Müllers kleines ABC

W wie Wortlänge

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Theorie: Die durchschnittliche Länge der Wörter entscheidet mit, ob ein Text leicht lesbar und damit verständlich ist. Konkret: Kurze Wörter werden besser verstanden als lange – lehrt uns die Forschung.

Realität: Dummerweise kollidiert das mit einer grossen Errungenschaft unserer Sprache. Sie erlaubt es nämlich jedem und jeder, nach Belieben neue Wörter zu bauen, ganz einfach durch Aneinanderreihen von Begriffen. Verglichen mit dem Englischen oder dem Französischen ist das oft viel effizienter, weil wir beispielsweise bloss zum «Arzttermin» müssen statt zum «doctor's appointment» oder gar zum «rendez-vous chez le médecin». Die Nebenwirkung: Wer nicht aufpasst, schafft dabei rasch schwer verdauliche Wortmonster, so in der Art des Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetzes. Nicht lachen, das gab es in Mecklenburg-Vorpommern zwischen 1999 bis 2013 tatsächlich!

Lassen sich solche Wörter schon auf Papier kaum lesen, ohne zu ­stolpern, werden sie elektronisch dargereicht zu schier unüberwindbaren Hürden. Eye-Tracking-Tests zeigen, dass lange Wörter oft ­mehrfach gelesen werden müssen, um sie nur schon visuell zu erfassen. Das ist besonders im Web fatal, weil Menschen vor Bildschirmen bekanntlich rasch frustriert sind. Verstehen sie etwas im ersten ­Anlauf nicht, finden sie gleich die ganze Site lausig und ziehen ruckzuck weiter.

Fazit: Wer also am Bildschirm verstanden werden will, tut gut daran, lange Wörter zu vermeiden. Dabei kann es helfen, die Texte interessierten Laien vorzulegen mit der Bitte, jedes Wort zu markieren, bei dem sie hängengeblieben sind. Zu lange Zeichenketten lassen sich bei Bedarf einfach wieder in ihre einzelnen Bestandteile zerschlagen. Dann wird aus der Lebenszeichenüberwachungstechnologie wieder eine Technik zum Überwachen von Lebenszeichen. Das braucht zwar insgesamt mehr Zeichen, ist aber verständlicher, weil gegliedert.

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