Interview mit Reto Bättig

Fachkräftemangel: Das ist der Plan B

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Der Schweiz fehlen die Informatiker, klagt die ICT-Branche. Stimmt nicht, sagt Reto Bättig, CEO des Softwareherstellers M&F Engineering. Wer Fachkräfte sucht, sollte seine Ansprüche überdenken, genauer hinschauen und in die eigenen Mitarbeiter investieren.

Reto Bättig, CEO, M&F Engineering. (Source: zVg)
Reto Bättig, CEO, M&F Engineering. (Source: zVg)

Der Fachkräftemangel ist in der Schweizer ICT ein Dauerbrenner. Braucht die Schweiz wirklich mehr Informatiker?

Reto Bättig: Es kommt darauf an, wen man fragt und wie man eine Fachkraft definiert. Wenn man jemanden mit einem ganz eng definierten Profil sucht – etwa Mobile-Experte Android+IOS mit mindestens fünf Jahren Xamarin-Erfahrung, Informatik-Hochschulabschluss und Erfahrung mit Jenkins, REST usw. –, dann hat man heute und wird auch künftig Mühe haben, solche "Experten" zu finden, und man nimmt subjektiv einen Fachkräftemangel wahr. Wenn man eine Fachkraft sucht, die ein technisches Studium hat, Erfahrung mit objektorientierter Softwareentwicklung und in der Lage ist, sich in vernünftiger Frist in die gewünschten Technologien einzuarbeiten, gibt es plötzlich keinen Fachkräftemangel mehr.

 

Also gibt es eigentlich genug IT-Spezialisten?

Laut einer Studie vom IEEE Spectrum gibt es mindestens in Amerika deutlich (Faktor 40!) mehr arbeitstätige Personen, die ursprünglich ein Studium in einem MINT-Fach gemacht haben, als der Markt benötigt. Das Problem ist, dass diese Personen heute gar nicht mehr im technischen Bereich arbeiten wollen und zum Beispiel ins Management oder in andere Berufe abgewandert sind, die ihnen attraktiver erscheinen. Die Frage könnte also auch umformuliert werden in: Wie halten wir in der Schweiz die Informatiker bei der Stange?

 

Warum fällt es Schweizer Unternehmen so schwer, Spezialisten für ihre IT-Projekte zu finden?

Viele Firmen haben heute Mühe, längerfristig zu planen und müssen immer kurzfristigere "Hauruck-Übungen" machen. Wir erhalten erstaunlich viele Anfragen von Firmen im Stil von: Wir brauchen Softwareexperten mit diesen und jenen Kompetenzen, ab morgen. Warum ist es nicht möglich, drei Monate im Voraus zu planen? Dies würde es ermöglichen, geeignete Kandidaten zu finden und gegebenenfalls auch noch mit Weiterbildungen auf den Job vorzubereiten, den sie dann wahrnehmen müssten.

 

Woran liegt das?

Die Firmen sind heute oft nicht bereit, in das Know-how ihrer Mitarbeiter substanziell zu investieren und suchen sich lieber Leute auf dem Markt, die das benötigte Know-how schon mitbringen. Oft gibt es aber gar nicht genug von diesen Spezialisten, und wenn sie niemand aus- und weiterbildet, wird sich dies auch nicht ändern.

 

Was machen Unternehmen falsch, die sich über den Fachkräftemangel beklagen?

Das ist schwierig zu sagen. Die Margen im IT-Bereich sind relativ tief. Trotz des vielbeschworenen Fachkräftemangels sind die durchschnittlichen Stundensätze und Löhne in den letzten 20 Jahren tendenziell eher gesunken. Die Margen der Firmen sind eng und der Wettbewerb ist gross. Viele Firmen scheuen sich aus diesen Gründen, viel Geld und Zeit in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden zu investieren. Die Löhne und Arbeitsbedingungen in vielen kleineren Firmen sind auch im Vergleich zu Grosskonzernen auf den ersten Blick oft weniger attraktiv. Meiner Erfahrung nach beklagen sich Grossfirmen weniger über den Fachkräftemangel als KMUs.

 

Sie verfolgen bei M&F Engineering einen anderen Ansatz. Sie setzen auf die Ausbildung von Studienabgängern. Wie gehen Sie dabei vor?

Wir bieten den Studienabgängern ein sehr attraktives Traineeprogramm an, in dem sie in ihren ersten drei ­Berufsjahren maximal viel Erfahrung sammeln und ihr berufliches Netzwerk aufbauen können. Dies funktioniert so, dass die Trainees in den drei Jahren bei vier bis fünf verschiedenen Firmen jeweils sechs oder zwölf Monate in relevanten Projekten mitarbeiten und parallel dazu durch einen Mentor gecoacht werden. Ein Mal pro Monat kommen alle Trainees zu uns und besuchen Weiter­bildungskurse und Seminare von anerkannten Experten.

 

Was haben die Trainees davon?

Am Schluss des Programms haben sie in der Regel mehrere Jobangebote von den besuchten Firmen auf dem Tisch und können sich entscheiden, wo sie fest eingestellt werden möchten. M&F Engineering ist dabei die Drehscheibe, macht Marketing an den Hochschulen, um die Kandidaten vom Traineeprogramm zu begeistern, macht Assessments mit den Kandidaten, organisiert die Einsätze bei den Firmen, das Mentoring und das Weiterbildungsprogramm.

 

Wie sehen die Chancen für ältere Informatiker aus, die viel Projekterfahrung mitbringen?

Wir sind aktuell daran, zusammen mit Swiss-ICT ein Konzept auszuarbeiten, wie wir das Modell des Traineeprogramms auch auf genau diese Informatiker 50+ ausweiten könnten. Aus dem Traineeprogramm für Studienabgänger wissen wir, dass dank des Programms auch Quereinsteiger (z.B. Maschinenbauer oder Elektrotechniker) ohne Informatikstudium in der Lage sind, sich innerhalb dieser drei Jahre zu Top-Software-Engineers zu entwickeln. Dies sollte eigentlich auch mit älteren Personen möglich sein, die sich noch einmal auf den neuesten Stand bringen möchten.

 

Welche Voraussetzungen braucht es hierfür

Im Moment müssen wir mindestens fünf Firmen vom Konzept so weit überzeugen, dass sie sich verpflichten, während der ersten zwei Jahre des Programms solche Kandidaten bei sich aufzunehmen und in Projekten mitarbeiten zu lassen. Die Kosten für diese Kandidaten werden unter 100 Franken pro Stunde liegen, und falls sie passen, können sie gleich nach dem Einsatz fest eingestellt werden. Bei Interesse bitten wir Firmen, sich direkt bei uns zu melden!

 

Was müssen Kandidaten mitbringen, um sich für das Programm zu qualifizieren?

Die Kandidaten müssen ein technisches oder wissenschaftliches Studium – mindestens Äquivalent zu einem Bachelor-Studium – mitbringen. Sie müssen zeigen, dass sie in irgendeiner Programmiersprache – auch ältere Sprachen – programmieren können und dass sie erste Grundlagen von moderner Softwareentwicklung – etwa objektorientierte Pro­grammierung – verstehen. Sie müssen einen gesunden Menschenverstand mitbringen, logisch denken und sich ausdrücken können. Ganz wichtig ist auch die Motivation. Sie müssen motiviert sein, offen sein und den Willen haben, noch einmal etwas Neues zu lernen.

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