sehr viel Kapital. Das zeigt ein Streifzug durch die Gründerszene im Silicon Valley. Ein Bericht aus dem pulsierenden Herzen der weltweiten IT-Industrie.

Hinweis: Die Netzwoche wurde im Rahmen der IT Press Tour für eine Woche ins Silicon Valley eingeladen. Flug und Hotel bezahlten die Unternehmen.

Rund 14 Stunden dauert es, um von Zürich ins Mekka der IT-Welt zu gelangen. Zwischen San José und San Francisco liegt das Silicon Valley, ein 80 Kilometer langer Streifen Land in Kalifornien. Das Tal verdankt seinen Namen dem Halbmetall Silizium, Lebenselixier der Halbleiter- und Computerindustrie. Über die Hälfte der 100 grössten ICT-Unternehmen fanden hier ihren Ursprung. In der Region treffen Abgänger der Universitäten Stanford, Berkeley und UCLA auf eine gut ausgebaute Infrastruktur, viel Unternehmertum und noch mehr Kapital. Zehn Jahre nach dem Platzen der Dotcom-Blase geht es der Wirtschaft gut. 2012 lag das Durchschnittseinkommen im Silicon Valley laut Moody's Analytics bei 66 000 US-Dollar, in den USA bloss bei 42 693 US-Dollar.

Das Silicon Valley ist die Heimat von Google, Facebook und Apple. Ein Hightech-Cluster, in dem Firmensitze wie Ferienoasen aussehen und in Powerpoint-Präsentationen nicht von Tera-, sondern von Petabytes die Rede ist. "Wir sind nicht das Zentrum der Welt, aber es fühlt sich so an", sagte Andrew Lee, als er im Rahmen der IT Press Tour 15 europäische Journalisten in Empfang nahm. Lee ist CTO und Mitgründer des Start-ups Firebase. Das Valley sei ein riesiges Netzwerk aus IT-Experten, Analysten, Anwälten, Consultants und Investoren. Wenn ein Unternehmer es schaffe, sich in dieses einzuklinken, seien die Möglichkeiten fast unbegrenzt. Nur wie? Der Grossteil der Firebase-Kunden sei selbst im Valley aktiv, erklärt Lee. "Wenn dein Produkt gut ist, spricht sich das hier rum – und plötzlich sitzt du am Tisch mit Investoren."

Verkaufen? Niemals!

Das Start-up Firebase bietet einen Cloud-Dienst an, der Daten zwischen Clients synchronisiert. Lee nennt das Backend-as-a-Service. Entwickler sollen mit wenig Code über eine REST-API komplexe Apps umsetzen können, die JSON-Daten abgleichen und sich über Javascript auf Websites einbetten lassen. "Wir sind das Dropbox für strukturierte Daten und Apps", bringt es Lee auf den Punkt. Für den Service habe Firebase zuerst auf "einen der grossen Cloud-Provider" gesetzt, erklärte Lee – und meinte damit Amazon. Der Anbieter habe aber Probleme mit Latenzen gehabt, und die könne sich ein Dienst wie Firebase, der mit Echtzeit wirbt, nicht leisten. Nun nutze das Unternehmen nur noch SSDs und Dedicated Servers von Softlayer, das gerade von IBM gekauft wurde.

Firebase beschäftigt sieben Mitarbeiter und ist nur in den USA aktiv. Noch dieses Jahr werde der Dienst kostenpflichtig. Investoren glauben an Firebase: Sie haben 7 Millionen US-Dollar in das Start-up investiert. "Vor drei Jahren hatten wir eine Idee", erklärt Lee in Jeans und T-Shirt, "jetzt sind wir ein Übernahmekandidat". Ein Verkauf sei aber kein Thema. Auch die Geldgeber würden das nicht wollen, schmunzelt Lee – und weiss wohl genau, dass es nur eine Frage des Preises ist.

Der Faktor Zeit

Viel Geld hat auch Scality an Land gezogen. 13 Millionen Kapital stecken in der Firma, die objektbasierte Speicherlösungen vertreibt. Was Scality macht, ist nicht einfach zu erklären. Er sei mal mit 20 Analysten in einem Raum gesessen, erzählte CEO Jérôme Lecat beim Besuch im Hauptsitz, und man sei sich nicht einig darüber geworden, ob Object Storage eine Technologie oder bloss ein Markt sei. Auf jeden Fall würden sich damit Petabytes an unstrukturierten Daten speichern und fast latenzfrei über die Cloud ausliefern lassen. Während traditionelle Speichersysteme auf hierarchische Verzeichnisse setzen, nutzen objektbasierte besser skalierende Metadaten.

Dell, EMC, HDS, HP, IBM und Netapp beissen sich am Markt für objektbasierten Speicher die Zähne aus. Scality aber wächst. "Die Technologie ist nicht gescheitert, nur weil die Grossen keinen Erfolg haben." Im Gegenteil, meint Lecat: Je mehr Daten es auf der Welt gebe, desto wichtiger werde Object Storage. Schon heute helfe die Speicherart Unternehmen wie Google und Facebook, ihre Big-Data-Umgebungen beherrschbar zu machen. Klassische Industrieunternehmen und Serviceprovider hingegen würden noch zögern. Doch das sei nur eine Frage der Zeit, so Lecat.

Dominoeffekt

Scality wurde 2010 gegründet und war schon nach einem Jahr in 5 Millionen Kapital gebettet. Zehn Investoren habe er am Anfang getroffen, sagt Lecat. "Wenn du den ersten im Boot hast, wird es einfacher." Nun müsse sich Scality gar vor zu viel Geld wehren. "Plötzlich wollen alle investieren."

Da drängt sich die Frage auf, wann Scality von einem der Grossen übernommen wird? "Wer eine Milliarde Dollar lockermacht, kommt als Käufer infrage", scherzt Lecat. Doch vorerst wolle sich das Unternehmen auf den Heimmarkt konzentrieren. Und Europa? Da würde er gerne aktiver sein, meint der CEO, doch der Markt sei teuer und kompliziert. Die Käufer der Scality-Lösungen seien oft grosse Tech-Unternehmen, die selbst im Valley aktiv sind. "Wenn du hier Erfolg hast, spürst du keinen Druck, nach Europa zu gehen", so der gebürtige Franzose.

Bevor wir uns verabschieden, verrät uns der CEO, warum es so hart ist, im Markt für Storage eine neue Technologie zu etablieren. "No one got fired for buying IBM", sagt Lecat – Unternehmen würden eben erst mal auf Bewährtes setzen. Und da gebe es noch ein Problem: Die Konkurrenz verkaufe auch traditionelle Speichertechnologien mit deutlich höheren Margen – darum habe sie gar kein Interesse daran, preiswerteren Object Storage zu pushen, so Lecat.

Platzhirsche als Bremsklotz

Mit ähnlichen Problemen kämpft Simplivity. Das Start-up vertreibt eine x86-Architektur als "Datacenter in a box", die heterogenen IT-Umgebungen ihre Komplexität rauben soll. Konvergente Infrastrukturen seien zwar nichts Neues, sagt CEO Doron Kempel. EMC zum Beispiel verkauft seine Hardware schon länger als Bundle mit Komponenten von Cisco und seiner Tochterfirma VMware. Die Vblock-Racks seien aber ineffizient und nicht von Grund auf für virtualisierte Workloads designt worden. Und IBM und HP? "Die haben einen Interessenkonflikt", sagt Kempel, da sie stark vom Absatz ihrer Stand-alone-Hardware abhängig seien.

"Für viele Unternehmen ist der Aufbau eines Rechenzentrums zu kompliziert", findet Kempel. Lösen soll das der Omnicube von Simplivity. Das Produkt ist ein Standardserver von Dell (R720) kombiniert mit 12 Intel-Xeon- CPUs mit 2,5 GHz und 48 bis 768 GB RAM. Die "Super-Appliance" liefert 20 bis 40 Terabyte nutzbaren Speicher, der je nach Deduplizierung und Kompression variiert. Das System, das über Value Added Reseller vertrieben und von Dell supported wird, vereint laut Kempel rund zehn verschiedene IT-Produkte in einer Box.

Menschen, nicht Technologien

Analysten sagen Simplivity und seinen Konkurrenten Nutanix und Scale Computing eine grosse Zukunft voraus. Auch ein Buzzword ist bereits gefunden: "Hyper convergence" werde das nächste grosse Ding in Datacentern, heisst es im Valley. "Wir bewegen uns in einem Markt, der mehrere Milliarden Dollar gross ist – und wir werden uns ein Stück davon abschneiden", sagte Kempel.

Simplivity wurde 2009 gegründet und hat sich bis jetzt 43 Millionen Dollar Risikokapital geangelt. Ein Grossteil von Kleiner Perkins Caufield & Byers, einem der Top-Investoren im Valley. Die Beteiligungsgesellschaft weiss, wie man Geld macht: 1999 kaufte sie für 25 Millionen Dollar einen 20-Prozent-Anteil an Google. Als Google 2004 an die Börse ging, war dieser über 4,5 Milliarden wert.

Matt Murphy, ein Investment-Partner von Kleiner Perkins, war am Simplivity-Deal an vorderster Front mit dabei. Doch warum gerade Simplivity? "Weil wir an das Management-Team glauben", antwortet Murphy wie aus der Pistole geschossen. "Wir investieren in erster Linie in Menschen, nicht in Technologien."

Wie Start-ups wachsen

Um ein Start-up gründen zu können, brauche es erst mal "Seed Capital", erklärt Murphy. Dieses komme oft von den Gründern und werde meist in Forschung und Entwicklung investiert, die im Idealfall einen Prototyp hervorbringe.

Könne ein Start-up einen überzeugenden Business Case und ein paar Partner vorweisen, habe es Chancen, Geld von einem "Series A Investor" zu erhalten. Die auf junge Unternehmen spezialisierten Investoren seien bereit, mit ihren Anlagen ein hohes Risiko einzugehen. Für die Gründer bedeute dies, einen Teil ihrer Kontrolle abzugeben. Floriere das Geschäft, finde sich oft ein "Series B Investor", der für mehr Sicherheit einen höheren Preis als die bisherigen Kapitalgeber bezahle. Danach könne es weitere Finanzierungsrunden geben. Das Endziel sei ein "exit" – also ein Verkauf oder ein Börsengang, so Murphy.

Grösse als Erfolgsfaktor

Auf dem Highway 101 hören wir einen Bericht über ein Konzert der Rolling Stones in Washington, D.C. "Ich glaube, Obama ist heute nicht hier", rief Mick Jagger da in die Menge. "Aber ich bin sicher, dass er zuhört." Eine Anspielung auf das Überwachungsprogramm Prism des US-Geheimdiensts NSA. Wir fahren zum Big-Data-Spezialisten Marklogic. Ob er in Prism involviert ist? "Darüber darf ich nicht reden", sagte CEO Gary Bloom. Viel lieber spreche er über Technologien: Sein Unternehmen setze auf das Java-Framework Apache Hadoop, den De-facto-Standard für Big-Data-Umgebungen im Multi-Petabyte-Bereich. Dieses sei im Zusammenspiel mit traditionellen SQL-Datenbanken überfordert. Marklogic biete darum eine NoSQL-Datenbank (Not only SQL) an, die genau dieses Problem löse.

Die Produkte von Marklogic werden unter anderem bei Dow Jones eingesetzt. Das US-Verlagshaus, das in Europa vor allem durch seinen Aktienindex bekannt wurde, ist gerade dabei, von HP-Technologien auf Marklogic umzusteigen. "So einen Deal kriegst du nur, wenn du gross genug bist", sagt Gründer Christopher Lindblad. Marklogic ist gross genug: In fünf Finanzierungsrunden hat das 2001 gegründete Unternehmen 71,2 Millionen Dollar Kapital an Land gezogen.

Entwickle, was den anderen fehlt

Unternehmen würden heute meist relationale Datenbanken einsetzen, erklärt Lindblad. Diese legen Daten in Tabellen ab und nutzen für Abfragen SQL, die Structured Query Language. NoSQL hingegen verzichte auf starre Schemata und habe darum einen Vorteil: Es skaliere nicht vertikal, sondern horizontal. Statt einen einzigen Server aufrüsten zu müssen, können einfach weitere hinzugefügt werden.

Wie aber hat es Marklogic geschafft, gross zu werden? In den Gründerjahren habe man sich auf XQuery konzentriert, eine Abfragesprache für XML-Datenbanken, erklärt Lindblad. Da Experten auf dem Gebiet damals rar waren, machte sich Marklogic im Valley schnell einen Namen. Start-ups rät Lindblad, sich auf Technologien zu spezialisieren, die den grossen IT-Unternehmen in ihrem Portfolio noch fehlen. "Dann hast du die Chance, dass sie dich aufkaufen", so Lindblad.

Warum es gut ist, zu scheitern

Der Anfang war für Marklogic schwierig. Lindblad traf rund zehn Risikokapitalgeber, doch investieren wollte niemand. Dieses Schicksal kennen viele Start-ups: Laut Zahlen der National Venture Capital Association finden nur 10 von 100 Jungunternehmen überhaupt Gehör bei den Geldgebern im Valley. Und nur einem davon gelingt es, auch wirklich Kapital an Land zu ziehen.

Auch in Lindblads Leben lief nicht alles rosig. Im Start-up Inktomi, das später von Yahoo gekauft wurde, sei er gescheitert. "Investoren sehen es nicht gerne, wenn dein Leben zu glatt verläuft", nimmt er dies heute auf die leichte Schulter. Denn nur wer stolpere, könne auch siegen. Um die Bekanntheit von Marklogic zu steigern, meldete Lindblad sein Unternehmen beim Standardisierungsgremium World Wide Web Consortium (W3C) an. Und dann sei es schnell gegangen. "Plötzlich kam Oracle und wollte uns kaufen." Lindblad lehnte ab und rannte mit diesem Argument zu weiteren Beteiligungsgesellschaften – der Rest ist Geschichte.

Bloss nicht aufgeben

Eines haben alle erwähnten Unternehmen aus dem Valley gemeinsam: Um an ihr erstes grosses Geld zu kommen, brauchten sie nicht nur eine gute Idee, sondern vor allem auch Geduld und Durchhaltewillen. Diese Erfahrung machte auch Matt Kixmoeller aus dem Management-Team des Speicheranbieters Purestorage. Kixmoeller weiss, wovon er spricht: Sein Unternehmen hat es geschafft, die unglaubliche Summe von fast 100 Millionen Dollar an Kapital zu gewinnen.

Auf die Frage, was er Start-up-Gründern in der Schweiz rate, antwortet Kixmoeller postwendend: Nie das Ziel aus den Augen verlieren. Egal was passiere, es gebe immer einen Ausweg. Und scheitere man doch, müsse man halt nochmals von vorne anfangen. "Bloss nicht aufgeben!"