Innovation

Sexy? Aber sicher!

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von Franziska Garbe

Neue Technologien und traditionelle Stärken: Junge Fintech-Unternehmen mischen die Schweizer Finanzbranche auf. Mit einem Inkubator wollen ihnen Six und andere Partner zum Durchbruch verhelfen.

Franziska Garbe, Communication Specialist, Six. (Quelle: Six)
Franziska Garbe, Communication Specialist, Six. (Quelle: Six)

Ein Treppenhaus in einem unspektakulären Bürogebäude in Zürich-West: weiss-kaltes Neonlicht hinter der Glas­tür im 2. Stock. Zwischen farbigen Filzvorhängen sitzen junge Leute hinter Computerbildschirmen, eine Arbeitsgruppe im Hinterzimmer schreibt Stichpunkte an die abwaschbare Wand. Werkstatt-Atmosphäre, Aufbruchstimmung. Doch hinter dem "F10", das als Logo an Türen und Fenstern prangt, steckt kein Start-up. Hinter dem F10 steckt Six, Betreiberin der Infrastruktur für den Schweizer ­Finanzplatz.

Six ist eine wichtige Institution auf dem Schweizer Finanzplatz: Sie verantwortet unter anderem eine stabile Abwicklung des Wertpapierhandels, zuverlässige Finanz­informationen und einen reibungslosen Zahlungsverkehr. Das Unternehmen versteht sich als "Enabler" für Banken und Finanzdienstleister und lotet in seinem "Technology Incubator" F10 die Chancen neuer Technologien für die Finanzindustrie aus.

Digitalisierung treibt Entwicklungen voran

Neue Technologien ermöglichen auch in der Finanzwirtschaft effizientere, transparentere oder sogar völlig neue Dienstleistungen und treiben deren Entwicklung gerade rasant voran. Die Digitalisierung ist – nachdem sie Wirtschaftszweige wie die Medien- oder die Reisebranche bereits nachhaltig verändert hat – bei den Finanzdienstleistern angekommen, und fordert ein radikales Umdenken bei Geschäftsmodellen und beim Kundenverständnis. "Dank der Digitalisierung können sich Kunden heute in allen Lebensbereichen umfassend informieren, Dienstleistungen vergleichen und dementsprechend auswählen", sagt Rino Borini, Verleger des Wirtschaftsmagazins "Punkt". "Banken müssen sich auf ihre Kunden einstellen, wenn sie in ihren traditionellen Geschäftsfeldern nicht überflüssig werden wollen. Finance 2.0 muss einfach, transparent und sexy sein." Borini hat 2013 in Zürich die "Finance 2.0 Conference" ins Leben gerufen, an der sich Finanzfachleute vernetzen und ihr Wissen über Technologien und Trends verbessern können.

"Nimmt man die steigende Anzahl der Teilnehmer an solchen Konferenzen als Gradmesser, zeigt das, welchen Schub das Thema Fintech in den letzten ein bis zwei Jahren erfahren hat", sagt Andreas Iten, verantwortlich für Technologie-Innovation bei Six. Gemeinsam mit Swiss­com und den Grossbanken ist Six mit ihrem Technology Incubator eines der "Schwergewichte" in der Schweizer Fintech-Szene, die ansonsten wie überall stark von Start-ups geprägt wird. Diese Konstellation hat eine hierzulande noch recht neue Denk- und Arbeitsweise weiter vorangebracht: Kollaboration statt Konkurrenz. Um Unternehmertum zu fördern, Innovationen voranzutreiben und ein Innovations-Ökosystem aufzubauen haben sich Six, Swiss­com und Credit Suisse mit dem Impact Hub Zürich im Projekt Next zusammengeschlossen.

Im Impact Hub Zürich arbeiten Mitarbeiter von Grossunternehmen und Start-ups auf Augenhöhe im Co-Working Space zusammen, tauschen sich aus und lernen vonei­nander. Um das Thema Fintech voranzutreiben, pilotieren die Partner gemeinsam mit der Zürcher Kantonalbank und Postfinance im November die Event-Reihe "Disrupt Finance". Zehn noch unbekannte Start-ups mit disruptivem Potenzial sollen mit Experten der Grossunternehmen über Trends und Entwicklungen diskutieren und Lösungsansätze finden.

Start-up-Förderung durch Six

Kooperationen existieren auch ausserhalb dieses Projekts: So lässt etwa Six Start-ups in der frühen Gründungsphase in den F10 einziehen, in der Hoffnung, sich deren Know-how, Kreativität und Unternehmergeist ins Team zu holen, während die Jungunternehmer ihrerseits Coachings erhalten und vom bestehenden Netzwerk und von der Infrastruktur von Six profitieren. Die UBS bietet in Zusammenarbeit mit dem Berliner Start-up Sumup eine mobile Bezahllösung für Kleinunternehmer an und hat zusammen mit Six und der Zürcher Kantonalbank die P2P-App Paymit lanciert. Für die Weiterentwicklung der App setzt Six auf eine strategische Partnerschaft mit Swisscom: Künftig soll der Kunde mit Paymit auch im Geschäft oder im Internet bezahlen können. Swisscom wird die Entwicklung von Zusatzdiensten rund um das Einkaufserlebnis vorantreiben.

"Wer ist Kunde, wer ist Lieferant, wer ist Partner, wer ist Konkurrent? Diese Grenzen lassen sich nicht mehr eindeutig ziehen", sagt Iten. "Damit müssen Unternehmen und auch Banken heute umgehen können. Letztlich werden sich diejenigen durchsetzen, die in der Lage sind, dieses komplexe Ökosystem zu managen und erfolgreich für sich zu nutzen." Die Banken hätten dies durchaus erkannt, sagt Thomas Sutter, stellvertretender CEO und Leiter Kommunikation der Schweizerischen Bankiervereinigung. "Es ist wichtig, dass sich eine Fintech-Szene in der Schweiz entwickelt, damit die Banken ihre Wertschöpfungskette neu zusammensetzen und, wo es Sinn macht, Teile davon an ein Schweizer Unternehmen out­sourcen können", sagt er. "Die Kundenschnittstelle müssen und wollen die Banken aber behalten." Hier landet man schnell bei der Vertrauensfrage und – daran anknüpfend – bei der Frage nach Regulierung und Rahmenbedingungen für neue und alte Finanzdienstleister. Ist die bestehende Regulierung noch zeitgemäss? Ist sie anwendbar auf die neuen Geschäftsmodelle und Prozesse, die ein digitales Banking mit sich bringt? Das müsste geprüft und gegebenenfalls angepasst werden, wie Sutter sagt. "Der Bankiervereinigung geht es nicht darum, die traditionellen Institute durch mehr Regulierung vor der Konkurrenz der Fintech-Unternehmen abzuschotten." Er fordert gleich lange Spiesse für alle Akteure und ein stärkeres Commitment der Politik in Bern für Fintech und Digital Banking in und aus der Schweiz.

Potenzial des Fintech-Standorts Schweiz

"Letztlich wird es zwei Sorten von Fintech-Unternehmen geben", glaubt Iten. Solche, die nah am Kunden sind und dementsprechend eine optimale Front-End-Experience bieten können. Und solche, die für die vertrauensvolle Abwicklung von Transaktionen und anderen Backoffice-­Prozessen sorgen. Hier ist Six mit ihrer stabilen Finanzmarktinfrastruktur besonders gut positioniert.

Stabilität und Sicherheit sind zwei Standortvorteile, die die Schweiz auch im internationalen Wettbewerb in die Waagschale werfen muss. Denn im Vergleich zu London, Singapur oder New York, die massiv in die Start-up-­Förderung und ihre Positionierung im Bereich Fintech investieren, fehlt es dem Fintech-Standort Schweiz noch an Profil und internationaler Strahlkraft. Und so eröffnete denn auch die UBS im Sommer ihr Blockchain-­Labor nicht in Zürich, sondern im angesagten Londoner Fintech-Inkubator Level39. "Als globale Grossbank können wir natürlich dorthin gehen, wo Innovation stattfindet. London hat sich bei diesem Thema aufgrund eines bereits bestehenden inhaltlichen Clusters und der Nähe zu zahlreichen im Investment-Banking angesiedelten Use-Cases angeboten", sagt Andreas Kubli, Leiter Multikanal Management und Digitalisierung bei der UBS. "Wir sind aber in der Schweiz verankert und an einem starken Fintech-Ökosystem in unserem Heimmarkt interessiert. Aus diesem Grund arbeiten wir mit verschiedensten Partnern und Initiativen intensiv zusammen, um die Schweiz als Fintech-Standort weiter zu etablieren."

UBS, Credit Suisse, Swisscom, Six – alle "Grossen" in der Fintech-Szene engagieren sich mittlerweile in verschiedenen Initiativen und Netzwerken oder mit spe­ziellen Accelerator-Programmen für die Start-up-Förderung und das Fintech-Ökosystem in der Schweiz. Der Aktionismus ist hoch, doch noch fehlt es an Koordina­tion und einer klaren Ausrichtung. "Die Schweiz muss erkennen, welche Themen wichtig sind, und welche sie aufgrund ihrer klassischen Stärken besetzen kann", sagt der Verleger Borini. Dazu gehörten etwa das ­Wealth und Asset Management, das Thema Blockchain und Crypto Currencies (Stabilität! Glaubwürdigkeit!) sowie das vorhandene Know-how im Bereich Sicherheit und Big Data – man denke etwa an das Cern, die ETH oder auch Google mit seinem Headquarter in Zürich.

Wenn es der Schweiz gelingt, das eigene Fintech-Profil basierend auf diesen Stärken zu schärfen, wird der ­Finanzplatz auch zukünftig weltweit konkurrenzfähig sein.

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