Christof Zogg

Die Filmwelt ist aus den Fugen, Reed!

Uhr | Aktualisiert
von Christof Zogg

Die digitale Transformation fordert ihre Opfer – in der Musik-, Verlags- und Filmbranche. Ein Unternehmen, das sich mehrfach neu erfunden und erfolgreich angepasst hat, ist Netflix. Doch ist das Unternehmen auch gewappnet ­gegen einen Mitbewerber, der mit gezinkten Karten spielt?

Christof Zogg, Director Digital Business bei den SBB und Jurypräsident der Kategorie "Young & Wild". (Quelle: Microsoft)
Christof Zogg, Director Digital Business bei den SBB und Jurypräsident der Kategorie "Young & Wild". (Quelle: Microsoft)

In den beiden ersten Wochen nach seinem halb-freiwilligen Rücktritt als CEO von Microsoft soll sich Steve Ballmer über 100 Folgen der TV-Serie "The Good Wife" zu Gemüte geführt haben. Sein Verhalten steht stellvertretend für ein relativ neues Phänomen, das in seinem Ursprungsland als "Binge-­Watching" bezeichnet wird und auf Deutsch je nach Gesinnung mit Serienmarathon oder Komaglotzen übersetzt wird. Wobei wir beim heutigen Thema sind: dem disruptiven Wandel, der dazu geführt hat, dass heute jeder Nutzer mit Breitbandinternetanschluss bei Netflix & Co. für den Gegenwert von gerade mal drei Tassen Kaffee pro Monat unbeschränkt Filme und TV-Serien konsumieren kann.

Was bisher geschah

Die Vorlage für die Umkrempelung der gesamten Filmdistribution liefert die Musikbranche. Auch dort verläuft das Drama (aus Sicht der Industrie) beziehungsweise das Luststück (aus der Sicht der Konsumenten) in drei Akten. Der erste Teil besteht aus der Digitalisierung der Tonträger, von der LP zur CD. Der zweite aus der Substitution der physischen Datenträger durch Daten-Streaming übers Internet. Und der dritte und vorläufig letzte Akt aus der Ablösung des Kaufs einzelner Alben und Titel durch die Miete eines praktisch unlimitierten Musikarchivs.

Und wie immer, wenn Schumpeters schöpferische Zerstörung zuschlägt, werden die Marktführer der vorangehenden Phase von den neuen Herausforderern rechts überholt und bleiben am Schluss mahnend am Strassenrand der Technologiegeschichte liegen. So geschehen mit Tower Records, dem erfolgreichen Musikvertriebskanal der Vor-MP3-Ära, der von iTunes und Konsorten so in die Ecke gedrängt wurde, dass 2004 nur mehr der Weg in den Bankrott blieb. Wie anschliessend auch iTunes, das sich zu lange auf den Lorbeeren ausgeruht und, von Streaming-Diensten à la Spotify bedrängt, 2014 eine deutliche Umsatzeinbusse von 14 Prozent zu verzeichnen hatte.

So geht das, Filmindustrie!

Eine der wenigen Firmen, die den tiefen Graben vom Videoverleih zum Video-Streaming erfolgreich übersprungen hat, ist Netflix. Unter CEO Reed Hastings hat sich Netflix nicht nur immer wieder erfolgreich der sich ändernden Umwelt angepasst, sondern gleich mehrfach selbst mit der zerstörerischen Kraft der Innovation die Filmindustrie aufgemischt. 1999 führte Nextflix als erstes Unternehmen ein Flatrate-­Preismodell ein und realisierte 2011 – ein Novum für einen Verleiher – mit "House of Cards" eine erfolgreiche Eigenproduktion. Um 2013, bei Ausstrahlung der zweiten Staffel, erneut die Branchenregeln zu brechen und sämtliche Episoden auf einmal zu veröffentlichen.

Effektvoller hätte Hastings das Ende des linearen Fernsehens nicht einläuten können. Doch auch Netflix ist ge­trieben und muss sich stetig weiterentwickeln. Denn schon lauert Gefahr in Form von Popcorn Time, einem kostenlosen Filmtausch-Service mit wackliger rechtlicher Grundlage, aber einem Bedienkomfort, der seinem kommerziellen Bruder nur in wenig nachsteht. So soll der Dienst in Holland schon fast ähnlich populär sein wie Netflix selbst. Doch bei aller Bewunderung über die Kraft der Disruption: Das geht zu weit. Die Rechtssicherheit muss gewahrt bleiben, denn sonst frisst die Revolution ihre eigenen Kinder.

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