Führungsmodelle

Der Charme eines Start-ups

Uhr | Aktualisiert
von Miriam Kalunder

Im dritten Teil unserer Serie über Führungsmodelle stellen wir Netcetera vor. Das Softwarehaus mit Sitz in Zürich pflegt eine Kultur des persönlichen Austauschs und des Vertrauens, die mit Erfolg auch ins Ausland exportiert wird.

Simsa-Präsident Andrej Vckovski
Simsa-Präsident Andrej Vckovski

Seit der Gründung 1996 ist das Softwarehaus Netcetera kräftig gewachsen. Heute hat die Holdinggesellschaft rund 300 Mitarbeiter und zwei Tochterfirmen. Trotz des starken Wachstums in den vergangenen Jahren legt das Unternehmen grossen Wert auf die Firmenkultur. "Wir wollen den Charme eines jungen, dynamischen und unkomplizierten Start-ups erhalten", sagt CEO Andrej Vckovski.

Eine Massnahme in diesem Sinne war das im Jahr 2000 ins Leben gerufene Beteiligungsprogramm. Rund die Hälfte des Firmenkapitals wurde damals für Mitarbeiterbeteiligungen zur Verfügung gestellt. Das hat dazu geführt, dass heute rund 120 aktuelle und ehemalige Mitarbeiter Aktien besitzen. Da sie finanziell beteiligt sind, haben sie einen Anspruch auf Informationen über das Unternehmen. Vckovski betont, dass nicht ein möglicher finanzieller Gewinn die primäre Absicht des Programms war. Vielmehr will man damit das Mitdenken der Mitarbeiter fördern und sie stärker involvieren. Gute Leute zu haben und attraktive Projekte realisieren zu können sei das Lebenselixier einer Softwarefirma. "Wir haben uns in den vergangenen Jahren einen Namen machen können und bekommen immer häufiger interessante Projekte", sagt Vckovski.

Flexible Arbeitsgestaltung

Eine weitere Voraussetzung, um die Start-up-Kultur zu erhalten, ist die Organisation. Netcetera arbeitet mit dem Poolmodell. Fixe Teams existieren nur für die administrativen und arbeitsorganisatorischen Bereiche. Die Projektteams werden dagegen bei jedem Projekt neu zusammengesetzt. Das generiere zwar einen gewissen Mehraufwand beim Allozieren der Leute, aber es fördere die Flexibilität, erläutert Vckovski. Diese sei notwendig, denn Projekte seien nicht immer bis ins Detail planbar. Die administrativen Teams bestehen in der Regel aus fünf Mitarbeitern und einem Teamleiter. Dieser ist Ansprechperson und Vermittler in einem. Die Teamleiter besitzen langjährige Führungserfahrung und sind beispielsweise für Weiterbildungen der Mitarbeiter verantwortlich.

Für mehr Flexibilität sorgt auch die Möglichkeit der individuellen Arbeitsgestaltung. "Grundsätzlich gilt bei uns die Jahresarbeitszeit", sagt Vckovski. Es sei nicht in jedem Fall zentral, wo und wann die Arbeit gemacht werde. An den Firmenstandorten setzt Netcetera auf einen Mix an fixen Arbeitsplätzen und Shared Desks. Laut Vckovski nutzt die Hälfte aller Mitarbeiter regelmässig die Möglichkeit von Homeoffice. Diese Option erschwere zwar die Kapazitätsplanung für die Infrastruktur, doch die Vorteile überwiegten. "Es ist ein weiterer Weg im Bestreben, alle Hürden abzubauen, die jemanden daran hindern, effizient zu sein", so Vckovski. Videokonferenzen ermöglichen dabei den Teammitgliedern einen regelmässigen Austausch. Da viele Teams international zusammengesetzt seien, geschieht der Austausch sowieso sehr oft mittels elektronischer Kanäle, ergänzt Vckovski.

Vertrauen bildet die Basis

Nebst der virtuellen Kommunikation legt das Unternehmen auch Wert auf den persönlichen Austausch vor Ort. Das fördere das gegenseitige Vertrauen. Deshalb treffen sich jede zweite Woche mehr als 100 Mitarbeiter im "Cafe Boy" in Zürich, um teaminterne Themen zu besprechen, abgeschlossene oder neue Projekte vorzustellen sowie die Geschäftsergebnisse zu diskutieren. Das Lokal dient auch als Kantine und Ort der Begegnung für den informellen Austausch. Fragen der Unternehmenskultur haben auch bei der Wahl des internationalen Standorts Skopje in Mazedonien eine Rolle gespielt. Das Unternehmen hat sich laut Vckovski bewusst dazu entschlossen, den Standort von Grund auf mit eigenen Leuten aufzubauen und nicht bestehende Teams und Strukturen zu übernehmen. "Wir müssen volles Vertrauen haben, dass unsere Kollegen in Mazedonien ihre Sache genauso gut machen wie wir. Und das haben wir", erklärt er. Heute beschäftigt Netcetera am Produktionsstandort Skopje mehr als ein Drittel aller Mitarbeiter. Unterdessen machen Schlüsselpersonen und -kompetenzen den Standort unentbehrlich.

Kurzinterview

Simon Grand von Rise Management Research an der Universität St. Gallen HSG hat Netcetera vor einiger Zeit in einem Forschungsprojekt begleitet. Er hat schriftlich drei Fragen zum Thema Führungsmodelle beantwortet.

Was für Vorteile gibt es Ihrer Meinung nach bei diesem Führungsmodell?

Ein dynamisches Softwareunternehmen wie Netcetera muss sich ständig auf neue Aufgaben, Opportunitäten und Herausforderungen einstellen können. Die Entwicklung des Unternehmens als Ganzes und die Arbeit an einzelnen Projekten und Initiativen müssen beweglich aufeinander abgestimmt sein. Das Führungsmodell von Netcetera verbindet durch die Kombination einer Reihe von Mechanismen und Prozessen die Agilität und Eigenverantwortung der Mitarbeitenden mit einem Blick für die Entwicklung des Gesamtunternehmens.

Was sind die Herausforderungen?

Die unternehmerische Beweglichkeit und die Attraktivität für die Mitarbeitenden entstehen durch das Zusammenspiel mehrerer Ebenen: Beteiligungsmöglichkeiten, grosse Flexibilität in der individuellen Arbeitsgestaltung, kontinuierliche Kommunikation über die Entwicklung, laufend neue und spannende Projekte und Aufgaben, coole Initiativen, regelmässige Auseinandersetzung mit der Strategie des Unternehmens und Mitverantwortung. Nicht das einzelne Instrument, sondern die Verknüpfung der Instrumente führt dazu, dass sich eine attraktive unternehmerische Kultur entwickeln kann.

In welchen Unternehmen ist so ein Führungsmodell überhaupt anwendbar?

Ein attraktives Führungsmodell muss richtig durchdacht und zugleich konkret gelebt werden. Das wird nur durch das tägliche Machen und eine kontinuierliche Reflexion und Diskussion der Entwicklungsdynamik möglich. Und es entsteht nur, wenn sich die Entscheidungsträger in die Umsetzung, Diskussion und Weiterentwicklung des Modells laufend einbringen.