Prostatakrebs

Webbasierte Unterstützung bei der Therapiewahl

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von René Schaffert, Forscher und Dozent am Institut für Gesundheitswissenschaften der ZHAW und Mitglied des Projektteams

Mit modernen Kommunikationstechnologien können Gesundheitsinformationen heute bedarfs­gerechter vermittelt werden als in klassischen Printbroschüren. Vor diesem Hintergrund hat ein interdisziplinäres Forschungsteam der ZHAW und der HTW Chur eine Onlineplattform zu den ­Behandlungsmöglichkeiten bei Prostatakrebs entwickelt und wissenschaftlich überprüft.

Jährlich werden in der Schweiz fast 6000 Männer neu mit der Diagnose Prostatakrebs konfrontiert. Damit steht Prostatakrebs bei den Krebsneuerkrankungen beim Mann an erster Stelle. Obwohl die Heilungschancen für den durchschnittlichen Betroffenen sehr gut sind, markiert die Diagnose einen wichtigen Einschnitt im Alltag und wirft viele Fragen auf: Wie kann ich mich behandeln lassen? Wie sind meine Heilungschancen?
Was bedeuten Begriffe wie PSA, Gleason-Score oder Brachytherapie?

Komplexe Entscheidung

Häufig wird der Verdacht auf Prostatakrebs zuerst vom Hausarzt geäussert und in einem zweiten Schritt von der Urologin mit spezifischen Untersuchungen bestätigt. Die Untersuchungsresultate erlauben eine Einschätzung zum Tumorstadium und zur Risikostufe. In den meisten Fällen handelt es sich um einen Tumor im Frühstadium, der sich mit unterschiedlichen, aber ähnlich wirksamen Therapien behandeln lässt. Angesichts verschiedener Konsequenzen und Nebenwirkungen ist die Wahl der Therapie komplex und bedarf einer guten, auf die spezifischen Bedürfnisse der Patienten abgestimmte Informationsvermittlung.

Zur Unterstützung von Patientengesprächen nutzten Fachleute in der Schweiz bislang primär Printbroschüren und Informationsmaterialien, die sie selbst zusammenstellen. Betroffene finden auch im Internet viele Informationen, wobei dort ebenfalls oft für den Druck konzipierte Broschüren zum Download angeboten werden. Im Gegensatz dazu können webbasierte Informationen dank interaktiver Applikationen flexibler den individuellen Bedürfnissen unterschiedlicher Nutzer angepasst werden.

Auf den Patienten zugeschnittene Informationen

Vor diesem Hintergrund entwickelte und evaluierte ein interdisziplinäres Forschungs­team des Instituts für Gesundheitswissenschaften der ZHAW und des Schweizerischen Instituts für Informationswissenschaften der HTW Chur ein Online-Tutorial zu Prostatakrebs. Finanziert wurde das Projekt von der Krebsforschung Schweiz. Das Tutorial wurde in einem systematischen Prozess unter Einbezug von Urologen und Patienten erarbeitet und in einem anschliessenden Feldtest in acht urologischen Kliniken der Deutschschweiz überprüft. In der Entwicklungsphase nutzte das Forschungsteam einen iterativen Prozess nach Vorgaben der International Organisation for Standardisation ISO. Ausserdem folgte es dem HONcode für medizinische Websites, einem ethischen Standard, der sich zum Ziel gesetzt hat, qualitativ hochstehende medizinische Informationen zu bieten.

Die Plattform ist so gestaltet, dass sie entweder linear gelesen werden kann oder über die Navigation direkt zu denjenigen Themen führt, die den Nutzer besonders interessieren. Mit aufklappbaren Textteilen und Begriffserklärungen, die als Pop-up erscheinen, lässt sich die Informationstiefe einfach den verschiedenartigen Bedürfnissen anpassen. Um die Entscheidung für eine Therapie zu erleichtern, können die vier Behandlungsoptionen, die bei organbegrenztem Prostatakrebs existieren, systematisch verglichen werden. Weiter unterstützen rund 50 speziell angefertigte Illustrationen und die Einbettung der Plattform «BioDigital Human» mit interaktiven 3-D-Ansichten des Körpers die Informationsvermittlung. Ein Fragekatalog mit Notizfunktion hilft bei der Vorbereitung auf die nächste urologische Konsultation und lässt sich vor dem Gespräch einfach ausdrucken.

Für den Therapieentscheid gewappnet

Nach der Entwicklung testete das Forschungsteam die Website mittels zwei Befragungen bei der Zielgruppe. Die Testpersonen wurden in den acht am Projekt beteiligten urologischen Kliniken rekrutiert, nachdem sie dort die Diagnose eines organbegrenzten Prostatakrebses erhalten hatten. Mit einer Zustimmungsrate von 77 bis 98 Prozent beurteilten sie die Plattform in sieben Beurteilungskriterien – darunter Verständlichkeit, Ausführlichkeit, Neutralität, Nutzungsfreundlichkeit – sehr positiv. Die Website deckt auch die individuellen Informationsbedürfnisse mehrheitlich gut ab und unterstützt in hohem Mass die Vorbereitung der Therapieentscheidung: Die Befragten zeigten wenig Entscheidungskonflikte und kaum Bedauern über die gefällte Entscheidung, wobei einschränkend anzumerken ist, dass zum Zeitpunkt der Zweitbefragung noch nicht alle Therapiefolgen umfänglich eingeschätzt werden konnten. Bei der Interpretation der Resultate ist zudem zu beachten, dass die Befragten einen überdurchschnittlich hohen Bildungsgrad aufweisen. Die Website wird vermehrt von gut gebildeten Patienten mit Interesse an modernen Informationstechnologien genutzt. Aus diesem Grund können die Erkenntnisse der Studie nur auf diese Gruppe und nicht auf sämtliche Prostatakrebspatienten übertragen werden.

Wie weiter?

Wenige Monate nach Projektabschluss konnte noch nicht definitiv geklärt werden, wie es mit der Website weitergeht. Entwickelt wurde sie für den Einsatz im klinischen Kontext zur Information von Patienten mit organbegrenzten Prostatakrebs. Auf diese Zielgruppe zu fokussieren, erwies sich aus wissenschaftlicher Sicht als sinnvoll. Für eine Weiterführung der Plattform muss nun geklärt werden, ob die Zielgruppe ausgeweitet werden soll, beispielsweise auf Patienten mit höheren Tumorstadien. Dies würde diverse Anpassungen nötig machen.

Damit medizinische Websites längerfristig genutzt werden können, ist es zudem notwendig, Inhalte und technologische Aktualität regelmässig zu überprüfen, was eine geeignete Form der Finanzierung erfordert. Denkbar ist es, die Website als Dienstleistung anzubieten für Kunden, die bereit sind, eine periodische Überprüfung der Website zu bezahlen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, eine weiterführende, wissenschaftlich relevante Forschungsfrage zu entwickeln, für die dann in einem kompetitiven Prozess eine Finanzierung gesucht wird. Das Forschungsteam prüft aktuell verschiedene Optionen für eine Weiterführung des Projekts.

Einblick für Inter­essierte unter: www.prostata-information.ch
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