Titelgeschichte-Interview

"Es ist nach wie vor der Mensch, der die präzise Arbeit durchführt"

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Tullio Sulser ist Direktor der Klinik für Urologie des Universitätsspitals Zürich. Die Redaktion hat ihn zum Operationsroboter Da Vinci und Augmented und Virtual Reality befragt.

Tullio Sulser, Direktor der Klinik für Urologie des Universitätsspitals Zürich. (Bild: zVg)
Tullio Sulser, Direktor der Klinik für Urologie des Universitätsspitals Zürich. (Bild: zVg)

Viele Schweizer Spitäler geben an, dass sie den Da-Vinci-Roboter einsetzen, obwohl es sich betriebswirtschaftlich gar nicht rechnet. Warum ist das so?

Tullio Sulser: Es geht primär ums Bestehen im hart umkämpften Gesundheitsmarkt: Die Konkurrenz ist gerade vonseiten der Privatspitäler gross. Patienten können sich heute bestens elektronisch informieren und beanspruchen diese neuen Techniken, wenn sie sie benötigen, auch für sich. Zudem hat die minimalinvasive OP-Technik natürlich auch medizinische Vorteile.

Ein Spital sagte uns sogar, dass die Urologie ohne Da Vinci gar nicht mehr zu betreiben sei. Sehen Sie das auch so?

Wie erwähnt, suchen sich die Patienten diejenigen Spitäler und Kliniken aus, die über modernste OP-Techniken – sei es Laser-Chirurgie, HIFU oder Roboterchirurgie – verfügen und diese anbieten. Und in der Tat lassen sich gerade im Fach Urologie zahlreiche Eingriffe heute laparoskopisch roboterassistiert durchführen. Die Lernkurve für den auszubildenden Chirurgen/Urologen ist dabei kürzer als bei konventioneller Laparoskopie.

Es gibt nur ein Unternehmen, das Da Vinci verkauft – für 2 Millionen Franken. Wie problematisch ist diese Monopolstellung?

Solange ein Monopol besteht, bleiben die Preise verhältnismäs­sig hoch, was für Konsumenten immer problematisch ist. Sobald das Patent abläuft und sich andere Firmen konkurrierend am Markt beteiligen, werden die Preise fallen.

Arbeitet Da Vinci wirklich präziser als der Mensch?

Hier muss zunächst etwas zum besseren Verständnis gesagt werden: Der Terminus Roboter insinuiert fälschlich, dass eine Maschine respektive ein Computerprogramm, ähnlich wie in der Autoindustrie, die Operation ohne menschliches Zutun erledigt. Es handelt sich bei Da Vinci aber um ein Master-Slave-System. Der Chirurg bedient von einer Steuerkonsole aus mittels Joysticks telemetrisch die Roboterarme mit den feinen Instrumenten, die über Ports in den Körper eingebracht werden. Er kontrolliert seine Bewegungen über eine vorgängig eingebrachte 3-D-Kamera. Somit ist es nach wie vor der Mensch, der die präzise Arbeit durchführt. Die Maschine dient nur dazu, die Präzision zu verbessern, dank 3-D-Sicht (Binokularkamera), Tremorfilter, Untersetzung und bis zu 10-facher Vergrösserung.

Wie gross sind die Vorteile von Da Vinci tatsächlich?

Es ist ein sehr exaktes und gewebeschonendes Arbeiten möglich, dank 3-D-Sicht, Tremorfilter, 3- bis 10-facher Vergrösserung, optimaler Beleuchtung und Untersetzung der telemetrisch bedienten Arbeitsinstrumente. Patienten werden minimalinvasiv operiert. Postoperativ gibt es weniger Schmerzen und intraoperativ dank Überdruck und guter Sicht weniger Blutverlust, was Blutersatz fast obsolet macht. Die Genesung und Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess ist rascher, was volkswirtschaftlich von Vorteil ist und die höheren Kosten in gewisser Weise rechtfertigt.

Viele Patienten wünschen explizit eine Behandlung mit Da Vinci. Wie erklären Sie sich das?

Da sich Patienten heute gut im Internet informieren können, entgehen ihnen die erwähnten Vorteile dieser Technik nicht. Dabei spielt der Faktor Kosmetik (OP-Schnitte) weniger eine Rolle als die geringeren Schmerzen und die raschere Erholung vom Eingriff.

Ist die Arbeit mit Robotern für Ärzte attraktiv?

Die Arbeit ist für den Chirurgen insofern attraktiv, als er bequem auf einem an seine Bedürfnisse anpassbaren Stuhl sitzen kann, über optimale Sichtverhältnisse auch in einem anatomisch engen Raum verfügt und sehr präzise operieren kann, selbst wenn die Operation mehrere Stunden dauert. Im Unterschied dazu ist das konventionelle laparoskopische Arbeiten, vor allem nach mehreren Stunden, manchmal unbequem und sehr anstrengend.

Was kommt nach Da Vinci?

Möglicherweise werden die Maschinen noch weiter miniaturisiert und derart entwickelt, dass die Anzahl Zugänge noch reduziert werden kann (Single Port Surgery). Dass ein Roboter dereinst den Chirurgen ersetzt, halte ich nicht für möglich, da der Körper jedes einzelnen Menschen individuelle anatomische Unterschiede aufweist und ein Computerprogramm sich nicht rasch genug auf sich plötzlich neu einstellende Situationen anpassen kann: er ist weder kreativ noch vorausplanend, Eigenschaften, die gerade den guten Chirurgen ausmachen.

Spitäler setzen Roboter heute vor allem in der Urologie, Chirurgie und Gynäkologie ein. Warum? Und wo werden Roboter in absehbarer Zukunft auch Einzug halten?

Dies ist richtig, zumal sich, wenigstens in der Urologie und Gynäkologie, die Organe kaum bewegen, was etwa in der Herzchirurgie ein Problem darstellt, auch wenn hier ebenfalls bereits innovative Lösungen existieren. Am Universitätsspital Zürich arbeiten heute auch die Thoraxchirurgen, die ORL-Chirurgen und die Kinderurologen mit dem Da-Vinci-Roboter. Die Herzchirurgen planen zudem, in naher Zukunft mit dem Roboter zu arbeiten.

Kommen Sie bei Ihrer täglichen Arbeit in Berührung mit Virtual Reality?

Wenn Sie das Operieren und Trainieren mit und am Roboter (mit 3-D-Sicht) als «Virtual Reality» bezeichnen wollen, dann arbeite ich in der Tat täglich damit. Aber man müsste dies wohl richtigerweise als «Augmented Reality» bezeichnen. Virtual Reality hat gewiss grosses Potenzial in der Ausbildung für angehende (Roboter-)Chirurgen.

AR und VR werden in Spitälern oft gar nicht oder nur in der Ausbildung eingesetzt. Warum? Wann wird sich das ändern?

Sicher spielt hier auch die Kostenfrage solcher Ausbildungssysteme eine Rolle. Sobald Konkurrenzprodukte auf den Markt kommen werden, wird sich dies ändern. Zudem kommen unsere Primarschüler ja bereits seit 2017 mit dem Fach IT in Berührung.

Welche Potenziale sehen Sie in AR/VR für die Medizin und für Spitäler?

Diese Technik wird sich in naher Zukunft zumindest in dafür eingerichteten Zentrumsspitälern, insbesondere in Universitätsspitälern mit Ausbildungsauftrag, durchsetzen, sobald die Systeme auch bezahlbar werden. Hier sind natürlich auch unsere Gesundheitspolitiker in die Pflicht zu nehmen, damit die Innovation nicht einem Budget-Optimierungsprozess respektive dem Spardruck zum Opfer fällt.

Glauben Sie, dass Datenbrillen im Operationssaal irgendwann Alltag werden?

Dies kann ich mir sehr gut vorstellen, zumal solche Ansätze (Smart Glasses) bereits existieren und in Kombination mit «Augmented Reality» auch eine sinnvolle Ergänzung sein können.

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