Neue Technologie für Herzschrittmacher

Eine Uhr für das Herz

Uhr

Seit 2009 forscht ein achtköpfiges Team an einem batterielosen Herzschrittmacher. Adrian ­Zurbuchen ist der Kopf der Gruppe. Er erzählt, wie es zu diesem Projekt kam.

Herzschrittmacher werden heutzutage mit einer Batterie betrieben. Die durchschnittliche Lebensdauer einer solchen Batterie beträgt etwa acht bis zehn Jahre.

Bevor die Batterie zu neige geht, muss ein Arzt den Schrittmacher entfernen und durch einen neuen ersetzen, wie Adrian Zurbuchen in einem Artikel der Fachzeitschrift "Heart Rhythm" schreibt.

Diese Operationen sind Routineeingriffe. Trotzdem kann dabei viel schief gehen. Auch noch lange nach der Operation. Wunden können sich entzünden oder unkontrolliert bluten. Gemäss der Studie "The Followpace" von Erich O. Udo aus dem Jahr 2012 liegt das Komplikationsrisiko nach zwei Monaten bei rund 12 Prozent. Ausserdem sind solche Operationen sehr teuer.

Die Batterie hat einen weiteren Nachteil. Sie macht einen Grossteil des Gewichts und der Grösse des Herzschrittmachers aus.

Den Herzschlag in elektrische Energie umwandeln

Adrian Zurbuchen will das ändern. Seit 2009 tüftelt er an einem Herzschrittmacher, der ganz ohne Batterie auskommen soll.

Rolf Vogel inspirierte Zurbuchen dazu, als dieser nach einem Thema für seine Masterarbeit suchte. Vogel leitet die Kardiologie des Bürgerspitals Solothurn.

Zurbuchen studierte damals an der Universität Bern. Aus der Masterarbeit wurde seine Doktorarbeit und aus dieser ein Forschungsprojekt mit einem achtköpfigen Team.

2016 veröffentlichten Zurbuchen und seine Mitstreiter einen Artikel in der amerikanischen Fachzeitschrift "Heart Rhythm". In dem Artikel beschrieben sie den Herzschrittmacher, der ein Herz ohne eigene Energiequelle stimulieren soll.

Das Herz selbst sollte die Energie liefern. "Wir hatten uns in der Forschungsgruppe grundsätzlich Gedanken gemacht zur Energiegewinnung im Körper für medizinische Implantate", sagt Rolf Vogel. "Bei der Literatursuche fanden wir eine Studie mit einem Uhrwerk, das ausserhalb des Körpers, auf der Brustoberfläche, vor dem Herzen fixiert wurde."

Experimente in künstlicher und lebendiger Umgebung

Zurbuchen und Vogel wollten aber noch einen Schritt weiter gehen. Gemeinsam mit ihrem Team an der Uni Bern, platzierten sie das Uhrwerk nicht am Oberkörper vor dem Herzen, sondern sie nähten es direkt auf ein Herz. Ein Schweineherz. Dieses ist dem menschlichen Herzen sehr ähnlich.

Bevor sie aber das Experiment in einem lebenden Tier durchführten, gab es verschiedene Tests in einer künstlichen Umgebung. Für das verwendeten die Forscher unter anderem einen Hexapod. Eine Bewegungsmaschine, die sechs bewegliche Beine hat. Diese Maschine simulierte den Herzschlag.

Der aktuelle Prototyp wiegt etwa 12 Gramm. Das gesamte Uhrwerk-System nimmt dabei rund 7,7 Gramm ein. Das äussere Gehäuse hat einen Durchmesser von rund 2,7 Zentimeter. In seiner Höhe misst es nicht einmal 1 Zentimeter.

Vergleich: Ein Herzschrittmacher wiegt im Schnitt rund 25 Gramm. In der Breite, Höhe und Tiefe ist ein batteriebetriebener Schrittmacher ungefähr doppelt so gross, wie der uhrwerkbetriebene.

Ein Antrieb aus vier Teilen

Das Energiegewinnungssystem des Schrittmachers basiert auf einem mechanischen Uhrwerk der Schweizerischen ETA Manufaktur in Grenchen. Das Uhrwerk bezogen die Forscher von Kinetron. Ein High-Tech-Unternehmen, das sich auf die Forschung und Entwicklung von kinetischen Energiesystemen spezialisiert.

Die Forscher entfernten Ziffern- und Datenblatt der Uhr und entwickelten eine neue Schwungmasse. Der Uhrmacher Frank Jutzi aus Wichtrach, Bern unterstütze sie dabei. Er ist auch ein Koautor des wissenschaftlichen Artikels.

Der Mechanismus zur Energiegewinnung besteht wesentlich aus drei Komponenten: Schwungmasse, Feder, Generator.

Die Schwungmasse wird durch den Herzschlag in stetige Bewegung gesetzt. Es schwingt einem Pendel ähnlich hin und her. Die Schwungmasse spannt darauf die Feder im Uhrwerk an. Wenn die Feder voll aufgeladen ist, entlädt sie sich wieder und treibt den Generator an. Dieser wiederum versetzt dem Herzen mittels der entstandenen, elektrischen Energie einen Schlag. Zusammen bilden die vier Komponenten den Energiegewinnungsmechanismus.

Der Energiegewinnungsmechanismus und die Schrittmacherelektronik sind in einem gemeinsamen Gehäuse untergebracht. Die Forscher druckten die weisse Kunststoffumrahmung mit einem 3-D-Drucker. Das Kunststoffgehäuse besitzt sieben Ösen. Mithilfe von diesen Löchern nähte das Forschungsteam um Zurbuchen den Herzschrittmacher auf das Herz.

Versuche an Menschen noch nicht vorgesehen

"Trotz unseres Fortschritts seit Beginn des Projekts werden noch einige Optimierungsschritte nötig sein, um die Marktreife zu erreichen", sagt Zurbuchen. "Aus technischer Perspektive und unter optimalen Bedingungen sind 6 Jahre aber durchaus erdenklich."

Versuche an Menschen seien für die nächsten Jahre nicht vorgesehen, sagt Zurbuchen. Klinische Versuche kämen meist mit der Marktreife eines Produktes. Denn die Sicherheit des Patienten hat höchste Priorität. Das Risiko eines Ausfalles des Schrittmachers wollen die Forscher auf das Minimum reduzieren.

Das Team um Adrian Zurbuchen baute ein Notfallsystem ein. Dieses lässt den Schrittmacher 20 bis- 60 Sekunden weiter funktionieren, falls das Uhrwerk aussetzt. "Es ist jedem klar, dass 20 bis 60 Sekunden nicht ausreichen, um einen Arzt aufzusuchen", sagt Zurbuchen. Das Notfallsystem des marktreifen Schrittmachers müsse mehrere Wochen überbrücken können. Die kleine Stromkapazität im Protoypen diene vor allem dazu, die Elektronik mit Energie zu versorgen.

Das Konzept ist realisierbar

Mit den kürzlich publizierten Studien haben die Forscher gezeigt, dass sie genügend Energie aus den Herzschlägen sammeln können, um einen Schrittmacher zu betreiben. "Unser Ziel ist es aber nicht, möglichst viel Energie zu gewinnen sondern nur so viel wie nötig", sagt Adrian Zurbuchen. "Damit verhindern wir, dass dem Herzen zu viel abverlangt wird und es darunter leiden könnte."

Die Forscher testen zurzeit verschiedene Möglichkeiten, um den Herzschrittmacher zu optimieren. Zum einen wollen sie den Prototypen weiter verkleinern. Zum anderen wollen die Forscher in Langzeitstudien aufzeigen, dass der mechanische Schrittmacher dauerhaft ein schwaches Herz unterstützen kann.

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