Interview mit Matt Hicks, President und CEO, Red Hat

Was Red Hat in der Schweiz vorhat

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Seit Juli 2022 ist Matt Hicks President und CEO von Red Hat. In dieser Zeit musste Hicks, der 2006 als Entwickler beim Softwareunternehmen begann, bereits eine erste Entlassungswelle managen. Im Interview spricht er über seinen Führungsstil, seine Pläne für die Schweiz und über die Zukunft von Open Source.

Matt Hicks, President und CEO, Red Hat. (Source: zVg)
Matt Hicks, President und CEO, Red Hat. (Source: zVg)

Sie sind seit über 17 Jahren bei Red Hat, aber dies ist Ihr erster Summit als CEO. Wie war diese Erfahrung für Sie?

Matt Hicks: Der Summit ist immer eine unglaubliche Erfahrung, aber dieses Jahr waren die Aufregung und die Energie spürbar. Das lag einerseits daran, dass wir seit mehreren Jahren nicht mehr in dieser Grösse zusammengekommen sind (mehr als 5500 angemeldete Teilnehmende), und andererseits am Summit. Der Summit fördert diese Leidenschaft. Hier kommen Ideen und Innovationen zusammen, um zu zeigen, was Red Hat tun kann, um unseren Kunden zum Erfolg zu verhelfen und die Vorteile neuer Möglichkeiten in der Zukunft der Unternehmens-IT zu nutzen. Die Ankündigungen, die wir gemacht haben, zeigen, wie effektiv Red Hat darin sein kann, unser Produktportfolio untereinander zu verbinden und Lösungen anzubieten, die unseren Kunden helfen, Zeit zu sparen und innovativ zu sein.

Hatten Sie, als Sie bei Red Hat anfingen, Ambitionen, eines Tages CEO zu werden?

Ich kam 2006 zu Red Hat und arbeitete als Entwickler im IT-Team an der Portierung von Perl-Anwendungen auf Java. Wenn Sie mir damals gesagt hätten, dass ich einmal CEO werden würde, hätte ich Ihnen wahrscheinlich nicht geglaubt. Es ist eigentlich ein Zeugnis für Red Hat und unsere Kultur, dass meine Karriere diesen Weg genommen hat. Das ist eines der Dinge, die ich an Red Hat liebe. Als Mitarbeiter sind wir nur durch unsere Leidenschaft, unseren Willen und unsere Beiträge begrenzt. Nichts ist vorgegeben. Und das gilt nicht nur für uns als Einzelpersonen, sondern auch für uns als Unternehmen.

Wie hat sich Red Hat seit der Übernahme durch IBM verändert?

Red Hat ist immer noch Red Hat. Was sich geändert hat, ist, dass Red Hat zwar immer noch unsere Plattformen und unseren Wachstumsmotor antreibt, wir aber jetzt von IBMs Reichweite, Zugänglichkeit, Einblicken und Kundenbeziehungen profitieren. Ich sagte schon früher, dass Red Hat gegenüber IBM neutral ist. Wir interagieren mit ihnen genauso wie mit jedem anderen Partner, wenn es um Produkte und Strategien geht. Der Unterschied besteht darin, dass IBM für Red Hat Vorgaben machen kann. IBM kann uns in bestimmten Branchen und bei bestimmten Kunden Türen öffnen und verfügt über ein unglaublich umfangreiches Fachwissen. Wir lösen die Versprechen ein, die wir 2019 bei Abschluss der Übernahme gegeben haben. Wir treiben das Hybrid-Cloud-Computing in grös­serem Massstabe und in einem viel breiteren Rahmen voran.

Sie haben den CEO-Posten von Paul Cormier übernommen, der wie Sie einen technischen Hintergrund hat. Paul Cormier hatte die Funktion etwa zwei Jahre lang inne, vor ihm hatte Jim Whitehurst – ein eher klassischer Manager – zwölf Jahre lang das Unternehmen geführt. Glauben Sie, dass "Techies" dafür geschaffen sind, ein Unternehmen dieser Grösse zu führen?

Paul war zwar zwei Jahre lang CEO, aber er ist seit mehr als 22 Jahren bei Red Hat, und einen Grossteil dieser Zeit war er in einer entscheidenden Führungsrolle als President of Products and Technologies tätig, in der er die Produktstrategie vorantrieb und für die Einführung des Abonnementmodells verantwortlich war, das zur Entwicklung eines unserer Kernprodukte, Red Hat Enterprise Linux, führte. Ich glaube also nicht, dass es fair ist, seinen Einfluss nur anhand seiner Zeit als CEO zu beurteilen. Wenn man sich die Branche anschaut, sind in den vergangenen Jahren definitiv mehr Leute in Führungspositionen aufgestiegen, die einen eher technischen Hintergrund haben. Ich glaube nicht, dass der eine besser ist als der andere. Ich meine, dass jede Führungskraft etwas anderes mitbringt und dass Unternehmen in verschiedenen Momenten unterschiedliche Führungsstile brauchen.

Was war Ihr grösstes Ziel, als Sie den CEO-Posten übernahmen, und wie weit sind Sie Ihrer Meinung nach den ersten elf Monaten bereits gekommen?

Als ich in die Rolle des CEO schlüpfte, hatte ich ein Ziel, das ich erreichen wollte. Ich wollte, dass wir zu unserem Kern zurückkehren, indem wir unsere Bemühungen fokussieren und vereinfachen. Jeder «Red Hatter» sollte wissen, warum wir hier sind, was wir tun, und warum wir tun, was wir tun. Oberflächlich betrachtet, klingt Vereinfachung sehr einfach. Aber tatsächlich ist die Arbeit leichter gesagt, als getan. Red Hat ist auf Leidenschaft aufgebaut, aber wir müssen sicherstellen, dass wir diese Leidenschaft in eine zusammenhängende und koordinierte Richtung lenken. Wir können nicht jeder einzelnen technologischen Herausforderung hinterherjagen, die es da draussen gibt. Wir müssen uns auf die Bereiche konzentrieren, in denen wir sofort einen Unterschied machen können. Und im Moment liegt der Schwerpunkt auf RHEL, Ansible und Open­shift, was sich auch in den Ankündigungen auf dem Red Hat Summit widerspiegelt.

Was steht für das kommende Jahr noch auf Ihrer Agenda?

Wir werden diesen Weg weitergehen. Wir werden uns darauf konzentrieren, für unsere Kunden etwas zu leisten. Wir tun dies, indem wir ihnen helfen, Komplexes zu vereinfachen, Innovationen zu entwickeln, um den Umsatz zu steigern, zu verwalten und zu automatisieren, sichere Innovationen zu schaffen, die in einer sich verändernden Bedrohungslandschaft funktionieren, und schliesslich zu skalieren, um die Nachfrage zu erfüllen. Red Hat ist bestrebt, die Art und Weise, wie Software im Unternehmen und in der Welt eingesetzt wird, zu revolutionieren, und das wird immer mit Herausforderungen verbunden sein.

Haben Sie spezielle Pläne für die Schweiz?

Ich weiss von unserem Team vor Ort, dass sie in RHEL, der Hybrid-Cloud, der Automatisierung und insbesondere in Edge-Cases für die nahe Zukunft viel Potenzial sehen. ABB zum Beispiel war dieses Jahr auf dem Red Hat Summit bei uns auf der Bühne, um über unsere Zusammenarbeit mit Red Hat zu sprechen, die darauf abzielt, die betriebliche Konsistenz für industrielle Anwendungsfälle auf Edge- und Hybrid-Cloud-Umgebungen auszuweiten, die auf Red Hat Openshift und Red Hat Device Edge basieren.

Als Sie zu Jahresbeginn Entlassungen ankündigten, sprachen Sie von der "Notwendigkeit, unsere Investitionen neu auszurichten, um die Zukunft von Red Hat zu sichern". Wo wollen Sie diese Investitionen in den kommenden Monaten tätigen?

Die Investitionen, die wir in unser Unternehmen tätigen, spiegeln unseren Fokus wider. Wir investieren in RHEL, Ansible und Openshift. Wir entwickeln Produkte und Innovationen, die wichtige Unternehmensanforderungen im Zeitalter von Multi-Cloud und KI erfüllen.

Wie werden sich diese Investitionen auf Red Hat in der Schweiz auswirken?

Die Investitionen werden es uns ermöglichen, unsere Möglichkeiten zu erweitern, und das gilt auch für die Schweiz. Wir sehen grosse Chancen für RHEL, Ansible und Openshift in der Schweiz.

Wo sehen Sie die Zukunft der Open-Source-Entwicklung im ­weitesten Sinne?

Die Zukunft der Open-Source-Entwicklung liegt darin, dass sie kein «Nice-to-have» ist oder etwas, das man ­anstreben sollte – sie wird von modernen Entwicklern und IT-Organisationen erwartet. Diese branchenweite Vertrautheit mit Open-Source-Technologien bedeutet, dass Teams oder einzelne Benutzer bei Fragen, Kommentaren oder Verbesserungen zu einer bestimmten Technologiekomponente nicht nur mit einem Anbieter, sondern auch mit einem Open-Source-Projekt oder einer Community zusammenarbeiten möchten. Ich glaube, dass die Software-Lieferketten im Zusammenhang mit Open-Source-Code an Bedeutung gewinnen werden, und ich glaube, dass Gemeinschaften und Projekte diesen Wandel begrüssen werden – jeder möchte sicheren, vertrauenswürdigen Code. Der Code, der aus den meisten Open-Source-Projekten stammt, weist bereits ein hohes Mass an Integrität auf, aber zusätzliche Überprüfungen und Analysen werden diese Bemühungen nur noch verstärken.

Ganz allgemein gesprochen: Ist Open Source eine Entwicklungs­methodik, ein Geschäftsmodell oder eine Art Ideologie?

Ich würde behaupten, dass Open Source eine Strategie ist, die auf eine beliebige Anzahl von Ansätzen angewandt werden kann, ob Geschäftsmodelle, Code-Entwicklung oder Kultur. Die zentralen Konstrukte der Transparenz und Zusammenarbeit funktionieren in fast jedem Umfeld, solange sie auch tatsächlich umgesetzt werden. Das heisst, es gibt hier keine halben Sachen – teilweise offen ist vollständig geschlossen, egal ob es um Technologie, Prozesse oder Kultur geht.

Apropos Open Source: Welches Computersystem verwenden Sie für Ihre persönliche Arbeit? Arbeiten Sie mit Linux?

Ich bin ein langjähriger Fedora-Nutzer für meine persönliche Arbeit. Früher habe ich sogar ein paar Pakete dort betreut, aber ich hatte nicht die Zeit, mich darum zu kümmern. In letzter Zeit habe ich mit KI experimentiert, weil ich das Gefühl habe, dass dort die gleiche Open-Source-Innovation stattfindet, die ich in den frühen Tagen von Linux erlebt habe.

Sie sprachen von den vielen aufregenden neuen Technologien. ­Haben Sie das ­Gefühl, als Entwickler den Anschluss zu verpassen, oder finden Sie neben Ihren Führungsaufgaben noch Zeit, sich damit zu ­beschäftigen?

Obwohl ich sicher mehr zu tun habe als zu Beginn meiner Karriere, ist es mir immer noch wichtig, mir sozusagen die Hände schmutzig zu machen und die neuen Technologien und Innovationen zu erkunden, die auf den Markt kommen.

In Europa werden grosse Technologieunternehmen zunehmend ­reguliert. Wie wirkt sich das auf Red Hat aus?

Wir unterhalten einen bedeutenden Mitarbeiter- und Kundenstamm in Europa, sodass wir sowohl als Anbieter als auch als Arbeitgeber betroffen sind. Als Arbeitgeber halten wir uns an alle einschlägigen Vorschriften, was auch erwartet werden sollte. Als Anbieter halten wir uns nicht nur an die Vorschriften für die Technologiebranche, sondern arbeiten auch mit unseren Kunden und Partnern zusammen, um sie bei der Einhaltung dieser Standards zu unterstützen.

Wie viel Regulierung braucht die Technologiebranche?

Regulierung gibt es in vielen Formen, meist mit dem Ziel, das Ergebnis zu verbessern. Ich würde zum Beispiel behaupten, dass das Open-Source-Modell eine sehr wirksame Regulierung der Entwicklungsqualität ermöglicht und gleichzeitig ein enormes Mass an Innovation zulässt. Aber die Tech-Industrie ist unglaublich breit gefächert, sodass ich glaube, dass Kommentare zur Regulierung nur in Bezug auf die Besonderheiten des Bereichs, auf den sie abzielen, relevant sind.

Abgesehen von Red Hat, welcher technologische Trend begeistert Sie am meisten – und warum?

Es sollte keine Überraschung sein, aber ich glaube, dass KI für die Unternehmens-IT enorm spannend ist. Es gibt eine ganze Reihe von Anwendungsfällen, aber domänenspezifische KI, ähnlich wie wir sie auf dem Red Hat Summit mit Ansible Lightspeed angekündigt haben, kann die IT-Welt drastisch zum Besseren verändern. Wenn Sie ein Modell auf die Erstellung oder Optimierung von spezifischem Code oder IT-Aufgaben ausrichten, können Sie IT-Teams von Maintainern zu Innovatoren machen – sie müssen sich nicht um die zeitaufwendigen, manuellen Aufgaben kümmern, die normalerweise ihre Tage in Anspruch nehmen würden. Stattdessen können sie sich darauf konzentrieren, mit neuer Hardware, Software und Prozessen zu experimentieren, neue Einnahmequellen zu erschliessen oder einfach nur die Erfahrungen der Endbenutzer und Kunden zu verbessern.


Zur Person

Matt Hicks wurde im Juli 2022 zum President und Chief Executive Officer von Red Hat ernannt. In seiner vorherigen Rolle war er als Executive Vice President of Products and Technologies für die gesamte Produktentwicklung zuständig. In den 16 Jahren bei Red Hat hat er die Verwandlung von einem Ein-Produkt-Unternehmen zu einem Konzern mit Milliardenumsätzen miterlebt. Mit über 25 Jahren Erfahrung mit Linux sowie einem Hintergrund in der Computertechnik hat sich Hicks stets stark dafür eingesetzt, Infrastruktur- und Anwendungstechnologien zu kombinieren. Vor seiner Tätigkeit bei Red Hat war er mehrere Jahre als Ingenieur bei IBM tätig.
Quelle: Red Hat

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