Balthasar Glättli im Interview

"Ich bin ein starker Verfechter von Netzneutralität"

Uhr | Aktualisiert
von Janine Aegerter

Balthasar Glättli, Grüne-Nationalrat des Kantons Zürich, erklärt, wie man KMUs dazu bringen könnte, vermehrt Strom zu sparen. Zudem erläutert er, was er unter einer "Kulturflat" versteht und warum es hierzulande so wenige Frauen in der IT gibt.

Balthasar Glättli, Grüne-Nationalrat des Kantons Zürich, plädiert für eine öffentliche Debatte zum Datenschutz. (Quelle: Foto zVg von Balthasar Glättli)
Balthasar Glättli, Grüne-Nationalrat des Kantons Zürich, plädiert für eine öffentliche Debatte zum Datenschutz. (Quelle: Foto zVg von Balthasar Glättli)

Herr Glättli, warum sind Sie eigentlich Politiker geworden?

Ich interessierte mich schon als Kind dafür, was in der Welt vor sich geht. Ab der siebten Klasse habe ich mich zudem für schulpolitische Dinge eingesetzt und unter anderem bei der Schülerzeitung mitgemacht. So bin ich in dieses Thema reingewachsen.

Inwieweit setzen sich die Grünen für die ICT-Branche ein?

Wir haben kein spezielles Förderprogramm für die ICT-Branche. Wir haben aber unter anderem darauf hingewiesen, dass man die einseitige Abhängigkeit vom Finanzplatz nicht zu sehr wachsen lassen und besser auf die ICT-Branche setzen sollte, die in Zürich ja schon sehr gut etabliert ist.

Die Grünen setzen ja auf eine effiziente Energiepolitik. Wie verträgt sich das mit einer wachsenden ICT-Branche, die einen stetig steigenden Stromverbrauch hat?

Für die grossen Datenzentren braucht es Anreize, damit sie weniger Strom verbrauchen. Das geht ganz einfach, indem man den Strom teurer macht. Ein erfolgversprechender Ansatz wäre, gezielt Unternehmen zusammenzuführen, die sich energietechnisch ergänzen. Nehmen wir zum Beispiel ein Rechenzentrum und eine Gärtnerei. Die Gärtnerei benötigt Wärme, das Rechenzentrum produziert Wärme. Wird ein neues Industriegebiet gebaut, sollte man nicht nur von Bauvolumen und Strassen reden, sondern auch die Energie- und die Stromflüsse miteinander verbinden.

Und wie bringt man die KMUs dazu, Strom zu sparen?

Dort ist es nicht ganz so einfach wie bei den Rechenzentrumsbetreibern. Selbst wenn der Strom teurer wird, ist das für ein KMU kein relevanter Kostenfaktor, aber für den Betreiber eines Rechenzentrums schon.

Was wäre eine mögliche Lösung?

Das Wichtigste ist, dass die KMUs ein Feedback zu ihrem Energieverbrauch erhalten. Sie müssten also konkret sehen, wie viel Strom sie sparen. Das wäre eine Motivation, noch effizienter zu werden. Das ist wie bei einer Diät. Wenn man jeden Tag auf die Waage steht, will man einen Erfolg sehen, sonst steht man das nicht durch.

Also sollten wir vermehrt mit Smart Metering arbeiten?

In das Smart Metering für Einzelpersonen hat man ursprünglich grosse Hoffnungen gesetzt, hat jetzt aber festgestellt, dass nur etwa drei bis fünf Prozent Strom gespart werden. Feststellbar war aber ein positiver Community-Effekt. Wenn man dann mit seinem Nachbarn oder mit anderen KMUs verglichen wird, bietet das einen zusätzlichen Anreiz.

Wie stehen Sie zur aktuellen Glasfaserdiskussion?

Die Grünen sind dafür, dass es eine flächendeckende Breitbandversorgung gibt, und die Glasfaser ist die Technologie dafür. Diese Investition würde sich sicher auszahlen. Zudem wäre aus meiner Sicht eine flächendeckende Ausrüstung mit Glasfaser auch sinnvoll, um auch ländliche Gegenden für Arbeitgeber attraktiv zu machen.

Haben Sie etwas gegen die Urbanisierung?

Nein, ich finde eine Urbanisierung toll, solange die Leute auch in der Stadt leben. Schlimm finde ich die Entwicklung hin zur "Schlafagglo" und der "Arbeitsstadt".

Sie beschäftigen sich auch mit der Netzpolitik. Warum interessieren Sie sich dafür?

Das Web hatte für mich schon immer eine politische Dimension. Angefangen mit den ersten "Hackerkollektiven" aus Bosnien, die während des Bosnien-Kriegs versuchten, die Informationszensur zu umgehen, bis hin zur problematischen Kommerzialisierung des Internets. So wie ich das Netz kennen gelernt habe, war es ein kommerzfreier Raum. Wenn ich heute eine Webseite aufrufe, ohne den Ad-Blocker eingeschaltet zu haben, spült es mich jedes Mal fast weg.

Welche Themen gehören zur Netzpolitik?

Das beinhaltet viele Themen. Unter anderem gehört der Datenschutz dazu. Aber auch der universale Zugang zum Internet, Kritik an staatlichen Filtern sowie das Urheberrecht.

Finden Sie, dass der Bundesrat beim Datenschutz genügend unternimmt?

Nein, ich finde, der Datenschutz hat zu wenige Ressourcen. Das Thema wird in Bern zu wenig ernst genommen. Der Datenschutz ist neu der Staatspolitischen Kommission zugeteilt, die auch für die Asyl- und Ausländerpolitik zuständig ist. In der Asylpolitik gab es seit den 80er-Jahren im Schnitt alle drei Jahre eine Revision. Unser Datenschutzgesetz hingegen ist etwa 20 Jahre alt. Es wurde in der ganzen Zeit nie systematisch angepasst. Im Datenschutz haben wir aber im letzten Jahrzehnt eine enorme gesellschaftliche und technische Entwicklung durchgemacht. Es wäre wichtig, ein stärkeres öffentliches Bewusstsein für die grossen Herausforderungen des heutigen Datenschutzes zu schaffen. Dafür braucht es dringend eine öffentliche Debatte.

Wie müsste diese aussehen?

Wir müssen uns bewusst werden, wie viele Informationen bereits über den Einzelnen vorhanden sind. Die Bevölkerung soll wissen, was die Folgen sein können, wenn wir private Informationen über uns selbst ins Netz stellen.

Sie sprechen auf soziale Medien wie Twitter und Co. an.

Ich selbst bin auf Twitter aktiv. Ich nutze diese Plattformen, um einen Einblick in meinen politischen Alltag zu ermöglichen und meine Positionen zu vermitteln. Aber diese öffentlichen Aussagen geben nur beschränkt wieder, was Balthasar Glättli privat macht.

Welche Regelungen fordern Sie konkret?

Anbieter von Webangeboten in der Schweiz müssten "Privacy by Default" haben, damit der Nutzer Schritt für Schritt selbst anpassen muss, welche Bereiche frei einsehbar sind und welche nicht. So müsste der Nutzer bewusst sagen "ja, ich will jetzt diese Bilder, auf denen man mich betrunken auf der Strasse liegen sieht, der ganzen Welt zugänglich machen".

Facebook ist aber eine amerikanische Firma.

In diesem Fall muss es eine Funktion geben, die aktiviert wird, wenn ich bei der Anmeldung angebe, dass ich aus der Schweiz komme. Zudem möchte ich, dass alle meine Daten gelöscht werden, wenn ich mein Facebook-Konto oder ähnliche Angebote annulliere. Dazu gehören etwa die Bilderdateien und nicht nur die Links.

Sie haben weiter den universalen Zugang zum Internet erwähnt.

Genau. Der Zugang zum Internet sollte ein Grundrecht sein und der digitale Graben aufgehoben werden. Das muss nicht nur ein Ziel unserer Entwicklungszusammenarbeit in der ganzen Welt sein. Auch in der Schweiz gibt es Handlungsbedarf. Nehmen wir einmal an, jemand wird zum Sozialfall und muss seinen Besitz verpfänden lassen. In diesem Fall darf er das Radio behalten, nicht aber den Computer oder sein Tablet, es sei denn, er benötigt das Gerät für die Arbeit. Wir Grünen finden das nicht zeitgemäss. Es ergibt keinen Sinn, dass ein Arbeitsloser seinen Laptop hergeben und dann in ein Internetcafé gehen muss, damit er sich für teures Geld Stelleninserate ansehen kann.

Stichwort staatliche Filter?

Wir setzen uns gegen staatliche Filter ein, weil wir dahinter ein grosses Potenzial zur Zensur sehen. Derzeit kommen Filter beispielsweise im Bereich Kinderpornografie zum Einsatz. Dieses Problem lässt sich nicht mit Filtern lösen. Man muss, wenn schon, die Anbieter zurückverfolgen.

Und wie sieht es mit dem Urheberrecht aus?

Das Urheberrecht ist ein breites Feld. Wir Grünen setzen uns dort für einen Mittelweg ein. Man sollte beide Interessen befriedigen können: Die Kulturschaffenden sollten für ihre Arbeit fair entschädigt werden. Gleichzeitig braucht die Bevölkerung einen einfachen Zugang zu Kulturwerken, und das ohne Überwachung. Man könnte beispielsweise eine Art "Kulturflat" einführen.

Was meinen Sie mit "Kulturflat"?

Wer das Internet privat nutzt, entrichtet einen Pauschalbetrag für den Konsum von urheberrechtlich geschützten Werken wie Musik, Texte oder Bilder. Damit können Kulturschaffende entschädigt werden. Gleichzeitig dürfen solche Inhalte weiterhin privat heruntergeladen und geteilt werden. Dieses System funktioniert bereits heute mit der Abgabe auf Fotokopien oder auf leere Tonträger.

Sie setzen sich auch für die Netzneutralität ein, was ebenfalls zur Netzpolitik gehört.

Ja, ich bin ein starker Verfechter von Netzneutralität. Ich bin der Meinung, dass der Datenverkehr übers Internet diskriminierungsfrei erfolgen muss.

Was verstehen Sie unter diskriminierungsfrei in diesem Zusammenhang?

Ich kann das anhand eines Beispiels erklären: Auf meinem Smartphone kann ich nach Belieben eine App installieren, die mir Anrufe über VoIP ermöglicht. Vor ein paar Jahren wurde dieser Datenverkehr durch diverse Telko-Anbieter gesperrt oder zumindest gedrosselt, sodass die Verbindung praktisch unbrauchbar wurde. Damit wollten sie verhindern, dass ihre Gewinne nicht durch Gratistelefonie untergraben wurden.

Gibt es dafür Beweise?

Das wurde vor ein paar Jahren in interessierten Kreisen immer wieder diskutiert.

Und wie sieht die Situation heute aus?

Heutzutage ist das kein Problem mehr, da die Anbieter auf Flatrates setzen, nicht nur bei den Datenpaketen, sondern auch in der Telefonie.

Wo sehen Sie das grösste Problem im Bereich Netzneutralität?

Wenn wir uns nicht für einen diskriminierungsfreien Netzzugang einsetzen, riskieren wir, dass gewisse Protokolle benachteiligt werden. Das könnte in einem Internet für Reiche und Arme enden, mit einem schnellen Zugang für Reiche und Firmen und einer lahmen Ente für den Rest der Bevölkerung.

Wird der Netzneutralität in der Schweiz genügend Beachtung geschenkt?

Nein, finde ich nicht. Ich habe im Sommer Bundesrätin Doris Leuthard gefragt, ob der Bund bereit sei, sich für den diskriminierungsfreien Zugang und Datentransport aller Anbieter und Services einzusetzen. Ihre Antwort war nebulös und liess mich vermuten, dass Frau Leuthard meine Frage gar nicht richtig verstanden hatte. Die Grünen werden nun darauf hinarbeiten, die Netzneutralität in der Schweiz gesetzlich zu verankern. Andere Länder wie Holland spielen hier eine Vorreiterrolle.

Welches Thema ist politisch gesehen in der ICT-Branche denn besonders dringend?

Wir brauchen einen neuen Umgang mit IT in den Schulen. Ich finde, dass man den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern in der Schule zu wenig Beachtung schenkt. Zudem sollte man vermehrt Frauen motivieren, mehr in der ICT-Branche zu arbeiten.

Wie wollen Sie das anstellen?

Informationskampagnen alleine bringen nicht viel. Es braucht Arbeitsbedingungen, die auch mit Kindern vereinbar sind. Wenn ein Job von einer Frau fordert, dass sie über Jahre hinweg auf dem Papier 100 Prozent und praktisch 120 Prozent arbeitet, wird das schwierig. Solche Dinge überlegen sich Frauen, bevor sie eine Ausbildung in Angriff nehmen. Das nützt übrigens auch Männern, die wegen der Familie eine Teilzeitstelle suchen.

Themenwechsel – man spricht ja allgemein vom Datentresor Schweiz. Glauben Sie, dass die Daten in der Schweiz sicherer sind als anderswo?

Ich sehe nicht ein, warum Daten in der Schweiz sicherer sein sollten. Die Datensicherheit eines Landes hängt primär von der eingesetzten Technologie und dem geltenden Gesetz ab.

Was ist mit dem Ruf der Schweiz als sicherer Hafen?

Ich meine, wir haben hier primär einen guten Ruf zu verlieren (lacht). Im Ernst: Ich bin nicht der Meinung, dass wir im Bereich Datenschutz an erster Stelle stehen. Von Vorteil ist bei uns sicher, dass der Zugang zu den Daten nicht so einfach ist.

Das stimmt. Verfechter von Open Data bemängeln diesen Zustand oft.

Auch wir Grünen setzen uns für Open Data ein und sind der Meinung, dass der Staat vorwärtsmachen muss mit der Veröffentlichung von Daten, die bereits vorhanden sind. Aber selbstverständlich muss dabei der Datenschutz berücksichtigt werden.

Sollten denn diese Daten alle kostenlos sein?

Problematisch ist, dass die Steuerzahler das Gefühl haben, sie hätten bereits für die Daten bezahlt. Gleichzeitig verlangt man vom Bund, vermehrt eigenwirtschaftlich zu sein. Da wäre der Verkauf von Daten eine Einnahmequelle. Den Fünfer und das Weggli gibt es folglich nicht.

Welche Entwicklung wäre hier nötig?

Wenn die SBB Fahrplandaten verkaufen, tun sie das heute als einmaliges Gesamtpaket für teures Geld. Ich halte das für den falschen Weg. Besser wäre, wenn alle bei den SBB einzelne Daten erwerben und beispielsweise pro Abfrage oder pro Datenmenge bezahlen könnten. Ein solches Konzept wäre vor allem für Jungunternehmer interessant. Ein anderes System wäre, dass man erst bezahlen muss, wenn mit gewissen Daten ein Gewinn erzielt wird.

ZUR PARTEI

"Die Grünen"

Im August verabschiedeten die Grünen ein Positionspapier zur Netzpolitik. Sie wollen damit das Internet verstärkt als Mittel für mehr demokratische Mitbestimmung und für eine nachhaltigere Gesellschaft nutzen. Die Grundrechte bilden die Eckpfeiler der grünen Netzpolitik. Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit müssen auch im Internetzeitalter gelten. Den grössten Handlungsbedarf sehen die Grünen beim Netzzugang, beim Datenschutz, bei den Urheberrechten und beim enormen Energieverbrauch durch die Digitalisierung. Auch der Schutz privater Daten, die angemessene Vergütung von Autoren und Künstlern sowie das Recht auf öffentliche Informationen im Netz müssen sichergestellt werden.

www.gruene.ch/web/gruene/de/news/netzpolitik.html

ZUR PERSON

Balthasar Glättli

Werdegang

Seit 2011 vertritt Balthasar Glättli den Kanton Zürich im Nationalrat. 1996 gründete er die Agentur Netiquette Internet Consulting und war von 1999 bis 2002 für die IT-Firma eProduction als Head Research & Development tätig. 2003 machte er die Politik zum Beruf und war sieben Jahre Geschäftsführer der NGO "Solidarité sans frontières". Von 2010 bis 2012 arbeitete er als Leiter Kampagnen & Werbung der Gewerkschaft "Vpod". Heute führt Glättli die Einzelfirma "Politbuero Kampagnen und Webdesign".

STICHWORTE

Das kann ich jederzeit empfehlen:

Das Handy lautlos stellen und nach einer Stunde merken, dass die Welt nicht untergegangen ist.

Darüber habe ich zuletzt gelacht:

Als ein Kollege und ich uns anriefen und wir beide je auf der Combox landeten.

Darüber habe ich mich zuletzt geärgert:

Als ich zwei E-Mails mit nichtssagendem Betreff verschickte. Dabei ärgert mich das sonst bei anderen.

Heute in zehn Jahren:

Datenschutz und Medienkompetenz sind so selbstverständlich wie heute der gläserne Konsument.