Forschung & Lehre

Wie beeinflusst unser Verhalten tagsüber unseren Schlaf?

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von Ulrich Reimer und Edith Maier, Institut für Informations- und Prozessmanagement, FHS St. Gallenn

Schlafstörungen sind weit verbreitet. Heute bieten Smartwatches, Fitness-Armbänder sowie Smartphone-Apps neue Möglichkeiten, Daten zu den Schlaf- und Lebensgewohnheiten ihrer Anwender zu sammeln. Durch Datenanalyse gefundene Zusammenhänge können dazu beitragen, Empfehlungen für Verhaltensänderungen abzuleiten, die zu einem besseren Schlaf führen.

Gemäss einer aktuellen Studie (Tinguely et al. 2014) leiden derzeit etwa 20 Prozent der Menschen in der Schweiz an Schlafstörungen. Ungefähr 80 Prozent aller Patienten mit Depressionen beklagen sich über Schlafprobleme, die ihrerseits ein mögliches Anzeichen für zukünftige Depres­sionen sind.

Angesichts der weiten Verbreitung von Schlafstörungen besteht ein grosses Interesse, mehr über die Zusammenhänge zwischen dem eigenen Verhalten tagsüber und der Schlafstruktur beziehungsweise der subjektiv wahrgenommenen Schlafqualität herauszufinden.

Der Gold-Standard für die professionelle Messung für Schlafstörungen ist die im Schlaflabor durchgeführte Polysomnographie. Hierbei werden während der Nacht Hirnströme (EEG), Herzrhythmus (EKG), Augenbewegungen (EOG) und Muskelak­tivität (EMG) aufgezeichnet. Hinzu kommen weitere Vitaldaten wie etwa Atemfluss und Sauerstoffsättigung im Blut.

Aufgrund der zunehmenden Miniaturisierung und Leistungsfähigkeit von Sensoren können heute durch Wearables generierte Daten genutzt werden, um Zusammenhänge zwischen Verhalten und Schlaf genauer zu untersuchen. Diese sind allerdings höchst individuell. Denn jedem Menschen helfen andere Verhaltensweisen, um schlafen zu können. So ist etwa der abendliche Spaziergang für eine Person förderlich, hindert aber eine andere Person möglicherweise daran, rasch einzuschlafen. Das Projekt «Smart­Sleep» befasst sich mit solchen individuellen Zusammenhängen. Das Projekt umfasst drei Teilaufgaben:

  1. Die Erkennung von Aktivitäten tagsüber;

  2. Die Erkennung von Schlafstruktur aus­serhalb des Schlaflabors mithilfe von Wearables;

  3. Die Erkennung von Zusammenhängen zwischen Aktivitäten und Schlafstruktur, also der Schlafphasen während einer Nacht. Zu den ersten beiden Teilaufgaben liegen bereits Ergebnisse vor.

Aktivitätserkennung

Zurzeit betrachten wir die folgenden Merkmale, um Verhalten tagsüber zu beschreiben: elementare Aktivitäten wie Gehen, Laufen, Fahrradfahren; komplexe Aktivitäten wie Haushalts­arbeit, Gartenarbeit, Einkaufen; Körperposition (stehend, sitzend, liegend); Stress-Level (durch die «SmartCoping»-App ermittelt, www.smartcoping.net); ein kombinierter Aktivitätsindex, berechnet aus Bewegungs­dauer und -intensität.

Elementare Aktivitäten lassen sich mithilfe von Beschleunigungssensoren und Algorithmen sehr genau erkennen. Sie sind jedoch zu unspezifisch, um die Tätigkeiten einer Person im Alltag adäquat zu beschreiben. «SmartSleep» entwickelt deshalb eine Komponente zur Erkennung komplexer Aktivitäten. Diese Komponente soll es als Teil einer Smartphone-App Benutzern ermöglichen, zusätzlich zu schon vordefinierten Aktivitätstypen die App auf die Erkennung weiterer, für sie relevante Aktivitäten zu trainieren.

Erkennung von Schlafstruktur

Zur Erfassung der Schlafstruktur ist normalerweise ein Aufenthalt in einem Schlaflabor notwendig, wo eine Polysomnographie durchgeführt wird. Um Schlafstruktur auch in der gewohnten Lebensumgebung zu bestimmen, experimentiert «SmartSleep» mit verschiedenen Kombinationen von Sensoren aus dem Consumer-Bereich wie Smartwatches oder Beschleunigungssen­soren. Allerdings kommen viele derzeit am Markt erhältliche Wearables, welche die Erkennung von Schlafphasen als Service anbieten, für die Erreichung der Projektziele nicht infrage. Sie sind viel zu ungenau. Bei einem Vergleich solcher Sensoren fanden wir praktisch keine Übereinstimmung der von den Geräten erkannten Schlafphasen.

Die Herausforderung des Projekts liegt darin, Muster in Sensordaten zu identifizieren, welche die einzelnen Schlafphasen anzeigen. Ziel ist es, Schlafphasen mithilfe von alltagstauglichen Wearables mit ähnlicher Genauigkeit zu erkennen wie im Schlaflabor. Sind die Muster einmal bestimmt, kann man über Erkennungsalgorithmen in den aufgezeichneten Sensordaten nach diesen Mustern suchen und so die Schlafphasen identifizieren. Zur Bestimmung der Muster werden Datenanalyse-Algorithmen eingesetzt. Dazu führt unser medizinischer Partner im Schlaflabor parallel zur Polysomnographie Messungen mit Wearables durch. Auf diese Weise können wir die ausgewerteten Schlafphasen den aufgezeichneten Datenströmen der Wearables zuordnen.

Deep Learning

Das Erkennen aussagekräftiger Muster in den Sensordatenströmen steht und fällt mit der Verwendung geeigneter Beschreibungsmerkmale, die den eingesetzten Data-Mining-Algorithmen zur Beschreibung der Muster zur Verfügung stehen. Es ist äus­serst schwierig, gute Merkmale zu finden, und benötigt aufwändige Experimente. Im Projekt «SmartSleep» setzen wir deshalb auf den seit einiger Zeit wieder aufgelebten Ansatz des Deep Learning. Dieser ermöglicht es, direkt aus den Sensorrohdaten semantisch höherstehende Beschreibungsmerkmale zu lernen, ohne weitere Vorgaben (unsupervised). Dafür setzen wir mehrere Schichten sogenannter Restricted Boltzmann Machines ein.

Ergebnisse

Erste Ergebnisse bezüglich der Erkennung komplexer Aktivitäten mithilfe von Beschleunigungssensoren sind vielversprechend. Die Erkennung von Schlafphasen bei gesunden Probanden funktioniert schon erstaunlich gut. Die erzielten Erkennungsraten übertreffen jene aus anderen uns bekannten Studien. Eine nähere Diskussion findet sich in Reimer et al. 2017.

Überraschenderweise hat sich gezeigt, dass die Erkennungsraten unter Verwendung zweier Beschleunigungssensoren (bei gesunden Probanden) vergleichbar sind mit jenen, die sich erzielen lassen, wenn man Herzrate und Atemfrequenz durch einen Brustgurt misst. Eine der Ursachen sind Mess-Arte­fakte, die durch Bewegungen im Schlaf entstehen. Wir schliessen daraus, dass sich Brustgurte für dieses Einsatzfeld wenig eignen und setzen deshalb neu auf den Sensor des Projektpartners Biovotion, der am Oberarm getragen wird.

Ausblick

Das Projekt «SmartSleep» läuft Ende März 2017 aus und wird bis dahin eine solide Basis für die Aktivitätserkennung und die Erkennung von Schlafphasen gelegt haben. Damit ist das primäre Ziel von «SmartSleep» erreicht worden. Das ultimative Ziel der Unterstützung von Verhaltensänderungen zur Verbesserung der Schlafqualität wird in einem Folgeprojekt angegangen. Dazu werden wir unser Behavioural Change Support Framework he­ranziehen, das Benutzer einer App über situationsspezifische Feedbacks, Personalisierungsoptionen und automatische Benutzeradaption unterstützt (Reimer & Maier, 2016).

Projekt «SmartSleep»

Das Projekt «SmartSleep» wird von der Internationalen Bodensee Hochschule IBH gefördert. Geförderte Projektpartner sind die FHS St. Gallen, die FHV Vorarlberg und die HTWG Konstanz. Das Departement Schlafmedizin der Klinik Barmelweid agiert als medizinischer Partner. Biovotion und Myvitali bringen ebenfalls ihre Expertise in das Projekt ein. www.smart-sleep.net

Literaturhinweise

  • Reimer, U.; Maier, E.: Personalisierung und automatische Benutzeradaption in Smartphone-Apps. In: IT for Health, Ausgabe 02/2016.

  • Reimer, U.; Emmenegger, S.; Maier, E.; Zhang, Z.; Khatami, R.: Recognizing Sleep Stages with Wearable Sensors in Everyday Settings. Zur Veröffentlichung eingereicht.

  • Tinguely, G.; Landolt, H.P.; Cajochen, C.: Schlafgewohnheiten, Schlafqualität und Schlafmittelkonsum der Schweizer Bevölkerung – Ergebnisse aus einer neuen Umfrage bei einer repräsentativen Stichprobe. Therapeutische Umschau 2014, 71:637–646.

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