Rechtsinformationssystem des Kantons Zürich

Kanton Zürich vergibt 3,4 Millionen freihändig

Uhr

Der Kanton Zürich hat für Wartungsdienstleistungen am neuen Rechtsinformationssystem RIS II 3,4 Millionen freihändig vergeben. Die Konkurrenz und ein Experte reagieren kritisch.

Richterhammer und Tastatur. Rechtssicherheit im Internet. Webauktionen. (Quelle: Erwin Wodicka)
Richterhammer und Tastatur. Rechtssicherheit im Internet. Webauktionen. (Quelle: Erwin Wodicka)

Am 5. Dezember hat der Kanton Zürich auf simap.ch einen freihändigen Zuschlag über 3,4 Millionen Franken an den IT-Dienstleister CM First vergeben. Bei dem Projekt geht es um Wartungsdienstleistungen am neuen Rechtsinformationssystem des Kantons Zürich, RIS II, das seit Oktober in Betrieb ist. Als Begründung für die freihändige Vergabe gab der Kanton technische Besonderheiten an.

Die Vergabe löst bei der Konkurrenz Kopfschütteln aus. Reto Frischknecht, Leiter Marketing bei Delta Logic, bezeichnet den Zuschlagentscheid auf Rückfrage als "stossend" – "sowohl für mich als Bürger als auch als Marktteilnehmer." Delta Logic seinerseits bietet die Community-Software "Tribuna" an, die in 14 Kantonen eingesetzt wird. Neuester Kunde ist das Obergericht Schaffhausen (die Netzwoche berichtete). Zürich wollte jedoch keine Community-Software einsetzen, sondern RIS II selber entwickeln.

"Als Brancheninsider kenne ich keine Besonderheit, die nicht durch eine andere Firma weiterentwickelt und gewartet werden könnte", so Frischknecht. Natürlich müsse sich eine andere Firma einarbeiten, aber das könne in eine Offerte eingerechnet werden. Die Begründung "technische Besonderheiten" sei daher nicht schlüssig. Vor allem entbinde diese Begründung nicht davon, die Wirtschaftlichkeit von RIS II durch Vergleichsofferten zu überprüfen.

Laufen die Kosten aus dem Ruder?

Frischknecht fragt sich zudem, ob dieser Zuschlagsentscheid gesetzeskonform ist und wie teuer die Entwicklung von RIS II letztlich kommen wird. Laut einem Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrates des Kantons Zürich belaufen sich die Gesamtkosten von RIS II auf 20,73 Millionen Franken. In diesen Gesamtkosten sind 11,94 Millionen Franken enthalten, die der Zürcher Regierungsrat in einer Sitzung vom 14. Mai 2014 zusätzlich bewilligte.

Dazu muss gesagt werden, dass RIS II sich grundsätzlich vom Vorgängermodell RIS 1 unterscheidet, wie Benjamin Tommer, Kommunikationsbeauftragter der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, erklärt. Ursprünglich sei nur eine Auffrischung der alten Anwendung mit entsprechend tiefen Kosten geplant gewesen. "Es zeigte sich dann aber, dass eine vollständig neue Applikation mit zahlreichen Anwendungen nötig war, die bei der ersten Planung im Jahr 2008 noch nicht möglich waren." Dies führte zu einem Anstieg der Kosten.

In den 20,73 Millionen Franken sind die Projektphasen A-D enthalten, die jeweils Funktionalitäten für verschiedene kantonale Bereiche umfassen. Zu Phase A gehört der Bereich Strafverfolgung Erwachsene, der seit dem 6. Oktober 2010 in Betrieb ist, wie Tommer ausführt. Dazu komme Anfang 2015 der Bereich Strafverfolgung Jugendliche. In Phase B werde RIS II im Amt für Justizvollzug (JuV) eingeführt und in Phase C in den JuV-Institutionen, also in den Gefängnissen und Vollzugsanstalten. In Phase D werde die Software im Gemeindeamt eingeführt. Das Gemeindeamt ist eine organisatorische und finanzielle Nahtstelle zwischen dem Kanton und den Gemeinden. Die Gesamtkosten für alle vier Phasen betragen 3,4 Millionen Franken. Die Phase D soll gemäss Protokoll des Regierungsrats im Februar 2017 abgeschlossen sein.

"Vergabe ist gesetzeskonform"

Tommer verteidigt die freihändige Vergabe. Bei RIS II handle es sich um eine Eigenentwicklung der Direktion der Justiz und des Innern. "Die Lizenzrechte der Software sind im Besitz der Direktion. Das bringt es mit sich, dass die Unterhalts- und Reparaturarbeiten nur durch eigene Mitarbeiter der Direktion und durch diejenigen Entwickler vorgenommen werden können, die die Programme entwickelt haben und den Fachbereich der Justizdirektion gut kennen", erklärt er in einer schriftlichen Antwort. Die Submissionsverordnung des Kantons Zürich regle Vergaben in solchen Fällen (siehe §10, Abs. 1 lit c und f). Die Vergabe sei also gesetzeskonform. Die Firma CM First habe RIS II entwickelt. Für die Wartungsarbeiten am Produkt komme darum auch aus Gründen des Schutzes des geistigen Eigentums nur derjenige Anbieter in Frage, der mit seinem Personal auch die Entwicklungsleistungen für RIS II erbracht habe.

Laut Matthias Günter, Inhaber der Firma GnostX und Experte für IT-Vergaben, widersprechen sich diese beiden Aussagen von Tommer: "Wenn die Rechte beim der Direktion liegen, so gibt es keine Argumente für den Schutz geistigen Eigentums. Liegen welche bei der Firma, so war der Vertrag bei der Entwicklung in diesem Punkt mangelhaft gestaltet. Jeder vernünftige Drittanbieter garantiert den Schutz geistigen Eigentums seines Kunden, wenn man das während einer öffentlichen Ausschreibung in den Vertrag schreibt."

Nicht zuletzt fragt sich Frischknecht natürlich, warum statt einer Eigenentwicklung des Kantons Zürich nicht eine bestehende Open-Source-Software in Betracht gezogen worden war. Tommers Antwort: "Die Strafverfolgungsbehörden im Kanton Zürich setzen auf eine medienbruchfreie Informationsbearbeitung. Gemäss unseren Informationen ist RIS II gegenwärtig die einzige Software in der Schweiz, die alle Funktionen im Umfeld der Strafuntersuchungs- und Vollzugsbehörden abdeckt."

Diese Antwort lässt Frischknecht nicht gelten: RIS II existiere noch gar nicht und solle in Etappen realisiert werden. Diese Aussage sei daher nicht schlüssig. Ausserdem sehe die Mehrheit der Fachleute einen Vorteil in der Tatsache, dass der Vollzug als eigene Applikation, unabhängig von der Staatsanwaltschaft, bewirtschaftet werde. Dies, um der Gewaltentrennung und dem Datenschutz gerecht zu werden. Die Bereiche Staatsanwaltschaft und Vollzug sollten laut Frischknecht aufgabenbezogen integriert sein, mit getrennten Datenbanken, jedoch über Prozesse verbunden. Dies sei bei den beiden Applikationen Tribuna und Gina der Fall. Frischknechts Fazit: Tribuna und Gina seien besser integriert als RIS II, denn RIS II existiere erst in der Staatsanwaltschaft. Zürichs spezifische Prozesse seien jederzeit in Tribuna und Gina realisierbar, ohne Millioneninvestitionen.

Auch Experte eher kritisch

Grundsätzlich beurteilt auch Günter die freihändige Vergabe des Kantons Zürich eher kritisch, gibt aber auch zu bedenken, dass die ihm zur Verfügung stehenden Informationen nur eine oberflächliche Prüfung zulassen und seine Aussagen daher auch nur eine etwas beschränkte Aussagekraft hätten. Zwar räumt er ein, dass es keinen Sinn ergebe, für Wartungsdienstleistungen ein anderes Produkt zu wählen, weist aber darauf hin, dass geprüft werden müsste, wann und wie die Herstellung von RIS II ausgeschrieben wurde. Die von Tommer aufgeführten Gründe genügen seiner Meinung nach den sehr hohen Anforderungen einer freihändigen Vergabe nicht. Hinzu kommt, dass es Tommer zufolge keine Ausschreibung für RIS II gab, da es sich dabei um eine Weiterentwicklung von RIS 1 handle.

Sein Urteil begründet Günter damit, dass zwar die Kenntnis der Prozesse ein Vorteil sei, aber keinen Ausnahmetatbestand rechtfertige. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass es valable Gründe für die freihändige Vergabe gebe. "Bei der Ablösung von RIS 1 hätte eine Marktanalyse gemacht werden müssen. Dann hätte sich aufgrund der Anforderungen und einer Ausschreibung gezeigt, ob die bestehenden Open-Source Lösungen den Anforderungen genügen", sagt er weiter. Ein sogenannter "Feature Creep", wie er vermutlich vorliegt (tendenziell zu viele Anforderungen oder Features, die dazu führen können, dass ein Projekt zu kompliziert wird und aus dem Ruder läuft, Red.), würde laut Günter auf eine mangelnde Bedarfserhebung hindeuten. "Für den Betrag, der in die Entwicklung floss, hätte man unter Umständen auch eine bestehende Open-Source-Lösung erweitern können."