Crowd-Plattformen

Was kann die Crowd?

Uhr | Aktualisiert
von Simon Zaugg

Hören sie den Begriff Crowdsourcing, rümpfen viele Fachleute die Nase. Der Crowd haftet etwas Unprofessionelles an, nicht immer zu Recht. Denn Fakt ist: Die Crowd hat schon heute einiges drauf – auch in der Schweiz.

Goldcorp, ein kanadisches Goldbergbau- Unternehmen, hat im Jahr 2000 einen bemerkenswerten Schritt gemacht. Es veröffentlichte Daten einer geologischen Vermessung des Red Lake in Ontario im Internet und verstiess damit fundamental gegen in der Industrie übliche Prinzipien der Geheimhaltung. Goldcorp offerierte denjenigen einen Geldpreis, die diese Daten analysierten und Orte vorschlugen, an denen sie Goldvorhaben vermuteten.

Gut 1'400 Personen und Teams aus 50 Ländern nahmen daran teil und identifizierten 110 Orte. Das Resultat: Goldcorp fand insgesamt acht Millionen Goldunzen, die über drei Milliarden US-Dollar Wert hatten. Dafür bezahlte es den Suchern insgesamt mehr als eine halbe Million US-Dollar. Der Wert des Unternehmens stieg in der Folge von 100 Millionen auf 9 Milliarden US-Dollar. Obwohl es den Begriff Crowdsourcing in der heute bekannten Definition damals noch gar nicht gab (2006 führte ihn Wired-Journalist Jeff Howe ein), ist Goldcorp ein häufig genanntes Beispiel, wenn es um Crowdsourcing geht.

Noch ein kleiner Markt

Seither ist einiges passiert. Konzepte wie Crowdsourcing oder auch Crowdfunding sind über das Fachpublikum hinaus ein Begriff geworden. Und auch das Business kommt langsam in Fahrt, wie Carl Esposti, Gründer der Plattform Crowdsourcing.org und renommierter IT-Sourcing-Experte, an einer Veranstaltung von Pass Technologies und Greenliff Ende 2012 zum Thema Crowdtesting in Zürich feststellte.

Der weltweite Markt für im Crowdsourcing tätige Unternehmen betrug 2011 laut Zahlen des Marktforschers Massolution noch relativ bescheidene 500 Millionen US-Dollar. Die Wachstumsraten sind jedoch beträchtlich: Sie erreichten von 2009 auf 2010 50 Prozent und von 2010 auf 2011 75 Prozent. Im selben Stil dürfte es weitergehen, prognostizierte Esposti.

Plattformen wachsen schnell

Das Geschäft mit Crowd-Plattformen nimmt auch in der Schweiz Fahrt auf. So wurden auf der derzeit erfolgreichsten Schweizer Crowdfunding- Plattform Wemakeit seit dem Start im Februar 2012 über 1,4 Millionen Franken Unterstützungsbeiträge gesammelt. Insgesamt gingen bisher 329 Projekte online, wie Mitgründerin Rea Eggli sagt. Über 60 Prozent davon seien erfolgreich finanziert worden. Dies liege über dem weltweiten Durchschnitt von rund 40 bis 50 Prozent.

Eggli führt dies da rauf zurück, dass in der Schweiz das "Community Sharing" eine lange Tradition hat, wenn man zum Beispiel an alle Vereine oder Genossenschaften denke. Zudem ist der durchschnittlich gesprochene Beitrag mit rund 120 Franken über dem Durchschnitt. 6 Prozent jedes erfolgreich finanzierten Projekts gehen an Wemakeit.

Crowd älter als man meinen könnte

Das Start-up beschäftigt derzeit 9 Mitarbeiter und soll laut dem Businessplan ab 2015 selbsttragend sein. Bereits das fünfjährige Jubiläum feiert in diesem Jahr die Online-Brainstorming-Plattform Atizo. Die Community wächst laut Mitgründer und CEO Christian Hirsig jeden Tag um rund 15 Mitglieder. Derzeit hat sie insgesamt rund 17'000. Die Community ist eine bunte Mischung aus Selbstständigen, Beratern, Studenten, Teilzeitarbeitenden und auch Rentnern.

Der Alterschnitt liegt zwischen 30 und 40 Jahren. Die Community ist damit etwas älter, als man für eine Internet- Community erwarten könnte. Das hat einen bestimmten Grund: "Wir wollen Leute in der Community, die Berufserfahrungen gesammelt haben und professionelle Inputs geben können", sagt Hirsig. Gut 100 Mitglieder seien momentan derart aktiv, dass man sie zum erweiterten Atizo-Team zählen könne.

Bisher haben über 150 Kunden die Plattform mindestens ein Mal genutzt. Rund 30 Unternehmen gehören zu den Stammkunden. Atizo arbeitete im vergangenen Jahr erstmals profitabel und erzielte einen Umsatz von knapp 1 Million Franken. Zuvor habe das Unternehmen seinen Umsatz jeweils jedes Jahr verdoppeln können, sagt Hirsig.

Millionengeschäft Crowdtesting

Auch ein etabliertes Schweizer IT-Unternehmen ist vor etwas mehr als einem Jahr ins Crowd-Business eingestiegen. Das Software- Validierungsunternehmen Pass Technologies ist laut CEO Dieter Speidel mit der Crowdtesting-Plattform Passbrains auf Erfolgskurs. Die Community ist innerhalb eines Jahres auf knapp 2'000 Tester gewachsen. Dies sind knapp doppelt so viele, wie das Unternehmen zuvor prognostiziert hatte (die Netzwoche berichtete). Die Tester kommen aus über 65 Ländern.

Auch in der Schweiz wächst die Community stark. Allein in der deutschsprachigen Schweiz sollen es geschätzte 400 Tester sein. Speidel erwartet, dass das Unternehmen mit Crowdtesting 2013 mindestens 2 Millionen Franken Umsatz machen wird. Das Wachstum danach soll sich laut Prognosen von Pass Technologies rasch multiplizieren. Er nennt diesbezüglich keine konkreten Zahlen, fügt jedoch an: "Würden wir nicht daran glauben, erhöhten wir unsere Investitionen nicht laufend weiter."

Auf ganz neue Ideen kommen

Für Christian Hirsig ist derweil klar: "In vielen Unternehmen denken die immer gleichen Leute über die immer gleichen Dinge nach und versuchen dabei auf eine neue Idee zu kommen." Wenn man diesen Prozess auf die Crowd ausweite, dann komme man auf ganz neue Ideen. Zudem könne sie Ideen priorisieren und bewerten. Das Angebot bei Atizo besteht aus verschiedenen Abonnementen. Einerseits gibt es eine Gebühr für die Nutzung der Software, mit der Unternehmen firmeninterne Brainstormings machen können. Zusätzlich gibt es die Option, den Zugang zur Atizo-Community zu kaufen. Dort können die Unternehmen Projekte ausschreiben und Erfolgsprämien dafür aussetzen.

Sein Tipp an jene, die das ausprobieren wollen: "Das Wichtigste ist, eine Aufgabe zu stellen, die inhaltlich Sinn ergibt. Es muss eine ehrlich gemeinte Aufgabe sein. Damit kann man die Community zum Mitmachen animieren." Dazu kommen Faktoren wie Anerkennung und Nutzwert für die berufliche Laufbahn." Die Mitglieder können einen Auszug ihrer Aktivitäten in der Community auch bei einer Jobbewerbung beilegen. Um die Mitglieder bei Stange zu halten, muss Atizo stets am Ball bleiben und die Community mit spannenden Projekten "versorgen", fügt Hirsig an. 80 Prozent der bisher gewonnenen Unternehmenskunden habe Atizo aktiv akquiriert, die restlichen seien "von selbst gekommen".

Crowd besser als Profis

Wie lässt sich denn eigentlich der Erfolg von Crowdsourcing messen? Wie attraktiv sind beispielsweise Produktideen, die von Nutzern durch einen Crowdsourcing-Prozess generiert werden im Vergleich zu jenen, die von professionellen Produktentwicklern kommen? Eine 2012 im "Product Innovation Management Journal" publizierte Studie von Marion K. Poetz und Martin Schreier ging dieser Frage anhand des Beispiels der Baby-Produkte- Firma Bamed/Mam Group nach. Eingereicht wurden 103 Ideen, 51 von Profis, 52 von der Crowd.

Die Resultate: 22 eingereichte Ideen stellten sich als Top-Ideen bezüglich Neuigkeit heraus. 16 davon stammten von der Crowd. 10 waren hinsichtlich Kundennutzen Top-Ideen. Davon kamen 8 von der Crowd. Zu guter Letzt stellten sich 79 der eingereichten Ideen als realisierbar he raus. Hier haben die Profis die Nase vorn mit 42 zu 37. Fazit: In zwei von drei Kategorien schnitt die Crowd besser ab als die Profis.

Einsparungen von 50 und 70 Prozent

Bei Passbrains werden Arbeitsprozesse, wie das Testen von Software, ins Web an eine Community ausgelagert. Im Zusammenspiel von Community und Ingenieuren könnten Projekte nun in der gleichen Qualität in kürzerer Zeit abgeschlossen werden, sagt Speidel. Die schnelle Verfügbarkeit von neuen Produkten und Dienstleistungen entscheide heute über Erfolg oder Misserfolg. Die immer raschere Markteinführung habe zur Folge, dass Kunden oft noch Mängel entdecken, die beim firmeninternen Qualitätstest vor dem Produkt-Rollout nicht aufgefallen sind.

Mit der Community im Rücken geht es nicht nur schneller, sondern auch deutlich günstiger. Das Unternehmen verspricht zwischen 50 und 70 Prozent Einsparungen im Vergleich zu üblichen Projektkosten. Die Tester werden dabei laut Speidel nach fest vereinbarten Preisen für deren Leistungsbeiträge bezahlt undnicht nach Stundensätzen. Umgerechnet auf einen Stundensatz heisst das für die Tester, dass sie in der Regel zwischen 10 und 20 Franken pro Stunde erhalten, bei fest terminierten Kurz-Einsätzen (z.B. für Load-Tests) auch bis zu 50 Franken. Die Projekte werden dabei über ein eigenes Projektmanagement-System von der Vergabe bis zur Abrechnung der Honorare durch Schweizer Mitarbeiter abgewickelt.

Crowdfunding wächst

Deloitte geht in der Technology, Media & Technology Prediction 2013 davon aus, dass auf Crowdfunding-Plattformen im laufenden Jahr rund drei Milliarden US-Dollar gesprochen werden. Dies würde einer Verdoppelung des Werts aus dem Jahr 2011 entsprechen. Im Vergleich zu den geschätzten 40 Milliarden Risikokapital oder 300 Milliarden Spendenvolumen für Wohltätigkeitsorganisationen allein in den USA sind die drei Milliarden dennoch bescheiden.

Auch auf den Schweizer Plattformen werden noch nicht die ganz grossen Beträge gesprochen. Das bisher grösste auf Wemakeit finanzierte Projekt unterstützten 259 Mitglieder mit insgesamt 34'043 Franken. Damit reicht es nicht zum Schweizer Rekord, den die Konkurrenzplattform 100-days.net mit einem Projekt, das 54'000 Franken erreichte, für sich beansprucht.

Unterstützer ist Mikroproduzent

Der finanzielle Aspekt ist indes nur einer unter vielen, der Crowdfunding reizvoll macht. "Ein Unterstützer ist ein Mikroproduzent", sagt Eggli. "Er hat somit auch einen emotionalen Return." Crowdfunding habe zudem den Effekt, dass man schon während der Entstehung eines Kinofilms oder eines Musikalbums darüber spreche – und nicht erst bei dessen Erscheinen.

Eggli sieht beim Crowdfunding einen Trend von grossen Plattformen wie Kickstarter hin zu spezialisierten Plattformen für Bücher, Filme oder Journalismus. Oder wie die eigene Plattform, die sich auf professionelles Kulturschaffen beschränke.

Wie mans nicht macht 

Software testen, Ideen finden oder Spenden generieren – das kann die Crowd. Was noch? Hirsig meint, dass "man grundsätzlich alles, was man bisher outsourcen konnte, auch crowdsourcen kann." Das Entscheidende sei, dass die Hürden für die Teilnahme möglichst tief sein. Zudem müsse man stets transparent sein: "Don’t mess with the crowd", sagt Hirsig.

Er verweist auf das Vorgehen der deutschen Firma Henkel, die ein Beispiel lieferte, wie man es nicht tun sollte. Sie rief in einem Wettbewerb dazu auf, Etiketten für das Spülmittel Pril zu kreieren. Die Gewinnerdesigns sollten dann in einer limitierten Auflage auf den Spülmittelflaschen verkauft werden. Daraufhin reichte die Community 30'000 Vorschläge ein. Gewonnen hatte ein Vorschlag mit dem Schlagwort "Schmeckt lecker nach Hähnchen". Weil das der Firma nicht passte, änderte sie kurzerhand die Regeln und löste damit eine Protestwelle aus.

Integration in bestehende Services

Prognosen zufolge sollen 2016 bereits rund drei Milliarden Menschen Zugang zum Internet haben. Sie alle kommen damit theoretisch infrage, bestimmte Aufgaben zu lösen. "Die Welt ist voller gewillter Menschen. Einige gewillt zu arbeiten, der Rest gewillt, diese arbeiten zu lassen", sagte einst der amerikanische Dichter Robert Frost. Esposti schob an der Veranstaltung in Zürich dazu nach: "Arbeiten, die nicht outgesourct werden können, können nun crowdgesourct werden. Und Arbeiten, die bisher outgesourct wurden, können besser erledigt werden, wenn sie crowdgesourct werden."

Crowdbasierte Modelle dürften somit nicht einen bisherigen Prozess ablösen. Vielmehr ist es eine zusätzliche Option. Das zeigt auch eine Entwicklung, die Speidel bei der Nutzung der Crowdtesting-Community sieht: "Immer häufiger werden die Arbeiten der Crowdtester in die klassischen Dienstleistungen mit eingebaut."