Live-Interview

"Das Gesundheitswesen befindet sich in einem fundamentalen Umbruch"

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von George Sarpong

Das Claraspital Basel forciert die digitale Transformation. Die Fäden hierfür laufen bei Dominique Schmid zusammen, Leiter Innovations- & Technologiemanagement. Schmid spricht über Innovation, Diätpläne und die Chancen des EPDs für die Medizin der Zukunft.

Dominique Schmid zusammen, Leiter Innovations- & Technologiemanagement, Claraspital Basel (Source: Netzmedien)
Dominique Schmid zusammen, Leiter Innovations- & Technologiemanagement, Claraspital Basel (Source: Netzmedien)

Sie sind seit Juli Leiter Innovations- & Technologiemanagement am Claraspital in Basel. Wie sind Sie gestartet?

Dominique Schmid: Ich bin gut gestartet. Es ist ein Haus, in dem der Mensch im Zentrum steht. Es freut mich, die verschiedenen Projekte in den Bereichen Innovation und Technologie hier am Claraspital zu begleiten.

 

Ihre Arbeit umfasst die Bereiche IT, Gebäude- und Medizintechnik. Das klingt nach einer Menge ­Arbeit. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?

Das Gesundheitswesen befindet sich in einem fundamentalen Umbruch. Das macht die Aufgabe immens spannend. Als Arbeits- und Organisationspsychologe ist mir ausserdem das Arbeitsumfeld sehr wichtig. Ich bin überzeugt, dass man als Unternehmen nur dann weiterkommt, wenn man auch beim konstanten Wandel ein positives Arbeitsklima pflegt.

 

Was sind Ihre Aufgaben?

Ich trage verschiedene Hüte. Ich kümmere mich um Projekte und das dazugehörige Prozessmanagement. Dazu zählen die Ressourcenplanung und das Reporting. Eine weitere Aufgabe ist das Innovationsmanagement, also die Entwicklung von einer Idee bis zu einem Projekt. Wir sind in der luxuriösen Situation, dass wir mehr Ideen und Projekte als Ressourcen haben, um diese abzuarbeiten. Deshalb braucht es mich. Eine Person, die vorhandene Ideen sammelt, ordnet und strukturiert mit dem Team umsetzt.

Wie wollen Sie den digitalen Wandel im Claraspital mit Ärzten und Pflegern umsetzen?

Meine Hauptaufgabe wird es sein, eine Methodik einzuführen, bei der wir die Mitarbeiter einbeziehen und gemeinsam Lösungsansätze erarbeiten. Abschliessend wählen wir dann jene Ideen, aus denen wir Projekte erarbeiten können. Das beschleunigt anschliessend die Projektumsetzung.

 

Woher kommen die Ideen?

Die kommen massgeblich aus den Fachbereichen. Wir haben ein gut etabliertes Feedback-System, über das die Mitarbeiter ihre Ideen einbringen. Das hängt mit der Kultur hier zusammen. Wir wollen hochprofessionelle Arbeit leisten. Daran denkt jeder Mitarbeiter im Claraspital täglich.

 

Wie setzen sich die Projektteams zusammen?

Unsere Organisation ist so aufgebaut, dass alle Teams bereichsübergreifend arbeiten. Wir haben unsere Schwerpunktbereiche Bauch und Tumor, den übergreifenden medizinischen Querschnittsbereich mit Schwerpunkt Radiologie/Radioonkologie, die Pflege, unsere zentralen Dienste und neu meinen Bereich. Applikationsverantwortung trägt immer jemand aus den entsprechenden Fachbereichen. Wir wollen auf diese Weise die Bereichs- und die Technologiesicht in unseren Projekten abbilden.

 

Inwiefern hilft die Digitalisierung dem Clara­spital bei der Wettbewerbsfähigkeit?

Die digitale Transformation ist zentral für die Effizienzgewinnung im Spital. Da ergeht es uns genauso wie anderen Unternehmen auch. Die Digitalisierung ist auch Türöffner für die Entwicklung neuer Technologien. Die ersten Spitäler testen künstliche Intelligenz, etwa in der Diagnose. Diagnostik wird eines der ersten Gebiete sein, in denen wir mit solchen Hilfsmitteln arbeiten werden. Ein weiteres Gebiet sind Roboter. Wir sind ein Referenzzentrum für Operationen mit OP-Robotern des Typs Da Vinci. Vor einem möglichen Effizienzgewinn durch Digitalisierung steht bei uns aber natürlich immer die Sicherheit der Patienten und der Nutzen für diese.

 

Wo nutzen Sie Roboter noch?

Wir haben beispielsweise Roboter angeschafft, mit denen radioaktive Substanzen maschinell aufbereitet werden. Auf diese Weise müssen unsere Ärzte und Pflegekräfte erst bei der Applikation der Spritze mit dem radioaktiven Material arbeiten. Das reduziert die Strahlenbelastung der Mitarbeiter. Auch dieses Projekt entstand durch eine Idee im Fachbereich.

 

Sie bringen Erfahrungen aus der IT-Branche mit, etwa von SPS und der Swisscom-Tochter Sicap. Wie erleben Sie als quasi Branchenfremder das Spital?

Im Bereich Technologieeinsatz und IT ist unser Haus gut aufgestellt. Ärzte und Pfleger gehen von Spitalzimmer zu Spitalzimmer und müssen beispielsweise Informationen zu den Patienten abrufen können. Deshalb wurden Anfang dieses Jahres virtualisierte PC-­Arbeitsplätze eingeführt. Auf diese Weise kann das Klinikpersonal etwa über Tablets standortun­abhängig auf wichtige Daten und Dossiers zugreifen. In der IT profitieren wir also von neuen Ent­wicklungen. Im medizinischen Bereich auch, aber mit der Einschränkung, dass wir einmal eingeführte Technologien nicht einfach verändern können.

 

Wie meinen Sie das?

Wenn man die Technik etwa in die eigene In­frastruktur nach eigenen Wünschen integrieren will, etwa um den Betrieb der Infrastruktur möglichst einfach zu halten, tritt der Hersteller die Verantwortung an den Kunden ab. Aber genau diesen Service will man als Spital einkaufen. Wir sind daher gezwungen, ein medizinisches Gerät genauso zu betreiben, wie der Hersteller dies vorschreibt. Das macht technische Projekte im Spital im Vergleich zu einem Industriebetrieb von vergleichbarer Grösse deutlich komplexer.

 

Wie äussert sich das?

Wir haben medizinische Geräte, die technisch zum Besten zählen, was der Markt anbietet. Die dazugehörige Software müssen wir – allein aus Haftungsgründen – genauso betreiben, wie der Gerätehersteller uns dies vorgibt. In einem Industriebetrieb spielt so etwas kaum eine Rolle, da man die verschiedenen Systeme an seine Bedürfnisse anpassen und integrieren kann. In einem hochspezialisierten Spital wie dem unseren wird hingegen der Park an unterschiedlichen­ und zum Teil inkompatiblen Geräten und Softwareapplikationen grösser. Es ist ein Spannungsfeld: Das breite Spektrum an proprietärer Hightech einerseits und auf der anderen Seite der Druck der Digitalisierung, der effiziente Prozesse und eine möglichst homogene Infrastruktur erfordert.

 

Wie lösen Sie diese Spannung?

Indem wir nach zwei Prinzipien arbeiten: Systems of Records und Systems of Engagement. Bei Systems of Records sind wir freier und haben entsprechend durchgängige Prozesse aufgebaut. Hierzu zählen etwa die virtualisierten PC-Arbeitsplätze. In der anderen Welt geht es um Informationen, die wir mit Patienten und Ärzten austauschen. Hier geht es darum, Patienten immer sicherer, schneller und besser zu behandeln. Es geht bei unseren Projekten aber nicht immer nur um die maximale Effizienz. Das spiegelt sich etwa im Umbau unserer Spitalküche wider.

Aber gerade eine Küche eignet sich doch dazu, um Prozesse auf ein Maximum an Effizienz zu trimmen.

Rein wirtschaftlich betrachtet, ja. Dann müssten wir bei einem Catering-Dienst bestellen. Wir gestalten unsere Leistungen aber nach dem Wert, den es für den Heilungsprozess des Patienten braucht. Deshalb kochen wir für unsere Patienten und Mitarbeiter selbst. Nur indem wir selbst kochen, haben wir die Kontrolle darüber, dass beispielsweise glutenfrei gekocht wird und bestimmte Gewürze, die ein Patient nicht verträgt, auch wirklich nicht im Essen sind.

 

Von wie vielen Gerichten sprechen wir hier?

Das sind jeden Tag zirka 1000 Gerichte, inklusive Speisen, die an die individuelle Diät der Patienten angepasst sind.

 

Wie organisieren Sie den Waren- und Speisefluss?

In der Küche gibt es mehrere Büros. Dort werden die Diätpläne entgegengenommen, die Rezepte geplant und an die Köche verteilt. Im Hintergrund läuft die Warenbewirtschaftung. Das IT-System berechnet die Bestellmengen und ordert die Lebensmittel bei unseren Lieferanten. Die Köche bereiten dann Just-in-Time die Gerichte, damit sie warm und frisch beim Patienten ankommen. Dort hört es aber nicht auf. Nach dem Essen halten die Pfleger fest, was und wie viel der Patient gegessen hat. Ass der Patient nur den Kartoffelbrei oder auch das Gemüse? Wie viel Kalorien hat er zu sich genommen? Hat er nur Eiweisse oder auch Kohlenhydrate zu sich genommen? All diese Informationen fliessen wiederum in unsere Datenbanken für die Behandlung ein. Auf diese Weise schliesst sich der Kreis.

Das beherrschende Thema des Schweizer Gesundheitswesens ist das elektronische Patientendossier (EPD). Wie realisiert das Claraspital das EPD?

Bereits heute betreiben wir unsere digitale Plattform Clara-Portal. Unseren zuweisenden Ärzten können wir damit sicher und zeitnah Informationen zu ihren Patienten elektronisch zur Verfügung stellen – medizinische Daten, Befunde, Behandlungsergebnisse etc. Anfang dieses Jahres gründeten wir zum Thema elektronisches Patientendossier mit den Spitälern Universitätsspital Basel, dem St. Claraspital, dem Kantonsspital Baselland, den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, dem Felix-Platter-Spital und der Solothurner Spitäler AG den Trägerverein E-Health Nordwestschweiz. Wir decken somit die Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Solothurn ab. Das Claraspital ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Trägervereins der Stammgemeinschaft. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern treiben wir die Einführung des elektronischen Patientendossiers weiter voran.

 

Was halten Sie vom EPD?

Ich kann nicht genug betonen, dass das EPD dem einzelnen Patienten zugute kommt. Mediziner arbeiten rascher, wenn sie auf bestehenden Informationen aufbauen können. Wenn eine Blutuntersuchung erst drei Monate her ist und die Daten digital verfügbar sind, kann der Arzt auf diese Informationen zugreifen, anstatt eine neue Untersuchung anzuordnen. Das spart Zeit nicht nur Zeit, es senkt auch die Behandlungs­kosten.

 

Was könnte das EPD für die Zukunft der Medizin bedeuten?

Das EPD ist der Grundstein, um digitale Auswertungen durchführen zu können. Wir könnten in Zukunft (anonymisierte) Patienteninformationen mit Datenbanken abgleichen, um Krankheitsbild rascher zu bestimmen. Je mehr Patienten Daten von sich preisgeben, desto gezielter und besser werden wir ihnen helfen können. Die Digitalisierung ist für die Verbreitung des EPDs essenziell, um die Sicherheit der Diagnose zu erhöhen und damit auch die Qualität der Behandlung. Insbesondere dann, wenn die Krankheiten extrem selten sind. Das EPD kann helfen, Krankheiten international in grösseren Fallzahlen zu analysieren.

 

Was sagen Sie dazu, dass niedergelassene Ärzte keine EPDs anbieten müssen, immerhin ihre wichtigsten Zulieferer?

Die niedergelassenen Ärzte werden sich wahrscheinlich am elektronischen Patientendossier beteiligen. Ältere Ärzte werden wohl abschätzen, wie lange sie ihre Praxis noch betreiben und ob sich eine Investition in die erforderliche Technik lohnt. Auf der anderen Seite beobachten wir, dass die traditionellen Einzelpraxen den Gemeinschaftspraxen weichen. Dieses Modell senkt für die einzelnen Ärzte wiederum die Investitionskosten.

Wie stellen Sie sich das Claraspital der Zukunft vor?

Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen und werden unsere Erfolgsstory weiterschreiben. Unser Fokus wird weiterhin auf der Spezialisierung liegen. Das schafft Effizienz. Im Zen­trum stehen dabei stets das Wohlergehen und die Sicherheit unserer Patienten und Mitarbeiter. Das erreichen wir durch den Einsatz modernster Technologien.

 

 

 

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