Master of Swiss Web 2018: Unic

"Ein so grosses Projekt funktioniert nur in enger Partnerschaft"

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Mit dem Relaunch von SBB.ch hat Unic den Titel Master of Swiss Web 2018 und Gold in der Kategorie "Usability" ­gewonnen. User Experience Director Lorenzo Mutti gibt Auskunft über die Entwicklung, die Highlights der neuen Website und die nächsten Meilensteine von SBB.ch.

Lorenzo Mutti, User Experience Director, Unic
Lorenzo Mutti, User Experience Director, Unic

Herzliche Gratulation zum Gewinn des Awards! Wie fühlt es sich an, Master of Swiss Web 2018 zu sein?

Lorenzo Mutti: Das fühlt sich grossartig an – es ist eine grosse Ehre und sicherlich auch prestigeträchtig. Als der Countdown zur Wahl des Masters lief, waren wir brutal nervös. Aber mindestens genauso wichtig wie der Gewinn des Master-Titels ist für uns die Gold-Auszeichnung in der Kategorie Usability. Dieser Preis zeichnet nicht zuletzt das eigentliche Handwerk aus. Damit wurden wir vier Jahre in Folge in dieser Kategorie mit Gold ausgezeichnet.

 

Wie haben Sie die Award Night erlebt?

Es war ein toller Abend, nicht zuletzt dank der diversen Medaillen und Bojen, mit denen unsere Projekte von den Fachjurys ausgezeichnet wurden. Auch die Samsung Hall konnte als neue Venue mit deutlich mehr Platz und einer modernen Infrastruktur überzeugen. Das altehrwürdige Kongresshaus habe ich trotzdem ein wenig vermisst – ­viele schöne Erinnerungen sind damit verbunden.

 

Was bedeutet der Award für Sie als Webagentur?

Für uns ist der Best of Swiss Web Award ganz generell ein wichtiger Anlass. Einerseits ist er eine tolle Plattform für die Digitalagentur-Landschaft, sich zu feiern und sich im nationalen Vergleich "zu messen". Und andererseits ist er wichtig für unsere Mitarbeiter und Kunden. Dann, wenn die eingereichten Projekte prämiert werden und alle, die so viel Herzblut investiert haben, der Mühe Lohn ernten dürfen.

 

Wie verlief die Zusammenarbeit mit den SBB?

Die Zusammenarbeit zwischen Unic und den SBB verlief sehr gut. Natürlich war es immer wieder herausfordernd für alle Parteien, und wir waren auch nicht immer einer Meinung. Aber sonst wäre es ja langweilig, oder?

 

Gab es kulturelle Unterschiede zwischen Ihnen und dem ­Auftraggeber?

Kultur ist ein wichtiges Stichwort. Wir versuchen immer, alle Beteiligten Teil einer gemeinsamen Kultur werden zu lassen. Selbstverständlich ist ein so grosses Unternehmen wie die SBB sehr komplex zu verstehen. Es ist immer auch politisch, und es gibt viele Anspruchsgruppen, die es zu berücksichtigen gilt. Dennoch waren die Unterschiede im Projekt gar nicht so gross – wir hatten alle ein Ziel vor Augen und wollten dies gemeinsam erreichen. Letzten Endes war und ist es eine sehr konstruktive Zusammenarbeit.

 

Wie teilten sich Unic und die SBB die Arbeit auf?

Die Aufteilung zwischen uns und den SBB war im Grundsatz sehr klassisch. Wir als Agentur haben die Wünsche, die Anforderungen und die Bedürfnisse entgegengenommen, kritisch hinterfragt und immer versucht, im Sinne der Endnutzer eine zielführende Lösung zu finden. Der Fachausschuss, dem wir ebenfalls beiwohnen konnten, wägte bei kritischen Fragestellungen die unterschied­lichen Optionen ab und entschied dann als Gremium. Ein so grosses Projekt funktioniert nur in enger Partnerschaft.

 

Die SBB-Website muss komplexe Daten aus vielen verschiedenen Quellen aufbereiten und viele Dienstleistungen anbieten. Wie gingen Sie mit dieser Komplexität um?

Wo immer möglich haben wir versucht, komplexe Elemente in kleinere Module aufzuteilen. Auf diese Art lassen sich die einzelnen Entwicklungsstränge besser überschauen und integrieren.

 

Was ist Ihrer Meinung nach beim Relaunch von SBB.ch am ­besten gelungen? Was nicht?

Eine schwierige Frage, gerade weil in diesem Projekt so viele Interessengruppen involviert waren – da geht man immer gewisse Kompromisse ein. Wir haben aber immer versucht, im Sinne des Endnutzers zu gewichten. Mein persönliches Highlight ist die neue Startseite mit der Fahrplanabfrage im Zentrum. Mit dieser Fokussierung auf den primären Use Case schaffen wir Orientierung und Nutzwert für die Reisenden. Auch der komplette Bereich Freizeit & Ferien, der auch inhaltlich massiv überarbeitet wurde und die Produkte viel schöner in Szene setzt, ist gelungen.

 

Was waren die wichtigsten Neuerungen, die Sie bei der neuen Website realisiert haben?

Eine solche Neuerung ist die Einführung des "Next Best Click"-Moduls. Dieses befindet sich in der rechten Spalte immer im sichtbaren Bereich und stellt den Nutzern die wichtigen Aktionen und Informationen zu Verfügung. Aus­serdem profitiert das Portal von einer deutlich besseren Strukturierung der Inhalte, die mit der notwendigen Priorität abgebildet werden. Es ist jetzt nicht mehr "alles gleich wichtig". Mit der zukünftigen Personalisierung wird dies noch viel besser zum Tragen kommen.

 

Wie unterscheidet sich der Relaunch von SBB.ch von anderen Websites, die Sie schon entwickelt haben?

Ein wesentlicher Unterschied zu vielen anderen Sites ist die schiere Komplexität des Portals. Dabei haben wir diverse Instanzen (Portal, Blog, Community) und zirka 100 Services zusammengeführt. Auch die konsequente Responsiveness, mit 9 Breakpoints und echter Unterstützung von 5k-Screens, ist für eine solche Site Neuland.

 

Von welchem Designkonzept liessen Sie sich bei der ­Entwicklung leiten?

Wir haben ein Nutzungskonzept und ein Design auf die Beine gestellt, das in erster Linie die Benutzerbedürfnisse in den Vordergrund stellt, aber gleichzeitig auch die Markenwerte der SBB optimal transportiert. Hier heisst das Stichwort Service-Design – wenn das User-Interface zur Marke wird, und zwar von Mobile bis hin zu 5k-Screens.

 

Wie haben Sie das Feedback verschiedener Anspruchsgruppen in der Entwicklung berücksichtigt?

Regelmässiges Einbinden und gutes Zuhören helfen ungemein. Egal, um welche Anspruchsgruppen es sich handelt. Ausser Onlineumfragen, Marktforschung und User-/­Usa­bility-Tests halfen auch die Eins-zu-eins-Erfahrungen des Kundendienstes Railservice, die digitalen Nutzungsdaten und nicht zuletzt auch, dass das Portal mehr als einen Monat einer eingeschränkten Anzahl Nutzer zur Verfügung gestellt wurde. Die Rückmeldungen liessen wir entsprechend einfliessen. Das Projekt wurde agil entwickelt und ermöglichte uns damit, neu dazugewonnene Erkennt­nisse – die Erde dreht sich bekanntlich immer weiter – stetig zu antizipieren und in das Projekt zu integrieren.

 

Sie haben bereits 2012 mit dem Relaunch der SBB-Website den Master-Titel geholt. Was war beim neuen Projekt anders?

Die strategische Bedeutung des aktuellen Vorhabens im Unternehmen war ungleich grösser als noch 2012. Die Anzahl der involvierten Stakeholder, aber auch die der beteiligten Partner war gefühlt grösser. Was dem Teamspirit und dem Engagement aller Beteiligten aber überhaupt keinen Abbruch tat.

 

Mit welchen Partnern haben Sie zusammen gearbeitet?

Wir hatten das Glück, mit mehreren tollen Partnern zusammenarbeiten zu dürfen. An der Konzeption arbeiteten wir gemeinsam mit Heimoto. Beteiligt waren ausser dem SBB-UX-Team, das unter anderem das Usability-Testing verantwortete, auch One Inside, welche die SBB in der Back-End-Entwicklung unterstützten. Auch die Stiftung "Zugang für alle" war für die Validierung im Kontext der Barrierefreiheit von Anfang an mit dabei. Die WCAG-2.0-Zertifizierung ist einer der nächsten Meilensteine. Bei einer solch komplexen Site stellt sie einen beträchtlichen Aufwand dar.

 

Wird SBB.ch weiterentwickelt? Was sind die nächsten Schritte?

Erstens die konsequente Personalisierung, damit sich die Besucher der Website zukünftig entlang ihrer Bedürfnisse informieren können. Jeder Nutzer soll eine SBB.ch-Site erhalten, die sich an seinen individuellen Bedürfnissen orientiert. Zweitens die WCAG-2.0-Zertifizierung. Das ist ein wichtiger Meilenstein. Und drittens wird SBB.ch grundsätzlich kontinuierlich weiterentwickelt. Der Touch-­Fahrplan ist ein gutes Beispiel dafür.

 

Wo lagen die grössten technischen Herausforderungen bei der Entwicklung?

Es gab viele anspruchsvolle Herausforderungen in dem Projekt.
a. Performance
b. Responsiveness
c. Accessibility
d. Belieferung von verschiedenen Kanälen

 

Wie sind Sie diesen Herausforderungen begegnet?

a. Performance: Wir haben verschiedene Massnahmen ergriffen, um eine optimale Performance zu erreichen. Entscheidend dabei war ein geeignetes Bundling sämtlicher Assets. So werden, wo immer möglich, nur die jeweils benötigten Assets vom Client geladen. Zudem haben wir Monitoring-Tools im Einsatz, die uns aufzeigen, ob die von uns integrierten Massnahmen die Performance auch tatsächlich positiv beeinflussen.
b. Responsiveness: Der Gedanke an das responsive Verhalten der zu entwickelnden Elemente stand immer im Vordergrund: von den Sprint-Refinements und -Plannings über die Umsetzung bis hin zum Testing.
c. Accessibility: Wir stellen sicher, dass alle Inhalte den Anforderungen der Accessibility Guidelines gerecht werden. Beispielsweise bauen wir die Komponenten so, dass diese für Personen mit visuellen Einschränkungen zugänglich sind. Das heisst, dass die Komponenten mit Screenreadern korrekt wiedergegeben werden und mit diesen uneingeschränkt bedienbar sind. Durch regelmässigen Austausch und intensive Testverfahren mit der Stiftung "Zugang für alle" kommen wir diesem Ziel durch eine kontinuierliche Weiterentwicklung immer näher.
d. Belieferung von verschiedenen Kanälen: Die von uns gebauten Komponenten werden von verschiedenen Kanälen innerhalb der SBB konsumiert. Dies erschwert die Weiterentwicklung sowie das Bugfixing. Auf der anderen Seite hilft es uns, den visuellen Auftritt über die verschiedenen Kanäle hinweg möglichst synchron zu halten. Um hier möglichst viel Flexibilität zu behalten, haben wir ein CDN aufgezogen. Darüber können die einzelnen Kanäle die entsprechenden versionierten Assets beziehen.

 

Wo liegen die Besonderheiten, wenn man eine Website für den öffentlichen Verkehr entwickelt?

Wir haben mit der Rhätischen Bahn, dem ZVV, der BLS und den Jungfraubahnen viele Kunden im Sektor des öffentlichen Verkehrs. Das hat für uns vieles einfacher gemacht, respektive wir kennen die Herausforderungen gut. Zum einen sind die Ansprüche der Reisenden sehr vielfältig: vom Pendler über Touristen bis zu Reisenden, die den öffentlichen Verkehr nur sporadisch nutzen. Zum anderen erbringt ein Anbieter des öffentlichen Verkehrs eine Dienstleistung, die von allen einfach vorausgesetzt wird. Man kann sich ausmalen, dass das nicht ganz einfach und ab und an auch ein wenig undankbar ist. Ausserdem ist die Politik ein wichtiger Stakeholder, der berücksichtigt werden sollte. Auf keinen Fall sollte man behinderte Menschen vergessen, die nicht nur den Service der Mobilität nutzen wollen, sondern auch uneingeschränkten Zugang zu allen Online-Informationen und -Services benötigen.

Webcode
DPF8_88638