Editorial

Vom Glück, ein Kunde zu sein

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Christoph Grau, stellvertretender Chefredaktor, Netzwoche (Source: Netzmedien)
Christoph Grau, stellvertretender Chefredaktor, Netzwoche (Source: Netzmedien)

Mitte September bin ich umgezogen. Dies war für mich die Gelegenheit, ein paar neue Möbel anzuschaffen. Auf der Suche nach geeigneten Einrichtungsgegenständen stiess ich auf die Website eines gros­sen Schweizer Möbelhändlers im gehobenen Preissegment. Dort entdeckte ich einige schöne Möbel und mein ­Interesse war geweckt.

Der Onlineshop des Händlers kommt modern daher. Über Drop-Down-Menüs können die Eigenschaften der Möbel, etwa die Stoff­farbe, ausgewählt werden. Die gewünschten Einrichtungsstücke hätte ich gleich online in den Warenkorb ­legen und kaufen können. Da diese mitunter aber recht teuer waren, wollte ich sie lieber vorher noch live in natura in ­Augenschein nehmen. Ein paar Tage später besuchte ich eine Filiale des Händlers. Ich liess mich ­beraten und entschied mich schliesslich für einige Möbel. Weil ich schon mal da war, wollte ich diese auch gleich ­bestellen.

Ich ging zu einem Verkäufer, um meine Bestellung aufzugeben. Dabei konnte ich ihm beim Bestellprozess über die Schulter schauen und musste feststellen, dass er die Möbel nicht so einfach ordern konnte, wie ich es selbst im Onlineshop gekonnt hätte. Das Bestell­programm im Laden und der Onlineshop waren nicht verknüft. Der Verkäufer musste die von mir gewünschten Möbel erst online heraussuchen. Danach übertrug er die Bestellnummern über Copy-and-paste in sein Programm. Die Produktnummern im Onlineshop waren nach dem Schema «123.456.7» aufgebaut und konnten vom Bestellprogramm so nicht verarbeitet werden. Dazu musste der Verkäufer erst jeden Trennpunkt in jeder Nummer einzeln löschen.

Um Sonderwünsche, wie Farben und Grössen, zu definieren, gab es einen weiteren Prozess. Dazu musste der Verkäufer einen Ordner im Firmennetzwerk anwählen, in dem einige hundert PDF-Dokumente der verschiedenen Produkte abgelegt waren. Nach langem Scrollen fand der Verkäufer schliesslich auch die entsprechenden Dokumente. In diesen scrollte er weiter durch unzählige Tabellen, um die richtige zu finden, um daraus wiederum die entsprechende Bestellnummer in sein Programm zu kopieren.

Ich litt mit dem Verkäufer mit. Der Prozess war langwierig und mühselig. Dabei hatte ich mir nur zehn Möbelstücke, ohne grosse Sonderwünsche, herausgesucht. Die Bestellprozedur dauerte dennoch eine Dreiviertelstunde. Abschliessend wurden alle Angaben zur Bestellung auch noch zweimal ausgedruckt. Dabei kam ein recht ansehnlicher Stapel Papier zustande. Nachdem ich die Bestellung mit einer Unterschrift bestätigt hatte, war es endlich geschafft.

Es ist schon erstaunlich, dass die Mitarbeiter keinen digitalen End-to-End-Bestellprozess nutzen können, wie es der hauseigene Onlineshop für die Kunden bietet. Zum Glück bin ich nur der Kunde!

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DPF8_60266