Nachgefragt

Wenn der Arzt zum Datenanalysten wird

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von David Klier

Wearables – eine Geräteklasse, die unser Innerstes zutage fördert. Sie geben Auskunft über die Herzfrequenz, den Blutzuckerspiegel oder gelaufene Schritte. Daten, für die sich Ärzte und Krankenkassen interessieren könnten.

Alfons Stampfli sitzt im Behandlungszimmer seines Hausarztes. Er wartet darauf, dass sein Arzt wieder zu ihm spricht, ihm eine Diagnose verkündet. Seit dieser seinen Patienten begrüsst hat, sitzt er aber hinter seinem Bildschirm und brummt gelegentlich vor sich hin. Der Arzt analysiert Daten. Daten, die von Stampflis Gesundheitstracker stammen.

Die Situation ist fiktiv, doch sie ist nicht abwegig. Immer mehr Hersteller bieten Gesundheits- oder Fitnesstracker, sogenannte Wearables an. Immer mehr Menschen tragen diese Geräte und sammeln munter Daten. Daten, die wie im Falle Stampflis für das Gesundheitswesen von Interesse sein könnten. Nach Meinung von Dr. Christian Schmied vom Universitätsspital Zürich betrifft das vor allem sportlich aktive Menschen. "Grundsätzlich kann man aber jeden Menschen, der Sport treibt, als Sportler bezeichnen. Egal ob es ein herzkranker Patient oder ein kerngesunder Mensch ist, der sich gerne sportlich betätigt", erklärt der Kardiologe.

Aber auch für den klassischen jungen Ausdauersportler oder sogar für Spitzensportler, die während des Sports Beschwerden haben, seien Gesundheitstracker und deren Daten hilfreich. Bei Beschwerden während des Sports könnten die Geräte Informationen zur Herzfrequenz, EKG, Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Körpertemperatur geben.

Interessant für Herzpatienten

In Schmieds Abteilung im Unispital geht allerdings noch eine andere Menschengruppe ein und aus, die von den tragbaren Gesundheitswächtern profitieren könnte. Rehabilitationspatienten, die beispielweise nach einer Herz-OP oder einem Herzinfarkt wieder trainieren. Sie werden in aller Regel während dreier Monate ambulant überwacht. Diese EKG-Überwachung läuft heute schon WLAN-­gestützt, ist aber trotzdem ortsgebunden. "Es wäre sehr elegant, wenn man diese Patienten auch ausserhalb der drei Trainingseinheiten pro Woche überwachen könnte", sagt Schmied.

Der Kardiologe beobachtet zudem ein wachsendes Interesse an Fitnesstrackern über alle Altersgruppen hinweg. Insbesondere ältere Menschen, die auf einem vergleichsweise niedrigen Level Sport betreiben, möchten ernst genommen werden. Die Fitnesstracker helfen ihnen dabei. Sie bieten ihnen Sicherheit und unterstützen sie beim professionellen Monitoring ihrer Vitalfunktionen.

Chance für Krankenkassen?

Will auch der fiktive Patient Alfons Stampfli als Sportler ernster genommen werden? Nein. Er hat sich den Tracker nur zugelegt, weil ihm seine Krankenkasse Vergünstigungen versprochen hat. Ein realistisches Modell? Ja, sagt Felix Schneuwly von Comparis.ch. Versicherer wollen Risiken gruppieren. Die Daten von Fitnesstrackern gäben ihnen die Möglichkeit dazu. Wichtig sei dabei, dass Versicherte nicht benachteiligt würden, wenn sie sich über sich selbst informieren. Im Gegenteil: "Tracking ist vernünftiger als ein Fitnessabo", sagt Schneuwly. "Wenn ich mein Risiko kenne und mich daran anpasse, kann mir das der Versicherer entsprechend vergüten."

Kardiologe Schmied beurteilt die Einflussnahme der Krankenkassen hingegen eher kritisch. Studien würden beispielsweise zeigen, dass Menschen mit einer durchschnittlich erhöhten Herzfrequenz eine geringere Lebenserwartung hätten als Menschen mit niedrigeren Herzfrequenzen. "Darum gilt heutzutage eine hohe Herzfrequenz, also ein stark aktiveres vegetatives Level, insgesamt als lebensverkürzend", sagt Schmied. "Wenn jetzt eine Krankenkasse beispielsweise all diejenigen mit einer höheren Herzfrequenz als Risikopatienten einstuft, finde ich das sehr gefährlich."

Das Risiko, dass Ärzte künftig einer Datenflut gegenüberstehen und nur noch Daten analysieren, statt sich ihren Patienten zu ­widmen, halten indes beide, Schneuw­ly wie Schmied, für gering. "Ich bin ein Verfechter der persönlichen Patientenbetreuung", sagt Schmied. Trotzdem müsse man sich die neue Technologie zunutze machen. Bei modernen Herzschrittmachern sei das Abfragen von Daten schliesslich schon ­Alltag.