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"Ich rechne etwa mit einer Verdreifachung der IPv6-Nutzung"

Uhr | Aktualisiert
von Janine Aegerter

Heute ist weltweiter IPv6-Tag. Die Netzwoche hat den Netzwerkspezialisten Martin Gysi, Senior ICT Consultant von Swisscom Netz und Informatik, befragt, was IPv6 für KMUs bedeutet und was sich für Internetnutzer verändern wird.

Martin Gysi, Senior ICT Consultant von Swisscom Netz und Informatik.
Martin Gysi, Senior ICT Consultant von Swisscom Netz und Informatik.

Herr Gysi, was wird am 6. Juni passieren, was glauben Sie?

Ich meine, dass viele Website-Betreiber ab diesem Tag ihre Websites unter IPv6 anbieten werden. Zudem erwarte ich eine merkliche Veränderung in der Swisscom-Statistik.

Welche Veränderung wird das sein?

Damit meine ich den Anteil an bestehenden IPv6-Verbindungen. Mich interessiert, wie viele Nutzer ab dem 6. Juni über IPv6 auf das Internet zugreifen. Ich rechne etwa mit einer Verdreifachung der IPv6-Nutzung. Falls sich an der Statistik kaum etwas verändert, wäre es erstaunlich.

Wie sieht denn derzeit die Statistik bei Swisscom aus?

Derzeit nutzen etwa 1200 Privatkunden IPv6. Bei diesen läuft bereits rund 10 Prozent des Verkehrs über IPv6, der Rest über IPv4.

Das sind ja noch nicht so viele Nutzer. Wie sieht denn die Situation in der Schweiz insgesamt aus? Sind wir bereit für IPv6?

Wichtig ist, dass die Inhalteanbieter wie Google, aber auch Swisscom als Netzbetreiber, die notwendigen Vorarbeiten leisten. Wir sind da bereits sehr gut unterwegs. Ich glaube nicht, dass für KMUs ein sofortiger Handlungsbedarf besteht. Laut Google nutzen derzeit nur 0,2 Prozent der Internetnutzer in der Schweiz IPv6, weltweit sind es 0,6 Prozent. Diesen Anteil wollen wir aber rasch erhöhen.

Wie gehe ich denn als CIO eines KMU vor?

Sie brauchen sicher eine Strategie, vor allem wenn Sie Dienste anbieten, die über eine einfache Website hinausgehen, wenn Sie beispielsweise einen Onlineshop betreiben oder wenn Sie sogar selbst im ICT-Umfeld tätig sind.

Wie sollte diese Strategie idealerweise aussehen?

Hilfreich ist es, sich ein Inventar zu erstellen, um sich einen Überblick über die eigene IT-Infrastruktur zu verschaffen. KMU-Vetreter sollten sich fragen, wo IPv6 potenziell einen Einfluss auf die firmeneigene IT-Infrastruktur haben könnte. Sie sollten auch wissen, welche IT-Anwendungen aufs Netz zugreifen, beispielsweise bei einem Onlineshop. Auch beim Neukauf von Hardware sollte die IPv6-Fähigkeit berücksichtigt werden.

Was raten Sie Unternehmen, die in Bezug auf IPv6 unsicher sind?

Es gibt spezialisierte Dienstleister, die sich IPv6 auf die Fahnen geschrieben haben und Unternehmen bei der Umstellung unterstützen.

Gibt es in der Schweiz bereits einen Provider, der native IPv6 anbietet?

IP-Plus, also der Provider für Grosskunden von Swisscom, bietet IPv6 schon seit 2003 an. Auch andere Provider wie Iway.ch gehören zu den Pionieren, und auch Genotech als Hoster bietet IPv6 schon seit längerem an.

Welche Pläne hat eigentlich Swisscom in Bezug auf IPv6 für Privatkunden?

Derzeit sind gut 600 000 Router unserer Privatkunden IPv6-fähig. Bis jetzt mussten die Kunden IPv6 aber selbst aktivieren. Am 6. Juni starten wir den Pilotbetrieb für eine neue Firmware mit IPv6-Firewall-Funktion. Damit können wir IPv6 bei all diesen Geräten Schritt für Schritt aktivieren. Wir tauschen zwar nicht aktiv Geräte aus, aber wenn ein Router ersetzt werden muss, wird der neue Router IPv6-fähig sein. Zudem machen wir unsere Website ab dem 6. Juni IPv6-fähig. Das Portal Bluewin.ch soll dann ab dem nächsten Jahr IPv6-fähig sein.

Wie sieht es mit den Geschäftskunden aus?

IPv6 im KMU-Umfeld ist in Planung. Wir wollen 2013 mit dem ersten Produkt auf den Markt kommen. Für Geschäftskunden, die VPN nutzen, haben wir ebenfalls Pläne für nächstes Jahr.

Was kann ich als Privat- oder Geschäftskunde aktiv tun, wenn ich nicht auf die IPv6-Aktivierung seitens Swisscom warten will?

Privatkunden können IPv6 online im Swisscom-Kundencenter selbst aktivieren, indem sie an der betreffenden Stelle ein Häkchen setzen. Diese Auswahl erscheint automatisch, sofern der eigene Router IPv6-fähig ist. Geschäftskunden (IP-Plus) können Kontakt mit ihrem Berater aufnehmen. Im Bereich hoher Bandbreiten, sprich Glasfaser, ist IPv6 bereits möglich. Alles andere ist in Vorbereitung.

Was machen Sie persönlich am IPv6-Tag?

Der 6. Juni ist ein Mittwoch. Mittwochs unterrichte ich immer meine Studenten an der Fachhochschule Nordwestschweiz zum Thema Datennetze. Passenderweise steht das Thema IPv6 auf dem Programm. Danach werde ich wie gesagt die Statistiken verfolgen und sicher auch den Kontakt zum Support-Center halten, um zu sehen, wie es läuft.

Glauben Sie, dass alles gutgehen wird?

Letztes Jahr am 8. Juni machten wir einen Probelauf und hatten keine Probleme. Manche äusserten die Befürchtung, dass das Aktivieren von IPv6 wie eine Denial-of-Service-Attacke auf die Provider wirken könnte. Das ist zum Glück nicht passiert.

IPv6 soll ja dafür sorgen, dass auch in Zukunft genügend IP-Adressen verfügbar sind. Bringt IPv6 sonst noch irgendwelche Veränderungen mit sich?

Die Zuweisung der Adressen kann anders erfolgen, sie ist nicht mehr nur über DHCP möglich. Üblich ist, dass Endgeräte ihre Adressen mithilfe des Routers selbst generieren. Bezüglich Sicherheit oder Quality of Service wird sich nichts ändern, denn die Mechanismen unterscheiden sich nicht von IPv4. Im Prinzip ändert sich für den Nutzer wenig, es ist, wie wenn man zum Beispiel beim Wählen einer Telefonnummer eine Ziffer hinzufügen würde – die Telefonie selbst bleibt gleich. Nur ist bei IPv6 der Wechsel ungleich schwieriger, da dieser weltweit erfolgt.

Hinweis: Das Interview mit Martin Gysi erschien in der Netzwoche 11/2012

 

Hintergrund: IPv4 versus IPv6

Durch das rasante Wachstum des Internets hat sich in den letzten Jahren eine Knappheit an IP-Adressen abgezeichnet. Das Netzwerkprotokoll IPv4 soll daher in den nächsten Jahren durch IPv6 abgelöst werden. Mit dem neuen Protokoll werden die 32-Bit-IP-Adressen durch 128-Bit-IP-Adressen abgelöst. Dadurch werden statt der bisher rund vier Milliarden möglichen IP-Adressen (232) künftig 340 Sextillionen IP-Adressen vergeben werden (2128). Die neuen Adressen werden daher auch eine neue Struktur aufweisen.

Statt der bisher bekannten Notation mit vier Zahlen, die durch einen Punkt getrennt werden und je einen Wert von 0 bis 255 annehmen können (zum Beispiel 173.194.35.184 für Google.ch) sehen die neuen IPv6-Adressen beispielsweise so aus: 2001:0db8:85a3:08d3:1319:8a2e:0370:7344. Will man diese Adresse in einer URL darstellen, setzt man die Zahl einfach in eckige Klammern, also http://[2001:0db8:85a3:08d3:1319:8a2e:0370:7344]/. Bei IPv4 hingegen gelangt man mit der Eingabe http://173.194.35.184/ auf die Website von Google.ch.

Der weltweite IPv6-Tag soll Unternehmen, Organisationen und Provider dazu animieren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Bereits am 8. Juni 2011 gab es einen IPv6-Tag. Damals machten einige Unternehmen und Organisationen ihre Website für einen Tag über IPv6 zugänglich, andere starteten einen Testlauf, um zu sehen, wie das eigene System mit IPv6 zurechtkommt.