Interview mit Martin von Schroeder, SFV

Wie der SFV Big Data bewältigt

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Der Schweizerische Fussballverband SFV hat die Spielerkontrolle und die ICT zusammengelegt und einem neuen Leiter ­unterstellt. Im Interview berichtet Martin von Schroeder, welches Digitalisierungspotenzial im Fussball steckt.

Michael von Schroeder, Leiter ICT und Spielerkontrolle.
Michael von Schroeder, Leiter ICT und Spielerkontrolle.

Sie sind seit September neuer Leiter des Bereichs Clubservices beim SFV. Wurde Ihre Stelle neu geschaffen?

Martin von Schroeder: Ja, der Verband legte die Bereiche Spielerkontrolle und ICT zusammen und unterstellte die neue Abteilung mir.

Warum wurden die Bereiche zusammengelegt?

Weil man das Digitalisierungspotenzial erkannte. Die Spielerkontrolle etwa verzeichnet jährlich rund 80 000 Aktivitäten mit Spielertransfers, Qualifikationen und Anmeldungen – Tendenz steigend. Das schrie förmlich nach einer Automatisierung.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen wir den Spielerpass, der jetzt nur noch digital verfügbar ist. Das vereinfacht die Verwaltung der Teams ungemein. Aktuell sind wir unter anderem daran, die Spieleradministration zu digitalisieren. Dann braucht es kein physisches Formular mehr mit Stempel, Foto und Unterschrift. Ich sehe noch viel Optimierungspotenzial, damit sich die Vereine nicht mit aufwändiger Administration aufhalten müssen, sondern den Fussball noch mehr ins Zentrum rücken können.

Wie erlebten Sie die Anfangszeit beim SFV?

Ich wurde sehr gut aufgenommen und integriert. Ich achtete zu Beginn darauf, wie der Verband aufgestellt ist, im Speziellan auch beim Thema Digitalisierung, und fragte nach den unterschiedlichen Bedürfnissen. Dann habe ich Prioritäten gesetzt, wie sich Prozesse verbessern lassen und wen man in Zukunft wann und wie bedienen könnte.

Wie ist die ICT beim SFV aufgebaut?

Wir betreuen etwa 220 Clients in der ganzen Schweiz, für den SFV und seine 13 Regionalverbände. Alle beziehen Hardware, Software und Dienstleistungen von uns.

Wie unterstützen Sie die Vereine?

Für die Vereine baute der SFV 2013 die Plattform Clubcorner auf. Rund 65 000 registrierte Funktionäre nutzen sie täglich für den Spielbetrieb, die Vereinsadministration, die Spielabwicklung am Wochenende, Match-Telegramme und vieles mehr. Clubcorner entwickelten wir selbst. Die Plattform basiert nicht auf einer Standardlösung, damit wir alle Prozesse auf den Fussball abstimmen und anbieten können. So sind wir vom manuellen Administrationsprozess schon ein grosses Stück weggekommen.

Wie unterhalten Sie die Plattform?

Mit einer grossen Infrastruktur. Ausser Clubcorner werden etwa auch unsere Homepage football.ch sowie weitere Services mit insgesamt 40 physischen und 140 virtuellen Servern betrieben. Sie befinden sich an zwei Standorten in der Schweiz, weil die Verfügbarkeit ein sehr wichtiges Thema für uns ist.

Wie setzt sich das ICT-Team beim SFV zusammen?

Wir haben vier Spezialisten unter der Leitung von Serge Aeschbacher, die in Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern für alles zuständig sind: ICT-Betrieb, Server-In­frastruktur, Applikationsentwicklung, Konzeptionen, Testing und User Support.

Wer sind die Dienstleister?

Wir haben ein Komplettpaket an unterschiedlichen Dienstleistern ausgewählt.

Was müssen Partner mitbringen, wenn sie mit dem SFV ­zusammenarbeiten wollen?

Wir wollen spezialisierte, renommierte Partner mit einem hohen Qualitätsanspruch. Sie müssen auch äusserst flexibel sein, weil zusätzlich zum täglichen Betrieb abends und am Wochenende Fussball gespielt wird. An einem normalen Frühlingsweekend zum Beispiel finden rund 10 000 Fussballspiele in der Schweiz statt. Da können wir keine Änderungen am System durchführen, wie man das sonst kennt. Aber etwas vom Wichtigsten ist auch, dass sie Freude am Fussball haben.

Ist es schwierig, Fussballfans bei ICT-Dienstleistern zu finden?

Nein, bisher gab es noch in jeder für uns relevanten Firma fussballbegeisterte Mitarbeiter, die gerne mit uns zusammenarbeiten wollten.

Wie lange ist Big Data schon ein Thema für den SFV?

Sicher seit 2012, in der aktuellen Konsequenz aber erst seit der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Schon damals erhielten die Spieler, noch unter Trainer Ottmar Hitzfeld, zu den Qualifikationsspielen jeweils E-Mails mit Filmsequenzen der Gegner sowie der möglichen direkten Gegenspieler. Damit informieren wir sie etwa über die Stärken und Schwächen der Gegner, zeigen Laufwege und Raumaufteilungen zur Spielvorbereitung auf. Teilweise schon vor den Trainingslagern des A-Teams, in denen bei Übungen auf dem Platz dieses Wissen teilweise schon vorausgesetzt wird. So kann Nationaltrainer Vladimir Petković die entsprechende Schweizer Taktik einüben.

Gibt es andere Gründe für diesen Versand und Einsatz von Videosequenzen?

Die Spieler haben einen hohen Rhythmus in ihren Klubs, alle drei bis vier Tage gibt es ein Spiel. Da können wir mit den Videos das Bewusstsein fürs Nationalteam ein wenig schärfen. Es gab schon Spieler, die zur "Nati" kamen, aber den Qualifikationsmodus nicht kannten, weil sie eben in den Vereinsteams so hoch getaktet waren. Zudem: Videos sind ihnen sehr willkommen. Die heutige Spielergeneration ist eher für Bewegtbilder als für lange Vorträge oder reine Pfeilgrafiken empfänglich.

Wie nutzen Sie Daten für die Spielerverbesserung?

Etwa mit der Auswertung von Leistungsdaten wie den Schnellkraftwerten. Wir testen die Spieler regelmässig bei Zusammenzügen in Magglingen. So erkannten wir, dass sich im März vor der Europameisterschaft 2016 die Werte eines Spielers verschlechtert hatten, obwohl er regelmäs­sig spielte. Bis zur EM im Juni hatten wir dann noch genug Zeit für ein massgeschneidertes Programm. Am Ende hatte er bessere Schnellkraftwerte als zuvor und spielte jedes Match. Mit diesem System können wir punktuell Defizite ausmerzen.

Wie können Sie mit Big Data den Fussball verbessern?

Wir sammeln schon seit über zehn Jahren eine Unmenge an Daten, jetzt müssen wir sehen, wie wir das möglichst vorteilhaft nutzen können.

Haben Sie schon Pläne dafür?

Ja, der SFV will vor allem in der Jugendarbeit mit Big Data die Leistungsdatenerfassung und daraufhin die Trainings verbessern. Wir wollen mehr auf die Spieler eingehen und sie anhand ihrer Leistungsdaten individueller und damit noch gezielter fördern als bisher.

Liess sich der U17-Weltmeister-Titel von 2009 noch nicht mit Big Data begründen?

Nein, das waren vor allem aussergewöhnlich gute Jahrgänge. Es war für uns nicht die grosse Überraschung, dass nicht gleich weitere Titel folgten. Aber wir haben aktuell wieder eine sehr gute U17-Generation, da liegt einiges drin.

Verläuft die Entwicklung der digitalen Transformation beim SFV parallel zu den Vereinen?

Die haben uns etwas voraus. Für uns ist es oft schwierig, Vorreiter zu spielen oder allzu spezifisch zu sein. Wir wollen nicht komplett andere Schwerpunkte setzen, als es die Spieler von den Klubs gewohnt sind. Dann wäre das Chaos bald perfekt. Wir haben aber gemerkt, dass es ein starkes Bedürfnis für die Videoauswertung gibt und deshalb einen zusätzlichen Mitarbeiter engagiert, der mit Nati-Trainer Vladimir Petković die Spiele am Bildschirm auswertet.

Wer treibt die digitale Entwicklung voran?

Das ist ein Zusammenspiel. Wir haben auch Mitarbeiter in der ICT, die freiwillige Funktionäre bei einem Club sind. Die kennen die Bedürfnisse beider Seiten. Wir vom SFV geben in Zusammenarbeit mit den Klubs die Strategie vor. Immer im Sinne des Fussballs, damit man mehr Zeit für den Sport hat.

Wer ist am Weitesten in der Schweiz bei der Digitalisierung?

Das ist schwierig zu sagen. Der FC Basel hat die finanziellen Mittel und ist darum schon sehr weit beim Thema Big Data, auch auf Social Media machen sie sehr viel. Aber Vereine wie der FC Luzern und der FC St. Gallen sind dafür aktiv beim Thema E-Sports.

Ist E-Sports auch für den SFV ein Thema?

Nein, heute und morgen noch nicht, solange es noch keinen klaren Mehrwert gibt. Die Entwicklung ist aber spannend.

Müssen Sie das Team noch stärker ausbauen angesichts der ­Datenmenge?

Wir haben das fixe Pensum unseres Leistungsphysiologen erhöht, der für die Erfassung und Auswertung der Daten zuständig ist. Zusammen mit dem Videoanalysten versorgt er den Nationaltrainerstab mit ausreichend Informationen für die Spielvorbereitungen. Aber natürlich sind wir offen für aktuelle Entwicklungen und Inputs unseres sehr modern denkenden Nationaltrainers.

Reist Vladimir Petković heute dank der Videos weniger?

Ja. Wenn er heute reist, dann um den Kontakt mit den Spielern und deren Klubtrainern vor Ort zu pflegen. Bei allem Big Data steht immer noch der Mensch im Mittelpunkt. Vladimir Petkovićs Wochenenden sind fast immer gleich. Am Samstag ab 13 Uhr schaut er sich bis am späten Sonntagabend Spiele an, möglichst viele live, einige dann eben im Replay. So ist er stets top informiert, wenn er mit den Spielern deren aktuelle Situation bespricht.

Steht und fällt die Datenanalyse mit dem Trainer?

Jeder Trainer hat seine eigenen Bedürfnisse, aber alle arbeiten mit ähnlichem Material. In den wesentlichen Punkten gab es keine grossen Unterschiede von Hitzfeld zu Petković. Beide sind akribische Planer, die möglichst wenig dem Zufall überlassen wollen.

Wie sammeln Sie die Daten?

Heute kommt fast jedes Match im Fernsehen. Wir haben deshalb Log-ins bei verschiedenen Anbietern. Mit einem Tool auf iPad-Basis kann man auch Spiele im Stadion verfolgen und fast gleichzeitig eine detaillierte Spielanalyse erhalten. Auf diese Weise beobachteten wir zum Beispiel unsere Europameisterschaftsgegner schon bei deren EM-Vorbereitung. Wir sind aber auch auf die Daten der Vereine angewiesen, weil wir die Spieler nicht täglich bei uns haben. Die Schweizer Vereine können die Leistungsdaten im Clubcorner eintragen.

Wo steht der SFV bei Big Data im Vergleich zu anderen Verbänden?

Alle Verbände arbeiten mit Big Data, da müssen wir uns nichts vormachen, auch kleinere. Wir achten aber vor allem auf uns. Und es kommt immer darauf an, was sie mit den Daten machen. Dass Deutschland Weltmeister wurde, ist deshalb auch kein Zufall. Der DFB hat die wohl grösste ICT- und eine eigene Forschungsabteilung. Übrigens ist mit Urs Siegenthaler ein Schweizer für die Datensammlung dort verantwortlich.

Wie verhindern Sie Datenmissbrauch?

Wir versuchen, so viel wie möglich mit IT-Security von Partnern gegen Cyberkriminalität zu unternehmen, aber 100 Prozent Sicherheit ist leider nicht möglich. Gegen Datenmissbrauch bei Mitarbeitern haben wir Berechtigungskonzepte und Sicherheitsmechanismen in unseren Systemen eingeführt, um die Überwachung und Prävention voranzutreiben.

Wie nutzen Sie Big Data für Tickets?

Wir versuchen, unsere Kunden noch besser kennenzulernen und die Produktpalette mit massgeschneiderten Angeboten zu erweitern. Fussball ist so attraktiv, dass wir zuletzt immer ausverkauft waren. Doch man muss nicht mehr lange Reisen ins Stadion unternehmen, um SFV-Spiele zu sehen, weil wir alle Matches im Helvetia Schweizer Cup und sämtliche Heimspiele unserer Auswahlteams professionell von tpc produzieren lassen und per Webstream auf SFV Play und Cup Play übertragen. Das U15-Spiel gegen Aserbaidschan wird in derselben Qualität produziert wie das A-Nati-Spiel gegen Portugal.

Wie bewältigen Sie den Ansturm bei einem wichtigen Spiel?

Wir trafen technische Vorkehrungen mit Redundanzen und Load Balancings. Ausserdem ist die Infrastruktur dynamisch ausbaubar, so können wir schnell reagieren. Zuletzt etwa bei einer Cup-Auslosung. Wir waren etwas überrascht, dass sich am Montagmorgen weit über 50'000 Zuschauer zum Livestream einschalteten.

Was macht der SFV auf Social Media?

Wir sind seit der Weltmeisterschaft 2014 überall präsent. Auf Facebook, Twitter, Youtube und Instagram. Ein sechsköpfiges Team befüllt die Kanäle gleichwertig mit Informationen und Unique Content wie exklusiven Kurzinterviews. Wir hatten unsere Social-Media-Aktivitäten nie beworben, registrierten aber bald weit über 100'000 Follower.

Haben Sie ein Reporting für gewaltbereite Fans?

Es gibt eine schweizweite Datenbank für gewaltbereite Fans, mit der auch wir arbeiten. So erfreulich es ist, dass wir bei unseren Auswahlspielen keine nennenswerten Probleme in diesem Bereich haben, so wichtig ist uns der Dialog mit Vereinen, Fanarbeitern, Behörden und der Politik. Diesen pflegen wir in einer sehr guten Kooperation aller involvierten Parteien.

Wie wird die digitale Transformation den Fussball verändern?

Es entsteht eine gewisse Abhängigkeit von der ICT, weil die Daten stets verfügbar sein müssen. Diese wird noch zunehmen. Ausser um die technischen Möglichkeiten wie Videobeweise geht es auch darum, das digitale Know-how bei den Beteiligten im Fussball wie auch im SFV zu stärken.

Machen Sie Schulungen bei den Vereinen?

Wir veranstalten zweimal jährlich Workshops mit allen Regionalverbänden und machen auch individuelle Abstimmungen. So können sie die Informationen den Vereinen weitergeben und diese schulen. So sind wir etwa dank Skype for Business noch besser miteinander vernetzt und können so auch visuelle Unterstützung anbieten.

Wo sehen Sie Gefahren beim Thema ICT im Fussball?

Mehrere, nebst der ständigen Verfügbarkeit existiert die Gefahr des Missbrauchs der Daten oder ihre Manipulation. Ausserdem kann auch eine Gefahr drohen bei totaler Transparenz. Bei Videobeweisen sind dann die Schiedsrichter, aber auch die Spieler und die Zuschauer gefordert, weil heute schon weit mehr möglich ist als bloss der Einsatz der Goal Line Technology. Die Technik kann Schieds- und Linienrichter unterstützen, wenn es darum geht, Situationen zu beurteilen, die zum Beispiel das menschliche Auge nicht mehr einwandfrei meistern kann.

Spieler entwickeln sich. Besteht bei der Datenanalyse nicht die Gefahr, dass erfahrene und gute Spieler ausgemustert werden, weil es ein Algorithmus empfiehlt?

Nein, das sind dann doch höchstens Hilfestellungen für den Trainer für eine Gesamtbeurteilung. Es gibt viele Eigenschaften, die man nicht mit einem Algorithmus steuern kann, zum Beispiel Führungsqualitäten und die Wirkung von echten Spielerpersönlichkeiten auf und neben dem Platz. Der Trainer muss darauf achten, dass er die richtige Mischung im Team hat. Die ICT wird nicht im Alleingang entscheiden, ob jemand dazu gehört oder nicht. "Bauch-Entscheide" von Trainerinnen und Trainern wird es noch lange geben.

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