Mit Kommentar

Grünen-Initiative spaltet ICT-Branche

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Am 25. September stimmt die Schweizer Bevölkerung ab. Auf der Agenda steht eine Initiative, vor deren Annahme sich viele fürchten. Die “Grüne Wirtschaft” findet aber nicht nur Ablehnung.

“Bis ins Jahr 2050 wird der ‘ökologische Fussabdruck’ der Schweiz so reduziert, dass er auf die Weltbevölkerung hochgerechnet eine Erde nicht überschreitet.”

Das steht im Text der Volksinitiative “Für eine nachhaltige ressourceneffiziente Wirtschaft (Grüne Wirtschaft”). Ein zu hoch gestecktes Ziel?

Initiative will laut Bundesrat zu viel in zu kurzer Zeit

Die Gegner der Initiative - der Bundesrat zählt dazu - sagen ja. Das Ziel und die ganze Initiative sei erstens zu schwammig formuliert und zweitens ohne Verzicht nicht zu erreichen.

Bundesrätin Doris Leuthard warnte, dass die Initiative zu viel in zu kurzer Zeit erreichen wolle. Dabei teilte der Bundesrat ursprünglich das Ziel der Initianten. Denn die berufen sich nach eigenen Angaben auf den Masterplan Cleantech. Die Klimapolitik des Bundes ist zudem auf das Jahr 2030 ausgerichtet.

Ziele sind für Jean-Marc Hensch unbestritten

Doch es ist nicht nur der Bundesrat. Die Gegner sitzen vor allem auch in der Wirtschaft. Namentlich in der IT. Jean-Marc Hensch, Geschäftsführer des Branchenverbandes Swico, lehnt die Initiative strikt ab.

Die Ziele sind für ihn nicht das Problem. Sie seien weitgehend unbestritten, schreibt er auf Anfrage. “Das Problem ist, dass man einen Marathon laufen will, aber im Tempo von Usain Bolt auf 100 Metern.” Das könne nur zum Kollaps des Läufers führen und sei daher abzulehnen.

Hensch sagt, dass die angestrebte Reduktion des Ressourcenverbrauchs um 65 Prozent bis 2050 nur mit drakonischen Massnahmen erreicht werden könne. Diese Massnahmen seien im Initiativtext “nicht einmal im Ansatz aufgezählt, geschweige denn plausibilisiert”, schreibt Hensch.

Ökologischer Fussabdruck laut Noser ungenauses Messinstrument

Nach seiner Ansicht müsste die Wirtschaft in ein enges planwirtschaftliches Korsett geschnürt werden. Diese würde zuerst die Export- und später auch die Binnenwirtschaft abwürgen. In der ICT-Branche würde das insbesondere Hardware-Anbieter treffen. Rechenzentrumsbetreiber würden wegen der Energievorschriften aus dem Land wegziehen.

Ruedi Noser, Präsident von ICT Switzerland und FDP-Ständerat, sieht ähnliche Probleme aufkommen, sollte die Initiative angenommen werden. “Das Grundanliegen ist berechtigt”, sagt er. “Doch die mit der Initiative vorgeschlagenen planwirtschaftlichen Instrumente, der starre Zeitplan bis 2050 und die vorgeschlagene Messmethode mit dem Fussabdruck sind der vollkommen falsche Weg.”

Der ökologische Fussabdruck, auf den sich Noser bezieht, misst den Verbrauch an natürlichen Ressourcen. Der Fussabdruck stellt den Verbrauch der Menschen dem Angebot der Erde gegenüber. Er zeigt den Ressourcenbedarf einer Person, eines Staates oder der Weltbevölkerung.

Messmethode stammt aus den 1990er Jahren

Ein nachhaltiger Fussabdruck hat den Wert 1 Planet oder 1 Erde. Die Weltbevölkerung liegt gemäss WWF derzeit bei 1,6 Planeten. Würden alle Menschen wie die Schweizer leben, läge der Wert bei 3,3 Erden.

Die Messmethode stammt aus den 1990er Jahren. Der Basler Nachhaltigkeitsforscher Mathis Wackernagel und der kanadische Professor William Rees entwickelten sie. Die Messmethode ist anschaulich, hat aber auch eine grosse Schwäche. Sie vernachlässigt gewisse Aspekte der Nachhaltigkeit und auch zur Umweltbelastung macht sie keine Aussagen, wie der liberale Thinktank Avenir Suisse kritisiert.

Für Ruedi Noser ist zumindest die IT ohnehin schon auf dem richtigen Weg. “Es gibt heute kein neues technisches Produkt das weniger effizient ist als sein Vorgänger und damit werden die IT und ihre Produkte auch ohne Staat immer effizienter:” Staatliche Normen würden heute sogar sehr oft verhindern, dass effiziente Geräte auf den Markt kommen, sagt Noser.

IT-Budgets könnten schrumpfen - befürchtet Franz Grüter

Franz Grüter, Verwaltungsratspräsident von Green.ch und SVP-Nationalrat, schliesst sich Noser und Hensch an. “Die möglichen Konsequenzen [bei einer Annahme] sind weitreichend”, schreibt er in einer Mail. Die Initiative würde Kosumgüter massiv verteuern. Davon betroffen seien Unterhaltungselektronik und IT sowie die produzierende Wirtschaft. Die Wirtschaftsleistung der Schweiz reduziere sich, IT-Budgets würden sinken.

Für Grüter ist Umweltschutz richtig und wichtig. “Die Initiative schiesst aber komplett über das Ziel hinaus”, schreibt er. “Ich lehne sie daher entschieden ab.

Die Argumente der Gegner ähneln sich. Ist die ICT-Branche einstimmig gegen die Initiative? Nicht ganz. Es gibt sie, die Befürworter. Gerhard Andrey ist einer von ihnen. Andrey ist Mitgründer von Liip.

Initiative bietet Chancen für ICT-Wirtschaft

Andrey erachtet die Auswirkungen für die ICT-Branche bei einer Annahme der Initiative als “sehr überschaubar”. “Es wird ja keine konkrete Massnahme formuliert, sondern ein langfristiges Ziel”, sagt er. “Dafür haben wir 34 Jahre Zeit.”

Die Schweiz könne mit ihren ausgezeichneten Hochschulen und Firmen eine führende Rolle in der Umsetzung des “Megatrends Richtung Nachhaltigkeit” einnehmen. “ICT wird eine besondere Rolle spielen”, sagt er. Etwa bei dezentraler Energieerzeugung oder neuen Mobilitätssystemen.

“Ohne ICT wird in diesem Bereichen nichts laufen”, sagt Andrey. Diese Herausforderungen würden ein Riesenpotenzial bergen. “Wir haben die Tatsache zu akzeptieren, dass wir nur einen Planeten zur Verfügung und diesen den kommenden Generationen intakt zu überlassen haben.”

Viele andere Akteure der Schweizer ICT-Wirtschaft wollten sich zur bevorstehenden Abstimmung nicht äussern. Firmen wie UPC, IBM und SAP äussern sich nicht zu politischen Themen, wie es von deren Medienstellen heisst. Swisscom und Salt reagierten auf die Anfragen der Redaktion nicht. Sunrise verwies auf Economiesuisse. Der Verband lehnt die Initiative ab:

“Natürliche Ressourcen sind eine zentrale Basis für den Wohlstand unserer Gesellschaft. Ressourceneffizienz ist daher ein Ur-Anliegen der Wirtschaft. Täglich machen sich Schweizer Unternehmen für eine 'grünere Wirtschaft' stark und belegen mit ihren Bestrebungen weltweit schon heute Spitzenpositionen. Zusätzliche Regulierungen und Vorschriften durch den Staat sind unnötig und gefährden die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes.”

Meinung des Autors:

Sollte die Initiative der Grünen angenommen werden, wird sie weder Innovationen verhindern noch die Wirtschaft verkrüppeln. Selbstverständlich wird es nicht so weiter gehen wie bisher. Das konnte es aber auch nicht, als etwa Katalysatoren für Autos gesetzlich vorgeschrieben wurden. Die Industrie bäumte sich auf. Das Gesetz sei nicht einzuhalten, Autos künftig nicht mehr bezahlbar. Forschung und Industrie fanden Wege, um sich an die neue Situation anzupassen. Autos vekaufen sich heute immer noch ziemlich gut.

Mit der Initiative der Grünen verhält es sich ähnlich. Sie führt auch zu einer neuen Situation, an die wir uns anpassen müssen. Eine Situation, die wir als Chance sehen sollten. Für jeden einzelnen, für Unternehmen, für die IT.

Schlussendlich müssen wir uns die Fakten vor Augen halten: Wir haben nur einen Planeten. Statt uns mit der Angst vor Profitverlust oder schwächerer Wirtschaftsleistung zu quälen, sollten wir alle Energie in Alternativen, in die Zukunft stecken. Wir sollten in neue, umweltfreundliche, ressourcenschonende Technologien, neue Arbeits- und Lebensmodelle investieren. Und wir sollten die gesetzliche Grundlage dafür schaffen. Wenn ich am 25. September abstimmen dürfte, ich würde ja stimmen.

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