Live-Interview

"Mit der Aufteilung der IT werden wir reaktionsfähiger"

Uhr | Aktualisiert
von Yannick Chavanne, Rodolphe Koller

Nach der Übernahme von Edipresse und der Zusammenführung der IT zu einer einzigen Abteilung plant Tamedia eine Reorganisation der IT. Rafael Corvalan, CIO des Schweizer Verlagshauses, im Interview.

Nach dem erfolgreichen Zusammenschluss der IT-Abteilungen strukturierte Rafael Corvalan die IT in die drei Bereiche Publishing, Digital sowie Dienstleistungen und Infrastrukturen um. (Quelle: Tamedia)
Nach dem erfolgreichen Zusammenschluss der IT-Abteilungen strukturierte Rafael Corvalan die IT in die drei Bereiche Publishing, Digital sowie Dienstleistungen und Infrastrukturen um. (Quelle: Tamedia)

Herr Corvalan, ist die Reorganisation der IT von Tamedia infolge der Übernahme von Espace Media und Edipresse nun abgeschlossen?

Wir haben sie vor kurzem abgeschlossen und nehmen nun ein weiteres Reorganisationsprojekt in Angriff. Nach den beiden Übernahmen stand die Tamedia-Gruppe mit drei IT-Departementen in Bern, Lausanne und Zürich da. Davor war der grösste Teil der IT-Aktivitäten von Tamedia bei Swisscom IT Services ausgelagert. Bei Edipresse, wo ich als CIO fungierte, setzten wir hingegen auf Insourcing. Nach dem Kauf von Edipresse haben wir mit dem CIO von Tamedia die beiden Möglichkeiten, das Insourcing und das Outsourcing, besprochen. Wir stützten uns dabei auf einen Kosten- und Qualitätsvergleich unter Berücksichtigung der Zukunftsperspektiven. Dieser Vergleich zeigte uns, dass es in Bezug auf die Kosten interessanter sei, die IT vollständig inzusourcen. Unser Plan sah Kosteneinsparungen von 3,7 Millionen Franken pro Jahr vor. Die Direktion gab uns darauf grünes Licht. Das Projekt sah ausserdem den Zusammenschluss der verschiedenen IT-Dienstleistungen zu einem einzigen Team vor, dessen Leitung ich übernahm. Diese erste Reorganisation kam 2013 zum Abschluss und übertraf die gesetzten Ziele, da wir deutlich mehr als 5 Millionen Franken einsparen konnten.

Haben Sie Ihre Ziele auch in Bezug auf die Qualität erreicht?

In der Vergangenheit wurde die IT des Zürcher Standorts von unseren Nutzern in Umfragen am schlechtesten bewertet. Die IT von Bern wurde insgesamt etwas besser bewertet als die IT von Lausanne. Zwischenzeitlich zeigte aber eine neue Umfrage, die wir zwischen Ende 2012 und Anfang 2013 machten, eine Umkehrung der Situation: Die IT von Zürich stiess auf bessere Resonanz. Der Wechsel zum Insourcing hat sich also auch in qualitativer Hinsicht ausbezahlt. Wir erklären den Wandel damit, dass die Nutzer die Nähe zu den IT-Mitarbeitern schätzen, da sie Kollegen sind und ihr Interesse an der Medienbranche teilen. Ein vergleichbarer Grad an Zufriedenheit und Professionalität könnte auch mit einer Auslagerung der IT erreicht werden, aber es ist schwieriger. Dazu müssten andere Rahmenbedingungen implementiert sein.

Wie wirkte sich der Zusammenschluss auf die Zahl der Mitarbeiter aus?

Wir haben neue Mitarbeiter angestellt. Heute beschäftigen wir 125 IT-Mitarbeiter. Die Er­höhung des Mitarbeiterbestands war eine ­notwendige Massnahme, um den grösseren Aufgabenbereich bewältigen zu können. Gleichzeitig verringerten sich mit dem Zusammenschluss der IT auch die Bedürfnisse. Die Herausforderung bestand also darin, nicht zu viele neue Mitarbeiter anzuheuern. Wir haben bald einmal damit aufgehört, weil weitere Rekrutierungen nicht unseren mittelfristigen Bedürfnissen entsprachen. Auch wollten wir spätere Entlassungen vermeiden. Wir haben also ausschliesslich jene personellen Ressourcen erworben, die wir als notwendig erachteten und nahmen damit auch eine heikle Phase während des Zusammenschlussprozesses, der jetzt abgeschlossen ist, in Kauf.

Worin besteht Ihr aktuelles IT-Reorganisationsprojekt?

Das Reorganisationsprojekt erklärt sich aus unserem Ausgangspunkt. Wir hatten den ­Zusammenschluss eben erst abgeschlossen, aber Tamedia hatte bereits die IT ansatzweise auf drei Abteilungen verteilt. Ich wollte zunächst an der Governance arbeiten und die Übertragung auf die Organisation für das Ende aufsparen, aber die Unternehmensleitung wollte die Umwandlung der IT vorantreiben und zog sie daher vor. Sie beschloss, die IT offiziell in drei Unterbereiche zu systematisieren. Der Publishing-Teil umfasst die IT-Aktivitäten in den Verlags- und kommerziellen Bereichen unserer Publikationen wie «Tagesanzeiger», «Le Matin», «20 Minuten» oder «Tribune de Genève» sowie die Anzeigen und den Druck (mit Ausnahme jedoch der Websites der genannten Publikationen). Die Digital-Einheit betreut die kommerziellen Onlineaktivitäten von Tamedia, wie zum Beispiel Search.ch,
das Immobilienportal Homegate.ch, die Applikation Doodle und so weiter. Die dritte Einheit hat die Dienstleistungen und Infrastrukturen unter sich. Diese Aufteilung soll die Verwandlung des Unternehmens in Richtung Digi­talisierung und Automatisierung beschleunigen. Damit wollen wir den Einheiten mehr Spielraum geben, damit sie sich schneller ­entwickeln können und das auf die Gefahr hin, dass wir nachträglich einen erneuten Zusammenschluss ins Auge fassen müssen. Diese Entscheidung wirkt sich in zweierlei Hinsicht aus und macht zusätzliche Investitionen in die IT erforderlich. Da wir unsere Wandlungsfähigkeit beschleunigen wollen, müssen wir zum einen zusätzliche Projektverantwortliche und -architekten anstellen. Zum anderen erfordert diese Entscheidung mit Blick auf die Organisation die Anstellung von zusätzlichen Informatikverantwortlichen. Ausserdem besteht das Risiko für Doppelspurigkeiten. Doch die Einführung einer IT-Governance in ihrer ganzen Tragweite hat für Tamedia keine Priorität. Zunächst soll die Reorganisation vorangetrieben werden, danach sind die Strategien an der Reihe.

Wurde diese Aufteilung beschlossen, weil die Businessbedürfnisse infolge des Zusammenschlusses nicht effizient befriedigt werden konnten?

Ich meine ja. Das müssen wir uns eingestehen. Unsere Reaktionsfähigkeit hat infolge des Zusammenschlusses aufgrund des reduzierten Mitarbeiterbestands gelitten. Es gibt viele Verwaltungsaufgaben und die Reorganisation verfolgt das Ziel, dies besser zu machen. Mit der Aufteilung der IT werden wir reaktionsfähiger und dynamischer sein.

Werden die Entwicklungsprojekte von jeder Einheit separat ausgeführt?

Das ist noch nicht entschieden. Es bestehen noch viele Unklarheiten. Um diese zu besprechen, wurde ein Lenkungsausschuss, der drei Mitglieder der Unternehmensleitung umfasst, auf die Beine gestellt. Auf diese Weise wollen wir Kohärenz und Rationalisierung sicherstellen. Eines der wichtigsten Projekte dreht sich um SAP. Innerhalb der Einheit für Dienstleistungen wird die Software sowohl von den Finanzen als auch von der Personalabteilung genutzt. Sie kommt aber auch zur Verwaltung der Abonnemente in der Publishing-Einheit zum Einsatz. Da stellt sich für uns die Frage, ob wir die Verwaltung von SAP ebenfalls zweiteilen müssen. Wir müssen darüber nachdenken, wenn wir kostenintensive Doppelspurigkeiten vermeiden wollen. Meiner Meinung nach können wir uns nicht zwei SAP-Basis-Teams innerhalb des Unternehmens leisten. Bei der Reorganisation müssen wir nun festlegen, was in der Publishing-Einheit laufen und was auf der Seite der Dienste bleiben wird.

Haben Sie über diese Schwierigkeiten mit den neuen IT-Verantwortlichen gesprochen?

Nein, da ihre Anstellung noch bevorsteht! Ich werde zunächst mit dem künftigen IT-Verantwortlichen der Publishing-Einheit darüber sprechen. Derjenige, der die Digital-Einheit leiten wird, soll zu einem späteren Zeitpunkt angestellt werden. Eine provisorische Lösung wird den Übergang sicherstellen. Ich wiederum werde mich auf die Infrastrukturen und Dienstleistungen konzentrieren. Die Publishing-Einheit wird sich teilweise auf zentrale Dienste abstützen können, beispielsweise bei den Desktop-PCs und den Servern. Es ist tatsächlich nicht vorgesehen, dass alle Einheiten eine völlig autonome Informatik haben. Ich meine hier die tieferen Schichten. Die Anwendungsschichten, also die gesamte Verwaltung von SAP Media, wird ins Publishing-Team übergehen. So wird die Einheit für Infrastrukturen und Dienste zum Dienstleister der Publishing-Einheit werden, die wiederum den Endkunden beliefern wird.

Sind Ihre Infrastrukturen ausschliesslich intern gehostet?

Grundsätzlich habe ich nichts gegen ausgelagerte Dienste für spezifische Bedürfnisse, auch wenn diese von der Cloud aus geleistet werden. Die Mehrheit der von unseren Teams verwalteten Infrastrukturen ist jedoch intern untergebracht. Die Websites der Publikationen wiederum werden autonom verwaltet, auch wenn wir hie und da eingreifen, zum Beispiel bei Hosting-Verhandlungen. Jedes Medium ist auch bei der Wartung seines CMS unabhängig. Auch die Digital-­Einheit besteht aus kleinen Einheiten, die wie autonome Start-ups funktionieren. Vielleicht wird ihnen meine Einheit in Zukunft PCs anbieten, auch wenn ich mir nicht sicher bin, dass ihnen das entsprechen wird! Windows 7, das Betriebssystem, auf das wir derzeit migrieren, wird ihnen nicht zwingend gefallen. Dasselbe gilt für unseren Microsoft-Office-Standard, dessen Nutzung innerhalb des Unternehmens im Übrigen infrage gestellt wird.

Was wären Alternativen?

Es gibt nur eine: Google. Heute arbeiten wir noch mit alten Methoden, die auf der Microsoft-Umgebung basieren. Wir überlegen uns nun aber, wie wir die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, modernisieren können. Wir haben auch damit begonnen, die Ansätze von Microsoft und Google zu vergleichen, ohne dabei ausschliesslich die Kostenfaktoren zu berücksichtigen.

Geht es dabei nur darum, Microsoft unter Druck zu setzen?

Nein, wir bluffen nicht. Dies belegt nicht zuletzt die Tatsache, dass wir nicht gezögert haben, für unsere Telekommunikation von Swisscom zu Sunrise zu wechseln. Wir ziehen die Option Google ernsthaft in Betracht. In Bezug auf die Funktionalitäten sind die beiden Lösungen meiner Meinung nach gleichwertig. Ein Wechsel hätte auch einen kulturellen Wandel zur Folge, der sich nicht ohne Komplikationen vollziehen würde. Für welche Lösung man sich auch entscheidet, das Ziel ist eine neue Arbeitsumgebung, die unter anderem die Überarbeitung von Dokumenten im Multi-User-Modus erlaubt. Es geht um eine modernere und effizientere Arbeitsweise. Daher haben wir das Projekt auch «New Way of Working» genannt.

Hindert das Dezentralisierungsprojekt die IT nicht daran, ihre Rolle als Innovationstreiberin wahrzunehmen?

Nein, das Projekt wird im Gegenteil zu einer Verbesserung der Situation führen, denn die Publishing-Einheit wird diese Rolle innehaben. Die neue Nähe zu den Kunden wird uns helfen, sie gezielt zu beraten und auf diese Weise das Business zu modernisieren. Es wird nicht nur darum gehen, Bedürfnisse zu befriedigen, sondern auch die Lust zu wecken, mit der IT zusammenzuarbeiten. Die IT wird dann in den höheren Schichten, das heisst im strategischen Bereich des Unternehmens, mehr Wertschöpfung erzielen können. Wir könnten auch einen Nutzen aus einer Annäherung an die verschiedenen Untergruppen der Digital-Einheit ziehen, indem wir zum Beispiel gemeinsame Sitzungen abhalten, um neue Innovationsideen zu finden.

Die Mitarbeiter der IT von Tamedia arbeiten in drei Städten. Wie gehen Sie mit dieser geografischen Aufteilung um?

Ich bin mehrere Tage pro Woche in der Deutschschweiz und es befinden sich Projektleiter an den drei Standorten. Im Organigramm erscheinen Ortsbestimmungen nur für die Field Supports. Beim Rest weigere ich mich, geografische Angaben zu machen. Dies führt nur zu Konflikten und zu einer Ablehnungshaltung, die mich stört. Wir nutzen die Kompetenzen, dort, wo sie sich befinden. Die Bereiche des Field Supports und des Application Managements befinden sich aus kundenstrategischen Überlegungen an einem bestimmten Ort. Die Sprache hingegen stellt ein eigentliches Problem dar. Heute rekrutieren wir nach Möglichkeit zweisprachige Personen, aber die bestehenden Mitarbeiter sprechen nicht unbedingt beide Sprachen. Bei den Sitzungen muss man eben schauen, welche Sprache am besten für alle passt. Meistens ist das Englisch.