BOSW-Ehrenpreisträger im Interview

"Die Bank der Zukunft wird viele elektronische Avatare haben, die sich um den Kunden kümmern"

Uhr | Aktualisiert
von Rodolphe Koller

Die Träger des Best-of-Swiss-Web-Ehrenpreises, Marc Bürki und Paolo Buzzi, gründeten im Jahr 2000 die Onlinebank Swissquote. Im Gespräch mit unserer Redaktion erläutern der CEO, Bürki, und der CTO, Buzzi, wie sie ihre Leidenschaft für Technologie mit dem Beruf des Bankers vereinbaren, und erklären ihre Vision der Bank von morgen.

Marc Bürki, Claudio Dionisio und Paolo Buzzi (v. l. n. r.)
Marc Bürki, Claudio Dionisio und Paolo Buzzi (v. l. n. r.)

Sie werden dieses Jahr mit dem Best-of-Swiss-Web-Ehrenpreis ausgezeichnet. Sehen Sie sich als Banker oder eher als Internetunternehmer?

Marc Bürki: Wir sind natürlich Banker, mit Leib und Seele. Nur so kann man in der Schweiz im Bankgeschäft tätig sein. Der Beruf ist vielschichtig mit vielen Regeln und einem hohen Mass an Überwachung. Dazu bedarf es einer angemessenen Organisation.

Paolo Buzzi: Aber wir sind Banker einer neuen Generation. Wir sind auch Ingenieure und gehen damit von einer technologischen Grundlage aus. Wir haben die Bankverfahren überarbeitet und viele Abläufe automatisiert, sodass wir die Kosten unter Kontrolle halten und das Risiko besser beherrschen können.

Bürki: Als wir noch an der EPFL studierten, hatten wir noch keine Ahnung, dass wir einmal Banker werden würden. Das ist aber ein klares Berufsbild mit vielen Regeln, das gut zur Lernfähigkeit von Ingenieuren passt. Ausserdem war die Bank schon immer eine sehr technisch ausgerichtete Organisation, wo die Informatik eine grosse Rolle spielt. Bei uns ist dies umso mehr so, da ein Drittel unserer Mitarbeiter Ingenieure sind.

Die meisten Banken bieten heute Onlinedienste an. Hebt sich Ihre technologische Ausrichtung überhaupt noch von anderen ab?

Buzzi: Was wir vor zehn Jahren schon gemacht haben, ist heute in der Tat etwas banal geworden. Aber wir bemühen uns stets, die Nase vorn zu haben, indem wir jedes Jahr neue Dienste anbieten, um die Bank der Zukunft zu erschaffen.

Bürki: Die Innovation beschränkt sich nicht mehr darauf, Transaktionen einfach und benutzerfreundlich auf elektronischem Wege durchzuführen – das können viele –, sondern dies zu geringeren Kosten zu tun, dabei optimale Sicherheit zu bieten und sich für neue Bereiche zu öffnen, wie beispielsweise die elektronische Portfolioverwaltung.

Wie wird diese Bank der Zukunft aussehen?

Bürki: Vor einigen Jahren haben wir begonnen, uns mit der in unseren Augen neuen Generation der Onlinebank zu befassen. Dabei geht es darum, dem Kunden zu helfen, seine Form der Geldanlage aus zahlreichen Angeboten am Markt auszuwählen – wir bieten ja selbst schon eine Million davon an. Unsere Spezialisten haben Tools entwickelt, mit denen das Risikoprofil des Kunden erstellt werden kann, und die es uns ermöglichen, ihm eine massgeschneiderte Anlagestrategie zu empfehlen. Wir wollen, dass diese elektronischen Verwalter mindestens so leistungsfähig sind wie die menschlichen. Dazu haben sie den Vorteil, rund um die Uhr verfügbar und immer objektiv zu sein. In zehn Jahren wird die Bank viele solcher elektronischen Avatare haben, die sich um den Kunden kümmern.

Sie haben vor kurzem eine elektronische Privatbank gestartet. Glauben Sie, dass das Internet den Berater ersetzen kann?

Bürki: Der Computer verfügt über viel umfangreichere Erfahrungen und Informationen als der Berater. Der Trumpf des Beraters ist es, dass er mit dem Kunden dessen Pläne besprechen kann, wie das Studium seiner Kinder oder den Kauf eines Hauses, und diese verschiedenen Informationen zusammenführen kann. Die Herausforderung liegt also darin, den Computer dazu zu bringen, dasselbe zu tun, wozu es äusserst innovativer Techniken wie der künstlichen Intelligenz bedarf.

Buzzi: Wir erleben andererseits eine Tendenz zur Entmaterialisierung und zur Selbstbedienung. Die Menschen werden immer unabhängiger, sie wollen ihre Angelegenheiten selbst erledigen, egal zu welcher Zeit und ohne Diskussionen mit einem Berater.

Bürki: Das lässt sich mit der Reisebranche vergleichen. Die Kunden schätzen bereits die vielen Systeme, mit denen sie ganz einfach einen Flug oder ein Hotelzimmer buchen können, ohne ein Reisebüro aufsuchen zu müssen. Der nächste Schritt besteht darin, jemandem, der für vier Tage an einen sonnigen Ort verreisen möchte, um mit einem bestimmten Budget Party zu machen, automatisch eine passende Reise vorzuschlagen. Manche Anbieter tun dies bereits.

Eine Geldanlage hat ein anderes Gewicht als eine Reise. Wie kann man eine Anlagestrategie auf der Grundlage weniger Onlinefragen empfehlen?

Buzzi: Zu allererst müssen wir als Bank die Strategie je nach den strukturierten Antworten des Kunden rechtfertigen können. So können wir eine Risiko-Bandbreite bestimmen, innerhalb derer wir versuchen, die Leistung zu optimieren. Um das Risiko zu bestimmen, das der Kunde bereit ist einzugehen, können wir explizite Fragen stellen, jedoch auf die Gefahr hin, dass sie von den Kunden unterschiedlich interpretiert werden. Wir haben uns also für einen anderen Ansatz vom Typ «Reverse Engineering» entschieden und fragen den Kunden, welchen Betrag er bereit ist zu verlieren, um daraus sein Risikoprofil zu erschliessen. Eine andere von uns angewendete Methode besteht darin, das Portfolio des Kunden zu analysieren und ihm zu zeigen, zu welcher Anlegerkategorie er unter den Swissquote-Anwendern gehört. Manche Personen bestätigen dieses Risikoprofil, während andere merken, dass ihr tatsächliches Risikoprofil nicht mit ihren Vorstellungen übereinstimmt.

Bürki: Alles, was wir tun, erfolgt auf seriöse Weise. Die Finma verlangt übrigens, dass die eingesetzten Methoden rigoros sind. Wir haben keine Leistungsverpflichtung, sondern eine Mittelverpflichtung. Unsere Empfehlungen müssen auf der Grundlage von dokumentierten Analysen basieren genauso wie bei Vermögensverwaltern. Unsere Algorithmen werden mithilfe von historischen Daten getestet, und wir arbeiten eng mit der EPFL zusammen. Deshalb suchen wir auch ständig nach Spezialisten im Finanzingenieurwesen, und wir sind da nicht die Einzigen.

Gleichzeitig bietet Swissquote Lounges in mehreren Schweizer Städten an und hat gerade ein Magazin herausgebracht. Sie suchen also den realen Kontakt zu Ihren Kunden?

Bürki: Wir sind in der Tat so etwas wie die Ärzte des Vermögens und die Menschen wollen uns anfassen können, realen Kontakt haben. Das ist nicht widersprüchlich, denn sie nutzen weiterhin die virtuellen Dienste, die wir ihnen anbieten. Der Computer ist nicht in der Lage, Emotionen zu übermitteln. Dem versuchen wir mit verschiedenen Mitteln zu begegnen, zum Beispiel mit den Lounges oder unserem Magazin.

Buzzi: Die Leute wollen fühlen, dass wir als Unternehmen tatsächlich existieren und nicht nur eine virtuelle Marke sind. Wenn wir an Ausstellungen teilnehmen, kommen viele Kunden auf uns zu.

Ist das Vertrauen, das im Bankwesen unerlässlich ist, vereinbar mit einer Onlinebeziehung?

Buzzi: Heutzutage entsteht Vertrauen dadurch, dass man die Kontrolle hat und direkt eingreifen kann. Bei unseren Systemen wissen die Kunden, dass sie rund um die Uhr und überall auf ihr Vermögen zugreifen und sofort handeln können, ohne ihren Bankberater aufsuchen zu müssen. In einer Bank kann hingegen der Berater im Urlaub sein, man muss telefonieren und Unterlagen mit der Post versenden. Andererseits wächst die Gemeinschaft der Swissquote-Kunden ständig und die Marke gewinnt an Glaubwürdigkeit, was den Menschen Vertrauen einflösst: Vertrauen erzeugt Vertrauen.

Auf Ihrer Internetseite gibt es ein Forum. Welchen Beitrag leisten die Online-Communitys für Ihre Bankgeschäfte?

Buzzi: An der Basis ist der Kunde ziemlich allein mit dem Tool. Die Idee war daher, ihm die Möglichkeit zur Unterhaltung und zum Austausch über Anlagetipps mit anderen Anlegern zu geben. Das funktioniert in etwa wie das Prinzip der Weiterempfehlungen auf der Amazon-Seite, wo die Anwender Kommentare verfassen oder zum Beispiel «Targets» (Zielpreise) angeben können, aus denen die Community Schlüsse ziehen kann. Mit der Zeit machen sich manche User aufgrund ihrer treffenden Kommentare einen Namen und verschaffen sich Gehör. Was uns betrifft, so können uns die von den Kunden veröffentlichten Nachrichten helfen, ihnen Produkte zu empfehlen, die für sie vermutlich von Interesse sind.
Eine weitere bedeutende Entwicklung ist bei den Smartphones auszumachen. Wie schnell haben Sie dies erkannt?

Bürki: In jeder Entwicklungsphase müssen wir Entscheidungen treffen und auf bestimmte Technologien setzen. Wir haben früh an den Erfolg des I-Phones geglaubt und haben eine Anwendung für dieses Gerät sowie für den I-Pad und Android geschaffen. Diesen neuen Herausforderungen müssen wir uns immer stellen, so zum Beispiel auch, als wir feststellten, dass viele Kunden Blackberrys nutzen. Manchmal irren wir uns auch, wie zum Beispiel mit dem Betriebssystem Symbian von Nokia, das vielleicht nicht mehr lange überleben wird.

Sie bleiben also Technologiefreaks?

Bürki: Uns zeichnet aus, dass wir bei den neuen Technologien immer mit vorne dabei sind und sie in einem extrem konservativen Beruf einsetzen. Die gesamte Kommunikation des Schweizer Bankensektors dreht sich um Tradition. Da besteht natürlich die Gefahr, dass man die Zukunft etwas aus den Augen verliert. Wie wird die Superstar-Privatbank in 20 Jahren aussehen? Wird es die Bank mit einem gediegenen Büro in Genf mit Teppichböden sein oder die Bank, die die sozialen Netze integriert und die technischen Bedürfnisse der Kunden berücksichtigt? Seit 20 Jahren verfolgen wir den gleichen Ansatz: Wir ruhen uns nie auf unseren Lorbeeren aus und gehen die Dinge als Ingenieure an. Wie zum Beispiel bei der Gründung unserer Bank, als viele Leute uns sagten, die Hürden seien unüberwindbar. Wir haben uns an die EBK – die Vorgängerin der Finma – gewandt und haben ihr unser Projekt erläutert. Diese hat uns daraufhin zehn Bundesordner mit allen Vorschriften ausgehändigt. Wir haben mit dem ersten angefangen.

Sie haben gerade die Gesellschaft ACM, die sich auf den Online-Devisenhandel spezialisiert hatte, für 42 Millionen Franken übernommen. Werden Sie ihre Plattform und ihr Modell beibehalten?

Bürki: Wir stecken mitten in der Fusionsphase. Die Gesellschaft Advanced Currency Markets AG löst sich auf und wir übernehmen ihre Kunden und ihre internationale Präsenz. Wir möchten gern ihr gut funktionierendes Frontend beibehalten, um nicht die Kunden zu verärgern, die diese Schnittstelle zu schätzen wissen. Für uns ist wichtig, dass die Durchführung und die Kontrolle im Backend zentralisiert werden. Wir werden auch ihr aggressives Modell mit stark verringerten Provisionen beibehalten. Unser Beitrag zur ACM ist die Sicherheit einer Bank hinsichtlich der Eigenmittel, aber auch ihre Beschränkungen bezüglich der Reglementierung. Diese Vielschichtigkeit macht diesen Beruf so spannend.

Mit dieser Übernahme strecken Sie Ihre Fühler nach Dubai aus. Planen Sie eine Expansion ins Ausland?

Bürki: Derzeit sind 90 Prozent unserer Kunden in der Schweiz ansässig und der Rest besteht hauptsächlich aus Auslandsschweizern. Abgesehen von einer Erfahrung in Frankreich vor längerer Zeit ist Dubai unsere erste Vertretung im Ausland. Wir rechnen damit, eine Bankenlizenz in Dubai zu erhalten und uns auf dem Markt am Golf und in Asien mit der Gesamtheit unserer Angebote weiterzuentwickeln. Wir sind der Meinung, dass die grenzüberschreitende Bank verschwinden wird. Die Stärke der schweizerischen Privatbank liegt nicht im Bankgeheimnis, sondern in der Qualität der angebotenen Dienstleistungen. An unseren Grenzen stellt die Schaffung eines einheitlichen europäischen Marktes für Finanzdienstleistungen eine grosse Chance dar. Wenn Sie sich in Deutschland niederlassen, können Sie Ihre Dienstleistungen von Gibraltar bis Nordschweden anbieten. Davon abgesehen sind wir es in der Schweiz gewohnt, in einem mehrsprachigen und multikulturellen Umfeld zu agieren.

Ein Unternehmen wie Amazon hat beschlossen, sich auf seine Internetkompetenzen zu stützen, um ein Cloud-Angebot zu entwickeln. Ist das eine Richtung, die auch Sie verfolgen?

Buzzi: Das hat etwas Verführerisches. Wir verfügen über ein Know-how, mit dem wir Zahlungs-, Transaktions- und Sicherheitsdienstleistungen in die Cloud verlegen könnten.

Bürki: Wir sind zwar Technikenthusiasten, aber unsere Kernaufgabe ist das tägliche Bankengeschäft.