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"Wir wollen die Themen von morgen mitgestalten"

Uhr | Aktualisiert
von Interview: Rodolphe Koller; Übersetzung: Marcel Urech

James Larus ist seit 2013 Dekan der Fakultät Informatik und Kommunikation der Ecole polytechnique fédérale de Lausanne. Im Interview erklärt er, wie sich die EPFL im herausfordernden Umfeld positionieren will.

James Larus, ist Dekan der Fakultät Informatik und Kommunikation an der Ecole polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL). (Quelle: EPFL)
James Larus, ist Dekan der Fakultät Informatik und Kommunikation an der Ecole polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL). (Quelle: EPFL)

Wie geht es der Fakultät Informatik und Kommunikation der EPFL heute?

James Larus: Wir sind in einer beneidenswerten Situation. Forschung und Entwicklung werden in der Schweiz super unterstützt, sowohl mit lokalen als auch mit europäischen Geldern. Unser Lehrkörper ist ausgezeichnet, und auch die Universität geniesst einen hervorragenden Ruf. Ich kann mich glücklich schätzen, in der Lage zu sein, sogar neue Professoren einstellen zu können. Die Studentenzahlen nehmen ja ständig zu. Auch unser Studienangebot müssen wir entsprechend erweitern.

Sind neue Studieninhalte geplant?

Wir wollen Themen abdecken, die schon bald eine wichtige Rolle spielen werden, oder dies bereits tun, wie zum Beispiel Data Science. Das Feld ist für die Informatik von herausragender Bedeutung. Es befasst sich mit der Manipulation von Daten und deckt auch Big Data und Machine Learning ab. Wer Data Science beherrscht, kann aus riesigen Datenmengen relevante Informationen herausfischen. Diese Fähigkeit wird immer wichtiger. Bald wird es für unsere Studenten also eine Option "Data ­Science" geben.

Ist es für die EPFL schwierig, neue Professoren für Fächer zu ­gewinnen, die gerade im Trend sind?

Wir bewegen uns in einem Umfeld, das sich ständig und rasend weiterentwickelt. Es ist allgemein eine grosse Herausforderung, neue Professoren zu finden. Wir suchen Menschen, die sich mit den Trendthemen auskennen und eine Vorreiterrolle in der Lehre übernehmen möchten. Besonders schwierig ist das im Fach Machine Learning. Wir sind ja nicht die Einzigen, die um die besten Spezialisten kämpfen. Andere Universitäten, Start-ups und etablierte Grossunternehmen buhlen ebenfalls um diese Fachkräfte. Die Konkurrenz kann meist deutlich höhere Löhne zahlen als wir. Und sie bietet oft Zugang zu riesigen Datenvolumen und phänomenaler Rechenkapazität. Wer heute eine brillante Doktorarbeit im Fach Machine Learning schreibt, kann sich vor Stellenangeboten kaum noch retten. Der Wettbewerb um die wenigen guten Fachkräfte ist echt brutal geworden.

Was hat denn die EPFL für Ansprüche?

Wir wollen nicht nur die besten Spezialisten für aktuelle Trendfächer rekrutieren, sondern auch die Themen von morgen aktiv mitentwickeln. Die EPFL will mit Wegbereitern und Pionieren zusammenarbeiten, deren Ideen die IT voranbringen können. Das Umfeld dafür ist ideal, da die Finanzierung der Lehrtätigkeit von Professoren in der Schweiz aktuell gesichert ist. In den USA ist das zum Beispiel nicht der Fall. Da kann es für Universitäten sehr schwierig sein, ein neues Forschungsfeld zu etablieren.

Sie haben selbst in den USA geforscht. Wird die EPFL dort an IT-­nahen Universitäten stark wahrgenommen?

Ja, und die Fakultät für Informatik und Kommunikationssysteme wird künftig noch stärker wahrgenommen werden. Vor 20 Jahren kannte man in den USA nur die ETH Zürich. Heute veröffentlicht auch die EPFL Artikel in den wichtigsten Fachpublikationen und nimmt an den renommiertesten Branchenkonferenzen weltweit teil. Die EPFL stellte bekannte Professoren ein und bildete Studenten aus, die nun in Kaderpositionen tätig sind. Das alles macht den guten Ruf der EPFL in der Informatikbranche aus. Wir stellten übrigens erst gerade zwei hochangesehene Professoren ein, einen von Yale und einen von Stanford. Wir sind also tatsächlich in der Lage, die Besten der Branche für uns zu gewinnen.

In den letzten Jahren stand die EPFL oft wegen ihrer Biotech-­Forschung im Rampenlicht. Ist es da nicht schwierig, auch die Leistungen der IT-Fakultät sichtbar zu machen?

Klar, die EPFL wird vor allem wegen ihrer Biotech-Forschung und dem Human Brain Project wahrgenommen. Davon profitiert aber auch unsere IT-Fakultät. Wenn man den Beweis erbringt, dass man in einer Domäne Exzellenz erlangt und neue Kapitalgeber gewonnen hat, profitieren alle. Man darf nicht vergessen, dass Gesundheitskonferenzen mehr Teilnehmer anziehen als Veranstaltungen in der IT. Gesundheitsthemen werden in der Öffentlichkeit zudem stärker thematisiert. Auch die investierten Gelder sind im Gesundheitswesen höher – auf dem Markt eine Milliarde für ein IT-Projekt zu sammeln, ist fast unmöglich. Abgesehen davon sind die Probleme, die es in der Biotechnik zu lösen gibt, aber oft IT-Herausforderungen.

Können Sie uns ein Beispiel für die rasante Entwicklung nennen?

Die Forschung im Bereich DNA-Sequenzierung verschlang noch vor zehn Jahren Millionen von Franken und nahm sehr viel Zeit in Anspruch. In wenigen Jahren dürfte sie aber nur noch ein paar hundert Dollar kosten. Das ist zum Teil den Fortschritten in der Biologie zu verdanken, aber nicht nur. Auch die Arbeit von Informatikern im Bereich Datenverarbeitung und Big Data half enorm. Ein weiteres Beispiel ist die Frage nach der Vertraulichkeit von Gesundheitsdaten. Wenn ein Arzt auf das Erbgut eines Patienten zugreifen will, stellt sich die Frage, ob er alle vorhandenen Daten lesen darf oder nicht. Kann man die Nutzung solcher Informationen erlauben und gleichzeitig die Privatsphäre der Patienten wahren? Diese Frage wird auch in der Informatik leidenschaftlich diskutiert, und die EPFL kann bei der Debatte eine Pionierrolle einnehmen.

Gibt es noch andere interdisziplinäre Projekte an der EPFL?

Sicher, zum Beispiel die Linguistik, ein sehr interessantes Forschungsfeld. Entwickler, die Spracherkennungstools wie Siri bauen, müssen sich mit Sprachwissenschaft, Big-Data-Technologien und Machine Learning auskennen. Wir wollen in diesem Feld nicht in erster Linie Studenten anziehen, die eine klassische IT- oder Entwickler-Karriere anstreben. Wichtiger ist uns eine gute Grundausbildung und der Wunsch, gelerntes Informatikwissen nicht bloss in der IT, sondern auch in anderen Domänen anzuwenden. Ich denke da an Design und Linguistik, den Gesundheitsbereich und die Wirtschaftswissenschaften. Der Wissenstransfer geschieht auch über Partnerschaften mit anderen Bildungsinstitutionen, wie wir das mit der Ecole Cantonale d’Art de Lausanne (ECAL) tun. Es ist wichtig, solche Kooperationen ständig weiterzuentwickeln. Wir wollen zudem einen Masterstudiengang im Bereich "Humanités digitales" entwickeln, der an unserem Collège des Humanité an der EPFL und weiteren Universitäten stattfinden soll. Wir sind für diesen neuen Lehrgang auch bereits auf der Suche nach Professoren.

Werden Sie auch einen Kurs vorschlagen, der IT und Wirtschaft vereint?

An der EPFL gibt es auch das "College du Management", und wir sind gerade dabei, über einen gemeinsamen Kurs zu diskutieren. Eine Zusammenarbeit liegt auf der Hand. Wir würden das Angebot gerne als Option für unsere Studenten im ersten Zyklus anbieten. Wir müssen dabei aber darauf achten, dass diese Pläne nicht den Studenten zur Last fallen.

Warum denn das?

Der Stundenplan im ersten Studienzyklus ist schon sehr herausfordernd. Wenn wir neue Kurse hinzufügen wollen, müssen wir wohl andere streichen. Wir müssen uns also gut überlegen, was für uns zentral ist, und was wir allenfalls kippen können.

Wie arbeiten Sie mit der Industrie zusammen?

Die meisten unserer Mitarbeiter arbeiten an Themen, die die Industrie brennend interessieren. Wir waren schon immer nah an den Unternehmen dran. Das zeichnet unsere Fakultät innerhalb der EPFL aus. Unsere Professoren wollen, dass ihre Ideen auch in der Praxis umgesetzt werden. Und unsere Studenten wollen eng mit der Industrie zusammenarbeiten und Start-ups gründen. Unsere Forschung ergänzt diejenige in der Industrie perfekt. Firmen forschen meist sehr gezielt und mit einem Zeithorizont von wenigen Jahren, während wir in Jahrzehnten denken und allgemein freier sind. Findige Unternehmen können diese Forschung in ihre Organisation integrieren, indem sie unsere Studenten anwerben. Das ist ohne Zweifel die beste Art des technologischen Wissenstransfers. Firmen wie Google, Microsoft und Intel wissen, dass wir hier interessante Forschung betreiben. Und sie wissen auch, dass es für Unternehmen in der Schweiz einfacher ist als in den USA, auf die universitäre Forschung zuzugreifen.

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