Quereinsteiger gegen den Fachkräftemangel?

"Ein Quereinsteiger kann oft besser auf eine Stelle 'geformt' werden"

Uhr | Aktualisiert
von Miriam Kalunder

Beat Mühlemann, Gründer und Inhaber der Mühlemann IT-Personal AG, kennt sich mit Quereinsteigern aus. Er ist selbst einer und arbeitet seit 1986 in der IT-Branche, seit 1998 als IT-Personalberater im Grossraum Bern. Die Netzwoche hat ihn zu einem Interview getroffen.

Der heutige IT-Personalberater Beat Mühlemann war Mitte der 1980er-Jahre selbst ein Quereinsteiger in die IT.
Der heutige IT-Personalberater Beat Mühlemann war Mitte der 1980er-Jahre selbst ein Quereinsteiger in die IT.

Herr Mühlemann, Sie sind IT-Personalberater. Wie oft begegnen Sie bei Ihrer Arbeit Quereinsteigern?

Die Zahlen nehmen ganz klar ab. Ab Mitte der 80er-Jahre und vor allem kurz vor dem Milleniumswechsel bis etwa Mitte 2001 gab es viele Quereinsteiger. Dies insbesondere auch deshalb, weil es vor 1997 noch keine –und bis 2001 viel zu wenige – Informatiklehrabgänger gab. Zudem sind die Anforderungen an IT-Spezialisten im letzten Jahrzehnt weiter gestiegen. Unternehmen fordern heute explizit einen Abschluss einer höheren Fachschule, einer Fachhochschule oder Universität. Bei jungen Informatikern muss es mindestens ein Informatik-Lehrabschluss sein, möglichst mit Zusatzausbildungen.

Demnach ist die IT-Branche immer weniger für Quereinsteiger geeignet?

In jenen Bereichen, in denen die IT punktuell ein spezialisiertes Branchenwissen voraussetzt, das wenig verbreitet ist, sind Quereinsteiger durchaus immer noch erwünscht. Dies ist beispielsweise im E-Health, in der IT-Validierung und im Qualitätsmanagement möglich. Über die Branche hinweg gesehen ist es aber sicher für Quereinsteiger schwieriger geworden. Das gilt insbesondere für Systemspezialisten, Netzwerk-Engineers und Softwareentwickler.

Welche Ausbildungswege bieten sich für IT-Quereinsteiger heute an? Was kommt am häufigsten vor?

In den meisten Fällen haben Quereinsteiger keinen Ausbildungshintergrund, mit dem sie direkt an die FH gehen könnten. In der Regel besuchen sie dann zuerst einzelne Weiterbildungskurse, die sie berufsbegleitend absolvieren. Die bessere Variante ist allerdings, dass sie eine nebenberufliche Ausbildung auf HF-Stufe machen. Denn auf diesem Niveau hat man durchaus gute Optionen, in der IT Fuss zu fassen und sich danach beruflich weiterzuentwickeln.

Wie offen sind Arbeitgeber gegenüber Quereinsteigern?

Es gibt für ein Unternehmen mehrere Faktoren, die in die Überlegungen mit einfliessen. Passt der Kandidat als Mensch zum Team und zur Firma? Bringt er das Fachwissen mit? Bringt er ein spezifisches Branchenwissen mit, mit dem er das Unternehmen ergänzen kann? Von diesen drei Faktoren müssen mindestens zwei Faktoren gegeben sein, damit eine Firma sich entschliesst, einem Kandidaten einen Quereinstieg zu ermöglichen. Heutige Quereinsteiger arbeiten aus Dankbarkeit, dass ihnen der Quereinstieg ermöglicht wurde, dann meistens recht lange im Unternehmen. Langfristig gesehen gibt das der Firma dann auch einen beachtlichen Return on Invest. Heute denken die meisten Unternehmen aber kurzfristig. Das heisst, sie möchten, dass der Mitarbeiter innerhalb kürzester Zeit produktiv arbeitet. Dies kann von einem Quereinsteiger natürlich nicht erwartet werden. Oft geht aber vergessen, dass die Suche nach einer Fachkraft für gewisse Positionen länger dauern kann als die Einarbeitung eines Quereinsteigers. Ausserdem kann ein Quereinsteiger oft noch besser auf eine Stelle «geformt» werden.

Meinen Sie, dass die zunehmende Komplexität der IT in der Zukunft den Quereinstieg eher verhindern wird?

Natürlich haben wir in der IT-Branche einen Fachkräftemangel. Trotzdem werden Unternehmen keine Kompromisse bei der Qualität ihrer Mitarbeiter eingehen. Darum wird die Zahl tendenziell eher abnehmen. Hoch spezialisierte, gut ausgebildete Quereinsteiger wie beispielsweise Physiker oder Fachkräfte in der Gesundheits- und Medizinalbranchewerden sicher weiterhin gute Chancen haben. Auch Lehrabgänger müssen sich im Klaren sein, dass je länger je mehr Spezialistenwissen gefragt sein wird. Es wird immer wichtiger, dass sich alle IT-Fachkräfte up-to-date halten, Weiterbildungen besuchen und so wichtige Voraussetzungen für die Herausforderungen der Zukunft schaffen.

Wo sehen Sie allgemein noch Verbesserungspotenzial bei der Rekrutierung von IT-Fachkräften?

Ich sehe bei den über 50-Jährigen ein grosses Potenzial. Sie sind zwar unter Umständen etwas weniger leistungsfähig, bleiben einem Arbeitgeber aber durchaus noch 10 bis 15 Jahre erhalten und bringen viel Erfahrung mit. Allerdings braucht es meiner Meinung nach eine Reduktion der immens hohen Sozialabgaben für ältere Arbeitnehmer, die Unternehmen vor einer Anstellung leider oft abschreckt. Deshalb kann ich – trotz Fachkräftemangel – Informatiker über 50 gar nicht mehr vermitteln. Mit einer Reduktion der hohen Sozialkosten und einer besseren Verteilung der Sozialkosten auf alle Arbeitnehmer könnte die Politik diese Situation entschärfen. Gleichzeitig sollten ältere Arbeitnehmer ihre Lohnforderungen überdenken und sich auch mit etwas reduzierten Salären anfreunden können. Diese Massnahmen könnten sicher mithelfen, dass diese wichtige Gruppe auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen hat.