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Kuratierung: Hype oder Zukunft der News?

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von Peter Hogenkamp

«Kuratierung» liegt voll im Trend: Nachdem sich der Begriff für die händische Selektion schon vor einer Weile von der Kunstszene
in andere Bereiche ausgebreitet hat, wurde er nun, nicht ohne wütende Proteste einiger Traditionalisten, zum Buzzword des Jahres: Firmen wie Facebook, Twitter, Apple, Instagram und Snapchat stellen Kuratoren für Nachrichten ein. Was steckt hinter dem Hype?

Peter Hogenkamp ist CEO des Start-ups Newscron. (Quelle: Netzmedien)
Peter Hogenkamp ist CEO des Start-ups Newscron. (Quelle: Netzmedien)

Früher war alles einfacher. Die Zeitung lag morgens im Briefkasten und wurde routinemässig beim Frühstück oder auf dem Weg zur Arbeit gelesen. Sie berichtete, indem sie eigene Reporter losschickte oder ihre Kommentatoren ­schreiben liess, und vor allem wählte sie aus, was für ihre Leserschaft von Interesse schien. Damit versprach sie ein abgeschlossenes Erlebnis: Wenn Du mich morgens liest, weisst Du, was Du wissen musst – klassische Nachrichten aus aller Welt, aber auch, wer gestorben ist und welche Aktionen Migros und Coop aktuell anbieten.

Für viele Menschen hat sich das noch nicht wesentlich geändert; noch immer liest rund die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer am Morgen eine Tageszeitung. Aber die seit 20 Jahren stetig sinkenden Auflagen lassen keinen Zweifel daran, dass sich das Verhalten nachhaltig ändert: Me­dienkonsumenten verlieren zunehmend ihre Markentreue.

Sie lesen über Belinda Bencics Finalerfolg im «Blick am Abend», schauen das Video der Explosion in Tianjin bei «Watson» und informieren sich über die Flüchtlingskatastrophe bei «Spiegel Online». Wer genauso auf Englisch liest, schaut auch noch bei beim Guardian, bei Quartz und bei Buzzfeed vorbei. Schon lange beschränkt sich der Konsum nicht mehr auf klassische Medienanbieter, sondern auch auf technologiegetriebene Apps wie «Forza» für Live-Resultate oder Youtube für die Höhepunkte im Video. Diversen Marken und Kanäle, Smartphone, Desktop, TV, Print, werden munter parallel genutzt. Und immer mehr steuert Facebook den Konsum: Ich schaue, was meine Freunde schauen, genauer: was davon der Facebook-Algorithmus in meine Timeline spült.

Obwohl Programme neutral sein sollten, haben sie ein inhärentes «Boulevard-Gen»: Was gut klickt, steigt nach oben. Für intelligente Menschen liegt daher in der Balkanisierung des Medienkonsums auch das Potenzial für Frustration, denn am Ende des Tages beschleicht uns nicht selten das Gefühl, der Anteil an lustigen Videos im Vergleich zu nützlichen Informationen war womöglich heute etwas zu hoch. Hier kann Kuratierung helfen: Die händische Auswahl einer Expertin oder eines Experten meines Vertrauens, die mir die besten fünf Links pro Tag zu Themen wie Mobile, E-Commerce oder Medienwandel empfiehlt, wird oft einem Algorithmus überlegen sein. Genau deswegen setzen sogar die Algorithmusfetischisten aus dem Silicon Valley auf Menschen. Dies ist die Ausgangslage für den Aufstieg der Kuratierung, die keineswegs neu ist. Viele Newsletter sind mehrheitlich kuratierte Nachrichten; im ICT-Bereich gibt es den «Netzticker» oder «C36 Daily» schon seit vielen Jahren. Doch auch wenn Newsletter in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt haben, sind sie konzeptionell und technisch ein Auslaufmodell: Sie sind statisch und verstopfen die Inbox. Daher wird Kuratierung auf vielen Plattformen verfügbar werden.

Nochmal zurück zu den Medien: Eigentlich wären sie in der besten Position, die Funktion des Kurators zu übernehmen, aber die meisten hängen bis heute an der alten Welt. Ich erinnere mich an eine lebhafte Diskussion mit einem leitenden Redaktor, der im Brustton der Überzeugung sagte: «Alles, was unsere Leser wissen müssen, erfahren sie bei uns.» Wenn er sich da nur nicht irrt.

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