Interview

"Unsere Big-Data-Projekte befinden sich im Anfangsstadium"

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Die Fluggesellschaft Swiss befördert jährlich rund 16 Millionen Passagiere. Die IT-Abteilung verwaltet die Kundendaten der ­Airline über ein internes Data Warehouse. Wie Swiss zu Big-Data-Projekten mit Kundendaten steht und weshalb Social Media für die Airline einen höheren Stellenwert hat als für andere Unternehmen, erklärt Lukas Wirth, IT-Leiter bei Swiss.

Source: Netzmedien
Source: Netzmedien

Sie sind seit mehreren Jahren in der Luftfahrtbranche tätig und seit 2013 Leiter der IT bei Swiss. Wie hat sich die Funktion des IT-Leiters in dieser Branche in den letzten Jahren verändert?

Lukas Wirth: In den letzten zehn Jahren hat sich die Fertigungstiefe von Eigenentwicklungen markant verringert. Zu Swissair-Zeiten, vor dem Jahr 2000, bestand ein Airline-IT-Portfolio mehrheitlich aus Eigenentwicklungen. Das hat sich grundlegend verändert. Anbieter mit komplexen Airline-Lösungen haben sich auf dem Markt durchgesetzt. Wir als IT-Abteilung von Swiss können somit einen anderen Fokus setzen. So ist es etwa sehr wichtig, dass unsere kompletten Kundendaten über ein zentrales, internes Data Warehouse verwaltet werden.

Was entwickeln Sie noch intern?

Unser Fokus liegt auf der IT-Integration (SOA-/Serviceplattformen), auf Data Warehousing sowie Kundenschnittstellen wie etwa Swiss.com. Unser Portfolio umfasst knapp 200 Businesslösungen, die meisten Lösungen sind eingekaufte IT-Produkte. Es gilt entsprechend, die Flexibilität hoch zu halten, wenn wir Lösungen ersetzen oder anpassen müssen.

Was haben Sie alles ausgelagert?

Wir haben den Betrieb des Rechenzentrums ausgelagert und seit sieben Jahren auch die Verwaltung des elektronischen Arbeitsplatzes für die Mitarbeiter. Laptop, Desktop und der entsprechende First Level Support wird also nicht von Swiss bereitgestellt. Wir betreuen ausschliesslich die Kernprozesse und -applikationen.

Wie ist die IT innerhalb der Hub-Airlines der Lufthansa-Gruppe organisiert?

Wir haben uns schon immer angeschaut, was Austrian Airlines oder Lufthansa machen. Jetzt orchestrieren wir das IT-Portfolio bewusster. Wir haben gruppenübergreifende IT-Projekte, da wir es uns nicht leisten können, gewisse Projekte mehrfach voranzutreiben. Es gilt, durch Synergien kontinuierlich Prozesse und Kosten weiter zu optimieren.

Welcher Stellenwert hat die IT bei Swiss?

Die IT ist bei Swiss sehr wichtig. Die Ansprüche an die IT bezüglich Automatisierung und Verfügbarkeit waren schon immer gross. Heute checken die meisten Passagiere am Computer, per App oder am Automaten am Flughafen ein. Deshalb sind natürlich die Auswirkungen gross, sollte etwa das Web-Check-in nicht funktionieren, gerade am Flughafen Zürich. Eine reibungslos funktionierende IT ist für das Kundenerlebnis sehr wichtig.

Suchen Sie Lösungen von Anbietern im Ausland?

Die Mehrheit der Anbieter von IT-Lösungen für die Luftfahrtbranche kommt nicht aus der Schweiz. Dies liegt ­unter anderem an den vertikalen Branchenlösungen. Beim Ticketing haben sich wenige grosse Anbieter durchgesetzt, die einen sehr grossen Marktanteil haben. Das Angebot an Airline-Businesslösungen ist in vielen Fällen überschaubar.

Wie sehen Sie die IT-Abteilung von Swiss im Vergleich zu anderen Airlines?

Unsere IT-Abteilung ist mit rund 110 Mitarbeitern eher klein. Swiss trennte sich schon vor Jahren von allem, was nicht wirklich notwendig war, und kaufte IT-Lösungen ein. Heute geht der Trend ohnehin Richtung Software als Service. Zudem haben wir kein Rechenzentrum. Deswegen können wir die IT-Abteilung in Bezug auf die Anzahl Mitarbeiter und die Personalkosten relativ schlank führen. Dies ist auch notwendig, da wir es mit dem Standort Zürich bezüglich der Lohnkosten nicht einfach haben.

Würden Sie die IT bei Swiss deshalb schon als moderner betrachten als IT-Abteilungen anderer Airlines?

Ja. Wir betreiben ein heterogenes Portfolio mit vielen hochverfügbaren Systemen. Branchenzahlen zu IT-Ausgaben und Ertrag führen Swiss im vorderen Drittel auf und untermauern dies.

Swiss hat Anfang dieses Jahres das zentrale Passagierbuchungs- und -abfertigungssystem umgestellt. Wie ist die PSS-Migration verlaufen?

Wir stellten die Reservierung und das Ticketing per Ende Januar um, das Check-in folgte im Juni. Für uns war die Umstellung ein grosser Erfolg. Man muss sich die Migration eines PSS-Systems als Operation am offenen Herzen vorstellen. Die Auswirkung auf die gesamte Systemlandschaft ist enorm, es waren weit über hundert Interfaces in operationskritische Systeme involviert. Unser Ziel war es, dass Ende Januar niemand etwas von der Umstellung merken sollte. Da das neue System jedoch in gewissen Abläufen nicht gleich funktioniert wie das vorherige, gab es natürlich Themen, welche die Kunden teilweise spürten.

Welche zum Beispiel?

Bei einer One-Time-Migration überführt man alle Buchungen auf das neue System. Bei Swiss waren das zirka 1,2 Millionen gebuchte Passagiere. Da kommt es unweigerlich zu Fehlern. Für mich waren diese Fehler in Anbetracht der Komplexität und des Umfangs der Umstellung zu erwarten. Nach einer solchen Migration ist man noch während etwa eines Jahres mit den Auswirkungen beschäftigt. Bis Ende des Jahres wird das PSS-Programm wie geplant abgeschlossen sein.

Werden Sie noch weitere Systeme von der Lufthansa übernehmen?

Wir bündeln unsere Kräfte innerhalb der Hub-Airlines bei bestimmten Themen wie etwa der Website oder der Digitalisierung. Es gibt IT-Systeme, bei denen es nur einen geringen Unterschied macht, ob man dieses oder jenes System nutzt. Unser Crew-Planungssystem etwa ist mit Schweizer Verträgen, Gesetzen und Regelungen abgestimmt. Hier ist es nicht möglich, ein System von Lufthansa oder Austrian Airlines zu übernehmen.

Was macht Swiss, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten?

Bei Swiss laufen zahlreiche Digitalisierungsprojekte. Auf den Flypads von Swiss-Mitarbeitern an Bord etwa werden laufend neue Funktionen ausgerollt. Beispielsweise können künftig Piloten über das «E-Knowledge-Tool» Unterlagen eines Flugzeugtyps oder andere Dokumentationsthemen abrufen. Ausserdem sind wir seit diesem Jahr auf den neuesten Flugzeugen mit dem hochmodernen «Electronic Logbook» ausgestattet. Flugbegleiter und Piloten erfassen ihre Berichte digital, diese werden direkt an die entsprechenden Stellen und Systeme übermittelt.

Sie arbeiten bei Swiss mit sehr vielen Daten. Welche Big-Data-Projekte führen Sie durch?

Im Kundenbereich gehen wir innerhalb der Lufthansa-Gruppe Themen mit vereinten Kräften an. Diese befinden sich jedoch noch im Anfangsstadium.

Sie fangen erst jetzt mit Big-Data-Projekten an, sehen Sie das Thema denn als Hype?

Nein, überhaupt nicht. Hier gibt es eine interessante Entwicklung. Auf Social-Media-Plattformen stört es die wenigsten User, dass die Provider über ihre Vorlieben Bescheid wissen. Wenn wir dasselbe mit unseren Passagierdaten machen würden, dann hätten die meisten Kunden, und auch ich, wohl eine andere Meinung dazu. Bei unserem Vielfliegerprogramm «Miles and More» etwa müssen wir uns fragen, was wir mit den Passagierdaten machen können und dürfen. Kein einfaches Thema.

Welche Rolle spielt Social Media für die IT-Abteilung von Swiss?

Nach aussen ist Social Media beim Marketing angesiedelt. Wir haben rund 800 000 Follower und täglich 1000 Dialoge. Bei Swiss sind zwei Marketingmitarbeiter für die Orchestrierung zuständig. Ausser für den Kundenservice nutzen wir Social Media auch für den Verkauf.

Und nach innen?

Intern bieten wir unseren Mitarbeitern seit eineinhalb Jahren die «My Swiss Platform». Es handelt sich um eine unternehmensweite Informations- und Interaktionsplattform mit App-Funktion. Sie ermöglicht es den Mitarbeitern, unternehmensweite Informationen zu jedem Zeitpunkt und überall zu erhalten, beziehungsweise abzurufen.

Hat Social Media für eine Firma wie Swiss einen höheren Stellenwert als für andere Unternehmen?

Ja. Man muss sich als Unternehmen fragen, was der Verwendungszweck hinter einer Social-Media-Plattform ist. Soll es ein Unterhaltungs-, ein Verkaufs- oder ein Servicekanal sein? Die Luftfahrtindustrie wird anders wahrgenommen als andere Industrien, da fast jeder fliegt. Deshalb müssen wir Social Media entsprechend gewichten.

Airlines wie KLM und Icelandair haben seit diesem Jahr einen in Facebook Messenger eingebundenen Chatbot. Sind Bots auch bei Swiss ein Thema?

Bei der Lufthansa-Gruppe setzt sich einerseits ein Innovation Lab mit neuen Trends auseinander, andererseits machen wir auch innerhalb der Swiss-IT entsprechende applikatorische Prototypen. Welche Richtungen wir als Airline final verfolgen, entscheiden wir zusammen mit dem Marketing anhand der Produkt-Roadmap.

Was bereitet Ihnen als IT-Leiter einer Airline Sorgen?

Swiss hat in den letzten Jahren sehr gute Geschäftsergebnisse erzielt. Das Kapazitätswachstum nimmt aber nicht ab. Dies führt zu Überkapazitäten und somit auch zum Preiszerfall, der in den letzten zwei Jahren besonders ausgeprägt war. Für uns bedeutet das weniger Spielraum. Auch, um etwa Innovationen voranzutreiben. Deswegen ist es unabdingbar, dass wir im Konzern, wo immer möglich, Synergien schaffen.

Inwieweit hilft die IT hier, um kosteneffizienter zu werden?

Gegenfrage: Wie viel Kontakt haben Sie noch mit einem Swiss-Mitarbeiter von der Buchung bis zur Landung an der Zieldestination? Die meisten Passagiere beantworten diese Frage mit «wenig bis gar keinen». Automatisierung war in der Luftfahrtindustrie immer der Schlüssel zur Kosteneffizienz.

Welche Projekte stehen bei Ihnen in den nächsten Monaten auf der Agenda?

Wir haben zirka 50 bis 100 IT-Projekte pro Jahr. Ein Hauptfokus liegt auf der Abstimmung über die digitalen Innovationsprojekte innerhalb von Swiss, gemeinsam mit der Lufthansa-Gruppe.

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