Forschung & Lehre

Active and Assisted Living: sicheres und selbstbestimmtes Leben im Alter

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von Michael Lehmann und Jürgen Holm, Dozenten für Medizininformatik, Berner Fachhochschule

Das Internet der Dinge erobert auch «Brönnimanns Wohnung». Im Living-Lab des Institute for ­Medical Informatics der Berner Fachhochschule entwickeln wir Technologien, die vielleicht schon morgen ein längeres und sichereres Wohnen in den eigenen vier Wänden ermöglichen werden.

Die Lebenserwartung in der Schweiz steigt stetig und beträgt gemäss Bundesamt für Statistik aktuell 81 Jahre für Männer und 85,2 für Frauen. Ältere Menschen wollen in der Regel so lange wie möglich in der eigenen Wohnung leben. Viele von ihnen benötigen dazu Unterstützung durch Spitex oder andere Organisationen.

Die Betreuung von Menschen mit Demenz zuhause ist aufwändig und für die Angehörigen psychisch belastend. In Studien wurde festgestellt, dass unter anderem das Ankleiden ein wesentlicher Stressfaktor für Angehörige und Demente ist.

Das Smarthome für ältere Menschen

Active and Assisted Living (AAL) ist ein multidisziplinäres Forschungsgebiet, das zum Ziel hat, mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien älteren und unterstützungsbedürftigen Menschen ein sicheres, selbstbestimmtes und unabhängiges Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Viele der heute verfügbaren Technologien konzentrieren sich auf die Erfassung von Stürzen, etwa mit Bewegungssensoren im Armband. Andere Systeme versuchen, den Gesundheitszustand zu überwachen. Wie Studien zeigen, wirkt diese Kontrolle aber oft abschreckend auf ältere Menschen.

Darum geht die Forschung heute in eine andere Richtung. Im Zentrum steht das «Smarthome für ältere Menschen». Im Living-Lab der Abteilung für Medizininformatik wurde eine reale Zweizimmerwohnung für die (virtuelle) Familie Brönnimann eingerichtet, die schrittweise mit den neuesten Technologien ausgerüstet wird. Ziel ist, Sensoren unsichtbar zu integrieren und komplett auf Kameras zu verzichten. Im Wohnzimmer, Schlafzimmer und Eingangsbereich ist der Boden vollflächig mit Sensorik versehen. Dieser kapazitive Sensor funktioniert ähnlich wie der Touchscreen eines Smartphones und misst, wo sich Füsse oder ein Körper befinden. Daraus lässt sich berechnen, wie und wohin sich ein Mensch bewegt. Alarm kann ausgelöst werden, wenn jemand am Boden liegt und sich nicht mehr bewegt. Zukünftig sollen über Bewegungsmuster Veränderungen erkannt und reagiert werden können, bevor ein Unfall überhaupt passiert.

Der intelligente Kleiderschrank

In Brönnimanns Schlafzimmer steht der intelligente Kleiderschrank, der Kurt Brönnimann am Morgen beim Ankleiden hilft. Über ein Display, integriert in einen Einwegspiegel direkt in die Schranktür, wird Kurt Schritt für Schritt durch den Ankleideprozess geführt. Damit Kurt die Kleider gut finden kann, wird die Position der Kleidungsstücke mittels LED-Lichtern angezeigt. In der nächsten Ausführung ist geplant die Schubladen mit der Unterwäsche automatisch herausfahren zu lassen. Dabei «weiss» der Kleiderschrank, welche Kleider im Schrank liegen. Dazu wurde sämtliche Kleidung mit waschbaren RFID-Etiketten versehen. Der Schrank kann so einen auf Temperatur, Wetterprognose, Tagestermine und vorhandene Kleidung abgestimmten Vorschlag präsentieren. Kurts Frau Elisabeth wird dadurch – auch zeitlich – entlastet.

Zusätzliche Sensoren in der Wohnung überwachen die Luftqualität, die Temperatur und vieles weiteres. Dank der Analyse der Veränderung der gemessenen Werte kann in Zukunft noch genauer festgestellt werden, wie es den Bewohnern geht. So könnten Veränderungen im Verhalten oder der Gesundheit erkannt und präventiv eingegriffen werden.

Das Smarthome wird also sehr viel über die Bewohner wissen und damit die Behandlung und Pflege durch Hausarzt oder Spitex unterstützen können. Doch Kurt und Elisabeth könnten sich dadurch überwacht fühlen. Darum ist es zentral, dass die Datenanalyse direkt in der Wohnung erfolgt: Es werden keine Daten via Internet verschickt oder in einer Cloud gespeichert. Erst bei kritischen Zwischenfällen, die frei definiert werden können, werden die Angehörigen alarmiert. Überlegungen zu Ethik und Persönlichkeitsschutz sind dabei Bestandteile aller Projekte und gehören zur Ausbildung der Studierenden.

Der Einwand, dass ältere und demente Menschen ein Smart­home nicht mehr bedienen können, ist natürlich berechtigt. Die Technik muss sich deshalb so in eine Wohnung integrieren, dass eine eigentliche Bedienung gar nicht nötig sein wird. Deshalb verfolgt das Living-Lab wenn immer möglich eine «No-GUI»-Strategie («ohne Bildschirmoberfläche») und entwickelt unsichtbare Assistenzsysteme, die eingreifen, falls nötig. Diese Technik hat sich im Alltag bestens bewährt, und wir haben uns daran gewöhnt – oder mussten Sie schon je das ABS in Ihrem Auto aktiv einschalten, wenn Sie ins Rutschen kamen?

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DPF8_30282