Interview mit Martin Ittig, Leiter Informatik, Matterhorn Gotthard Bahn

"Windows 8.1 wird durchs Band weg nicht optimal angewendet"

Uhr | Aktualisiert
von Janine Aegerter

Martin Ittig, Leiter Informatik bei der Matterhorn Gotthard Bahn (MGB) spricht im Interview über die Herausforderungen, die an die Informatik eines Bahnunternehmens gestellt werden. Er erklärt auch, wieso die MGB bewusst keine iPads, sondern Windows-8-Tablets im Einsatz hat.

Martin Ittig leitet seit 2003 die Informatik der Matterhorn Gotthard Bahn. (Quelle: Netzmedien)
Martin Ittig leitet seit 2003 die Informatik der Matterhorn Gotthard Bahn. (Quelle: Netzmedien)

Herr Ittig, Sie haben Ihrem Fahrpersonal Windows-8-Tablets zur Verfügung gestellt. Wieso das?

Das hat verschiedene Gründe. Der Hauptgrund ist sicher, dass unser Fahrpersonal, also unsere Lokführer und Zugbegleiter, relativ viel Unterlagen und Reglemente von Gesetz wegen mitschleppen müssen, obwohl sie diese nicht sehr oft nutzen. Zudem werden diese Mitarbeiter mit Informationen nur sehr altertümlich beliefert. So erhält das Fahrpersonal die Dienstpläne via Mail und auch ausgedruckt. Diese Distribution ist aber unflexibel und da wir alle Dienstpläne schon elektronisch verfügbar haben, können wir nun viel zeitnaher informieren. Hinzu kommt, dass wir den Glacier Express zusammen mit der Rhätischen Bahn betreiben. Das Fahrpersonal der Rhätischen Bahn hat mobile Devices im Einsatz. Das haben unsere Lokführer und Zugbelgeliter natürlich mitbekommen und so wünschten sich auch Tablets. Da diese Mitarbeiter bei uns in der Informationsvermittlung oft ein bisschen zu kurz kommen, weil sie immer unterwegs sind und Informationen teilweise nicht so mitbekommen, war es auch wichtig, da mal ein Zeichen zu setzen. Hinzu kommt, dass wir im Rahmen unseres Projekts "Arbeitsplatz 14" alle unsere Mitarbeiter allen Unkenrufen der Presse zum Trotz von Windows Vista auf Windows 8.1 umgerüstet haben. Damit hatten wir auch eine Hardware-Plattform für das Fahrpersonal. Und so kamen wir auf Apps.

Was bezwecken Sie mit diesen Apps?

Wir wollten in einer ersten App, die wir bereits umgesetzt haben, die Reglemente elektronisch zur Verfügung stellen und Informationen wie Dienstpläne zeitnah ans Fahrpersonal bringen. Zusätzlich stand uns ein Anforderungskatalog mit Wünschen seitens des Fahrpersonals zur Verfügung. Mit einer aktuell geplanten, weiteren App wollen wir zukünftig Frequenzerhebungsdaten erfassen können. Das machen wir heute auf dem Papierweg. Schliesslich wollen wir die Erlebnisbahn Nummer Eins in den Alpen sein. Alles, was unser Fahrpersonal macht, ist unsere Visitenkarte. Was wir hier in der Verwaltung machen, ist nötig und gut, aber der Kunde bekommt das nicht mit. Wenn das Fahrpersonal keinen guten Job macht, erreichen wir dieses Ziel nicht.

Ist das Fahrpersonal mit dieser ersten App zufrieden?

Ja, die Pilotteilnehmer sind sehr zufrieden damit. Die App ist performant, selbsterklärend und sieht auf dem Tablet auch richtig gut aus. Wir haben jetzt den Release 2.0, in welchem wir wieder neue Anforderungen eingebunden haben, die von unseren Testnutzern zurückkamen. Und es gibt bereits neue Anforderungen für Release 3.0. Wir planen zwei Releases pro Jahr, mehr könnten wir nicht stemmen.

Sie haben Testnutzer eingesetzt?

Ja, denn wir wollten nebst der App auch Windows 8.1 am Benutzer testen. Unsere Testnutzer reagierten aber erst einmal enttäuscht, weil wir ihnen keine iPads zur Verfügung stellten. Windows galt einfach als schlecht, obwohl viele das Produkt nicht einmal kannten. Im Rahmen der Schulung von zehn Testnutzern stellten wir dann fest, dass Windows 8.1 durchs Band nicht optimal angewendet wird.

Wie das?

Man muss beispielsweise wissen, dass es einen Unterschied macht, ob man von oben nach unten oder von rechts nach links wischt. Windows funktioniert ganz anders als Android oder iOS. Aber wenn man gewisse Grundprinzipien mal verstanden hat, läuft es problemlos. Das Schöne daran war, dass die meisten nach der Schulung gesagt haben, dass Windows 8.1 gar nicht so schlecht sei. Wir konnten zudem die Erfahrungen aus dieser Schulung in einem Handbuch festhalten, das wir an alle Mitarbeiter verteilten, und ihnen erklärten, welche Fehler sie vermeiden sollten und wie sie gewisse Dinge einfacher durchführen können. Wir haben das gesamte Personal elektronisch auf Windows 8.1 geschult. Es macht schon Sinn, wenn man in diese Schulung investiert.

Haben Sie denn iPads überhaupt in Betracht gezogen?

Nein. Für uns kamen Apple-Produkte nicht in Frage, da unsere ganze IT und unsere Gesamtstrategie auf Microsoft ausgerichtet ist.

Sind die Tablets nun bereits im Einsatz?

Wir wollten die Hardware eigentlich im November 2014 ausrollen. Aber mit dem Fahrplanwechsel Mitte Dezember wurde das Fahrpersonal bereits mit neuen Geräten (ELAZ) für die Billettkontrolle ausgerüstet. Zudem standen wir gerade kurz vor Saisonbeginn. Der Leiter Betrieb wollte nicht, dass wir dem mit unseren Tablets noch einen obendrauf setzen. Im April reicht es aber auch noch. Ich denke, dadurch, dass wir gewartet haben, haben wir letztlich bessere Hardware im Einsatz.

Wie haben Sie sich für die Hardware entschieden?

Wir haben in einem relativ aufwendigen Verfahren alle bekannten Hardwarehersteller angeschrieben, haben erklärt, welches Projekt wir planen und haben gefragt, ob sie ein Interesse daran hätten, uns Testgeräte zur Verfügung zu stellen. Bis vor zwei Wochen (Stand Anfang Dezember, Red.) war dieses Sitzungszimmer hier voller Tablets. Und wir haben ausgewählte Personen des Fahrpersonals aufgefordert, diese Tablets zu testen und Auswertungsbögen auszufüllen.

Und die Mitarbeiter haben mitgemacht?

Ja, sie sind vorbeigekommen, haben die Geräte getestet und ihren Kommentar abgegeben. Inzwischen gibt es Hardware, die tauglich ist, das war vor ein paar Monaten noch nicht der Fall. Wichtig ist, dass das Tablet eine Docking-Station hat, damit man auch einen Bildschirm anhängen kann. Nun kristallisieren sich allmählich einige Favoriten heraus. Bald werden wir die Beschaffung der Hardware den gesetzlichen Anforderungen entsprechend ausschreiben.

Welche Herausforderungen brachte die Umsetzung der Apps mit sich?

Wir haben die Apps zusammen mit unserem Partner Garaio und im Rahmen eines Pilotprojektes mit Microsoft umgesetzt. Da wir die Apps in unsere Infrastruktur und unser ERP integrieren wollten, mussten wir Schnittstellen bauen. Die neueste Version unseres ERPs bietet diese Schnittstellen inzwischen an, aber damals gab es sie noch nicht. So haben wir beispielsweise die ganze Offline-Synchronisierung sehr stark ausgebaut, damit unser Fahrpersonal sieht, wann welche Dokumente das letzte Mal synchronisiert wurden und welche Dokumente sie noch nie gelesen haben. Zudem haben wir einen Webservice gebaut, der auf unserem ERP Daten abholt. Da haben wir viel Lehrgeld gezahlt, bis diese Dinge wirklich liefen. Inzwischen ist die Architektur so gebaut, dass wir neue Applikationen einfach anbinden und auf neue Anforderungen schnell reagieren können.

Wie lange hat das Pilotprojekt denn gedauert?

Wir sind seit eineinhalb Jahren daran. Im April sollte das Projekt dann abgeschlossen sein. Insgesamt sind es dann also bis zur Ausrollung etwa zwei Jahre.

Wie zufrieden sind Sie persönlich mit Windows 8.1?

Es gibt viele, die schlecht über Microsoft-Produkte, insbesondere Windows, sprechen. Aber wenn man mal die ganze Basis auf den Produkten hat, ist man schon sehr integriert. Bei unseren Tablets brauchen wir heute kein Device Management, das ist für uns wie eine andere Arbeitsstation. Wenn wir eine Applikation ausrollen, machen wir das mit unserer Softwareverteilung, es spielt keine Rolle, um welche Art von Gerät es sich handelt. Andere investieren sehr viel in die Integration der verschiedenen Systeme, da sie ja mit Windows, iPads und/oder Android arbeiten. Das haben wir alles nicht.

Wie steht es um eigentlich um BYOD bei der MGB?

Die Geschäftsleitung hat entschieden, dass sie kein BYOD haben will, weil sie die Geräte unter Kontrolle haben wollen. Dafür können die Mitarbeiter aber wählen, welche Ausstattung sie haben wollen. Auch bei den anderen Arbeitssationen wurde innerhalb des Bereichs entschieden, ob sie einen normalen PC, ein Notebook oder ein Ultrabook einsetzen wollten.

Was haben Sie sonst noch für IT-Projekte?

Wir bauen derzeit eine neues Intranet auf Basis von Sharepoint und wollen dort die verschiedenen Mitarbeiterplattformen miteinander verbinden. Zudem soll das neue Intranet personalisierbar sein, so dass jeder Mitarbeiter das Portal für sich konfigurieren kann. Das derzeit grösste Projekt in der Informatik ist aber, dass wir unser ERP erneuern wollen. Im Rahmen dessen wollen wir nun unsere ganze Systemlandschaft hinterfragen.

Das heisst, Sie wollen entscheiden, ob Sie manche Systemkomponenten auch neu im neuen ERP abbilden können?

Genau. Und wir fragen uns auch, ob wir Dinge, die wir heute in unserem ERP abbilden, auch wieder rausnehmen. Wir haben beispielsweise die Instandhaltung unserer Fahrzeuge in unserem ERP abgebildet. Das ist relativ einzigartig im Rollmaterialumfeld. Wir können bis auf kleinste Komponenten nachsehen, wann diese ausgewechselt wurde. Unser damaliger Finanzchef hatte das vor Jahren so entschieden. Er wollte das ganze Unterhaltswesen im ERP haben, weil die einzelnen Instandhaltungsaufträge doch sehr finanzrelevant sind. Nun müssen wir uns überlegen, ob wir das so beibehalten oder ob wir auf ein Standardprodukt umsteigen. Heute hat man auch viel mehr Möglichkeiten, um z.B. mit Webservices Schnittstellen zu bauen. Unsere ganze Informatiklandschaft wird durcheinandergewirbelt werden. Bis Ende Mai dieses Jahres wollen wir alle diese Grundsatzentscheide fällen. Bis Oktober 2016 wollen wir dann das neue ERP in Betrieb nehmen.

Da bleibt Ihnen nicht viel Zeit.

Nein, das Ganze ist relativ sportlich. Zudem wollen wir auch unsere ganze Internet- und E-Commerce-Plattform modernisieren.

Das sind also die beiden Projekte, die Sie in der nächsten Zeit beschäftigen werden?

Ja. Daneben haben wir aber noch Projekte, die durch die öffentliche Hand bestimmt werden. Im Sommer 2015 kommt ja der Swisspass ...

... kommt der nun wirklich?

Ja, der kommt. Der grosse Unterschied zu heute ist, dass man auf diesem Swisspass keine Leistung mehr aufgedruckt sieht. Es ist eine neutrale Karte mit zwei Chips drauf. Der eine Chip ist für die ganzen ÖV-Leistungen wie Halbtax oder GA, die man auf die Karte laden kann. Den zweiten Chip kann man nutzen, um Zusatzleistungen draufzuladen, beispielsweise ein Skibillet. Das ist für uns interessant.

Wie betreiben Sie Ihre Infrastruktur?

Wir betreiben die gesamte Infrastruktur selbst Zudem sind wir als Bahnunternehmen in der komfortablen Situation, dass wir unser eigenes Glasfasernetz entlang unsere Strecke haben. Wir vermieten unsere Glasfasern auch an namhafte und grosse Kunden. Was wir nicht selbst machen sind ganze Softwareentwicklungs-Projekte. Unsere Entwickler machen die Middleware-Geschichten, das heisst, wir versuchen die Business-Logik unter Kontrolle zu haben. Einer unserer Entwickler kümmert sich um Sharepoint, einer macht Webservices und einer kümmert sich um Integrationsschicht, welche wir mit Biztalk sicherstellen.

Das heisst, Sie haben auch ein eigenes Rechenzentrum?

Ja, genau, da drüben (deutet aus dem Fenster).

Und das zweite?

Das steht ungefähr 2 bis 3 Kilometer von hier.

Ist das Wallis erdbebengefährdet?

Ja, schon. Aber falls wir ein Erdbeben hätten, hätten wir ganz andere Sorgen als die Informatik. Das sehen wir oft im Winter, wenn beispielsweise eine Lawine das gesamte Bahntrassee und die Glasfasern zerstört. Unsere erste Sorge ist dann, dass wir das Bahntrassee wieder freibekommen, damit wir die Kunden wieder transportieren können. Das ist viel wichtiger als die Informatik.

Wie viele Leute arbeiten in der Informatik der MGB?

Unsere Informatik ist klein. Wir sind acht Leute. Das funktioniert nur deswegen, weil wir damals die Microsoft-Ausrichtung gewählt und alles standardisiert haben. So brauchen wir nur Microsoft-Spezialisten. Wir haben beispielsweise einen Mitarbeiter, der alleine alle unsere ungefähr 500 Geräte verwaltet. Das funktioniert nur, weil alles standardisiert ist.

Ist Cloud Computing bei Ihnen ein Thema?

Wir sind heute so modern aufgestellt, dass das bei uns kein Thema ist. Wir reagieren heute beinahe gleich schnell, wie wenn wir alles in der Cloud hätten. Wenn jemand mehr Rechenleistung oder Speicher will, bekommt er die auch. Wir haben eine Art Private Cloud, die wir mit einem Partner aus Luzern aufgebaut haben.

Seit wann arbeiten Sie bei der MGB?

Ich bin seit 2003 hier dabei, seit der Fusion der Brig-Visp-Zermatt-Bahn und der Furka-Oberalp-Bahn, aus der die MGB entstanden ist. Ich war der "erste" Mitarbeiter der MGB. Vorher gab es kein Informatik-Team. Der damalige Finanzchef entschied, dass sich jemand Vollzeit drum kümmern müsse. So kam ich ins Wallis zurück. Vorher habe ich 11 oder 12 Jahre in Bern gelebt.

Was ist eigentlich das Besondere am Oberwallis?

Hier im Wallis ist alles sehr persönlich. Die meisten Mitarbeiter wohnen hier in der Region, gehen am Mittag noch nach Hause essen. Der, der am weitesten weg wohnt, hat vielleicht eine halbe Stunde. Im Oberwallis sind die Leute sehr ortsgebunden. Was die Zusammenarbeit in Projekten betrifft, haben wir den Nachteil, dass wir selten einen Partner vor Ort haben, der über das nötige Know-how verfügt. Wir sind dadurch nach Zürich und Bern orientiert. Aber das ist heute kein Thema mehr mit Remote-Verbindungen und so weiter. Unsere externen Partner müssen nicht mehr jedes Mal nach Brig kommen. Unsere ganze IT-Landschaft ist seit Jahren virtualisiert, das haben wir relativ früh so umgesetzt.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Job?

Alles, was wir heute an Informatik hier haben, habe ich - in Anführungszeichen - aufgebaut, ich konnte wirklich auf einer grünen Wiese starten. Wir haben damals ein neues ERP eingeführt und konnten durchs Band hinweg alles entscheiden. Eine Entscheidung war, dass wir nichts von den beiden Unternehmen, also der Brig-Visp-Zermatt-Bahn und der Furka-Oberalp-Bahn, übernehmen. So hatten wir keine Altlasten. Heute kann ich sagen, dass es ein guter Entscheid war. Damals waren nicht alle so zufrieden damit.

Gibt es Dinge, die ihnen weniger gefallen?

Ja, das gibt es schon. Der Oberwalliser ist ein relativ "sturer Siech". Und dadurch ist die Mentalität ab und zu anstrengend. Das ist die Art des Oberwallisers, genauso wie bei den Urnern und wie im Oberen Surselva auch, das wir ja auch bedienen. Es geht oft relativ lange, bis man die Leute von etwas überzeugt hat. Aber wenn man sie dann mal überzeugt hat, ist es kein Thema mehr. Hinzu kommt, dass die Informatik in unserem Unternehmen keinen grossen Stellenwert hat. Letztlich fahren wir Zug. Unsere Geschäftsleitung ist nicht so sehr IT affin, was wir aktuell mit einem IT-Ausschuss entschärfen wollen. Wenn jemand fragt, was wir hier in der Informatik eigentlich den ganzen Tag machen, sage ich nur "schaut einfach mal, was passiert, wenn wir die ganze Informatik abstellen."

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