Der CIO von Postfinance im Interview

Lardelli: "Je standardisierter die IT, desto agiler das Unternehmen"

Uhr | Aktualisiert
von Thomas Brenzikofer

Wachstum verdauen und konsolidieren, so die Devise bei Postfinance. Doch Enrico Lardelli, Geschäftsleitungsmitglied und CIO, setzt auf Innovation und ein neues Zahlungssystem. Die Netzwoche wollte wissen, wie er das anpackt.

Herr Lardelli, Sie wechselten vor einem Jahr als CIO von einer Privatbank zur Postfinance – ein Kulturschock?

Was das reine IT-Handwerk anbelangt, gibt es eigentlich keinen Unterschied. Überall in der Banken-IT ist Stabilität und Sicherheit das oberste Gebot. Letzteres ist im Private Banking vielleicht etwas ausgeprägter. Der grösste Unterschied ist jedoch die Publizität. Sobald Postfinance einen Ausfall hat, und sei es auch nur für ein paar Minuten, ist es sofort in den Medien. Bei einer Privatbank ist das nicht der Fall.

Sie arbeiten also sehr viel enger mit der Presseabteilung zusammen?

Es ist tatsächlich sehr beeindruckend, wie man bei der Post mit derartigen Vorfällen umgeht. Im Nu kann auf einen erprobten Krisenstab zurückgegriffen werden. Das hatte ich so noch nie erlebt. Das grösste Aha-Erlebnis hatte ich am 2. Januar, als die Postomaten ausgestiegen waren. Morgens um halb 11 wurde ich benachrichtigt, und bereits um 11 Uhr kam es in den Nachrichten. Dabei war der Ausfall für unsere Kunden nicht wirklich problematisch. Man konnte ja jederzeit gleich um die Ecke mit der Postfinance-Card bei jedem Bankomaten Geld beziehen.

Sie sind nun seit knapp einem Jahr bei Postfinance. Welche Pflöcke haben Sie bereits eingeschlagen?

Grundsätzlich befinden wir uns im Übergang zu einer Konsolidierungsphase. Es gilt, das grosse Wachstum der vergangenen Jahre zu verdauen. Vor drei, vier Jahren hat man sich in der IT stark nach dem Business ausgerichtet. Dabei war man zwar im Sinne einer schnellen Reaktionszeit effizient, dies jedoch weniger, was die Kosten und Strukturen anbelangt. Vor allem im IT-Betrieb führte dieses Vorgehen zu vielen Doppelspurigkeiten. Deshalb werden wir in den nächsten Monaten versuchen, den Betriebsteil wieder zu zentralisieren.

Wird es dabei auch um eine Redimensionierung der IT-Organisation gehen und zu einem Stellenabbau kommen?

Wir meinen, dass wir heute über genügend Ressourcen verfügen, um unsere Aufgaben erfüllen zu können. Pro Jahr investieren wir rund 90 Millionen Franken in IT-Innovationen. Das ist überdurchschnittlich viel. Ich sehe meinen Auftrag darin, das Tempo bei den Innovationen beizubehalten, aber die Effizienz zu steigern. Dabei kann es in einigen Bereichen Redimensionierungen geben. Stellen werden jedoch keine abgebaut, wohl aber neu alloziert.

Warum sind Innovationen für Postfinance überhaupt so wichtig? Trägt eine iPhone-App einfach zum guten Image eines Service-Public-Betriebs bei oder verfolgt man damit auch konkrete Geschäftsziele?

Innovation einfach des Innovationswillens gibt es bei Postfinance nicht. Wir verfolgen eine klare Vision: Wir wollen den Kunden dazu befähigen, seine Geldgeschäfte selbst zu managen. Deshalb müssen wir den Kunden dort abholen, wo er ist und versuchen, die technischen Entwicklungen mit allen neuen Kanälen möglichst früh zu adaptieren. Postfinance war nicht umsonst das zweite Schweizer Finanzinstitut mit einer Onlineplattform. Und wir prüfen, ob sich iPads als Beratungstools eignen.

Kann man wirklich alles als Selfservice anbieten? Als User macht man immer wieder die Erfahrung, dass es per Telefon dann doch schneller geht. Wo liegt das Problem?

Die Informatik ist in den meisten Unternehmen historisch gewachsen und ihrer Struktur nach meist produktions- und eben nicht kundenorientiert ausgerichtet. Dies führt heute dazu, dass nicht alle Kundenkanäle in der IT-Unterstützung gleich weit entwickelt sind, was natürlich deren Integration erschwert. So betreiben wir zwar Online einen Hypothekenrechner, wenn aber der Kunde damit nicht mehr weiterkommt, ist es fast unmöglich, ihn automatisch an einen Berater weiterzuleiten. Und wenn er dann eine Filiale aufsucht, muss der Berater wieder bei Null anfangen, weil er nicht einsehen kann, was der Kunde online schon alles ausprobiert hat. All dies zusammenzubringen ist eine enorme Herausforderung, würde aber natürlich die Leistungserbringung eines Finanzdienstleisters auf ein völlig neues Niveau heben. So gesehen steckt in der Informatik hier noch viel Potenzial.

Im Sommer wurde die Einrichtung einer Art Post-Lab angekündigt, in dem sämtliche Innovationen im digitalen Bereich angesiedelt werden sollen. Inwiefern betrifft dies auch die IT von Postfinance?

Im Zentrum dieser Überlegungen steht die Substitution der traditionellen Kanäle durch die neuen digitalen Technologien. Davon ist das Kerngeschäft der Post in erheblichem Ausmass betroffen. Mit Angeboten wie der elektronischen Postbox, dem eingeschriebenen E-Mail-Dienst Incamail oder der SuisseID sind nun schon einige attraktive Produkte entstanden. Als Postfinance können wir diese Entwicklungen selbstverständlich aufnehmen und für unsere Angebote adaptieren. So werden wir die SuisseID als Basis für das Log-in zum E-Banking einsetzen.

Dies, obwohl die SuisseID bezüglich Sicherheit im Kreuzfeuer der Kritik stand?

Die SuisseID allein genügt für das E-Banking-Log-in nicht. Wir werden die SuisseID im Verbund mit einem gehärteten Browser auf einem USB-Stick ausliefern. Statt eines Kartenlesers bekommt der User dann ein Tool, das er auch für andere Anwendungen verwenden kann, für die es die SuisseID braucht.

Das heisst, Postfinance wird dafür sorgen, dass 1,1 Millionen Online-User mit einer SuisseID ausgestattet werden, und das erst noch gratis?

Über Preise und Konditionen haben wir uns noch nicht die notwendigen Überlegungen gemacht. Postfinance ist ein günstiges Finanzinstitut für die Kunden. Dessen sind wir uns bewusst und werden entsprechende Lösungen präsentieren.

Bedeutet die Gründung der Post-Labs aber nicht auch, dass die Postfinance-IT jetzt näher an die Post-IT heranrücken muss?

Nein, im Gegenteil, durch die Revision des Postgesetzes wird die Selbstständigkeit der beiden Entitäten grösser. Heute beziehen wir die IT für den Arbeitsplatz und das Netzwerk von der Post. Künftig wird es hierfür keine Bezugspflicht mehr geben. Das heisst, dieser Service wird in eine ganze normale Dienstleistung überführt werden, zu einem marktüblichem Service Level Agreement. Das ist auch für die Post ein Vorteil. So sind doch die Anforderungen an den Arbeitsplatz im Finanzsektor ganz andere als in der Logistik, vor allem was die Sicherheit anbelangt. Als Finanzinstitut müssen wir beispielsweise den Datenverkehr zwischen dem Client und dem Server verschlüsseln, für ein Logistikunternehmen wie die Post ist dies nicht notwendig und verteuert die Infrastruktur nur unnötig. Vor allem wenn man bedenkt, dass die Post 60000 und die Postfinance dagegen nur 4000 Mitarbeitende beschäftigt.

Das heisst, Sie könnten diesen Auftrag in ­Zukunft auch am Markt ausschreiben?

Ja, das könnten wir. Aber ich werde dies kaum in Erwägung ziehen. Denn der Dienst, den wir heute von der Post-IT beziehen, ist hervorragend.

Eingangs haben Sie erwähnt, dass man derzeit in eine Konsolidierungsphase eingetreten ist und sich die IT in der Vergangenheit zu stark nach dem Business ausgerichtet habe. Das überrascht, wo doch alle IT-/Business-Alignment predigen?

Gemäss Gartner sollen ja dereinst in 50 Prozent der Unternehmen die CIOs den CEO stellen ... Spass beiseite: Ich vertrete die Linie, dass Businessorientierung dort wichtig ist, wo die Geschäftsprozesse und die sie unterstützenden Applikationen im Zentrum stehen. Bei der Infrastruktur und im reinen IT-Betrieb ist dies hingegen überhaupt nicht wichtig. Hier sind Synergien und Kostenmanagement gefragt.

IT-Organisationen müssen heute einen Spagat machen zwischen Bereichen, die zur reinen Commodity geworden sind, und solchen, die als hyperstrategisch angesehen werden. Ist das nicht schizophren?

Schizophren sind wir IT-Manager schon länger. Tatsächlich geht es in vielen IT-Organisationen darum, Komplexität aus dem Betrieb herauszunehmen, um andererseits Platz zu schaffen für Innovationen. Auch wir bei Postfinance verfolgen diese Stossrichtung: Nächstes Jahr wollen wir die Industrialisierung vor allem in den Bereichen Betrieb und Entwicklung vorantreiben und gleichzeitig zusammen mit dem Business eruieren, wie man die IT-Ressourcen strategisch besser alloziert. Beides hängt bis zu einem gewissen Grad auch zusammen. Je standardisierter meine Entwicklungsabteilungen organisiert sind, umso einheitlicher ist auch das Skillset der IT-Mitarbeiter, was wiederum dazu führt, dass der Workforce sehr viel flexibler eingesetzt werden kann und somit die Agilität des Unternehmens und das Time-to-Market von Innovationen erhöht.

Wo kommen denn die Innovationen her, mehrheitlich aus dem Business oder aus der IT?

Die Projekte selbst werden hauptsächlich vom Business angestossen. Auch die Verantwortung trägt letztlich das Business. Als CIO muss ich darum sicherstellen, dass das Business jeweils einen dezidierten Ansprechpartner mitsamt Team für die Umsetzung erhält. Dazu gehört, dass sich die IT-Organisation deshalb jenen Strukturen des Business angleicht, sodass die Entscheidungswege möglichst kurz sind. Sonst funktioniert das nicht.

Sollte die IT nicht anstreben, mehr zu Innovationen beizutragen?

Das wäre absolut wünschenswert. IT-Kompetenz heisst heute immer weniger, zu wissen wie man Java programmiert, sondern zu wissen, in welchen Prozessen welche Art der IT-Unterstützung für das Unternehmen die grösste Wertschöpfung erbringen kann. Deshalb ist es heute für den CIO viel wichtiger, das Business zu verstehen, als die Technologien zu beherrschen. Für Letztere finden sich immer Spezialisten, die dies weit besser können. Meine These lautet: IT-Organisationen, die es schaffen, sich auf das Business zu fokussieren, werden erfolgreich sein, alle anderen hingegen werden überflüssig.

Normalerweise stellt das Business endlose Begehrlichkeiten an die IT. Wie schaffen Sie es, Gegenwehr zu leisten?

Am Ende des Tages ist es natürlich immer so, dass man mehr Ideen als Ressourcen hat. Lösen kann man dieses Problem nur mithilfe eines stringenten Portfoliomanagements, das nach dem Topdown-Prinzip funktioniert. Abgleitet von der Unternehmensstrategie haben wir bei Postfinance rund zwei Dutzend thematische Programme aufgestellt, dazu zählen etwa Online, Mobile, die Zukunft des Zahlungsverkehrs oder Archivierung. Die Mittel und Ressourcen werden dann je nach Gewichtung den einzelnen Projekten innerhalb dieser Programme zugeordnet.

Kann man denn überhaupt konzis ausweisen, welche Projekte wie viel bringen?

Viele IT-Organisationen sind, was die finanzielle Führung anbelangt, noch weitestgehend eine Blackbox. Das ist leider so. Aber das wird sich in den kommenden Jahren ändern. Die Grundsteine dafür wurden vielerorts bereits gelegt. Über die interne Leistungsverrechnung wissen wir heute ziemlich genau, was in der IT wie viel kostet. Wir können zum Beispiel auf den Rappen genau sagen, was es aus IT-Sicht kostet, ein Kundenkonto zu eröffnen. Wichtig in dieser Betrachtung ist, dass die Kostenverrechnung entlang der Businessprozesse und am Ende in die Produktrechnung geschlüsselt werden kann.

Damit bleibt man jedoch in der reinen Kostenbetrachtung. Wie sieht es denn mit Kennzahlen zur Leistungserbringung aus, etwa das von Ihnen bereits erwähnte Time-to-Market bei der Einführung von Innovationen?

Time-to-Market-Betrachtungen sind meiner Meinung nach sehr wichtig. Allerdings haben sie auch ihre Tücken. Man muss die Sache differenziert genug betrachten. Vielfach macht die Implementierung neuer Angebote den Eingriff in die Infrastruktur und Basissysteme notwendig. Dabei hat es aus IT-Sicht keinen Sinn, einen solchen Eingriff ausserhalb der üblichen Release-Zyklen vorzunehmen. Denn das ist in der Regel erstens sehr teuer und zweitens höchst riskant. Schafft man es jedoch, flexibel anpassbare Systeme zur Verfügung zu stellen, die es ermöglichen, Lösungen ausserhalb dieser Zyklen zu implementieren, kann man enorme TTM-Vorteile realisieren.

Postfinance weist eine verhältnismässig grosse IT-Fertigungstiefe auf. Wäre es überhaupt denkbar, dass man irgendwann eine Standardapplikation einsetzt oder Outsourcing betreibt?

Die heutige Situation ist historisch entstanden und stellt keine in Stein gemeisselte Doktrin dar. Wir werden uns in Zukunft sicher die Freiheit nehmen, bei grösseren Vorhaben unbefangen über das Sourcing zu entscheiden. Diese Chance sollte man nutzen. So haben wir dieses Jahr auch unser Kernsystem für den Zahlungsverkehr und die Kontoführung neu evaluiert. Bei den jetzt favorisierten Lösungen handelt es sich einerseits um eine Standardlösung von TCS sowie um eine Hybridlösung in Kooperation mit HP. Wer das Rennen machen wird, entscheidet sich im zweiten Quartal 2011.

Warum ein komplett neues System, warum nicht das bestehende modernisieren?

Das heutige System ist zwar über 16 Jahre alt, aber nicht wirklich als Legacy zu bezeichnen. Denn die darunterliegende Infrastruktur wurde schon längst mehrheitlich auf Linux- und praktisch vollumfänglich auf eine x86-Server-Landschaft portiert. Damit konnten wir die Lösung als verteiltes System aufsetzen. Wir sind ja auch das einzige Finanzinstitut, das zwei redundante Rechenzentren betreibt, die tatsächlich hundert Kilometer auseinanderliegen. Auch erfüllt die Lösung alle heutigen Anforderungen bezüglich Skalierung und Flexibilität. Das Problem ist die Programmiersprache: Ada. Hierfür finden sich einfach keine Leute mehr, was für Postfinance ganz klar zur Hypothek werden könnte.

Mit TCS setzen Sie nun unter anderem auf ­eine indische Lösung, warum hat man als Postfinance nicht «Swiss Made» berück­sichtigt?

Mit unseren 865 Millionen Transaktionen pro Jahr und den enormen Peak-Zeiten sind wir nicht vergleichbar mit einer Kantonalbank oder einer Raiffeisen. Hinzu kommt unsere Rechenzentrumsinfrastruktur. Sowohl Avaloq wie auch Finnova sind datenbankzentrierte Lösungen. Um die Anforderungen in puncto Ausfallsicherheit zu erfüllen, basieren solche Implementierungen auf einer Hardware-Cluster-Architektur, was unsere Infrastruktur erheblich verteuern würde.

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