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"Das Potenzial der Digitalisierung ist noch lange nicht ausgeschöpft"

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von George Sarpong

Die SBB müssen Millionen sparen und dennoch die Weichen für die Zukunft stellen. Und diese ist digital. Deshalb setzt das Unternehmen auf die Transformation seiner Arbeitsprozesse. Peter Kummer, CIO bei den SBB, erklärt, welche Probleme die Digitalisierung lösen kann und wie der strategische Fahrplan des Unternehmens für 2016 aussieht.

Peter Kummer, CIO, SBB. (Quelle: SBB)
Peter Kummer, CIO, SBB. (Quelle: SBB)

Im November 2015 haben die SBB ein Sparprogramm über 550 Millionen Franken angekündigt. Inwieweit kann Ihnen die Digitalisierung beim Sparen helfen?

Peter Kummer: Die Digitalisierung ist ein wichtiger Hebel, um die Gesamtsystemkosten bei den SBB zu senken. Mit unseren breit angelegten Digitalisierungsprojekten wollen wir unter anderem interne Prozesse optimieren, die Effizienz in der Zusammenarbeit steigern und das Kapazitätsmanagement im Schienenverkehr verbessern. Ein Beispiel aus dem Bereich Predictive Maintenance: Indem wir die Wartung eines Verschleissteils im Rollmaterial oder in der Infrastruktur einleiten können, bevor das Teil wirklich defekt ist, sparen wir viel Zeit und Geld. Big-Data-Analysen und vernetzte Sensorik sind die Basis dazu. Auch im Kapazitätsmanagement können wir dank Digitalisierung sparen: Denn um die Kapazität im Schienennetz weiter zu steigern, ist es immer günstiger, dies mittels innovativer Technologie, statt mit teurem Infrastrukturausbau zu tun.

Die SBB sind, was die Struktur angeht, hardware-lastig. Wie digital können die Arbeitsprozesse bei den SBB überhaupt werden?

Naturgemäss ist die Eisenbahn hardware-lastig. Die Informatik spielt aber auch im Bahnbetrieb eine immer wichtigere Rolle: Ohne IT würde heute alles stillstehen. Die ganze Disposition, also die Zugsteuerung sowie die Sicherheitssysteme oder das Kapazitätsmanagement, basiert auf Software. Die Schweiz hat weltweit das am dichtesten befahrene Schienennetz. Das ist nur möglich, weil ein IT-System auf der Basis von Big-Data-Analysen den Zugverkehr permanent optimiert. Durch das System fliessen pro Sekunde 10 000 Statusmeldungen und Informationen aus Zügen und dem schweizweiten Streckennetz. Auf der Basis dieser Informationen werden alle drei Sekunden Prognosen berechnet, um die Züge optimal zu steuern.

Wie sieht es auf der Kundenseite aus?

Digitale Technologien werden auch bei der Kundeninformation immer wichtiger. Unsere Kunden wollen jederzeit und überall die relevanten Informationen zu ihrer individuellen Reiseroute abrufen können oder in Störungsfällen rasch informiert werden. Mit der neuen SBB-App wollen wir diesen Bedürfnissen möglichst gut entgegenkommen. Digitale Prozesse spielen letztlich auch in unserer Zusammenarbeit eine wichtige Rolle. Die SBB rüsten ihre Mitarbeitenden mit einem elektronischen Arbeitsplatz aus, der modernsten Anforderungen genügt.

Welche Prozesse sind bei den SBB bereits digitalisiert?

Bei den SBB sind bereits viele zentrale Prozesse digitalisiert. Seit wir den digitalen Graben im Unternehmen geschlossen und alle Mitarbeitenden mit Smartphones oder Tablets ausgerüstet haben, können wir nun auch ganz lokale Businessprozesse digitalisieren. Bei Railclean etwa wird die gesamte Einsatzplanung per App gesteuert. Früher basierte diese Arbeit auf Fax-Nachrichten und war sehr viel umständlicher. Doch den eigentlichen Prozess des Saubermachens können wir leider nicht digitalisieren, gewisse Prozesse bleiben wohl für immer analog.

Wo gibt es noch Baustellen?

Es gibt noch einige Baustellen. Die Digitalisierung ist voll im Fluss und das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. 2015 haben wir die Ziele der digitalen Transformation definiert. Diese gilt es nun systematisch voranzutreiben und den Fortschritt transparent zu machen. Es handelt sich dabei um einen konzernweiten Veränderungsprozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist.

Bei den SBB gelten standardisierte Prozesse für die Bewilligung und Finanzierung von Projekten. Die Digitalisierung erfordert rasche Entscheide und immer neue Strategien. Wie wollen die SBB mit der stärker werdenden Digitalisierungswelle Schritt halten?

Das ist eines unserer Handlungsfelder im Kontext der digitalen Transformation. Wir müssen lernen, mit dem Spannungsfeld Stabilität versus Agilität umzugehen. Als komplexes Unternehmen, das von einer Kultur der Verlässlichkeit und Sicherheit geprägt ist, müssen wir je länger desto mehr auch Unsicherheiten zulassen, Fehler akzeptieren und fähig sein, rasch zu reagieren. Natürlich werden wir in sicherheitsrelevanten Fragen weiterhin keine Kompromisse machen. Aber dieser Trade-off stellt für uns schon eine grosse Herausforderung dar. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir auch diesen Change erfolgreich meistern, etwa indem wir lernen, vermehrt in unterschiedlichen Modi zu arbeiten. "Organization of various Speeds" ist das Stichwort dazu.

Die SBB sind mit dem Digital Transformation Award der Uni St. Gallen und Best of Swiss Web ausgezeichnet worden. Was ­bedeutet Ihnen dieser Preis?

Wir waren, ganz ehrlich gesagt, etwas überrascht, als wir diesen Award gewonnen haben. Obwohl wir digitale Lösungen schon in den verschiedensten Bereichen implementierten, hatten wir noch kein übergreifendes Konzept. Das ist mittlerweile anders. Wir nutzten den Schub, der mit dem Award einherging, um die digitale Transforma­tion in der Konzernstrategie zu verankern und konkrete Handlungsfelder zu definieren. Diese werden nun zentral orchestriert und von einem übergreifenden Programm gesteuert.

Weshalb haben Sie sich für den Award beworben?

Auch wenn wir noch kein ganzheitliches Konzept hatten, manche digitale Lösung konnten wir dennoch vorweisen. Wir wollten die Gelegenheit nutzen, diese Leistungen transparent zu machen und zu sehen, wo wir im Vergleich stehen.

Ist nun das Ende der Digitalisierung erreicht, oder stehen die SBB erst am Anfang?

Wir stehen zwar immer noch am Anfang, sind aber auch schon ein gutes Stück vorangekommen. Dieses Jahr werden wir mit dem konzernübergreifenden Topprogramm die digitale Transformation weiter vorantreiben. Das heisst, wir schaffen ein gemeinsames Verständnis, legen die Basis, um unsere Innovationskraft langfristig zu stärken und orchestrieren insgesamt über zehn konkrete Handlungsfelder, die in verschiedenen Divisionen des Konzerns beheimatet sind. Mit einem eigens entwickelten Reifegradmodell machen wir zudem den Fortschritt transparent. Ende 2016 sehen wir dann, welche Handlungsfelder wir vertiefen oder welche wir neu aufnehmen wollen. Wir sind überzeugt, dass die Digitalisierung der Schlüssel ist zur Mobilität der Zukunft.

Wie muss man sich die SBB in fünf bis zehn Jahren vorstellen?

Wir bleiben weiterhin eine Eisenbahn. Unser Kerngeschäft ist es, Menschen und Güter zu transportieren. Weil wir aber davon ausgehen, dass sich die Mobilität in Zukunft stark verändern wird, stellen wir die Weichen bereits heute. Wir gehen etwa davon aus, dass neue Marktteilnehmer den öffentlichen Verkehr in der Schweiz aufmischen werden: Eine Zukunftsvision mit autonomen Fahrzeugen, die über das Internet miteinander vernetzt sind und sowohl untereinander als auch mit Menschen kommunizieren, ist gar nicht so weit hergeholt. Die SBB wollen in dieser Zukunft weiterhin ein wichtiger Player sein. Unsere Rolle sehen wir künftig als Mobilitätsintegrator, der etwa einen einfachen, persönlichen Tür-zu-Tür-Service anbietet und dabei alle möglichen Verkehrsträger sinnvoll kombiniert.

Welche IT-Projekte stehen dieses Jahr zuoberst auf Ihrer Agenda?

Das sind ein paar. Im Juni eröffnen wir den Gotthardtunnel, das ist sicher eines der bedeutendsten Projekte, auch für die IT. Die Einführung der neuen Generation zentraler ÖV-Preis- und Vertriebssysteme wird uns auch weiterhin stark beanspruchen. Schliesslich wollen wir konkrete Verbesserungen in der Kundeninformation umsetzen. Das sind nur einige der Projekte, die uns 2016 beschäftigen. All die verschiedenen digitalen Vorhaben zu orchestrieren, ist an sich eine grosse Herausforderung. Ich bin gespannt, welchen digitalen Reifegrad wir bis Ende dieses Jahres erreichen werden.

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