Gert Christen, CEO, Startzentrum

"Was heute zählt, ist Geschwindigkeit"

Uhr | Aktualisiert

Das Startzentrum und der Bluelion in Zürich haben sich der Start-up-Förderung verschrieben. Gert Christen hat das Zentrum gegründet. Mittlerweile erfüllt er mit seiner Dienstleistung auch einen Auftrag von Stadt und Kanton.

(Quelle: Netzmedien)
(Quelle: Netzmedien)

Wie kamen Sie dazu, die Startupfair zu gründen?

Jede Branche und Berufsgruppe hat ihre eigene Messe, um sich austauschen zu können. Bevor ich vor drei Jahren die Startupfair gegründet habe, war diese Möglichkeit in der Schweiz nicht oder nur sehr spärlich vorhanden. Es gab zwar bereits viele spezifische Gruppierungen und entsprechende Veranstaltungen für junge Firmen, wie etwa Veranstaltungen von Hochschulen. Es bilden sich also Gruppen, die sich treffen. Davon weiss aber niemand etwas, ausser man gehört zur Gruppe dazu. Das macht es vielen sehr schwer, überhaupt in die Start-up-Szene hineinzukommen. Ein weiterer Beweggrund war, dass die Schweiz zwar oft als sehr innovatives Land bezeichnet wird, ein grosser Teil der Bevölkerung aber gar nichts von dieser Innovation mitbekommt. Meine Absicht war es also, der Start-up-Szene eine Bühne zu bieten, durch die sie auch in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen wird. Bereits davor gab es regionale Veranstaltungen. An der ersten Startupfair traf sich erstmals die ganze Schweizer Start-up-Szene, um sich zu informieren, auszutauschen und vielleicht neue Partnerschaften zu bilden. Dieser Austausch ist für Start-ups genauso wie für andere Firmen, Start-up-Förderer und nicht zuletzt Investoren von entscheidender Bedeutung.

Was tun Sie im Startzentrum, wenn der Fokus gerade nicht auf die Startupfair gerichtet ist?

Wir sind das Gründerzentrum der Stadt und des Kantons Zürich und haben Aufträge von ihnen. Einerseits haben wir den Auftrag, die Leute für die Möglichkeit, eine Firma zu gründen, zu sensibilisieren. Den Menschen soll bewusst sein, dass sie eine gute Geschäftsidee nutzen können, um sich selbstständig zu machen. Andererseits bieten wir eine Anlaufstelle für diejenigen, die bereits eine Idee haben und Unterstützung bei der Umsetzung benötigen. Wir beraten Interessenten und sorgen dafür, dass sie sich in der Szene vernetzen können. Und letztlich bieten wir jenen Arbeitsplätze und Büros an, die sich selbstständig gemacht haben.

Wie gross ist die Nachfrage nach Ihrem Angebot?

Allein im Kanton Zürich gibt es pro Jahr mehr als 2500 Personen, die darüber nachdenken, eine Firma zu gründen. Das ergibt für uns etwa zehn Personen pro Arbeitstag. Davon kommen pro Tag zwei zu uns in die Beratung. Wir informieren diese potenziellen Unternehmer über verschiedene Kanäle, wie unseren Newsletter, Beratungen oder Events. Neben der jährlichen Hauptmesse, der Startupfair, bieten wir monatliche Veranstaltungen zu einem bestimmten Thema an, an die wir jeweils einen Experten einladen. Daneben mache ich auch mit eigenen Referaten und Vorträgen auf unseren Service aufmerksam.

Wie sollte man heutzutage an eine Firmengründung herangehen?

Neben einer seriösen Planung und einer professionellen Unterstützung empfehlen wir vor allem eine schnelle Umsetzung von Start-up-Plänen. Studien belegen, dass man solche Vorhaben heutzutage mit Vorteil nicht für sich im stillen Kämmerchen vorantreibt. Dieses Bild, wie man es von Bill Gates Geschichte kennt, gehört der Vergangenheit an. Man sollte sich heute nicht mehr verstecken aus Angst, dass einem jemand die Idee klauen könnte. Was heute zählt, ist Geschwindigkeit und möglichst schnell an Wert zuzulegen. Der beste Schutz ist, der Erste auf dem Markt zu sein. Innovationen im Software- oder Dienstleistungsbereich lassen sich ohnehin praktisch nicht schützen.

Unterstützen Sie auch bereits gegründete Jungunternehmen?

Ja. Hier im Startzentrum Zürich bieten wir Arbeitsflächen für Start-ups an. Alle Firmen, die sie in diesem Gebäude sehen, sind also Start-ups. Das Spezielle an unserem Angebot ist, dass die Unternehmen nur so viel Platz mieten müssen, wie sie auch tatsächlich benötigen. Damit sind Jungunternehmen nicht gezwungen, Büros zu mieten, die nicht zur Firmengrösse passen und somit zu teuer wären. Ein weiterer Service ist unser Sekretariat. Kann ein Unternehmen etwa einen Anruf nicht selbst entgegennehmen, klingelt es in unserem Sekretariat. Dort nimmt unsere Mitarbeiterin mit dem Namen der Firma ab. Damit leisten wir einen entscheidenden Beitrag für ein professionelles Erscheinungsbild der Start-ups im Gebäude. Am Ende wollen wir hier einen Mikrokosmos erschaffen, der alles bietet, um eine Firma aufbauen zu können. Dazu gehört vor allem auch der Austausch zwischen den Firmen, die sich hier gegenseitig unterstützen.

Ist es denn immer nötig eine neue Idee zu haben, oder gibt es auch viele Gründungen, die sich einem bereits etablierten Produkt oder Service verschreiben?

Das gibt es natürlich auch öfters. Ein solches Vorhaben kann sich aber als schwierig herausstellen, da man sich dann meistens schon gut etablierten Konkurrenten mit entsprechendem Kundenstamm gegenübersieht. Macht man also etwas, dass es bereits gibt, wird der Erfolg sehr oft davon abhängen, wie gut die Kontakte sind, die man hat. Hat man diese nicht, wird es schwer. Die entscheidende Frage ist immer: Wie komme ich zu zahlenden Kunden? Man sollte zunächst immer davon ausgehen, dass jeder Kunde bereits einen Lieferanten hat. Dann sollte man sich überlegen, wie man diese potenziellen Kunden dazu bringt, den Lieferanten zu wechseln.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir haben hier einige gestandene Berufsleute, die sich entschieden haben, ihre Arbeitskraft nicht mehr nur an einen Arbeitgeber zu verkaufen, sondern sich selbstständig zu machen und ihre Talente verschiedenen Kunden anzubieten. Sie konnten sich während ihrer früheren Tätigkeit bereits ein gutes Netzwerk aufbauen und Geschäftspartner von der Qualität ihrer Arbeit überzeugen. Für eine Einzelperson im IT-Bereich reicht oft schon eine stabile Beziehung zu drei bis vier Kunden.

Stehen Sie mit Ihrem Startzentrum Unternehmen und Ideen aus allen Richtungen und Branchen offen?

Ganz genau. Unsere Infrastruktur hier passt für die meisten, jedoch nicht für alle. Wenn jemand aber etwa eine Werkstatt für sein Vorhaben benötigt, können wir diese nicht anbieten. Dasselbe gilt für Labors und andere Techniken. Wir stellen nur Büros zur Verfügung. Dafür stellen wir aber alles zur Verfügung. Wer hier arbeitet, braucht sich um nichts zu kümmern ausser um seine Arbeit. Für Strom, Kaffee, Reinigung und was es sonst noch so braucht sorgen wir.

Gibt es spezielle Vorteile oder Probleme für die Firmengründung am Wirtschaftstandort Schweiz?

Ein Vorteil, den ein Schweizer Start-up sicher hat, ist das Qualitätslabel „Swiss made“. Damit verbinden potenzielle Kunden oder Investoren Qualität und Verlässlichkeit und glauben eher an deren Seriosität, als das bei anderen Nationen der Fall wäre. Das gilt sowohl im Inland als auch im Ausland. Es gibt aber einige gesetzliche Rahmenbedingungen in der Schweiz, die man verbessern könnte. Ein Thema hier ist die Masseinwanderungsinitiative. Auch für Start-ups verschärft diese das Problem, gute Leute zu finden. Denn gerade in der IT-Branche sind Spezialisten sehr gefragt. Im Moment werden Arbeitsgesuche von ausländischen Hochschulabsolventen von ausserhalb der EU nicht einmal bewilligt, wenn sie innerhalb von sechs Monaten hier einen Job finden, wie das vor der Masseneinwanderungsinitiative der Fall war. Genau solche Fachkräfte könnte sich ein Start-up aber noch eher leisten als erfahrene.

Gibt es weitere Probleme?

Ein weiteres Problem liegt in der Finanzierung von Start-ups. Sobald eine Firma grösser werden will, braucht sie Investoren. Schweizer Investoren sind da sehr zurückhaltend. Eine erste Finanzierungsrunde bis etwa 500'000 Franken ist in der Regel noch machbar. Aber bei grösseren Beträgen wird das in der Schweiz ziemlich schwer. Das ist nicht vergleichbar mit Beträgen, die man aus dem Silicon Valley hört.

In den USA gibt es auch Firmen mit einem achtstelligen Börsenwert, die sich noch Start-ups nennen. Haben wir hier ein anderes Verständnis dieses Begriffs?

Das haben wir ganz klar. Das ist auch eine kulturelle Frage. In den USA ist es selbstverständlich, dass ehemalige Unternehmer den jungen Betrieben mit Rat, Geld und Zeit zur Seite stehen. Das ist in der Schweiz noch zu wenig ausgeprägt. Es kommt noch zu selten vor, dass erfolgreiche Unternehmer sagen: Ich habe auch profitiert und Glück gehabt, nun will ich etwas an die nächste Generation weitergeben.

Wie genau unterstützen amerikanische Altunternehmer Start-ups?

Sie investieren in Start-ups. Sie stellen ihr Netzwerk und ihren Namen zur Verfügung. Das ist sehr gute Werbung für die Start-ups und schafft Vertrauen für Kunden und Investoren. Genau hier lässt sich der kulturelle Unterschied erkennen. In den USA stehen Investoren und Businessleute mit Stolz in der Öffentlichkeit und präsentieren sich gerne. Die Schweizer arbeiten lieber diskret und hinter verschlossenen Türen. Ich wünschte mir, dass Schweizer Investoren und ehemalige Unternehmer mit Stolz in die Öffentlichkeit treten und dazu stehen, dass sie Start-ups unterstützen. So wie man gerne dazu steht, dass man wohltätige Organisationen unterstützt. Es gibt keinen Grund, unseren wirtschaftlichen Nachwuchs zu verstecken.

Gibt es neben den kulturellen auch gesetzliche Hürden in der Schweiz?

Die gibt es in der Tat. Vor allem Investitionen in Start-ups werden durch das Gesetz nicht begünstigt, um nicht zu sagen erschwert. Geld, das man mit regelmässigen Investments in Start-ups verdient, zählt in der Schweiz als Einkommen und wird entsprechend besteuert. Macht man hingegen Verluste, weil ein Start-up nicht erfolgreich war, kann man diese nicht von den Steuern abziehen. Diese Tatsache lässt Schweizer Investoren zweimal überlegen, in Start-ups zu investieren. Schon naheliegender ist in der Schweiz der Kauf eines ganzen Start-ups.

Dann ist der Kauf also die risikoärmere Alternative zur Investition in der Schweiz?

Ja, das löst aber das Problem nicht, dass in der Schweiz zu wenig in Start-ups investiert wird. Aber der typische Weg für ein Schweizer Start-up scheint es in der Tat zu sein, irgendwann von einem grösseren Unternehmen aufgekauft werden.

Das wird aber in den USA nicht anders sein, oder?

Das ist in den USA grösstenteils auch so, mit dem Unterschied, dass Firmen ab einer gewissen Grösse an die Börse gehen. In der Schweiz gibt es nicht sehr viele Börsengänge. Es gab in letzter Zeit ein paar wenige Schweizer Jungunternehmen, die an die Börse gingen. Diese sind hauptsächlich in der Pharma-Branche tätig.

Investoren oder Unterstützer könnten ja auch Grossfirmen sein. Wie sieht die Zusammenarbeit von Grossfirmen und Start-ups in der Schweiz aus?

Ausser dem Label Startzentrum führen wir auch das Label Blue Lion. Das Team und der Ort ist derselbe, aber der Fokus ist voll und ganz auf Software- und Cleantech-Start-ups gerichtet. Die Hürden zur Aufnahme in den Blue Lion sind wesentlich höher gesteckt. Unter diesem Namen schauen wir pro Jahr etwa 15 Unternehmen an und wählen etwa die Hälfte davon aus. Die Idee ist es also, wirklich die besten Unternehmen zu finden und ihnen die bestmögliche Unterstützung zu geben. Mit einem streng strukturierten Programm wollen wir die Firmen mit dem höchsten Potenzial speziell fördern und beschleunigen. Seit letztem Jahr bieten wir dieses Programm auch für Spin-offs von Grossfirmen an. So sitzt momentan etwa ein Team der UBS hier. Es wird behandelt und betreut wie ein ganz normales Start-up.

Was hat die UBS für ein Interesse bei diesem Projekt?

Für solche Firmen geht es vor allem um Innovation. Inhouse-Innovation ist oft langsam, teuer und nicht sehr erfolgreich. Das kann daran liegen, dass die Umgebung dafür in einem Grossbetrieb nicht sehr geeignet ist und etwaige Teams oft ins Tagesgeschäft zurückgezogen werden. Daneben beobachten Grossunternehmen Start-ups, die mit grosser Geschwindigkeit und mit wenig Geld neue Produkte auf den Markt bringen. Grosse Unternehmen wollen davon lernen. Wir bieten diese Möglichkeit des Lernens. Neben dem strukturierten Start-up-Programm, das dieses agile Vorgehen vermittelt, finden Grossunternehmen so den Draht zur Start-up-Szene und können direkt von ihnen lernen. Damit waren wir mit Blue Lion letztes Jahr Pioniere. Man sieht heute, dass immer mehr Grossunternehmen den Kontakt zur Start-up-Szene suchen.

Gibt es eine Konkurrenz um die Plätze im Startzentrum?

Nicht so sehr. Es geht eigentlich immer auf. Wir haben hier ständig fliessende Wechsel. Einige gehen, neue kommen dazu. Wir haben auch die Regel, dass ein Start-up uns verlassen sollte, wenn es mehr als zehn Mitarbeiter zählt.

Wie unterscheidet sich Ihr Angebot von Coworking Spaces?

Wir haben ein anders Modell. Wir bieten keine temporären Arbeitsplätze, sondern nur Vollzeit. Wir beherbergen hier nur Start-ups, die 100 Prozent auf die Unternehmerkarte setzen. Wir empfehlen auch, sich ab einem gewissen Zeitpunkt mit Vollzeit für das Start-up einzusetzen. Das erhöht auch die Erfolgschancen stark. Denn das Vertrauen kann so besser aufgebaut werden, als wenn ein Kunde oder Investor sieht, dass man das Projekt nur nebenbei verfolgt. Es gibt schon Ausnahmen, wie etwa in der Game-Entwicklung. Dort kommt es oft vor, dass Entwickler mit ein paar kommerziellen Projekten das eigene Vorhaben finanzieren und nebenher vorantreiben. Bei den meisten Produkten, die am Anfang viel Zeit benötigen, kommt man aber früher oder später an einen Punkt, an dem es heisst: Ganz oder gar nicht. Man kann halt nicht nur halbschwanger sein.

Ist die Konkurrenz zu Grossfirmen auch ein grosses Thema? Ist es nicht schwierig, sich gegen diese durchzusetzen?

Das kann schon sehr schwer sein. Nehmen wir an, Sie wollen ein neues Internet-TV-Angebot auf den Schweizer Markt bringen. Angesichts der riesigen etablierten Konkurrenz ist dieses Unterfangen fast chancenlos. Das führt uns zur Frage, was denn eine Geschäftsidee überhaupt ist. Eine Geschäftsidee ist eine Idee, wie man ein Problem lösen könnte, das noch niemand gelöst hat.

Kann das auch besser oder günstiger lösen bedeuten?

Besser ja. Günstiger zu sein, ist aber immer das schlechteste Argument. Denn nichts ist einfacher, als einfach die Preise zu senken. Ausser man ist wirklich massiv günstiger. In unserem Beispiel würde das heissen, beim Konkurrenten kostet ein Abo 20 Franken im Monat, bei uns noch 2 Franken. Um so einen Preis anbieten zu können, haben Sie aber mit grosser Wahrscheinlichkeit ein neues Problem gelöst oder eine viel effektivere Technik entwickelt. Also wären wir wieder am selben Punkt.

Wie hoch ist die Erfolgsquote von Start-ups?

Von zehn Start-ups schaffen es ungefähr fünf, zu bestehen – also etwa die Hälfte. Diese Quote gilt weltweit. Von diesen fünf wiederum feiern etwa zwei einen grossen Erfolg. Die restlichen drei werden zu kleinen bis durchschnittlichen Unternehmen mit bescheidenem Wachstum. Für einen Misserfolg können die Start-ups oft nichts. Sie haben einfach Pech, wenn der Markt ein Produkt nicht richtig annimmt.

Wäre es nicht möglich, durch eine gründliche Evaluation einen Misserfolg vorauszusehen?

Nur sehr bedingt. Trotzdem empfiehlt es sich in der Tat, im Vorfeld der Gründung mit möglichst vielen Leuten Kontakt aufzunehmen und sich mit ihnen über die eigene Idee auszutauschen. Neben der Resonanz, die man auf diese Weise zu seinem Produkt erhält, baut man sich so bereits ein Netzwerk an Leuten auf, die einen später vielleicht unterstützen können oder gerne zum Kunden werden. Allgemein empfehle ich, so viel wie möglich zu helfen und andere in der Szene nach Möglichkeit zu unterstützen. Ein solches Verhalten zahlt sich immer aus. Denn so kann man auf die Unterstützung der Szene bauen. Verhält man sich aber andersherum und stiehlt nur Ideen, dann könnte es schwierig werden, Unterstützung zu finden.

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