Wurzeln in den 80er-Jahren

E-Learning ist in die Jahre gekommen, Teil 1

Uhr | Aktualisiert
von Prof. Dr. Oliver Bendel, Julia Nierle

Am 1. Oktober 2010 fand der von der UNO deklarierte "Internationale Tag der älteren Menschen" statt. Selbstverwirklichung und Weiterbildung stehen dabei im Vordergrund. Immer wieder bringen Einrichtungen und Wissenschaftler in diesem Zusammenhang das Stichwort "E-Learning" ins Spiel. Und tatsächlich interessieren sich auch ältere Menschen für das Lernen mit dem Computer.

Das "E" von "E-Learning" steht für "electronic" ("elektronisch"). Aber es könnte ebenso "elderly" ("bejahrt") gemeint sein. Denn E-Learning eignet sich nicht nur für junge, dynamische Menschen, sondern auch für ältere, für dynamisch und neugierig Gebliebene. Für "elderly people" ("ältere Menschen"), die endlich Kunst- oder Literaturwissenschaft studieren oder sich einfach nur Computerkenntnisse aneignen wollen. Diese beiden Bereiche sind es, die Geisteswissenschaften und der IT-Bereich, für die sich die Generation 50+ vor allem interessiert. An dem modischen Begriff aus Buchstaben, einer Zahl und einem Sonderzeichen lässt sich gut verdeutlichen, wie schwer die Älteren in den vorliegenden Kontext einzuordnen sind.

Die heute 40- bis 50-Jährigen sind ganz bewusst mit wichtigen technischen Innovationen aufgewachsen; sie waren Kinder, als das Internet erfunden wurde, und junge Erwachsene, als das Web seinen Siegeszug antrat. Manche von ihnen haben vielleicht schon in den 70er-Jahren gemailt und in den 80er-Jahren gechattet; und spätestens in den 90er-Jahren dürfte vielen klar gewesen sein, dass die Vernetzung der Welt nicht mehr aufzuhalten war. Natürlich ist der Grossteil der Jüngeren besser mit dem Gebrauch der Informations- und Kommunikationstechnologien vertraut; aber ein Teil der Älteren ist besser über die Hintergründe und Risiken informiert.

Nutzung von Social Media steigt

Etliche 60- bis 70-Jährige dagegen haben die Entwicklung von Internet und Web verpasst und es versäumt, sich auf völlig neue Prinzipien wie Hypertexte oder Client-Server-Architektur einzustellen. Sie können nicht nachvollziehen, warum man sich in Social Networks austauschen und seine Privatsphäre riskieren oder über Microblogging-Dienste wie Twitter seine eigene Zeit und die Zeit der Bekannten und der Follower fragmentieren sollte. Dennoch holen die "Silversurfer" – ein weiterer Modebegriff, der nicht etwa auf den schnellen Superhelden der Marvel-Comics, sondern auf die grauen Haare der Internetnutzer anspielt – allmählich auf, im Guten wie im Schlechten: Auch in diesem Jahr – bezogen auf den Zeitraum von Ende Februar bis Ende Mai 2010 – verzeichnet die Altersgruppe 50+ mit einem Mehr von fast 5 Prozentpunkten das höchste Wachstum bei der Internetnutzung in Deutschland, allen voran die Gruppe der 60- bis 69-Jährigen. Mit 49,6 Prozent sind die "Best Ager" (um die Reihe der Modebegriffe erst einmal abzuschliessen) im Netz allerdings immer noch unterrepräsentiert verglichen mit 72 Prozent über alle Generationen hinweg [1].

Auch in der Schweiz steigen die Nutzerzahlen, und immer mehr Seniorinnen und Senioren sind in sozialen Netzwerken aktiv: Laut aktueller Facebook-Statistik, die Mitglieder einsehen können, die auf der Plattform werben wollen, sind mittlerweile 114'540 User im Alter von 55 Jahren und darüber bei diesem Social Network angemeldet (und damit rund fünf Prozent aller Schweizer über 55). An die ca. 48 Prozent aller 13- bis einschliesslich 54-Jährigen, die hierzulande bei Facebook registriert sind, reicht die Generation 50+ zwar bei weitem nicht heran, aber die Tendenz ist dennoch steigend, was man im Übrigen sowohl begrüssen als auch bedauern kann.

"E-Learning" hört sich jung und frisch an, ist aber hinsichtlich des Gegenstands älteren Datums. Man kann die Computer-based Trainings der 80er- und 90er-Jahre dazu rechnen, also die Vokabelprogramme auf Diskette und die ersten Sprachlernprogramme auf CD-ROM, ebenso die frühen Online-Versuche in den Hochschulen der 90er-Jahre, etwa an der Universität Konstanz im Fachbereich Informationswissenschaft (wo schon Votings angeboten wurden) oder an der Universität Freiburg (Stichwort "Virtuelle Hochschule Oberrhein").

Sperrige (und durchaus durchdachte) Begriffe wie "hypermediale Lernsysteme" und "hybride Lernarrangements" begleiteten die akademischen und kommerziellen Pioniere. Der marketingtaugliche Begriff "E-Learning" kam im Jahre 1999 in den USA auf – und wurde gleich um die Jahrhundertwende von Wissenschaftlern aus St. Gallen besetzt, zu denen auch der Hauptautor dieses Beitrags gehörte. Zusammen mit einer weiteren Autorin hat er 250 Begriffe im E-Learning-Umfeld definiert und vor kurzem das Online-Glossar der E-Learning-Messe und -Konferenz Learntec daraus gemacht.

Wurzeln in den 80er-Jahren

Manche Praktiker und Theoretiker wollten E-Learning mit internetbasiertem Lernen gleichsetzen; aber diese Sicht hat sich kaum etabliert. Nach dem hier vertretenen Verständnis ist E-Learning Lernen, das mit Informations- und Kommunikationstechnologien bzw. darauf aufbauenden Systemen unterstützt und ermöglicht wird. Der Begriff "E-Learning" ist nicht auf die technologische Ebene beschränkt, sondern zielt auf ganz unterschiedliche Aspekte auf der Prozess-, Strategie- und Kulturebene ab. Unterarten beziehungsweise Gefässe sind E-Learning im Unternehmen (Corporate E-Learning), E-Learning an (Hoch-)Schulen und E-Learning im privaten Bereich. Lernprozesse sind E-Training, E-Collaboration und Just-in-time E-Learning.

Bei E-Training geht es um die individuelle, mittel- und langfristige Vermittlung von Wissen, wobei sowohl lerner- als auch lehrerzentrierte Methoden gegeben sein können. Bei E-Collaboration steht der Austausch von Wissen innerhalb von Gruppen über elektronische Medien im Vordergrund. Bei Just-in-time E-Learning handelt es sich um die Befriedigung von akuten Informations- und Lernbedürfnissen; auch informelles E-Learning kann man dazu zählen. Typische Angebote im E-Learning-Bereich sind Computer-based Trainings, Web-based Trainings und Lern- und Wissensportale. Dass sich auch ältere Menschen für das Lernen am Computer begeistern, zeigen Initiativen wie "eLearning für Senioren" (eLSe) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg [2]. Man will nach eigenen Angaben "Seniorinnen und Senioren, die noch keine oder nur wenig Erfahrung mit Computer und Internet haben, mit Informations- und Kommunikationstechnologien vertraut machen".

Ergänzung durch Präsenzveranstaltungen

E-Learning tritt in der Regel nicht in seiner "Reinform" auf, sondern als Blended Learning. Hierunter versteht man die Kombination von unterschiedlichen Methoden und Medien aus Präsenzunterricht und E-Learning (eben die oben erwähnten hybriden Lernarrangements). Mittels einer geeigneten Zusammenstellung soll das Lehrziel einer Bildungsmassnahme möglichst effizient und effektiv erreicht werden. Dabei werden entweder Methoden und Medien redundant angeboten, sodass Benutzer gemäss ihren Präferenzen und Kompetenzen lernen können, oder einzelne Module bauen aufeinander auf und ergänzen sich. So findet häufig am Beginn eines Kurses eine Präsenzveranstaltung statt, bei der sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kennenlernen, wodurch eine wichtige Voraussetzung für E-Collaboration geschaffen wird.

Umgekehrt können zum Einstieg auch Computer-based Trainings oder Web-based Trainings eingesetzt werden, wenn Lernende in Vorbereitung auf den Präsenzunterricht auf einen einheitlichen Wissensstand gebracht werden sollen. Zum Blended Learning kann man ferner bestimmte hybride Publikationsformen zählen. Gemeint sind etwa Fach- und Lehrbücher, in denen 2D- oder 3D-Codes abgedruckt sind, die Audio- und Videodaten enthalten oder Tests erlauben. Der Lernende und Lesende kann nach jedem Kapitel seine Kenntnisse mit Hilfe seines Handys, mit dem er den Code einscannt, vertiefen. Erste Beispiele gibt es schon mit einem Vogelbuch – das allerdings mit 1D-Codes und einem speziellen Lese- und Anzeigegerät funktioniert – und (ausserhalb des Lernbereichs) mit einem Haikuband des Hauptautors, in dem jedes Gedicht auch in einem QR-Code (der zu den 2D-Codes gehört) gespeichert ist. 3D-Codes hätten den Vorteil, dass man grosse Datenmengen in ihnen speichern kann, und würden ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Das Papier als Speichermedium – ein nicht ganz unbekanntes und in dieser Variante doch revolutionäres Konzept (vgl. Oliver Bendel (2010): Die Renaissance des Papiers. Codes als Elemente hybrider Publikationsformen. In: LIBREAS.Library Ideas, Jg. 6, H. 2 (17)).

Social oder Antisocial Networks?

Social Software ist eine weitere wichtige Errungenschaft im vorliegenden Zusammenhang. Sie dient der Vernetzung von Gleichgesinnten und deren Kommunikation und Kooperation über das Internet. Social-Software-Plattformen aller Art, Weblogs und Wikis werden als typische Vertreter angesehen. Aber auch Gästebücher und Diskussionsforen, Instant Messengers und Chats zählt man dazu. Über Social Software können Social Networks wie das arbeitsorientierte XING und das freizeitorientierte Facebook entstehen. Manche sagen wegen der Missbrauchsmöglichkeiten und Suchtgefahren auch "Antisocial Networks" dazu. Immer mehr Bildungsanbieter wie die Migros Klubschule bieten Kurse zum Thema Twitter, Facebook und Co. an, in denen neben den Chancen auch die Risiken des Web 2.0 aufgezeigt werden. Mit diesen Kursen dürften vor allem ältere Menschen angesprochen werden, die trotz ihrer Neugier grundsätzlich vorsichtiger im Umgang mit dem Internet und offener für Tipps sind.

Das Mitmach-Web wird wesentlich durch Social-Software-Anwendungen bestimmt. Im E-Learning-Bereich ist Social Software von enormer Bedeutung. Insbesondere werden Weblogs und Wikis benutzt, als Medien der E-Collaboration und des Brainstormings oder im Sinne von Lerntagebüchern und "Anwendungsprotokollen". Viele Seniorinnen und Senioren wollen sich dem Trend Web 2.0 nicht entziehen, gerade wenn es um Erfahrungsaustausch, Partnersuche und Lebenshilfe geht. Dem Markt- und Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center zufolge sind bereits 47 Prozent der 50- bis 64-Jährigen und 26 Prozent der über 65-Jährigen US-amerikanischen Internetnutzerinnen und -nutzer in sozialen Netzwerken aktiv. Dass auch die Silversurfer im deutschsprachigen Raum mehr und mehr das Chatten, Bloggen und Microbloggen für sich entdecken, sieht man etwa an der steigenden Zahl von Followern, die Twitter-Channels von Seniorenplattformen wie Seniorentreff [3] verzeichnen.

Auch das "LernCafe" [4], das nach eigenen Angaben "erste deutsche Online-Journal für bildungsinteressierte Seniorinnen und Senioren", hält seine Community seit gut einem Jahr via Twitter auf dem Laufenden – wenn auch nicht in der beim Microblogging-Dienst gewohnt hohen Taktung. Bereits seit 2003 ist das als Projekt der Universität Ulm gestartete Journal online. Die derzeit 24 Seniorinnen und Senioren, die beim LernCafe zu Redakteuren ausgebildet wurden, sind über ganz Deutschland verstreut und kooperieren virtuell miteinander. Swisscom unterhält bereits seit 2010 auf der Firmenwebsite eine eigene Rubrik für die Generation 50plus [5] mit einer Übersicht über das Swisscom-Kursangebot rund um Handy und Internet sowie einem Internetratgeber. Seit April dieses Jahres ist auch ein Senioren-Blog aufgeschaltet [6], den ein Swisscom-Berater für die älteren Kunden pflegt.

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