Nachgefragt

"Generation Y und Z sind nur Hypes"

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von Christoph Grau

Marcel Schütz ist Organisationsforscher an der Universität Oldenburg und lehrt an der Northern Business School Hamburg. Er beschäftigt sich mit der Funktion von Trends und Moden in Arbeitsorganisationen. Aus wissenschaftlicher Sicht sieht er Generationenkonzepte sehr kritisch.

Marcel Schütz, Organisationsforscher an der Universität Oldenburg. (Quelle: Marcel Schütz)
Marcel Schütz, Organisationsforscher an der Universität Oldenburg. (Quelle: Marcel Schütz)

Warum kritisieren Sie Konzepte wie Generation Y oder Z?

Marcel Schütz: Meine Kritik betrifft die Willkür, mit der diese Konzepte in die Welt gebracht werden. Generationsanalyse beruht auf Beobachtungspräferenzen. Die einen sehen es so, die anderen so. Die "Gen Y" wurde in einer Werbezeitschrift erfunden. Nichts gegen die Marketingler, aber Trendkampagnen und Wissenschaft sind zweierlei. Der Generationsbegriff wird sonst völlig entkernt. Man liest auch von der Generation "Doof", "Me" oder "Mitte". Das ist boulevardesk. Wenn man schon Bedingungen oder Ereignisse als Anker nutzen möchte, eignen sich Kriege und enorme Katastrophen – verzögert auch grosse technische Errungenschaften. Aber solche Zäsuren prägen natürlich nicht nur eine bestimmte Geburtenkohorte.

Dann sind das alles nur Klischees?

Diese Konzepte sind in der Tat voller Klischees. Denn sie beschreiben die Gesellschaft viel zu monoton und statisch. Ich muss schmunzeln, wenn ich lese, dass der moderne Jungakademiker dem klassischen Karriereverständnis adieu sage, superflexibel und ganz entspannt sei. Jetzt wird gepredigt, die Unternehmen müssten sich daher verändern und demokratischer werden. Bei Licht besehen ist dieser Veränderungszwang konstruiert. Alternative Leistungskritiker und Statusverzicht gibt es doch schon lange. Nur, ein Y-Leben muss man sich erst einmal leisten können. Man kann bei Studenten aus weniger vermögenden Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund beobachten, wie ungebrochen und respektabel deren Ehrgeiz ist, aufzusteigen, in der Gesellschaft sich ökonomisch einen Platz zu erarbeiten. Titel versprechen Aufstieg. Überall liest man, die Titel seien heute ja nicht mehr so wichtig.  Zugleich werden Auswahlverfahren und formale Abschlüsse immer exklusiver. Pauschale Generationenmuster sollte man nicht ernst nehmen. Soziologie dient sonst nur noch zur Legitimierung von Spekulation. Dennoch: Die Gesellschaft ist heute sicher generell etwas leistungsskeptischer. Viele können die Fassadenrhetorik in der Arbeitswelt nicht mehr hören.

Wer propagiert diese Generationenkonzept so stark?

Anfangs war es ein typischer Managementhype. Inzwischen hat es das Thema bis in Qualitätsmedien gebracht. Kritische Darstellung ist selten, denn das Thema ist profitabel. Für die Personaler in den Betrieben, weil sie so verdeutlichen, gebraucht zu werden, und für Berater und Trainer, die sich zu "Gen-Experten" ernennen. Der Publikationsoutput zum Thema zeigt: Y und Z werden für jedes denkbare Managementgebiet angepasst. Hier hat man es wirklich geschafft, einen Trend zu setzen.

Wer profitiert am meisten davon?

Der Clou ist das Trendsetting. Wir kennen das aus der Organisationssoziologie. Moden und Mythen kommen und gehen. In Sachen Generationen gibt es aktuell ja ein passendes Begleitprogramm. Man denke an "Arbeit 4.0", "neue Führung" und "flache Hierarchien" – obwohl da wenig neu und flach ist. Der Bielefelder Organisationsforscher Stefan Kühl entzaubert das seit Jahren. Ist der neue­ste Business-Schrei erst einmal in der Welt, kommen die Ideen, was man da noch alles anheften kann, von allein. Nun wird die Generation Z gehypt. Aber die "Y-Experten" lassen sich die Butter nicht vom Brot nehmen und fusionieren Y und Z ganz pragmatisch zum Megatrend.

Dann haben die ganzen Diskussionen also keine richtige Substanz?

So ist es, und das macht sie langlebig. Der Erfolg dieser Management-Talks liegt in ihrer Schwammigkeit. Je diffuser die Thesen, desto mehr Leute können mitmachen. Man muss unklar bleiben, um verstanden zu werden. Die hohe Kunst der Hype-Produktion besteht ja darin, mit vielen Worten wenig zu sagen. Deshalb gibt es nur vage Definitionen zu Y und Z, die viel Spielraum für Abweichung zulassen. Ihre Erfinder basteln sie so geschickt, dass die Kriterien für Abweichler ebenfalls passen. Letztens war zu lesen: Auch Alt-68er gehörten womöglich als "frühe Exemplare" zu Ypsilonern. Alles klar!

Welchen Mehrwert bringen die Generationenkonzepte?

Das Thema dient als eine Art Entspannungsprogramm. Es kommt zunächst mal positiv bei den Leuten an, da eine Welt stilisiert wird, die nicht existiert, aber in der viele gerne leben würden. Für einen Grossteil der Arbeitnehmer ist der Büroalltag längst nicht so hübsch, wie es in schicken Hochglanzmagazinen mit Beiträgen über die junge, smarte Start-up-Welt von Zürich, Berlin oder Wien präsentiert wird. Wir konstruieren uns ein universelles Generationenmodell, in das gewissermassen die Bedürfnisse vieler gestresster Leute hineinprojiziert werden. In einer primär auf Hamsterrad ausgerichteten Arbeitswelt ist es ungemein entspannend, wenn man sich einen Diskursraum zimmert, in dem man zwischendurch mal etwas "anti" sein darf. In der Vorstellung ist alles easy und lässig. Aber in der Praxis brechen die Leute damit schnell wieder. Weil sie an Schnelligkeit und hohem Output gemessen werden.

Wenn es keinen Mehrwert gibt, warum werden die Konzepte so oft verwendet?

Besonders für Beschäftigte, die im Berufserfolg ihre gesamte Befriedigung finden, ist es schick, "theoretisch" kritisch zu sein. Und gerade die, die biologisch wohl nicht mehr zur Gen Y gehören, dichten ihr viel an. Die eigenen Wünsche werden auf junge Leute verlagert. Eine Art Ersatzbefriedigung, die etwas von dem wehmütigen Blick auf die "Jugend von heute" hat, weil man sich vielleicht ziemlich "standardmässig" fühlt. Mir erscheinen tiefenentspannte Rentner mit 70 eher "auf Y" zu sein, als der angepasste Bologna-Student Mitte 20 an seiner so genannten Eliteuni. Eigentlich spielen die sozialen Hintergründe eine grosse Rolle. Wenn wir darüber reden, dann lasse ich mich gern auf Kontrastierung ein. Der Erfolg der Y- und Z-Debatte liegt wohl darin begründet, dass dieser Talk als Vehikel für Entschleunigungsfantasien dient, obwohl man aus der bestehenden Leistungslogik nicht herauskommt. Zugegeben, das ist nicht die schlechteste Bewältigungsstrategie, um in den unendlichen Weiten der Arbeitsmonotonie produktiv zu bleiben. Es bleibt alles wunderbar folgenlos. Aber wenn es dann um Vorschläge einer echten Veränderung der Arbeitswelt geht, etwa um Grundeinkommen oder Absenkung der Regelarbeitszeit, dann kommt die alte Leistungslogik schnell wieder zum Vorschein.

Ist es vielleicht doch sinnvoll, eine Unterscheidung zwischen den Altersgruppen zu machen?

Gegen solche Unterscheidung ist nichts zu sagen. Die Biologie sorgt schon offensichtlich dafür. Sie und ich, wir kommunizieren gerade ganz "gechillt", wie man in unserer Alterskohorte zu sagen pflegt. Wir werden uns damit von älteren Gruppen unterscheiden. Kommunikationsstile verändern sich fortlaufend. Aber wo genau soll man die Grenze ziehen? Wir leben in einer hochgradig differenzierten Gesellschaft. Wertvorstellungen vermischen sich immer mehr. Ich könnte ja gerade auch jemand sein, der das Wort "gechillt" deshalb vermeidet, um als Akademiker eine besonders elaborierten Codes zu wahren. Das hat dann vor allem mit Milieu, gesellschaftlichen Gepflogenheiten und einem gerüttelten Mass an individueller "Lockerheit" zu tun. Natürlich gibt es Generationenunterschiede, wenn wir etwa über Freizeitverhalten, Technik und eben allgemein Kommunikation reden. Das Internet bedeutet für Leute in unsere Altersklasse sehr viel mehr als für ältere Menschen. Weil wir uns eben anders anpassen müssen. Nur frage ich mich, wie man dazu kommt, davon ausgehend uniforme Zeitdiagnosen auszurufen. Es geht um erwartbare Anpassungsprozesse. Übrigens kursieren beliebig viele Zeiträume zu diesen Generationenkonzepten. Das sollte nachdenklich stimmen. Tut es aber nicht. Man liest stattdessen: Gen Y existiert seit 1971, 1973, 1980, 1984 und so weiter.

Welche alternativen Konzepte schlagen Sie vor, um die Unterschiede in den Generationen zu beschreiben?

Als jemand, der ständig neue Organisationen kennenlernt, kann ich Firmen guten Gewissens raten: Macht euch doch nicht masslos verrückt wegen dieser Generationenkon­strukte. Nur bezweifle ich, dass der Hype ein baldiges Ende findet. Meine Empfehlung wäre aber genau das. Abschied nehmen von der Generationendebatte und sich auf präzise Differenzen beschränken. Die bleiben zwar auch immer rein statistisch. Aber es ist legitim, Aspekte wie etwa Folgen der Digitalisierung zu thematisieren. Nur, dann geht es um Fähigkeiten, um Handwerk und diesbezügliche Einstellungen, nicht gleich um Gott und die Welt, nicht um Überbetonung von Abweichlern und Unterbelichtung der Regel.

Wie wollen Sie die Debatte prägen?

Mein Anliegen ist es, diese Schwarz-Weiss-Malerei produktiv zu irritieren und nicht ständig soziale Trends zu proklamieren. Ich komme mir fast eigenartig vor, wenn ich als Forscher empfehle, sparsamer zu theoretisieren. Aber vielleicht liegt ja der wissenschaftliche Beitrag darin, anzumerken, dass Generationendiagnostik nicht das bunte soziale Leben darstellt. Wer weiss, vielleicht hilft es bei der Einsicht, dass Gesellschaftsanalyse nicht nur die Aufgabe von Managementgurus sein sollte?

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