Elektronische Stimmabgabe

Die Zeit ist reif für E-Voting

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von Anina Weber, Projektleiterin, Trisolutions, Werner Zecchino, Mitgründer und Partner, Emineo

Nicht nur für Auslandschweizer bietet die elektronische Stimmabgabe über das Internet Vorteile. Nachdem seit der Jahrtausendwende Pilotprojekte und breit angelegte Versuche mit E-Voting ­laufen, sollten sich der Bund und die Kantone jetzt klar dazu bekennen – und die elektronische Stimmabgabe vollumfänglich als dritten, komplementären Stimmkanal neben der Urne und der brieflichen Stimmabgabe etablieren.

Werner Zecchino, Mitgründer und Partner, Emineo, und Anina Weber, Projektleiterin, Trisolutions (Source: zVg)
Werner Zecchino, Mitgründer und Partner, Emineo, und Anina Weber, Projektleiterin, Trisolutions (Source: zVg)

Die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie macht auch vor der öffentlichen Verwaltung und den staatlichen Institutionen nicht halt. Bürgerinnen und Bürger wickeln heute immer mehr Behördengeschäfte auf elektronischem Weg ab. Das Ausfüllen und Einreichen der Steuererklärung oder das Melden eines Umzugs etwa sind heute ohne Computer und Internet undenkbar. So ist es nicht erstaunlich, dass die Digitalisierung auch die Ausübung der politischen Rechte verändern wird und soll. Die Stimmabgabe stellt eine der häufigsten Interaktionen der Bürger mit dem Staat dar. Dass sie elektronisch angeboten wird, entspricht einem Bedürfnis vieler Stimmberechtigter.

Überzeugende Vorteile für verschiedene Zielgruppen

Das E-Voting hat zum Ziel, die elektronische Stimmabgabe über das Internet als dritten, komplementären Stimmkanal neben der Stimmabgabe an der Urne und der brieflichen Stimmabgabe zu etablieren. Daraus ergeben sich für verschiedene Zielgruppen gewichtige Vorteile. Etwa für die Auslandschweizer. Fast 10 Prozent der Schweizer Bürger – etwa rund 775 000 Personen – lebten Ende 2016 ausserhalb der Landesgrenzen. Viele von ihnen können ihre politischen Rechte jedoch nicht ausüben, weil sie die Abstimmungs­unterlagen zu spät erhalten oder diese falsch zugestellt werden.

Eine andere Zielgruppe sind Menschen mit einer Behinderung. Wer an einer Sehbehinderung leidet oder in seiner Mobilität eingeschränkt ist, kann dank E-Voting die Stimmabgabe zum ersten Mal vollkommen selbstständig vornehmen und ist nicht mehr auf die Unterstützung von Drittpersonen angewiesen. Ein intelligent geführter elektronischer Prozess zur Stimmabgabe könnte aber auch für alle anderen Stimmbürger massive Vereinfachungen bringen. Die komplizierten Vorgänge insbesondere bei Wahlen wie das Panaschieren oder Kumulieren lassen sich mit einer intuitiven Benutzeroberfläche und nützlichen Hilfe-Funktionen viel besser erklären als heute in den gedruckten Stimmunterlagen. Dank Fehlermeldungen lässt sich der Anteil von (ungewollt) ungültigen Stimmabgaben deutlich reduzieren.

Schliesslich verfügt E-Voting auch über das Potenzial, die administrativen Prozesse bei den kantonalen Wahlbehörden zu verbessern. So ist das Stimmenzählen von Hand anfälliger für Fehler. Die elektronische Stimmabgabe bietet aber auch deutlich mehr Möglichkeiten für Statistiken und Auswertungen, die in kürzerer Zeit verfügbar sind. Vor allem würde ein medien­bruchfreies E-Voting dank Effizienzsteigerungen auch zu finanziellen Einsparungen in den Kantonen führen.

Widerstand aus verschiedenen Lagern

Trotz dieser Vorteile ist die elektronische Stimmabgabe in der Schweiz bei Weitem nicht flächendeckend eingeführt. Das liegt einerseits am initialen Aufwand. Die Einführung eines entsprechenden Systems ist mit relativ hohen Investitionen verbunden. Gerade kleinere Kantone sind deshalb eher zurückhaltend. Ein weiterer Grund sind konkrete oder diffuse Sicherheitsbedenken. Viele Gegner argumentieren, dass durch E-Voting Wahlen und Abstimmungen einfacher manipulierbar würden. In der Tat stellt die elektronische Stimmabgabe sehr hohe Anforderungen an die Sicherheit. Anders als etwa beim E-Banking, bei dem jede Transaktion dem Kunden zugeordnet wird, muss das Stimm- und Wahlgeheimnis vollumfänglich gewahrt bleiben. Das Motto «Sicherheit vor Tempo» ist bei der Einführung des neuen Stimmkanals deshalb angebracht.

Es gibt aber auch andererseits einen grundsätzlicheren, politisch motivierten Grund für Widerstand. Viele Stimmberechtigte verstehen die Abgabe ihrer Stimme als einen feierlichen Akt. Sie sind deshalb der Überzeugung, dass die Ausübung der politischen Rechte an der Urne oder mindestens auf einem offiziellen Stimmzettel zu erfolgen hat. Die Stimmabgabe via Internet könnte dieser urdemokratischen Handlung die gebotene Ernsthaftigkeit nehmen, und das Abstimmen oder Wählen würde damit zu einer «Onlineumfrage» degradiert, fürchten diese Gegner. Verschiedene Sicherheitselemente und eine gute Benutzerführung verhindern dies jedoch.

Angesichts des horrenden Tempos, mit dem die Digitalisierung die Abläufe in der öffentlichen Verwaltung auf den Kopf stellt, ist die Frage jedoch weniger, ob das E-Voting Realität wird, sondern eher wann. Fakt ist nämlich auch: In den letzten Jahren haben die meisten Kantone die Anzahl ihrer Wahllokale reduziert. Hinzu kommt, dass immer mehr Stimmberechtigte ihr Votum auf brieflichem Weg abgeben. Bei den eidgenössischen Wahlen 2015 gaben bereits über 80 Prozent der Wahlbeteiligten ihre Stimme auf dem Postweg ab – obwohl es bei der Liberalisierung der brieflichen Stimmabgabe Anfang der 90er-Jahre auch noch massive Bedenken gegen den damals neuen Stimmkanal gab.

Die elektronische Stimmabgabe braucht ein klares Commitment

Das E-Voting hat in der Schweiz eine bewegte Geschichte hinter sich und steht derzeit an einem Scheidepunkt. Bereits im Jahr 2000 rief der Bundesrat das Projekt «Vote électronique» ins Leben. Darauf folgten Pilotversuche in den Kantonen Zürich, Neuenburg und Genf. Diesen drei Kantonen mit eigenem System schlossen sich nach und nach weitere Kantone an; bisher haben 14 Kantone die elektronische Stimmabgabe erprobt. In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Projektlandschaft verändert. So hat sich das «Consortium Vote électronique» aufgelöst. Dieser Gruppe gehörten ausser dem Kanton Zürich auch die Kantone Aargau, Graubünden, Freiburg, Glarus, St. Gallen, Schaffhausen, Solothurn und Thurgau an. Ausserdem hat sich Neuenburg auf der Basis des bisherigen Systems für eine Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post entschieden. Seither stehen interessierten Kantonen noch zwei Systeme zur Auswahl: das des Kantons Genf und das der Post.

Dem E-Voting zum Durchbruch verhelfen

Was aber müsste passieren, um dem Schweizer E-Voting zum Durchbruch zu verhelfen? Bestimmt wäre es hilfreich, die Strukturen zu verschlanken. So gibt der Bund für eidgenössische Urnengänge Richtlinien und Minimalanforderungen vor. Will ein Kanton ein Projekt durchführen, so braucht er einerseits eine Bewilligung des Bundesrats und andererseits eine Zulassung der Bundeskanzlei. Hier ist mittelfristig eine Vereinfachung anzustreben. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die elektronische Stimmabgabe immer noch in einer Versuchsanlage befindet. Ein nachdrückliches Bekenntnis von Bund und Kantonen, dass man die zeitnahe Überführung in einen ordentlichen Betrieb und damit die Anerkennung als dritten, komplementären Stimmkanal anstrebt, ist wichtig. Auch sollte das medienbruchfreie E-Voting vorangetrieben werden.

Auf der technischen Seite hat es in der letzten Zeit deutliche Fortschritte gegeben. Die Systeme der neuesten Generation sind teilweise schon heute in der Lage, selbst schwierige und komplexe Anforderungen wie die vollständige Verifizierbarkeit zu erfüllen. Die Systemanbieter sind angehalten, mit innovativen Lösungen auf den Markt zu kommen, die sowohl die sicherheitstechnischen Herausforderungen als auch die Anforderungen an die Usability berücksichtigen. Die Submissionspraxis der Kantone sollte es dabei nicht ausschliessen, dass auch neue Systeme, die den hohen Anforderungen entsprechen, in Betracht gezogen werden.

Erhöhung der Stimmbeteiligung

Es gibt zwar bisher keine handfesten Beweise dafür, dass E-Voting zu einem Anstieg der Stimm- und Wahlbeteiligung führt. Aber die Schweizer Stimmbeteiligung gilt als eine der niedrigsten in einem demokratischen Land überhaupt. Bei den eidgenössischen Wahlen 2011 und 2015 lag sie bei gerade einmal 48,5 Prozent. Zum Vergleich: Bei der deutschen Bundestagswahl 2013 gingen 71,5 Prozent der Stimmbürger an die Urne. In diesem Umfeld, das eine echte Bewährungsprobe für die direkte Demokratie darstellt, könnte die elektronische Stimmabgabe mittelfristig immerhin dazu beitragen, die Stimmbeteiligung zu stabilisieren. Längerfristiges Ziel muss es sein, die Stimmbeteiligung wieder anzuheben. Das Anbieten eines zeitgemässen Stimmkanals im Sinne einer Dienstleistung des Staates für die Bürger kann dazu beitragen. Die Zeit dafür ist reif.

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