Beschwerde gegen Kabelaufklärung

Digitale Gesellschaft fürchtet Schnüffelstaat

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Die Digitale Gesellschaft hat Beschwerde gegen die Kabelaufklärung des Schweizer Nachrichtendienstes erhoben. Sie fürchtet Massenüberwachung und Datenhandel mit dem Ausland.

(Source: Pixabay / Couleur / CC0 Creative Commons)
(Source: Pixabay / Couleur / CC0 Creative Commons)

Ab 1. September gilt in der Schweiz das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG). 2016 nahm das Volk das NDG mit 63 Prozent Ja-Stimmen an. Schon vor zwei Jahren hatten Medienberichten zufolge vor allem die angedachte Kabelaufklärung für Unmut in sozialdemokratischen Kreisen gesorgt. Nun greift die Kabelaufklärung, und die Digitale Gesellschaft legt Beschwerde gegen sie ein. Der Verein fürchtet eine Massenüberwachung durch den Schnüffelstaat, wie er in einer Medienmitteilung schreibt. Die Redaktion hat nachgefragt, was dahinter steckt.

Was die Kabelaufklärung soll

Mit der Kabelaufklärung erhält der Schweizer Nachrichtendienst (NDB) ein neues Instrument. Es sei ein Mittel der Auslandaufklärung, heisst es auf der Website des Bundes. Die Kabelaufklärung diene der Überwachung von Signalen, die über Leitungen die Grenzen der Schweiz überqueren. Das heisst: Wenn sich entweder Sender oder Empfänger im Ausland befindet, greife die Kabelaufklärung.

Das Gesetz verpflichtet Schweizer Telkos, ihre Datenströme dem Nachrichtendienst auf Anfrage zugänglich zu machen. Mit diesem Verfahren soll die Gefahr von Cyber-Spionage und Hackerangriffen durch fremde Staaten vermindert werden. Der Fernmeldeverkehr laufe heutzutage vor allem über Glasfaser. Deshalb sei die Kabelaufklärung als Ergänzung zur Funkaufklärung notwendig, argumentiert der Bund.

Was die Beschwerde will

Die Digitale Gesellschaft ist eine gemeinnützige Bürgerrechts- und Konsumentenschutzorganisation. Sie ist parteipolitisch neutral und hat sich den Schutz der Freiheitsrechte auf die Fahne geschrieben. Die Beschwerde der Digitalen Gesellschaft richtet sich direkt an den Nachrichtendienst. Die Digitale Gesellschaft fordert, dass der NDB die Kabelaufklärung unterlässt. Wenn der Nachrichtendienst dem Gesuch nicht entspreche, werde die Digitale Gesellschaft den weiteren Rechtsweg beschreiten.

Der Grund für die Beschwerde: Die Kabelaufklärung verletze diverse Grundrechte. Und welche? Die Digitale Gesellschaft zeigt einen stolzen Katalog vor. Er enthält das Recht auf Achtung des Privatlebens, den Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten und die informationelle Selbstbestimmung. Auch die Unschuldsvermutung und die Meinungsfreiheit seien betroffen.

Der NDB will die Nadel im Heuhaufen finden

In einer Email an die Redaktion betont der Nachrichtendienst die strengen Kontrollmechanismen, die bei der Kabelaufklärung greifen sollen. Jeder Suchauftrag bedürfe der Genehmigung dreier Stellen: des Bundesverwaltungsgerichts, des Chefs des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport sowie des bundesrätlichen Sicherheitsausschusses.

Gesucht werde nach spezifischen, nicht nach allgemeinen Begriffen. Stichworte wie Terrorist und Bombe etwa seien nutzlos, da sie eine unüberschaubare Menge an Resultaten produzierten. Hilfreiche Suchbegriffe seien Namen, Telefonnummern oder Email-Adressen von Dschihadreisenden.

"Der NDB saugt also nicht einfach mit dem Staubsauger das Netz ab, um die gewünschten Informationen zu finden, sondern pickt mittels spezifischer Schlüsselwörter (wie mit einer Pinzette) diejenigen heraus, die er für die Erfüllung seines gesetzlichen Auftrages braucht", schreibt Caroline Bohren, die stellvertretende Kommunikations-Chefin der KNDB. Es bleibe nur das hängen, was die genehmigten Suchbegriffe zutage fördern. "Also quasi die Nadel und nicht der gesamte Heuhaufen", fährt Bohren fort.

Digitale Gesellschaft warnt vor Datenhandel

Das klingt durchaus massvoll. Weshalb schlägt die Digitale Gesellschaft trotzdem Alarm? Die Redaktion hat mit Martin Steiger gesprochen, dem Mediensprecher der Digitalen Gesellschaft. Er erläutert die Bedenken des Vereins. "Zunächst muss klar sein, dass die geheimdienstliche Tätigkeit von Natur aus schwammig ist", sagt er am Telefon. "Letztlich wissen wir nicht, was hinter den verschlossenen Türen des Nachrichtendienstes abläuft." Ausserdem lasse der Gesetzestext vieles bewusst im Unklaren.

Steiger zieht einen Vergleich mit Deutschland und den USA. Der Bundesnachrichtendienst habe in Deutschland mit mindestens 40'000 Suchbegriffen gefiltert. Und die Massenüberwachung durch die US-amerikanische National Security Agency spreche für sich. Steiger warnt: Das Bundesverwaltungsgericht prüfe nicht einzelne Suchbegriffe, sondern lediglich Kategorien. Von der Nadel im Heuhaufen also keine Spur. Es handle sich um Überwachung ohne Unterschied und Verdacht.

Das Gesetz verbiete zwar die Kabelaufklärung im Inland. Allerdings gebe es einfache Schlupflöcher. So greife die Überwachung des NDBs auch dann, wenn Schweizer miteinander über Server im Ausland kommunizierten – was mittlerweile gang und gäbe sei. Auch könne der NDB einfach die Daten der Sicherheitsdienste anderer Staaten nutzen. "So muss der NDB nicht sagen, er überwache die Schweizer Bevölkerung", erläutert Steiger. Im Übrigen gälten die Menschenrechte auch im Ausland.

Die Digitale Gesellschaft befürchtet Datenhandel mit ausländischen Diensten. Mit dem neuen Gesetz könne der NDB im internationalen Daten-Basar Fuss fassen. Laut Artikel 12 des NDG kann der Nachrichtendienst in der Tat "sachdienliche Informationen" von ausländischen Diensten entgegennehmen und weiterleiten.

Telkos sollen Signale liefern

Telkos wie Swisscom und UPC sind vom neuen Gesetz ebenfalls betroffen. Artikel 43 verpflichtet sie, dem Nachrichtendienst technische Angaben zu liefern, die der Kabelaufklärung dienen. Ausserdem müssen sie auf Anfrage die Signale und Daten aus ihren Kanälen an den NDB weiterleiten.

In der Vernehmlassung zum Gesetz wiesen die oben genannten Telkos lediglich auf Klärungsbedarf bei der Kabelaufklärung hin, wie der Ergebnisbericht festhält. Mit den übrigen Bestimmungen sei die Swisscom ausdrücklich einverstanden, heisst es dort. Die Bedenken der Telkos habe man soweit wie möglich berücksichtigt, schreibt der Bund.

Von Staubsaugern und Pinzetten

Die Digitale Gesellschaft spricht vom flächendeckenden Staubsauger, der Nachrichtendienst von der haarfeinen Pinzette. Wer letztlich die Wahrheit spricht, lässt sich nur schwer beurteilen. Klar ist immerhin: In Anbetracht diverser Geheimdienst-Skandale ist die Beschwerde der Digitalen Gesellschaft sicherlich nicht aus der Luft gegriffen.

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