Digitalisierung von Banken

Die Banken im digitalen Rennen

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von Simon Kauth, Chief Product Officer, Finnova

Die Digitalisierung beeinflusst den wirtschaftlichen Strukturwandel und das volkswirtschaftliche Wachstum. Sie verändert unseren privaten, sozialen und beruflichen Alltag gleichermassen. Wo genau stehen die Banken in diesem Prozess des digitalen Wandels? Wie sieht es mit ihrer ­Anpassungsrate aus, und mit welcher Geschwindigkeit sind die Finanzdienstleister im digitalen Rennen um Verbesserungen, Innovationen und Flexibilität in der Modellierung von Geschäfts­modellen unterwegs?

Die Herausforderungen für die Banken in den kommenden Jahren sind mannigfaltig. Einerseits zeigen sie sich in den Veränderungen der Wertschöpfungsketten und in der Bewältigung der zunehmenden Anforderungen aus dem technologischen Fortschritt. Andererseits werden die Fähigkeiten, bestehende Geschäftsmodelle rasch, signifikant und gewinnbringend umbauen und die immer noch steigende Regulierungsdichte bewältigen zu können, zu entscheidenden Wettbewerbsfaktoren. Ein schwieriges und herausforderndes Unterfangen im Wissen um den hohen Investitionsbedarf sowie den steigenden Druck auf die strategischen und operativen Entscheidungen bei zunehmender Geschwindigkeit der laufenden Veränderung von exogenen und endogenen Faktoren. Dazu zählen die zunehmende Marktunsicherheit aufgrund sinkender Margen und die Komplexität bei der Umsetzung von Change-Prozessen, um nur ein paar wenige zu nennen. Einfache Lösungen sind hier wohl nicht zu finden, aber es zeichnen sich einige Tendenzen und Trends ab.

 

Tiefe Durchdringung im Internet-Banking und ­Mobile-Banking

Das Bankgeschäft kann fast zu 100 Prozent digital erfolgen, da nur wenige physische Interaktionen zwischen Bank und Bankkunde wirklich zentral sind. Diese lassen sich mit ein paar weiteren Informationshilfsmitteln zudem optimal ergänzen und können so ihren Beitrag an das Vertrauensverhältnis zwischen Kunde und Bank, die Kundenzufriedenheit, die Positionierung und die Markenbindung leisten. Trotz der vielen Bankgeschäfte, die bereits digital abgewickelt werden, sind wir mit tiefen Durchdringungsraten bei der Internet- und Mobile-Banking-Verwendung in der Schweiz konfrontiert. Ebenso sprechen die 2500 physischen Bankfilialen in der Schweiz – Tendenz weiter rückläufig – für sich. Zum Vergleich: Zählt man die Anzahl Verkaufsstellen – Tendenz weiter steigend – der wichtigsten Grossverteiler für die Güter des täglichen Bedarfs zusammen, erhält man etwa die doppelte Anzahl. Scheint da die Zahl der Bank­filialen nicht massiv überhöht zu sein? Bedenkt man, wie oft man notwendigerweise für die Ausübung eines Bankgeschäfts eine Filiale aufsuchen muss, ist die Antwort offensichtlich.

Ein auf die physische Interaktion ausgerichtetes Element des Bankgeschäfts ist der Geldautomat. Der Bargeldbezug wird bereits seit vielen Jahren über die Geldautomaten vorgenommen. Dass in der Schweiz gerade diese einer substanziellen technologischen Verjüngungskur unterzogen werden, erscheint eher anachronistisch. Andernorts fliessen die Investitionen zielgerichteter in den POS-Zahlungsverkehr wie etwa in NFC-Karten, Apps oder in die mobilen Kanäle. Die Umsätze des Schweizer Konstrukts Twint, das endlich auch unmittelbare Zahlungen zwischen Geldsender und -empfänger ermöglicht, sind vergleichsweise gering geblieben.

 

Wozu Banken, wenn es Banking gibt?

Ein weiterer Aspekt der Digitalisierung ist in den Produkten und Dienstleistungen von Banken auszumachen. Vergleicht man die Produkte und Dienstleistungen verschiedener Bankhäuser, sind kaum Unterschiede festzustellen. Die Differenzierung über Produkte und Services ist wohl eher schwierig. Differenzierungspotenzial scheint tendenziell bei nicht banktypischen Angeboten wie zum Beispiel dem Ticketing (Konzert-, Sport- oder Museums­tickets) zu liegen.

Bei Schwierigkeiten in der Produktdifferenzierung spielt die Serviceleistung als Ganzes eine zentrale Rolle. Diese umfasst die Marktleistung, welche den spezifischen Service zum jeweiligen Preis, den gewählten Beratungsansatz, die bereitgestellten Kommunikations- und Dialoginstrumente und -mittel sowie die gelebte Form der Kundeninteraktion beinhaltet. Benötigt werden dazu akkurate und adäquate Informationen über alle Kanäle hinweg, bezogen auf die an der Interaktion beteiligten Person, ihre Rolle und den Zweck; das Ziel im jeweiligen Prozessschritt «Front-to-back» ist hier die verbalisierte Kurzform für den angestrebten Erfolg. Einfach erklärt, würde das bedeuten: Daten einmal erfassen, am richtigen Ort, im jeweilig gewünschten Kanal, in den richtigen Prozessschritten – von Anfang bis Ende geführt. Das müsste machbar sein. Trotz der aktuellen technologischen Möglichkeiten zeigt die heutige Praxis aber ein anderes Bild. Gleiches gilt übrigens auch für die verschiedenen Verarbeitungsschritte. Gründe hierfür liegen bei einem tiefen Reifegrad in der Standardisierung, einer teilweise hohen – wenn auch nicht wirklich notwendigen – Produktkomplexität, den steigenden Regulierungsanforderungen sowie den hohen Kosten im Betrieb und Unterhalt.

Der Hauptzweck des Bankings mit der Aufgabe der Fristentransformation und der Diversifikation von Risiken scheint nur mit ständig wachsendem Aufwand erfüllbar. Es geht jedoch auch anders. Das lehren uns die Fintechs und die grossen Digitalisierer. Sie mischen den Markt und die Branche mit einfachen Produkten und wenig Spezialitäten auf. Diese Angebote treffen das Bedürfnis der Bankkunden recht genau. Dabei scheinen sich die Digital Natives und die älteren Generationen einig zu sein: Weniger ist mehr! Die Usability ist entscheidend, und Kunden bewerten sie laufend. Genutzt wird, was einfach und übersichtlich ist sowie einen klaren Mehrwert bietet.

 

Bankgeschäfte in die Wertschöpfungsprozesse ­integrieren

Mit der Verlagerung von Aktivitäten auf die digitalen Kanäle steigt der Wert eingebundener Angebote, die den Gesamtnutzen für den Kunden erhöhen. Wie ist das zu verstehen? Einfachster, bereits heute praktizierter Fall: Der Kunde kauft online ein und bezahlt sofort (beziehungsweise bezahlt sogar, bevor er einkauft). Die bankbezogenen Aktivitäten der Kunden werden also direkt in den Wertschöpfungsprozess integriert. Die Versicherer machen das vor. Ein Beispiel: Ich kaufe ein Fahrrad. Die Deckungsprüfung bei meiner Hausratsversicherung erfolgt mittels meiner Versicherungs-App. Das Angebot für die Deckungserweiterung ist vollumfänglich in den Verkaufsprozess des Radhändlers integriert. An solche integrierten Lösungen gewöhnt sich der Benutzer rasch, weil sie logisch, situationsbezogen und einfach sind. Sie helfen ihm, sein zunehmend komplexes Leben besser und einfacher zu meistern. Gleichzeitig entsteht durch diese Lösungen der Druck, die Prozesse auch in anderen Wertschöpfungsketten so umzusetzen. Benutzerfreundlichkeit, Transparenz und Sicherheit sind selbstverständlich auf höchstem Niveau zu erfüllen, so die Kundenerwartung. Im Bereich von Zahlungen werden diese Ansprüche bereits recht gut erfüllt. Allerdings wurde dies ohne die Banken konzipiert und läuft auch noch heute fast ausschliesslich über die Kartenorganisationen. Dabei wäre die Ausgangslage der Banken gar nicht mal so schlecht.

 

Gute Ausgangslage für Banken

Das Geschäft lässt sich digitalisieren und automatisieren, eine gute Einbindung in die Wertschöpfungsketten von KMUs und Privaten ist möglich, und Produktvereinfachungen – wie sie die Fintechs leben – sind umsetzbar. Die Beziehung zwischen Bank und Kunde ist von Vertrauen geprägt. Die Fähigkeit, mit sensiblen und nicht für die Öffentlichkeit gedachten Daten und Informationen vertrauensvoll umzugehen, wurde über viele Jahre aufgebaut. Punkto Sicherheit verfügen die Banken über ein sehr hohes Niveau. Die technischen Mittel zur Absicherung der Identität, Verhinderung von Datenlecks und Betrugserkennung sind vorhanden, bedürfen aber der ständigen Erneuerung, um stets neu auftretende Bedrohungsformen unter Kontrolle zu bringen. Trotzdem wird den Banken einiges abverlangt.

 

Autos bauen – nicht Pferde schneller machen

Zur Lösung der anstehenden Herausforderungen gibt es auf Seiten der Banken und Finanzdienstleister viel zu tun. Ein Umdenken wird notwendig sein, um verlorenes Terrain und entsprechende Umsätze wettzumachen und sich langfristig im Markt erfolgreich zu behaupten. Agiles Vorgehen ist dabei ein gutes Instrument, der Varietät Paroli bieten zu können. Wenn schon viele Elemente im Produktionsprozess eines Unternehmens und im privaten Haushalt automatisiert sind, weshalb sollte dies bei den unterstützenden Prozessen der Finanzdienstleister nicht möglich sein? Was im übertragenen Sinne bedeutet, «nicht die Pferde schneller machen, sondern Autos bauen», um im digitalen Rennen nach Verbesserungen mithalten zu können.

 

Vier-Punkte-Programm für den Mehrwertanspruch der Banken

Wollen die Banken den Mehrwertanspruch über integrierte Wertschöpfungsketten hinweg bieten können, dann scheinen mindestens folgende Elemente zentral zu sein:

  1. Absoluten Vorrang hat das Prozessdenken und -verstehen «vom Kunden zum Kunden». Man muss die Wertschöpfungsketten seiner Kunden kennen, wenn man die Zahlungs-, Vorsorge-, Anlage- und Finanzierungsbedürfnisse seiner Privat- und Firmenkunden befriedigen will. Und «kennen» reicht wohl noch nicht: Es ist notwendig, ein tiefes Verständnis davon zu entwickeln und zu unterhalten, um die richtigen Angebote zum richtigen Zeitpunkt über den besten Kanal adressieren zu können.

  2. Die Wertschöpfungsketten erfordern eine maximale Integration ohne jeglichen Medienbruch. Dies ringt den Banken die substanzielle Fähigkeit ab, Prozesse – eigene oder fremde – auf unterschiedlichen Ebenen sowie auf der geschäftlichen und der technischen Seite zu beherrschen. Deutlich wird dies in den Diskussionen um PSD2 oder Open Banking API.

  3. Die Produktstandardisierung und damit auch -vereinfachung ist eine wichtige Voraussetzung, um zukünftig Mehrwerte bieten zu können. Dies wird vor allem jene Banken vor Herausforderungen stellen, die Marktanteile via Produktdifferenzierungsstrategien gewinnen wollen.

  4. Der Umgang mit Daten ist zu beherrschen. Bei der Nutzung der Daten legen die «Big 5» der Digitalisierung mit der Zustimmung der Kunden und Konsumenten ein deutlich anderes Verhalten an den Tag als dies die meisten Banken heute praktizieren. Mittels Einsatz multipler analytischer Methoden wie zum Beispiel Mustererkennung und verhaltensgestützten Vorhersagen werden die Angebote auf-, um- und zusammengebaut, sodass sie im richtigen Moment beim Kunden zum Abschluss bereitstehen. Dieses geänderte Verhalten fordert beide Seiten. Denn die Interaktionspunkte zwischen Kunde und Bank werden nicht wirklich weniger. Aber signifikant erhöht werden können so die Conversion Rates.

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