Diego De Coen, CIO von Japan Tobacco International

"Meine Abteilung wächst, nicht nur was das Ansehen betrifft"

Uhr | Aktualisiert
von Marcel Urech und Rodolphe Koller

Die Informatikabteilung von Japan Tobacco International (JTI) wird von Genf aus geleitet. Der CIO des Unternehmens, Diego De Coen, hat unserer Westschweizer Redaktion die Entwicklung der Organisation und die Rolle der Informatik innerhalb des multinationalen Konzerns erläutert.

Diego De Coen, CIO bei Japan Tobacco International, stellt fest, dass sich sein Unternehmen des Konkurrenzvorteils durch Technologie zunehmend bewusst ist und daher in diesem Bereich investiert. (Quelle: Japan Tobacco International)
Diego De Coen, CIO bei Japan Tobacco International, stellt fest, dass sich sein Unternehmen des Konkurrenzvorteils durch Technologie zunehmend bewusst ist und daher in diesem Bereich investiert. (Quelle: Japan Tobacco International)

Herr De Coen, wie kamen Sie zu Japan T­obacco International?

Ich habe vor rund zehn Jahren dort angefangen. Der CEO hatte damals beschlossen, die Firma in ein globales Unternehmen umzuwandeln. Die Informatikabteilung sollte diese Umgestaltung nicht nur unterstützen, sondern auch eine aktive Rolle dabei spielen. Es ging darum, weltweit ein einheitliches ERP-System einzuführen, damit dieselben Verfahren im gesamten Unternehmen übernommen werden konnten. Dies war damals noch aussergewöhnlich für einen multinationalen Konzern dieser Grösse. Ich habe mich diesem Vorhaben angeschlossen, zunächst als Consultant, später als IT-Leiter und ab 2009 schliesslich als CIO.

Zu meinen Aufgaben gehörten unter anderem der Aufbau einer globalen IT-Abteilung und die Einführung des neuen ERP-Systems. Dies erfolgte gestützt auf die Standardisierung anderer Bereiche wie der Infrastruktur, der Einführung eines leistungsfähigen globalen Netzes sowie der Schaffung und Einführung von gemeinsamen Anwendungen für die gesamte Handelsabteilung. Wegen der Besonderheiten der einzelnen Regionen war das recht komplex. Wir haben auch beschlossen, eine begrenzte Anzahl an globalen Partnern, mit denen wir enge Verbindungen pflegen, bevorzugt zu behandeln. Dazu gehören etwa Orange Business Services für das Netz, Oracle-Siebel für das Marketing, SAP für das ERP-System, Wipro für die Rechenzentren und Microsoft für die Plattformen.

Wie sieht die derzeitige IT-Organisation aus?

Wir haben die IT auf der Basis dreier Einheiten entwickelt: ein Technikzentrum für alles, was mit Infrastruktur zu tun hat, ein Entwicklungszentrum für die Anwendungen, und die Kompetenzzentren, die auf einer Matrixstruktur basieren und für die Verbindungen zwischen der Informatik, den Abteilungen und den Regionen zuständig sind. Die Leiter dieser Organisation sitzen in Genf, vor allem die Leiter der Kompetenzzentren, damit sie in der Nähe der Abteilungs­leiter sind.

Was die Infrastruktur angeht: Wir unterhalten Rechenzentren in Genf und Supportzentren in Kuala Lumpur, Sankt Petersburg und Montreal, um die Kontinuität der globalen Operationen zu gewährleisten. Zudem werde ich unterstützt von einem Finanzteam, einem Kommunikationsteam und einem Team für Sicherheit und Risikomanagement, wobei letzterer Aspekt immer wichtiger wird.

Welches Ansehen hat die Informatik bei JTI?

Der Stellenwert der Informatik bei JTI hat sich stark entwickelt. Vor zehn Jahren noch sah man die Abteilung als Gruppe von Technikern an, die ihre Zeit vor den Bildschirmen verbringen und vor allem das ausführten, was man ihnen auftrug. Das war damals gar nicht so falsch, schliesslich mussten notwendigen Arbeiten für die Einführung von SAP und Siebel eben erledigt werden. So sah es aus, als ich die Leitung der Informatikabteilung mit rund 600 Personen übernahm, die in Bunkern, von der Branchenwelt abgeschnitten, vor sich hinarbeiteten. Gleichzeitig erforderte die Entwicklung des Unternehmens Mitarbeiter, die sowohl über Technik- als auch über Businesserfahrungen verfügten. Die IT-Abteilung durfte kein rein ausführendes Organ mehr sein. Sie musste die Branchenprozesse mitgestalten und verbessern. Wir mussten sozusagen den Übergang von der Information Technology zur Business Technology schaffen.

Ich erarbeitete deshalb ein umfassendes Konzept, um die Businesskompetenz und auch die Einstellung unserer Mitarbeiter zum Business zu verbessern. Dabei versuchte ich, rein betriebliche Tätigkeiten auszulagern. Dank dieser Änderungen übernimmt die IT heute eine strategische Rolle in der Organisation, und dieser Trend setzt sich fort. JTI ist sich des Konkurrenzvorteils durch Technologie zunehmend bewusst und investiert in diesen Bereich. Meine Abteilung wächst, nicht nur was das Ansehen betrifft, sondern auch bezüglich der Grösse und der finanziellen Mittel für neue Projekte. Unser Budget wird in diesem Geschäftsjahr voraussichtlich um 10 Prozent wachsen und nächstes Jahr dürften wir eine Zahl von 740 Mitarbeitern erreicht haben.

Wer ergreift bei neuen Projekten normalerweise die Initiative, die Informatik oder das Business?

Innovationen ergeben sich aus einer Kombination von Business und IT. Sobald eine Business-Initiative gestartet wird, werden kompetente IT-Mitarbeiter eingeladen, an den künftigen Lösungen mitzuarbeiten. Kürzlich zum Beispiel haben die Marketingleiter eine Lösung gesucht, um die Time to Market unserer Produkte zu beschleunigen. Die Informatik war direkt gefordert, und wir entwickeln nun zusammen eine Lösung im Bereich Product Lifecycle Management.

Wie werden die Kosten zwischen der Informatik und den Businessabteilungen verhandelt und aufgeteilt?

Die Informatik ist für Kosten und Budgets aller technologischen Initiativen zuständig. Die Einkaufsabteilung verhandelt mit den Lieferanten, in enger Abstimmung mit der IT. Was die Aufteilung der Kosten angeht: Sie werden während der Implementierung in der Regel den Abteilungen und dann, so weit es den Betrieb der Lösung betrifft, der Informatik in Rechnung gestellt. Die Kosten für Hardware und Software übernimmt hingegen immer die IT.

Wie bringen Sie die Anforderungen aus dem Business mit dem Wunsch nach niedrigen Betriebskosten in Einklang?

Erstens sind wir sehr rigoros gegenüber allen Lösungen, die Auswirkungen auf den Kern unserer Informatik wie das ERP-System oder unsere Infrastruktur haben könnten. Zweitens vermeiden wir Komplexität und damit das Eindringen von Fremdkörpern in unsere Systeme. Natürlich müssen wir immer einen Kompromiss zwischen der Notwendigkeit einer einfachen Umgebung und der Erfüllung der Businessanforderungen finden. Wenn dies möglich ist, bevorzugen wir die Technologien, die wir bereits beherrschen. Andernfalls signalisieren wir der Abteilung, dass die Lösung zusätzliche Implementierungs- und Betriebskosten verursachen wird. Wir vermeiden so auch die ungehinderte Verbreitung der Anwendungen.

Wie viele Anwendungen verwalten Sie?

Als ich zu JTI kam, hatten wir 1200 Anwendungen. Mit dem neuen ERP-System ist es uns gelungen, diese Zahl auf ein Drittel zu senken. Nach der Übernahme der Firma Gallaher hatten wir dann wieder 1000. Wir haben einen Mehrjahresplan eingeführt, um die Anzahl zu reduzieren, aber machen wir uns nichts vor, wir werden am Ende immer noch hunderte Anwendungen haben. In dieser Hinsicht ist es interessant zu beobachten, wie mit der neuen Organisation die Abwägung zwischen Kostensenkung und den Bedürfnissen der Businessabteilungen auch innerhalb der IT stattfindet. Je mehr die Mitarbeiter mit reinen Informatikfunktionen zu tun haben, desto genauer achten sie dort auf die Kosten.

Unser Technikzentrum zum Beispiel wird nicht müde, die Infrastruktur zu konsolidieren und zu virtualisieren, um mit weniger mehr zu erreichen. Unser Entwicklungszentrum will die Entwicklung in wirtschaftlichere Regionen auslagern. Demgegenüber sind unsere Kompetenzzentren, die näher an den Abteilungen sind, mehr daran interessiert, die bestmögliche Lösung für die Businessanforderungen zu finden. Dies führt dann zu spannenden Diskussionen.

Wie hoch ist der Budgetanteil, den Sie für Innovationen aufwenden?

Diese Frage interessiert uns natürlich sehr. Die Leitung unserer Muttergesellschaft in Japan hat uns kürzlich gebeten, an einem umfangreichen Benchmarking teilzunehmen. Das wird vom Nomura Research Institute und Hackett durchgeführt und erfasst 130 Unternehmen der Fortune Global 500. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass wir gut aufgestellt sind, hatte ich meine Befürchtungen. Schliesslich aber hat sich unsere IT als hocheffizient und nicht weit weg von den Besten erwiesen, jedoch mit einem Verbesserungspotenzial bei den Betriebskosten. Derzeit gehen 60 Prozent unseres Budgets in den Betrieb, 20 Prozent in das Management und 20 Prozent in Innovationen.

Ihr internationaler Sitz liegt in Genf. Haben Sie Schwierigkeiten, dort IT-Mitarbeiter zu finden?

Die Westschweiz schafft viel mehr Chancen als Probleme. Die grösste Herausforderung liegt in den Kosten, es handelt sich ja nicht gerade um eine billige Region. Ansonsten aber bietet sie vor allem Vorteile für die Leitung einer IT-Abteilung. Dank unserer engen Beziehungen zu den Hochschulen entdecken wir immer wieder junge Talente. Eigentlich finden wir die nötigen Fachleute mühelos, auch wenn die Kosten dafür hoch sind.

Weil es neben uns viele andere multinationale Konzerne in der Region gibt, funktioniert auch der Austausch gut. Ich treffe mich mehrmals im Jahr mit anderen CIOs im Rahmen eines von der HSW Freiburg organisierten Forums. Wir sprechen dort über unsere Praxis und die wichtigsten Trends, ohne Betriebsgeheimnisse zu verraten. Die Gesprächspartner kommen aus der Pharma-Branche, dem Bankwesen oder dem Konsumgüterbereich, aber wir haben alle ganz ähnliche Probleme. Dazu gehören etwa die Einführung eines ERP-­Systems oder das Outsourcing. Dieser Austausch ist sehr nützlich, weil wir so das Rad nicht immer neu erfinden müssen. Ich habe noch nie ein solches Mikroklima in anderen Ländern gesehen. Es ist wie ein kleines, europäisches Silicon Valley und deshalb arbeitet mein strategisches Team in Genf.

Sie sprechen die aktuellen Trends in der Informatik an. Haben Sie laufende Projekte im Bereich Analytics?

Datenanalyse ist eines unserer Hauptanliegen. Da wir in einem extrem reglementierten Umfeld arbeiten, ist es sehr wichtig, an die relevanten Informationen heranzukommen. Nur so kann das Business die richtigen Entscheidungen fällen. Wir müssen Daten aus vielen verschiedenen regionalen und globalen Quellen miteinander kombinieren und Perspektiven für die verschiedenen Organisationsebenen schaffen. Aus diesem Grund interessieren wir uns aktiv für Big Data und für Techniken wie In Memory, die genau zur rechten Zeit kommen. Seit mehreren Jahren wird Business Intelligence unaufhaltsam wichtiger, und wir müssen ständig daran arbeiten, unsere Leistungen zu garantieren. Deshalb evaluieren wir gerade den Einsatz der HANA-Systeme unter SAP und der Exalytics-Systeme unter Oracle. Unser Ziel dabei ist es, eine Big-Data-Plattform aufzubauen, die Backoffice und Frontoffice miteinander kombiniert.

Ein weiterer Trend, der unsere BI-Lösungen revolutioniert, ist übrigens die Consumerization der IT. Die Branchenleiter werden immer sicherer im Umgang mit den IT-Tools und ihr Analysebedarf wird immer spezifischer. Es geht also darum, ihnen eine Art individuelle BI bereitzustellen. Deshalb evaluieren wir neue Microsoft-Lösungen, die es den Nutzern erlauben, ihre eigenen Visualisierungen und Dashboards effizient und userfreundlich gestalten zu können und dabei nicht mehr auf das 20 Jahre lang vorherrschende Excel zurückgreifen müssen.

Wirkt sich die Tatsache, dass die Mitarbeiter gut mit dem Informatiktool umgehen können, auf Ihr Helpdesk aus?

Ja, die Nutzer rufen immer seltener wegen einfacher Probleme an, weil sie sie selbst lösen können. Dafür werden die Fragen an das Helpdesk immer komplizierter. Wir haben also weniger Anfragen, aber komplexere, deren Bearbeitung länger dauert.

Zurück zur Consumerization: Welche Ziele verfolgen Sie hier?

Wir haben das Konzept Bring your own Device sorgfältig bewertet. Dabei kamen viele Fragen zu Privacy und Datenschutz auf. Deshalb haben wir uns für eine andere Mobilitätsstrategie entschieden. Wir stellen unseren Mitarbeitern ein Arsenal an modernen und benutzerfreundlichen Smartphones zur Verfügung, die von uns genehmigt und kontrolliert werden. Wir hoffen, damit die Flexibilität bieten zu können, die unsere Mitarbeiter erwarten, und dabei das erforderliche Sicherheitsniveau einzuhalten. Eine weitere von uns evaluierte Lösung, die aber eine hohe Investition in die Infrastruktur erfordert, ist die Desktopvirtualisierung. Damit lassen sich Unternehmensanwendungen wie SAP von einem beliebigen Terminal aus starten.

Unsere grösste Sorge gilt der Business Continuity. Aus der Katastrophe in Japan im vergangenen Jahr haben wir gelernt, wie wichtig es ist, eine Alternative in Form von Heimarbeit zur Verfügung zu stellen. Die Virtualisierung der Arbeitsplätze wird auch zu einigen Kosteneinsparungen führen. So müssen wir beispielsweise nicht mehr allen externen Beratern, die in unseren Büros arbeiten, Geräte liefern. Dadurch entfallen die damit verbundenen Operationen. Allgemein gesprochen wirft die Bereitstellung von mobilen Zugängen auf die Unternehmens-IT die Frage nach der Grenze zwischen Berufs- und Privatleben und nach der Arbeitsorganisation auf.

Wie stehen Sie zu den sozialen Netzwerken?

Wir bewegen uns in diese Richtung. Die Nutzung der sozialen Netzwerke zu untersagen, führt zu nichts, da unsere Mitarbeiter sowieso immer Mittel finden, um diese Verbote zu umgehen. Wir wollen aber vermeiden, dass sie ausserhalb des Unternehmens über JTI sprechen. In diesem Zusammenhang prüfen wir Möglichkeiten, ein soziales Unternehmensnetzwerk aufzubauen. Es läuft gerade ein Pilotprojekt mit vielversprechenden ersten Ergebnissen.

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