Titelstory Netzwoche 10

APIs: Tor zur Welt, Fenster zum Unternehmen

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von ICTjournal

Der Nutzen von APIs beschränkt sich nicht mehr auf den Softwarebereich. Unternehmen können damit auch Dienste zur Verfügung stellen und ihre Anwendungslandschaft ins Zeitalter der Cloud transferieren.

Das digitale Universum gleicht aus Sicht unserer Browser und Smartphones immer mehr einem riesigen Mix von Dienstleistungen, bei dem es schwierig ist, die eigentlichen Anbieter zu identifizieren. So integrieren Unternehmen Google-Landkarten mit den Standorten ihrer Filialen in ihre Websites, anstatt eigene Karten zu zeichnen. Apps erlauben gleichzeitige Auftritte in mehreren sozialen Netzwerken mit unterschiedlichen Konten. Websites für Reisereservierungen wiederum schmücken jeden Urlaubsort mit ihrer persönlichen Tripadvisor-Note. All diese dynamischen Kombinationen beruhen auf der Verfügbarkeit entsprechender Programmierschnittstellen (APIs). Sie ermöglichen es Anbietern, ihre Inhalte und Dienstleistungen bereitzustellen und Entwicklern, ihre Apps in Websites und anderen Webservices zu integrieren.

Die APIs nehmen damit die Rolle des Räderwerks im neuen Internet ein und verbreiten sich exponentiell. Die auf API-Informationen spezialisierte Website Programmable Web verzeichnet gegenwärtig mehr als 11 000 öffentliche Web-APIs. Ein Jahr davor waren es noch 9000. Die beliebtesten APIs – von Twitter, Facebook, Google – werden täglich milliardenfach von Dritten aufgerufen. Doch das Phänomen beschränkt sich nicht auf den engen Kreis der Web-Giganten. Immer öfter finden sich ungewöhnliche API-Anwendungen wie jene des schwedischen Vodka-Herstellers Absolut. Das Unternehmen lancierte kürzlich eine API, die Cocktail-Rezepte mit Vodka bereitstellt. Und in der Schweiz nutzen verschiedene Verkehrsverbände APIs, um ihre Fahrpläne anderen Nutzern zur Verfügung stellen.

Die Wegbereiter der API

Einige Analysten sprechen heute von einer API Economy, weil sich die Rolle dieser Schnittstellen nicht auf eine technische Funktion beschränkt und sie einen grossen Hebeleffekt haben können. Für die Softwareanbieter, die schon vor dem aktuellen Hype APIs anboten, erleichtern diese Schnittstellen die Integration ihrer Lösungen bei den Kunden und erlauben es Partnern, neue Dienstleistungen zu entwickeln. So bietet das Schweizer Unternehmen Nexthink seit mehreren Jahren eine API für seine Desktop-Monitoring-Lösung an. Die REST-Schnittstelle erlaubt der Plattform, Informationen aus Drittanwendungen zu beziehen, beispielsweise die Anwesenheitszeiten von Mitarbeitern aus dem Active Directory. Umgekehrt können damit auch die von Kundenunternehmen und Partnern genutzten IT-Verwaltungslösungen gespeist werden. "Alles, was man mit der Kunden­lösung machen kann, muss man mit unserer API auch machen können", erklärt Samuele Gantner, Head of Product Management bei Nexthink.

Aus demselben Grund entwickelte auch der Bankensoftware-Anbieter Temenos eine API. Sie dient der Entwicklung von Nutzerschnittstellen, die mit dem Backend der Anwendung T24 verbunden sind. "Wir wollen damit ein Ökosystem von Apps entstehen lassen, seien diese von Kunden oder von unabhängigen Entwicklern", beschreibt Martin Bailey, Product Director for Technology bei Temenos, das Vorhaben.

Eine Vielzahl von Geschäftsmodellen

Die wirtschaftliche Bedeutung der APIs beschränkt sich indessen weder auf ihre Verwendung durch Softwareanbieter noch auf die Schaffung eines Ökosystems für Partner. Mit APIs können Unternehmen ihre Dienstleistungen und Daten nämlich mithilfe der Apps der Entwickler auch einem viel grösseren Publikum zugänglich machen. Seien es nun Inhalte wie die erwähnten Cocktail-Rezepte der Firma Absolut oder Artikel der britischen Zeitung Guardian, die Blogger mittels einer API in ihre Blogs einbinden können. Oder Transaktionsdienstleistungen wie jene von Spotify, Ebay oder von der Tourismusplattform Trekk­soft, dessen API von Hotelplan genutzt wird (siehe Interview auf Seite 14). Dienstleistungen lassen sich schliesslich dank APIs für eine Vielzahl von Endgeräten (Smartphones, Fernseher etc.) zu tiefen Kosten anpassen, indem die Entwicklungsarbeit der Apps unabhängigen Entwickler überlassen wird. Diese Strategie wird unter anderem vom Online-Filmverleiher Netflix verfolgt.

Diese breite Palette von Geschäftsmodellen spiegelt sich in den verschiedenen Bezahlformen. In gewissen Fällen wird die API als eigentliches Produkt betrachtet und entsprechend in Rechnung gestellt (Lizenz, Abonnement, Pauschale oder Verrechnung nach Benutzung). Manchmal ist die Nutzung der API gratis, manchmal teilen sich der Anbieter und der Entwickler die Werbeeinkommen. In anderen Fällen wird der Entwickler im Verhältnis zum generierten Umsatz entlohnt. Dies ist meistens dann der Fall, wenn die App, die die API nutzt, den eigentlichen Verkaufskanal darstellt.

Vom SOA zur API

Indem APIs den Austausch von Daten und Dienstleistungen zwischen den Anwendungen erleichtern, stellen sie auch einen Vorteil innerhalb der Unternehmen dar. In den meisten IT-Abteilungen ist nämlich die Integration von Anwendungen eine langwierige und anspruchsvolle Angelegenheit. Die Ausgangslage wird durch die Nachfrage nach mobilen Apps vom Business und durch den Bezug von Lösungen aus der Cloud noch komplexer, vor allem wenn von der IT verlangt wird, immer flexibler zu sein. Die meisten Unternehmen haben aus diesem Grund flexible und modulare Herangehensweisen entwickelt und in Betrieb genommen. Dabei wurde die Punkt-­für-Punkt-Integrationen durch einen eigentlichen Service Bus nach dem Konzept einer serviceorientierten Architektur (SOA) ersetzt. Diese Herangehensweise, Services zur Verfügung zu stellen, unterscheidet sich nicht grundsätzlich vom API-Konzept. Gewissen Analysten zufolge bieten SOA-Umgebungen aber nicht dasselbe Agilitätsniveau wie APIs.

Was sind die Unterschiede? In technischer Hinsicht bevorzugen aktuelle APIs REST-Schnittstellen und Webtechnologien – das HTTP(S)-Protokoll, strukturierte Antworten in XML oder Json – da diese für Entwickler leichter zu handhaben sind und besser genutzt werden können, nicht zuletzt im Mobile-Bereich. Darüber hinaus berücksichtigen APIs mit ihrem Design stärker den Anwender, ungeachtet ob es sich dabei um eine andere Abteilung oder um einen Entwickler von mobilen Apps handelt. Konkret zeigt sich diese "Kundenorientierung" im Verzicht auf wenig genutzte Funktionen und in der Verwendung einer verständlichen, standardisierten Terminologie, die sich von jener der zugrundeliegenden Anwendung unterscheidet. "Wir haben die Begriffe und Konzepte, die in unserer API zum Einsatz kommen, so übersetzt, dass sie für den Anwender sinnvoll sind", erklärt Bailey. Im Idealfall sollte die API also nicht durch Veränderungen beeinträchtigt werden, die bei der zugrundeliegenden Anwendung vorgenommen werden. "In Zukunft wird die Schnittstelle das einzig stabile Element sein", erwartet Nicolas Sierro, Strategieexperte bei Galixo.

Wird eine API-basierte Architektur unternehmensweit eingeführt, erleichtert sie nicht nur die Integration der Anwendungen und ihre Portierung auf die Mobilgeräte, sondern schafft auch Klarheit über die Business-­Dienstleistungen, die im Unternehmen zur Verfügung stehen. Das sind Vorteile, die immer mehr Unternehmen überzeugen und den wachsenden Erfolg der API-Verwaltungslösungen erklären. Sierro zufolge aber fördern auch die Nachfrage nach mobilen Lösungen und die zu ihrer Entwicklung bewilligten Budgets das Aufkommen der APIs in "klassischen" Unternehmen.

Entwickler "verführen"

Die APIs vereinen damit zwei Vorteile. Innerhalb der Unternehmen sorgen sie für mehr Übersicht über die Dienstleistungen der verschiedenen Anwendungen und Fachbereiche. Sie begünstigen auch die Verknüpfung der Dienste und helfen bei ihrer Bereitstellung auf mobilen Geräten. Ausserhalb der Unternehmen können dieselben APIs Partnern und Kunden zur Verfügung gestellt werden oder auch unabhängigen Entwicklern, was nicht selten neue Geschäftsmodelle schafft.

Der Wechsel zur Aussenwelt bringt jedoch einige Herausforderungen mit sich. Einerseits ist die Bereitstellung von Unternehmensdiensten und Daten von Vertraulichkeitsrisiken begleitet und kann auch eine Markenauflösung begünstigen. "Wer eine API allen zugänglich macht, weiss nicht, was die Leute daraus machen werden", warnt Sierro. Andererseits reicht es nicht aus, die eigenen Dienste und Daten bereitzustellen, damit die Entwickler von Apps sie benutzen. Aufgrund der grossen Nachfrage sind Entwickler heute fast wie Rockstars, meint Sierro. Um sie zu verführen, müssen die APIs interessante Dienste bereitstellen. Aber man muss auch darauf achten, dass das Design schlicht bleibt und dass die Nomenklatur klar ist. "Um den Entwicklern Lust auf die API zu machen, muss man ihnen Beispiele für die Implementierung, für den Support oder für die Videos machen", ergänzt Gantner. Man muss auch daran denken, komplementäre Dienste, wie das Monitoring der Nutzung mitzuliefern, vor allem wenn die Verwendung der API kostenpflichtig ist. Schliesslich sollte man auch an die Rückwärtskompatibilität denken, wenn man eine neue Version entwickelt. "Eine API bereitzustellen ist wie ein Versprechen, das gehalten werden muss", fasst Sierro den Sachverhalt zusammen.

Ein seltenes Versprechen und auch eine seltene Gelegenheit: Zum Zeitpunkt nämlich, an dem alle eine Verlagerung der Informatikbudgets zugunsten der digitalen, endkundenzentrierten Initiativen des Marketings erwarten, stellen APIs für CIOs eine willkommene Gelegenheit dar, ein attraktives Angebot für den Entwicklermarkt zu schaffen, dessen Codes er besser beherrscht als seine Marketingkollegen. "Die gute Strategie besteht darin, APIs zu entwickeln, was auch immer passiert, sei es nur für die Vorteile innerhalb des Unternehmens. Umso besser, wenn dadurch noch zusätzliche Sachen ermöglicht werden", schliesst Sierro.