Mobile Payment

Kampf um das digitale Portemonnaie

Uhr | Aktualisiert
von George Sarpong

Vielleicht verlieren wir bald freiwillig den Geldbeutel. Denn mobile Bezahldienste wollen die Kreditkarte und das Bargeld obsolet machen. Händler wie Coop und Migros könnten Millionen einsparen. Für Kreditkartenanbieter, die jetzt nicht an Lösungen arbeiten, dürfte das Geschäft hingegen rauer werden.

(Quelle: Franz Pluegl)
(Quelle: Franz Pluegl)

Das Smartphone als Plattform wird immer mächtiger. Der nächste Acker, den Apple, Google und Co. umpflügen wollen, ist das Feld der Bezahldienste. Das Geschäft der Kreditkartenanbieter könnte bald rauer werden. Der Handel kann sich freuen. Denn die neuen Mobile-Payment-Dienste werden ihren Weg an die Kasse über niedrige Gebühren finden. Vorausgesetzt, die Kunden machen mit. Verbrauchern müsste aber zuvor ein anderes Bezahlverhalten anerzogen werden, erklärte Sandro Graf vom Swiss Payment Research Center der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Ein schwieriges Vorhaben: "Wir sind ein in Bargeld verliebtes Land und dazu Gewohnheitstiere", sagte Graf.

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Verhaltensmuster von Verbrauchern zu ändern ist eine Stärke von Apple, wie Graf bestätigt, denn Kunden vertrauten der Marke. Eine Riesenchance für Apple. Eine Gefahr für die Mitbewerber. Apple kann bestehende Geschäftsmodelle umkrempeln, aus unabhängigen Marktgrössen kleine Partner machen und eisern die Preise drücken. Keine rosigen Aussichten. Dem Apple-Diktat wollen Schweizer Finanzdienstleister und der Handel daher zuvorkommen. Mithilfe von IT-Dienstleistern arbeiten sie an Alternativen. Ihr Vorteil: Sie kennen die Schweizer Kunden, den Markt und die gesetzlichen Regeln. Ausserdem schmieden sie Allianzen. Hinter den beiden grössten Anbietern stehen Six und Postfinance. Six, das den Schweizer Banken gehört, stellt heute schon die Infrastruktur für Transaktionen bereit. Das Postkonto ist wiederum stark verbreitet. Der Anteil der Postfinance Card liegt nach Angaben des Anbieters bei fast 40 Prozent.

Mächtige Allianzen, kleine Gamechanger

Der Finanzdienstleister Six kooperiert für seine P2P-Lösung Paymit mit der Grossbank UBS, Raiffeisen und den Kantonalbanken von Genf, Luzern, Waadt und Zürich. Swisscom wechselte im Sommer vom Tapit- ins Paymit-Lager. Mit Paymit können Beträge mittels Smartphone von einem Konto auf ein anderes überwiesen werden. Da die Banken mit Six im Hintergrund die gleichen technischen Standards nutzen, kann man recht einfach Geld von einem Konto auf das andere übertragen. Der Kollege, der einem beim Mittagessen Bargeld auslegt, erhält so noch vor dem Dessert sein Geld zurück. Six verfügt mit "mCashier" über einen weiteren Pfeil im Köcher. Die App ermöglicht ähnlich wie die App "Sumup" Ladenbesitzern oder Betreibern von Marktständen, über ihr Mobilgerät Zahlungen von Kunden anzunehmen. Paymit und "mCashier" sollen im Laufe der Zeit zusammenwachsen.

Nur einen Tag nach dem Fahnenwechsel von Swisscom startete die Postfinance-Tochter Twint. Sie will mit der gleichnamigen App das Smartphone zum Geldbeutel machen. Anders als Paymit ist sie stärker auf den Kaufabschluss an der Ladenkasse ausgerichtet. Ausserdem könne mit Twint auch an entsprechend ausgerüsteten Automaten, in Web­shops und in anderen Apps bezahlt werden. Auch P2P-Zahlungen sind möglich. Twint will über zwei Kanäle Geld verdienen: über Einnahmen von Transaktionsgebühren und Schaltung von Werbung. Twint schätzt, dass es kurz- und mittelfristig mit den Transaktionsgebühren einen höheren Ertrag einspielen werde als mit Werbung. "Langfristig soll aber die Werbung zur Haupteinnahmequelle von Twint werden", teilte Unternehmenssprecher Johannes Möri mit.

Twint basiert auf der Technik von Mobino. Dessen Gründer Jean-Francois Groff kann als Pionier für Mobil Payment in der Schweiz angesehen werden. Bereits 2011 rief er Mobino ins Leben und begann 2013 mit dem Vertrieb der Lösung. Groff sieht in der Konkurrenz durch Postfinance kein Problem, wie er sagte. "Der Mitbewerb ist wertvoll, da er zeigt, dass es einen Markt gibt." Die eigentliche Konkurrenz sieht er in den Anbietern von Kreditkarten. Diese wird er mit seinem Geschäftsmodell ins Mark treffen. Mobino will die Transaktionsgebühren der Kreditkartenanbieter unterlaufen. Heute kosteten die Gebühren pro Transaktion zwischen 1,5 und 1,9 Prozent. Mobino verlange 1 Prozent. "In 4 bis 5 Jahren werden die Gebühren vielleicht noch bei 0,4 Prozent liegen", kündigte Groff an. Jeden Tag würden Schweizer sieben Produkte einkaufen. 60 Prozent davon bezahlen sie bar. Die restlichen 40 Prozent würden elektronisch beglichen, etwa zur Hälfte mit Kredit- und Debitkarten. "Wenn in 5 Jahren Schweizer Kunden 10 Prozent der Bezahlungen über Mobino abwickeln, wäre das ein Erfolg für uns", sagte Groff.

Spannendes Feld für IT-Dienstleister

App-Entrepreneure müssen sich im Bereich Mobile Payment mit den Regeln der Finanzbehörde Finma auseinandersetzen. Dort sagt man: "Das berufsmässige Weiterleiten von Geldern durch Mobile-Payment-Systeme fällt wie bei Dienstleistungen für den Zahlungsverkehr in der Regel unter das Geldwäschereigesetz. Anbieter von Bezahldiensten müssten sich vor dem Start einer Selbstregulierungsorganisation (SRO) anschliessen oder bei der Finma eine Bewilligung als sogenannter direkt unterstellter Finanzintermediär (DUFI) beantragen. "Ziel des Gesetzgebers für all diese Massnahmen ist immer, die Geldwäscherei zu bekämpfen", erklärte Finma-Sprecher Tobias Lux. Allerdings gelten für Anbieter neuer Zahlungsmethoden wie Mobile Payment seit der Einführung der revidierten Geldwäschereiverordnung unter gewissen Voraussetzungen Erleichterungen oder gar Befreiung von den Sorgfaltspflichten (Art. 11 und 12 n GwV-Finma), erklärte Lux. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Kunden mit ihrem Smartphone nicht mehr als 5000 Franken pro Monat und unter einem Betrag von 25 000 Franken pro Jahr bleiben.

Für IT-Dienstleistungsanbieter im Fintech-Sektor eröffnet Mobile Payment ein zusätzliches Geschäftsfeld, wie etwa für das Softwarehaus Namics. Rund ein Drittel dessen Kunden stammt aus dem Finanzsektor. Namics konzipierte die Mobile-App und arbeitete an den Schnittstellen. Welche Lösung das Rennen macht, werde sich am PoS zeigen, sagte Geschäftsführer Jürg Stuker. Natürlich ist aus seiner Sicht Paymit eine tolle Lösung. Stuker kann aber auch gute Argumente ins Feld führen. So sei die Schnittstelle für Dritte offen. So könne etwa der neue Partner Swiss­com die Applikation in eigene Lösungen einbinden und neue Services anbieten. Auch den Einstieg des Telkos bei Paymit wertet Stuker als ein starkes Signal für die Attraktivität der App. Auch Twint sei eine starke Lösung, insbesondere für die zahlreichen Postkunden. Die momentanen Aktivitäten der Schweizer Anbieter will Stuker nicht als Abwehrmechanismus gegenüber Apple und Co. verstanden wissen. Stattdessen wirke Apple mit der Vermarktung seiner Bezahllösung eher wie ein Katalysator für die Schweizer Anbieter. "Das ist wie bei Tesla in der Automobilindustrie – ein Weckruf für die Branche", brachte es Stuker auf den Punkt.

Auch für den IT-Anbieter Adnovum ergibt sich ein gutes Geschäft. Das Unternehmen bietet Fintech-Lösungen an und beschäftigt sich gemäss CTO Tom Sprenger seit einiger Zeit mit dem Mobile-Payment-Trend. "Seit rund drei Jahren setzen wir uns mit konkreten und innovativen Lösungsansätzen in diesem Bereich auseinander. Wir haben verschiedene Kundenprojekte zum Thema ‹Mobile Payment› am Laufen." Sprenger vergleicht die Situation mit jener Zeit, als die Messenger-Dienste die Appstores eroberten. Das erkläre auch die unterschiedlichen Ansätze der noch jungen Bezahllösungen. "Es geht in dieser frühen Phase unter anderem um nachvollziehbare lokale Interessen der Anbieter und darum, Marktanteile zu gewinnen", sagte Sprenger weiter. Sprenger blickt Mobile Payment zuversichtlich entgegen. Der hohe technische Standard in der Schweiz schaffe eine gute Grundlage für die Verbreitung, sagte Sprenger und fügte an: "Viele Leute nutzen neueste Handys, und gleichzeitig ist die mobile Konnektivität sehr gut."

Zusammenarbeiten für den digitalen Geldbeutel

Adnovums Technikchef geht davon aus, dass sich langfristig eine Hand voll globale Anbieter und nationale Player werden etablieren können. Dem stimmen auch Graf von der ZHAW und Andreas Dietrich von der Hochschule Luzern zu (siehe Interview Seite 16, Webcode: 4506) zu. Zuvor muss aber das PoS-Netz deutlich ausgebaut werden. Nur so können alle Beteiligten profitieren und sich Mobile Payment durchsetzen. Es dürfte also auf die Zusammenarbeit der Anbieter hinauslaufen. Für Stuker ist klar: "Egal welche Lösung sich durchsetzen wird, sie muss allianzfähig sein. Auch Apple wird Partner brauchen."

Grossverteiler

Für die Grossverteiler Coop und Migros könnten mobile Bezahllösungen spannend werden. Insbesondere dann, wenn die Kosten pro Bezahlvorgang tatsächlich sinken sollten, wie von Mobino-Gründer Groff prophezeit. Coop verzeichnet nach eigenen Angaben eine halbe Million elektronische Zahlungen - pro Tag. „Unsere Qualitätsansprüche sind deswegen extrem hoch“, teilte Unternehmenssprecher Urs Meier mit. Bezahl-Apps müssten daher robist, sicher und schnell arbeiten. Die Sterne scheinen günstig zu stehen: „Die Schweiz hat eine hohe Verbreitung von Smartphones, speziell iPhones. Die stetig wachsende Zahl der ‚Digital natives’ fordert weitere alltagstaugliche Dienste auf diesen Geräten. Bezahlen per Mobile ist dabei ein zunehmend grosses Bedürfnis“, sagte Meier.

Ähnlich denkt auch Migros. Diese bietet seit August eine eigene Lösung an. Mit dieser können Kunden in allen Super- und -Fachmärkten sowie in den Restaurants der Migros mit der Migros-App auf ihrem Smartphone bezahlen. Ausserdem müssen Kunden ihr Migros-Bankkonto oder Kreditkarteninformationen hinterlegt haben. Monetäre Ziele verfolgt Migros nach eigenen Angaben aber nicht: „Unser Ziel ist es unseren Kundinnen und Kunden eine möglichst angenehme Art und Weise zu bieten, ihre Einkäufe in der Migros zu bezahlen“, teilte Mediensprecherin Martina Bosshard mit. Mal sehen wie lange: Personalisierte Angebote, basierend auf den Informationen der Cumulus-Karte, dürfte der Traum mancher Migros-Manager sein.

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