Carte blanche

Hilfe, mein Kunde bedient sich nicht selbst!

Uhr | Aktualisiert
von Christof Zogg, Leiter E-Business bei den SBB

Um Kosten zu sparen, motivieren Unternehmen ihre Kunden zur Nutzung von Selbstbedienungsangeboten – beim Tanken, Ticket- oder Lebensmitteleinkauf. Doch oft wehrt sich die Macht der Gewohnheit gegen die Veränderung. Was braucht es, damit Selbstbedienung für Kunden wie Anbieter zur Win-win-Situation wird?

Christof Zogg, Director Digital Business bei den SBB und Jurypräsident der Kategorie "Young & Wild". (Quelle: Microsoft)
Christof Zogg, Director Digital Business bei den SBB und Jurypräsident der Kategorie "Young & Wild". (Quelle: Microsoft)

Kürzlich verbrachte ich eine gefühlte halbe Stunde wartend in einer in zeitlosem Marmor-Chic gehaltenen Schalterhalle einer lokalen Bankfiliale. Das ist normalerweise kein Ort, an den sich ein Onlinebanking-Kunde je verirrt (oder haben Sie schon zu Banköffnungszeiten Feierabend?) beziehungsweise freiwillig Zeit verbringt. Dieses Mal wars für den Schreibenden allerdings mindestens erhellend, ja fast schon erleuchtend.

Nacheinander belauschte ich nämlich mit einem Ohr drei typische Kundeninteraktionen am Schalter nebenan. Als Erstes bat eine ältere Kundin den freundlichen Lehrling hinter dem Panzerglas, nachzuschauen, ob ihr der unfreundliche Drogist im Geschäft, das sie zuvor besucht hatte, versehentlich den Einkaufsbetrag zwei- statt nur einmal abgebucht hatte (hatte er nicht). Anschliessend liess sich ein rüstiger Silver Surfer nach mündlicher Abfrage seines Kontostandes einen Barbetrag von 2700 Franken auszahlen, um ihn darauf am Postschalter vis-à-vis gleich wieder für die Rechnungen einzahlen zu können. Und schliesslich äufnete ein sommersprossiger Spangenträger samt Mami sein Sparkonto mit dem geburtstäglichen Grosi-Nötli.

Was für mich grosses Warteschlangenkino war, muss sich für die betroffene Bank allerdings eher als Horrorstreifen angefühlt haben. Denn man kann sich das Einsparungspotenzial bildhaft vorstellen, wenn sich künftig solche und alle anderen Bankkunden nicht mehr am Schalter bedienen lassen, sondern sich via Onlinebank und mobile App selbst bedienen würden.

Do it yourself

Dieses Bestreben, Teile des Kundendienstes aus Kostengründen an den Kunden selbst auszulagern, nennt sich auf Marketingdeutsch Customer Self Service und hat bereits eine längere Tradition. Angefangen hatte die Kundenselbstbedienung in der Schweiz mit unbedienten Tankstellenautomaten, wurde fortgeführt mit der flächendeckenden Einführung von Bankomaten und endete im vorläufig letzten Akt mit den ersten Feldversuchen von Self-Scanning im Detailhandel. Dort schiesst der geneigte Kunde die gewählten Artikel, bevor er sie ins Körbchen legt, quasi als Shopping-Cowboy selbst mit einem kurzen Schuss aus dem Barcode-Revolver ab.

Doch was auf Anbieterseite vom Kosteneinsparungspotenzial getrieben wird, muss auf Kundenseite nicht zwingend auch schlecht sein: Denn dank technologischer Innovation kann das Do-it-yourself-Prinzip auch bei Dienstleistungen prima funktionieren und Kundenmehrwert schaffen, in dem etwa auch ausserhalb der bedienten Öffnungszeiten Geld abgehoben oder Benzin getankt werden kann.

Alles, was eine Verhaltensänderung braucht

Doch wie obige Beispiele zeigen, geschieht die Verlagerung des Kundenverhaltens zu den Kanälen mit Selbstbedienung nicht automatisch oder jedenfalls – aus Sicht der Anbieter – nicht rasch genug. Die Macht der Gewohntheit wirkt als starke Bremskraft gegen Veränderung und kann bei den Verantwortlichen für Kundenselbstbedienung in Unternehmen schon mal zur Ohnmacht werden. Was braucht es also, dass ein Shift hin zu digitalen Services mit Selbstbedienung erfolgreich gelingt?

Zunächst einmal braucht es einen Service mit maximaler Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit. Und hier haben Touchscreen-Applikationen im Allgemeinen und Smartphones im Besonderen ein neues Servicelevel ermöglicht. Bahnreisende beispielsweise weisen heute beim Kauf eines Tickets via SBB-Mobile- App dieselbe Kundenzufriedenheit auf wie Kunden am bedienten SBB-Schalter. Gleichzeitig ist die Erwartungshaltung der Kunden an das digitale Benutzererlebnis massiv gestiegen. Gänzlich animationsbefreite User-Interfaces in Monochrom-Anmutung wie etwa am Banko- oder Billettautomaten erlebbar, rufen bei den Endkunden keine Begeisterungsstürme mehr hervor.

Deal or no deal?

Mindestens ebenso wichtig dafür, ob ein Kunde das Selbstbedienungsangebot annimmt oder nicht, ist aber die transparente Weitergabe der Kostenersparnis, zu der ein Kunde mit seiner Selbstbedienungsleistung beiträgt. In den Verlagen ist diese Erkenntnis mittlerweile weitgehend angekommen. Das Digitalabo der NZZ ist aktuell 27 Prozent, das des Tagis sogar 35 Prozent billiger als die entsprechende Printausgabe. In anderen Branchen ist das Selbstbedienungspreismodell weniger stimmig. So kostet im Opernhaus die Ticketabholung 5 Franken, während der Heimdruck gratis ist. Im Theater Hechtplatz dagegen bezahlt der Besucher auch für Print@Home eine Gebühr von 3 Franken.

Dass bei attraktiver Preisersparnis Kunden die Selbstbedienung geradezu lieben, beweist seit Jahren der schwedische Möbelriese Ikea. Dort würden mit Akkuschraubern bewaffnete Hobbyheimwerker sogar dafür bezahlen, beim Zusammenbau des Wickeltisches „SNIGLAR“ oder des Regals „FJÄLKINGE“ selbst Hand anlegen zu dürfen.