Ideales Zielpublikum

E-Learning ist in die Jahre gekommen, Teil 2

Uhr | Aktualisiert
von Prof. Dr. Oliver Bendel, Julia Nierle

E-Learning und Blended Learning entfalten ihre Stärken unter ganz bestimmten Bedingungen. Dazu kann eine temporäre Beschränkung, ein zeitlicher Druck gehören. Oder eine Verteiltheit der Lernenden, eine landes- oder sogar weltweite. Wenn es sich zudem um eine grosse Anzahl von Lernenden handelt, kommt man an E-Learning kaum vorbei.

Für Banken und Versicherungen mit ihren sich ständig verändernden Rahmenbedingungen und internen und externen Vorschriften ist E-Learning ebenso selbstverständlich wie für die Polizei, die manche Erkenntnisse innerhalb von Stunden an den Mann oder die Frau bringen muss; als 2001 die Anthrax-Anschläge verübt wurden, liess sich die Polizei in Baden-Württemberg sofort von den erwähnten Wissenschaftlern aus St. Gallen beraten. Auch körperliche Einschränkungen können für E-Learning sprechen, vor allem solche, die den Bewegungs- und nicht den Wahrnehmungsapparat betreffen. Doch selbst bei Sehstörungen ist E-Learning – nicht zuletzt wegen der möglichen auditiven Funktionen – eine Option.

Ältere Menschen oft alleinlebend, kontaktfreudig und mit viel Zeit

Es ist nicht leicht, diese Befunde zu systematisieren oder gar auf einen Nenner zu bringen. Die Generation 50+ ist eben ausserordentlich heterogen. Möglicherweise entscheidet sich – um ein fiktives Beispiel zu nehmen – die 80-jährige Rosa für E-Learning, weil sie den Ort, an dem gelernt werden soll, schlecht erreichen kann, sie alleine ist und mit anderen virtuell in Kontakt treten möchte und sie viel Zeit hat bzw. über einen langen Zeitraum lernen will.

Die abnehmende Bevölkerungsdichte in bestimmten ländlichen Gebieten lässt grundsätzlich E-Integration und auch E-Learning stärker in den Mittelpunkt rücken: Wenn ältere, zumeist weniger mobile Menschen in dünner besiedelten Gebieten zurückbleiben und gleichzeitig Läden und Dienstleister dort ihre Filialen aufgeben, wächst der Bedarf an gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Teilhabe über das Internet. Die Europäische Kommission unternimmt daher verstärkt Anstrengungen zur "digitalen Integration" ("E-Inclusion") und initiiert und unterstützt Projekte in diesem Bereich, wie etwa das aktuelle Projekt TAO Community & Collaboration zur Einbindung der älteren Generation in Online-Communities, für das die Fachhochschule Bern in diesem Frühjahr den Zuschlag erhalten hat [1].

Dass es bislang allerdings nur wenige ("wissenschaftsfundierte") Bildungsangebote speziell für ältere Menschen gibt, beklagt das Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung (ZAWiW) der Universität Ulm. Es richtete sich im März dieses Jahres in einer öffentlichen Konsultation an die Europäische Kommission, um darauf hinzuweisen, dass angesichts des demografischen Wandels "Lebenslanges Lernen eine Notwendigkeit, kein Luxus" ist.

Neue Tools

Aber genauso gut ist es möglich – um unserer fiktiven Frau einen Partner zu geben –, dass der 70-jährige Sebastian die Reisezeiten einsparen will, um noch anderen Tätigkeiten nachgehen zu können, er auf den virtuellen Kontakt mit anderen nicht angewiesen ist, weil er in einer Alten-WG wohnt, und er möglichst schnell und effizient lernen möchte. Dies zeigt aber auch, dass sich E-Learning gerade an die ganz unterschiedlichen Bedürfnisse der Älteren gut anpassen lässt. Das betrifft natürlich ebenso die mediale und inhaltliche Angemessenheit bei Themen, die weit weg von den Lernenden sind; so haben zwei Mainzer Publizistik-Studenten einfach verständliche Lernvideos für Ältere entwickelt, mit denen die Grundlagen für die ersten Schritte am PC und im Internet vermittelt werden [2]. Auf Einfachheit setzen auch die "Computerias" [3] mit ihren online verfügbaren PC-Tipps. Vor allem aber trifft man sich einmal in der Woche in den knapp 50 Schweizer Einrichtungen, um sich kennenzulernen und auszutauschen – ganz im Sinne des Blended Learning.

E-Learning ist allerdings kein Wunder- und kein Allheilmittel. Man sollte bedenken, dass gewisse Formen im Bereich des E-Trainings mehr schaden als helfen. Etwa solche, bei denen lineare Texte ohne Notwendigkeit in Hypertexte zerstückelt wurden. Oder bei denen – Stichwort "Rapid E-Learning" – aus Präsentationsfolien Kurse generiert wurden, die aus vielen kleinen, wenig aussagekräftigen Lerneinheiten bestehen.

Gegenüber solchen Ansätzen weisen klassische Skripten und Bücher – ob in gedruckter Form, als PDF für den Computer oder in einem mobilen Format für das Handy – entscheidende Vorteile auf. Insbesondere kann man als Autor in langen, linearen Texten besser einen roten Faden legen, eine stabilere Argumentationskette schmieden und eine grössere Komplexität entwickeln. Der Lernende kann selbst hypertextuelle Strukturen in die Linearität hineindenken. Insofern sind die erwähnten hybriden Publikationsformen – zusammen mit seniorentauglichen Handys – vielleicht wirklich geeignete Lernmedien für Ältere.

Nicht nur Vorteile

Wie angedeutet wurde, ist E-Collaboration, etwa über klassische Werkzeuge der Zusammenarbeit und über Social Software, eine in vielen Zusammenhängen sinnvolle Methode. Auf Seniorweb [4] stellen auch zufällig hereingeschneite Gäste fest, dass die älteren Benutzer aktiv in Foren sind und Blogs und Wikis schätzen. Auf der Website wurde die webbasierte Zusammenarbeit sogar zur Strategie ausgerufen: "Im Zug der Profilierung seiner Position wird sich seniorweb.ch stärker auf die Community-Funktionen konzentrieren. Die Nutzer werden angeregt, generationenspezifische Anliegen in Blogs und Foren zu thematisieren." Es wird erkannt, dass die Vernetzungen das Lehren und Lernen oder den Erfahrungs- und Wissensaustausch unterstützen können.

Die Interaktion in sozialen Netzwerken kann dazu beitragen, das "schulische" Lernen durch die Komponente des informellen Lernens bzw. informellen E-Learnings zu ergänzen. Just-in-time E-Learning spielt in Unternehmen – nicht zuletzt wegen der Entwicklungen im Bereich des Web 2.0 und des informellen E-Learnings – eine wichtige Rolle, und auch in der zweiten Lebenshälfte von Privatpersonen sind Bedürfnisse für schnelle Lösungen per Internet vorhanden.

Mobile Learning

Dass es noch viel zu lernen gibt, begreifen nicht zuletzt die grossen einschlägigen Organisationen wie Tertianum und Pro Senectute [5], die zu entsprechenden Seminaren und Konferenzen einladen. Und auch in Beratung und Forschung ist Bewegung, etwa an der Universität Kassel, wo man unter der Bezeichnung "Mobil50+" mobile Anwendungen für Seniorinnen und Senioren untersucht und vielleicht eines Tages auch auf das Mobile Learning stösst.

Oder am ZAWiW der Universität Ulm, wo man in mehreren Projekten untersucht, "wie die neuen Techniken älteren Menschen neue Ausdrucksmöglichkeiten geben und damit einhergehend neue Perspektiven und Zugangsweisen zu Themen ihres Interesses sowie neue Handlungsfelder für Engagement und Partizipation eröffnen können" [6]. Und eben an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, am Institut für Wirtschaftsinformatik der Hochschule für Wirtschaft, wo man die Möglichkeiten von Technologien und Systemen in diesem Bereich zu erforschen beginnt.

Autoren

Prof. Dr. Oliver Bendel arbeitete in Deutschland und in der Schweiz als Projektleiter im Bereich Neue Medien und leitete technische und wissenschaftliche Einrichtungen an Hochschulen. Heute lebt er als freier Schriftsteller in der Schweiz und lehrt und forscht als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft (Fachhochschule Nordwestschweiz), mit den Schwerpunkten E-Learning, Wissensmanagement, Web 2.0, Mobile Business und Informationsethik.

Julia Nierle studierte Politikwissenschaft, Französische Philologie und Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Sie arbeitete als freie Mitarbeiterin bei Radio France Internationale in Paris und bei der Aachener Zeitung. Seit Mai 2009 ist sie am Institut für Wirtschaftsinformatik der Fachhochschule Nordwestschweiz im Bereich Kommunikation tätig.

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