Red Hat Schweiz im Interview

"Enterprise Open Source ist in der Schweiz angekommen"

Uhr | Aktualisiert
von asc

Der Linux-Distributor Red Hat will in der Schweiz bekannter werden. Im Interview mit der Netzwoche erklärt Schweiz-Chef Léonard Bodmerer seine Ziele für den Schweizer Enterprise-Open-Source-Markt.

Herr Bodmer, Sie sind der neue Kopf bei Red Hat Schweiz. Was war Ihre Motivation, diese Herausforderung anzunehmen?

Ich war seit über zehn Jahren bei IBM in verschiedenen Bereichen tätig – vom Service- über das Hardwaregeschäft bis zu verschiedenen Managementpositionen. Längere Zeit war ich auch im europäischen Headquarter in Paris für den Abschluss von grossen Rahmenverträgen für die ganze Firma im Raum EMEA verantwortlich. Nach drei Jahren hat sich IBM reorganisiert und ich übernahm einen Job im Outsourcing. Nach der Aufteilung des Headquarters, wobei ein Teil nach Zürich verlagert worden ist, kam ich ins Mainframe-Team. Dort kam ich zum ersten Mal in Berührung mit Linux und Red Hat. Linux auf dem Mainframe war damals das grosse Thema. Hier war ich weitere drei Jahre tätig, und die letzten eineinhalb Jahre hatte ich den Sales-Lead für Schweiz und Österreich für Mainframe und Linux auf dem Mainframe. Irgendwann ist man dann in einem Alter, in dem man noch einmal etwas Neues machen möchte und nach ersten Gesprächen mit Red Hat habe ich mich entschieden, diese Herausforderung anzunehmen. Vor allem auch weil die Zeit für Enterprise Open Source in der Schweiz da ist. Auch wenn die Umsetzung hierzulande etwas Zeit braucht.

Aber haben Sie in der Schweiz nicht von Null angefangen?

Nein, Red Hat ist schon länger in der Schweiz aktiv. Wir hatten Referenzkunden, die sehr zeitig mit Open Source angefangen haben, wie zum Beispiel Swisscom. Wir hatten von Anfang an eine sehr gute Ausgangsbasis in der Schweiz und zwar über alle Industrien hinweg.

Warum sind Sie der Meinung, dass es in der Schweiz etwas länger dauert, bis sich Enterprise Open Source, speziell Linux, durchsetzt?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Die Schweiz hat auf der einen Seite immer ein gewisses Wettbewerbsdenken, sie will bei bestimmten Sachen immer ganz vorn mit dabei sein. So hat Swisscom vor knapp zehn Jahren mit Linux angefangen. Und auch einige Grossbanken haben recht früh mit Linux und JBoss Middleware begonnen. Dennoch braucht es immer eine gewisse Zeit, bis sich eine bestimmte Technologie durchsetzt. Andererseits sind Schweizer Unternehmen, und das kann ich als Schweizer gut sagen, teilweise auch etwas konservativ eingestellt und schauen sich immer vorsichtig im internationalen Markt um, bevor eine wichtige Entscheidung getroffen wird.

Wenn schon Grossbanken und Telkos früh auf Linux gesetzt haben, wer ist denn jetzt Ihre Zielgruppe in der Schweiz?

Ich merke immer stärker, dass der Mittelstand reif ist, um neue Wege im Bereich Open Source zu gehen. Das spüre ich vor allem daran, dass sehr viele KMUs aktiv auf uns zukommen.

Seit wann gibt es Red Hat eigentlich in der Schweiz?

Mit dem Kauf von JBoss vor fünf Jahren wurde auch das erste Schweizer Red Hat Office in Neuchâtel gegründet. Dort sitzen rund 16 Mitarbeiter, die Teil eines grossen, weltweit aufgestellten Teams sind, die die JBoss Open Source Middleware kontinuierlich weiterentwickeln. Zusätzlich haben wir im Januar ein Büro in Zürich eröffnet, um auch den Deutschschweizer Raum abzudecken. Von dort aus koordiniert das Sales-Team und das Marketing ihre Geschäfte. Da wir den Schweizer Markt weiter ausbauen wollen, suchen wir aktuell noch weitere Leute.

Was sind denn in Ihren Augen die Stärken von Red Hat auf dem Schweizer Markt?

Wir bieten hier unser komplettes Portfolio an – das fängt beim Red-Hat-Enterprise-Linux-Betriebssystem und der Red-Hat-Enterprise-Virtualisierung an und zieht sich über den gesamten JBoss-Middleware-Stack. Wir sind die einzige weltweit tätige Firma, die rein Open Source ist. Wir bieten keinerlei proprietären Komponenten an – teilweise kaufen wir sogar proprietäre Unternehmen ein, um deren Produkte in unser Portfolio zu integrieren und um diese dann wieder der Open Source Community zur Verfügung zu stellen.

Sie arbeiten also auch kontinuierlich mit Partnern zusammen?

Die Amazon-Cloud braucht unsere Produkte und auch Firmen wie IBM brauchen unsere Virtualisierungslösungen für die Cloud. Unser Middleware-Bereich ist rein Open Source – in diesem Bereich merke ich momentan, dass die Kunden neue und kosteneffiziente Lösungen suchen. Durch das Open-Source-Modell haben wir grosse Vorteile gegenüber der Konkurrenz, da diese alle auf Open-Standards basieren und vielen Unternehmen ist es heute auch wichtig, dass sie unabhängig von einem Softwareanbieter sind.

Wie sieht es denn mit der Verbreitung der Red-Hat-Lösungen wie Enterprise Linux und JBoss Enterprise Middleware in der Schweiz aus? Gibt es von Seiten der Kunden spezielle Präferenzen?

Die Mehrzahl der Unternehmen setzt heute schon Linux ein. Bei Red Hat Enterprise Linux und bei der JBoss Middleware gibt es keine regionalen Unterschiede. Die Produkte verteilen sich über die ganze Schweiz und werden von verschiedenen Branchen eingesetzt. Gefragt ist jetzt aber insbesondere der Mittelstand. Hier haben wir im Schweizer Markt einiges aufzuholen. Viele Kunden setzen teilweise schon Produkte von Red Hat ein und wollen diese Anwendungen jetzt noch ausbauen und standardisieren.

Hat dieser langsame Wandel denn auch etwas mit dem Generationenwechsel in den Unternehmen zu tun?

Der ganze Open-Source-Gedanke setzt sich in der Schweiz immer mehr durch und das hat natürlich auch etwas mit dem Generationenwechsel zu tun. Früher hat man die IT noch anders gemacht, doch mit einer jüngeren Generation von IT-Entscheidern wird der Trend hin zu Open Source immer stärker werden.

Dennoch zögern viele Unternehmen, komplett auf Open Source umzustellen, weil sie vor allem dem Einsatz von Open Source bei kritischen Anwendungen im Unternehmen nicht vertrauen.

Sicherlich räumen hier viele Schweizer Unternehmen, vor allem mittelständische Firmen, ihre Bedenken ein. Doch man kann durchaus Mission-Critical-Applikationen in einer Linux-Umgebung oder JBoss Middleware laufen lassen. Ein gutes Beispiel ist die grösste Wertpapierbörse der Welt – New York Stock Exchange Euronext – die auf Red-Hat-Produkte setzt. Viele unserer Kunden im Grossbankensektor haben ausserdem 10 000 bis 20 000 Linux-Server von uns im Einsatz und darüber laufen tausende Mission-Critical-Applikationen.

Also gibt es heute keinerlei Risiken, wenn ein Unternehmen rein auf Open Source setzt?

Bei nahezu keiner Software gibt es heute 100-prozentige Sicherheit, doch der Vorteil von Open Source ist, dass man damit auch Open Standards einsetzt, also dass man damit als Unternehmen viel flexibler ist.

Sie wollen den Schweizer Markt vor allem mithilfe von Partnern weiter ausbauen. Wie genau sieht denn Ihre Channelstrategie aus?

Heute haben wir über 30 Partner in der Schweiz und mit unserem dreistufigen Partnersystem wollen wir weitere ins Red-Hat-Boot holen. Die meisten der bisherigen Partner sind sogenannte Ready-Partner, hinzu kommen noch Advanced- und Premium-Partner, mit denen wir eine vertiefte Partnerschaft eingehen. Wir wollen unser Partnernetzwerk so weit ausbauen, dass wir zwei Handvoll Advanced-Partner über alle Regionen in der Schweiz verteilt haben. Bei den Premium-Partnern will Red Hat sich auf drei bis vier  konzentrieren. Wir wollen aber nicht nur unsere Produkte verkaufen, sondern darüber hinaus unser Business um die ganzen Services erweitern. In den nächsten Monaten werden wir neue Partnerschaften bekannt geben.

Jetzt gibt es auf der einen Seite Enterprise Linux und auf der anderen Seite steht Linux für den Endanwender. Dieses hat sich aber bisher in der Schweiz nur wenig durchgesetzt.

Ich sehe das von zwei Seiten. Zum einen kenne ich viele Leute, die Community-Versionen von Linux privat einsetzen. Von daher ist das private Linux für mich in der Schweiz sehr gut verbreitet, da es eben eine ganze Fangemeinde des Linux-Betriebssystems gibt. Wir bieten zwar auch Linux für den Enduser an, allerdings fokussieren wir uns auf den Servermarkt.

Es gibt aber hierzulande immer wieder Fälle, bei denen Linux-Migrationen schieflaufen. So hat der Kanton Solothurn erst letztes Jahr ein Projekt zur Linux-Migration aller Desktops wieder abgebrochen und ist auf Windows 7 umgestiegen. Was denken Sie darüber?

So ein Fall zeigt die Herausforderungen im Open-Source-Bereich. Wenn eine Firma Open Source einsetzt, ist es sehr wichtig, dass wirklich Enterprise Open Source eingesetzt wird, also dass eine Firma bei der Migration dahintersteht und den Support übernimmt. Doch wenn ein Unternehmen eine Linux-Distribution von der Community bezieht und installiert, dann fehlt dahinter natürlich die ganze Sicherheit, die Anbindung zu anderen Softwareherstellern und der entsprechende Support. Es kann eine grosse Gefahr sein, wenn ein Unternehmen nicht richtig einschätzen kann, für was sich Open-Source-Software eignet.

Fedora ist die Red-Hat-Enterprise-Community-Version, die sich jeder aus dem Internet herunterladen kann. Für wen eignet sich Fedora?

Fedora ist bei einem Drei-Personen-Betrieb oder für einen Einsatz zuhause bedenkenlos einsetzbar, da das Betriebssystem in dieser Grössenordnung auch selbst unterhalten werden kann. Aber wenn es wirklich darum geht, die Software im Mittelstand einzusetzen, dann muss eine grössere Firma dahinterstehen, die den Support und die Software Maintenance professionell übernimmt.

Welche konkreten Ziele verfolgen Sie mit Red Hat Schweiz für 2011?

Wir wollen die Partnerlandschaft in der Schweiz vor allem von der Qualität her stark aufbauen. Ausserdem streben wir an, die richtigen Partner zu finden, die unsere Produkte nicht nur verkaufen, sondern die auch die ganzen dazugehörigen Services bieten können. Zudem will sich Red Hat in der Schweiz verstärkt auf den Mittelstand konzentrieren.