Piratenpartei Schweiz rettet Wikileaks

Pizza, Pasta und Piraten: Wikileaks flüchtet in die Schweiz

Uhr | Aktualisiert

Julian Assange, Gründer von Wikileaks, und Denis Simonet, Präsident der Schweizer Piratenpartei, trafen sich in einem Genfer Restaurant zu Pasta und Pizza. Nun revanchieren sich die Piraten: Nach einer DNS-Sperre haben sie dafür gesorgt, dass Wikileaks trotz Blockade weiter online ist.

Im Juni 2010 landete die Piratenpartei Schweiz einen kleinen Coup: Wikileaks.ch war damals noch frei, also schlug man - nach einem einstimmig angenommenen Vorstandsbeschluss - kurzerhand zu.

Heute ist die Domain auf Denis Simonet, Präsident der Schweizer Piratenpartei, gelistet (siehe Screenshot) - und leitet seither auf die Server des Wikileaks-Projekts weiter.

"Wikileaks zieht in die Schweiz um"

Um die Mittagszeit fand sich heute folgende Ankündigung auf @wikileaks auf Twitter: "Wikileaks zieht in die Schweiz um."

Was geschah? Um 10 Uhr Ortszeit (EST) hatte der DNS-Provider EveryDNS Wikileaks abgeschaltet. Begründet wurde dies mit einem Richtlinienverstoss. Ein einzelner Kunde dürfe andere nicht negativ beeinträchtigen. Mit den DDoS-Attacken sei aber genau dies geschehen - darum die Abschaltung von Wikileaks.org.

Ein Umzug, der keiner ist

Nur: Was als Umzug angekündigt wurde, ist lediglich eine Link-Weiterleitung auf die Server von Wikileaks. Weder die Piratenpartei noch die Schweiz hosten momentan Dokumente der Whistleblower.

Die meisten Inhalte dürften noch immer auf Servern des schwedischen Anbieters Bahnhof liegen. Nach dem Urteil gegen The Pirate Bay gibt es allerdings ernsthafte Zweifel daran, wie sicher Schweden als Hosting-Standort in Zukunft noch sein wird.

Die Rettung - aber für wie lange?

"Wir sind nicht über Beweggründe, Details oder Pläne von Wikileaks informiert", kommentiert die Piratenpartei auf Twitter. "Lediglich wikileaks.ch ist auf uns registriert."

Pikant: Die Schweizer Domain ist ebenfalls bei EveryDNS gelistet - das Risiko einer erneuten Sperre ist also gross.

Die Schweiz als sicherer Hafen

Momentan läuft gerade eine Pressekonferenz der Piraten. In Biel informiert die "Web-2.0-Partei" über die genauen Vorgänge.

Auf piraten-partei.ch rührt die Partei schon jetzt mit der ganz grossen Kelle an: "Die Aktionen des Wikileaks-Projektes stellen sowohl die herrschende Strukturen wie auch die Verfechter der Transparenz vor eine grosse Herausforderung." Und weiter: "Wir stehen mitten in einer informationellen Revolution."

Mit der Hilfsaktion wolle man den Ruf der Schweiz als sicheren Hafen für Pressefreiheit, Demokratie und Menschenrechte festigen. "Freie Information ist eine wichtige Grundlage für das friedliche Zusammenleben in einer gerechten Welt", heisst es im Blog.

Update: Wikileaks.ch ist offline

Vor wenigen Minuten (18:55) hat die Piratenpartei in ihrem Blog informiert, dass wikileaks.ch weg ist. "Wie erwartet wurde auch wikileaks.ch von EveryDNS.net gesperrt", liest man.

Bereits kommt die Kampfansage: "Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten und hoffen, dass wikileaks.ch bald wieder vollumfänglich verfügbar sein wird."

Stattdessen verlinken die Piraten neu auf 20 weitere Domains, die Wikileaks zugänglich machen. Darunter finden sich wikileaks.de, wikileaks.nl, wikileaks.pl, wi.kileaks.com und wikileeks.org.uk.

Spätestens jetzt ist klar: Wikileaks hatte sich für den Fall einer wikileaks.org-Sperrung schon früh abgesichert. Plan B lag stets in der Schublade - und wird nun weltweit ausgerollt.

Simonet: "Ich hoffe, sie überspannen den Bogen nicht"

Auf Denissimonet.ch teilt Simonet mit: "Alles begann mit einem Vorstandsbeschluss". Dass die Piratenpartei Julian Assange volle politische Unterstützung anbiete, habe man bereits am 5. November in einem Mediencommuniqué verkündet.

Von der definitiven Zusage bis zum Treffen mit Assanges hätten er und sein Parteifreund Pascal Gloor gerade mal drei Stunden Zeit gehabt – inklusive einer Fahrt nach Genf. "So trafen wir also Julian zu einem Diner mit spannenden Gesprächen. Seine Bodyguards empfingen uns übrigens auch ganz freundlich", so Simonet.

Geheimnisse habe man zwar keine erfahren, aber das Gespräch sei gut verlaufen. Assange vertrete die Meinung, dass Informationen als solche nicht gefährlich sein können, schreibt Simonet.

"Ich finde die Wikileaks-Philosophie unterstützenswert und gut", bloggt er. Und fügt mit erhobenem Zeigefinger an: "Doch ich hoffe, sie überspannen den Bogen nicht. Ausserdem würde ich auch gerne mal Leaks von anderen Ländern als den USA sehen".

Scotland Yard sind die Hände gebunden

Nur einem Formfehler ist es übrigens zu verdanken, dass Julian Assange nicht schon längst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in schwedischer Untersuchungshaft ist.

Die Informationen, die in den letzten Tagen aus Grossbritannien durchsickerten, muten schon fast surreal an: Eigentlich habe man Assange ja festnehmen wollen, vermeldete Scotland Yard, doch dies sei leider nicht möglich. Seinen Aufenthaltsort kenne man zwar, aber aufgrund eines Formfehlers sei man machtlos.

Mittlerweile hat die schwedische Justiz einen neuen Haftbefehl an die britischen Behörden übermittelt. Gut möglich also, dass Assange sich schon bald nicht mehr auf freiem Fuss bewegt. Der erste "Web-2.0-Flüchtling" der Welt scheint kurz vor seiner Verhaftung zu stehen. Vom Jäger zum Gejagten, und die Schweiz mittendrin.

Assange: "Falls uns etwas passiert, geht der Schlüssel raus"

In der Zwischenzeit verteidigt Assange in einem Live Q&A auf Guardian.co.uk seine Position. "Ich vermisse Australien", schreibt er, "aber zurückkehren kann ich nicht."

Seine Regierung unterstütze den aus den USA koordinierten Angriff auf seine Person. Mit sarkastischem Unterton fragt er: "Was bedeutet es denn heute noch, australischer Bürger zu sein?"

Mittlerweile sollen über 100'000 Leute Zugang zu den vollständigen Cablegate-Dokumenten haben, berichtet Assange. Allerdings in verschlüsselter Form. Dann droht er: "Falls uns etwas passiert, wird automatisch der Key veröffentlicht."

Ist Bradley Manning der Cablegate-Informant?

Falls der junge Soldat Bradley Manning wirklich die Person sei, die hinter den jüngsten Wikileaks-Veröffentlichungen stecke (wie das Pentagon ihm weiss machen wolle) sei er ein unvergleichlicher Held.

Wikileaks habe einen Teil seines Contents absichtlich in Ländern hosten lassen, in denen die freie Meinungsäusserung in Gefahr sei. Auch bei Amazon sei dies der Fall gewesen. So helfe man, Rhetorik von Realität zu unterscheiden, schreibt Assange weiter.

Sarah Palin: "Wir sind im Krieg"

Auch Sarah Palin hat es sich nicht nehmen lassen, ihr Bild vom Wikileaks-Gründer zu verkünden. Auf Facebook sagt sie: "Assange ist ein antiamerikanischer Agent, an dessen Händen Blut klebt."

Assanges letzte Veröffentlichung von geheimen Dokumenten habe über 100 afghanische Quellen an die Taliban verraten. "Warum wird er nicht gleich intensiv verfolgt wie El Kaida und die Taliban-Führer?", fragt die wohl baldige US-Präsidentschaftskandidatin.

Nun gelte es, Druck auf EU- und NATO-Verbündete auszuüben, um die Infrastruktur von Wikileaks zu zerstören. Zudem müsse gegen mit Wikileaks kooperierenden Personen ermittelt und ihre Vermögen eingefroren werden. "Wir sind im Krieg", kommt Palin zum Schluss.

Update: Wikileaks.ch ist wieder online

Während das Schicksal von Julian Assange weiter ungewiss ist, arbeitet die Piratenpartei offenbar an der Rückkehr von wikileaks.ch. Vor wenigen Minuten (20:49) kündigte Denis Simonet auf Twitter an: "Wir haben nun ein paar neue Nameserver eingetragen. Domain funktioniert bald."

Auch auf ihrer Website meldet sich die Partei zu Wort: Gut zwei Stunden nach Abschaltung der EasyDNS-Server habe man "mehrere Nameserver als Ersatz" organisiert. Bereits jetzt hätten die DNS-Server der grossen Schweizer Provider die neuen IP-Adressen repliziert, womit ein Zugriff auf wikileaks.ch wieder möglich sei.

Tatsächlich: Im Redaktionstest ist wikileaks.ch wieder erreichbar.